Doktorat

Alma Mater und ihre Kinder

  • 11.10.2017, 17:12
Soziale Herkunft und Geschlecht sind die großen Selektionskriterien für wissenschaftliche Karrieren. Ein kritischer Blick in die Promovierenden-Statistik.

Schließlich waren die Existenzängste zu groß. Kurz vor dem Auslaufen ihres Stipendiums sah sich Camille Liessem (Name geändert) gezwungen, einen Job anzunehmen, obwohl sie kurz vor ihrem Abschluss stand. Die 32-Jährige ist Mutter zweier Kleinkinder: „Besonders wegen der Kinder will ich nicht immer nur am Limit kratzen und auch finanziell unabhängig von meinem Partner sein.“ Gleichzeitig weiß Camille, wie gefährdet ihr Studium seit dieser Entscheidung ist.

Die prekäre Situation ist für viele Promovierende belastend. Jede_r fünfte Studierende im Doktorat kämpft mit finanziellen Schwierigkeiten. Davon sind insbesondere jene betroffen, die ihre Dissertation über ein Stipendium finanzieren und in geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächern promovieren. Erschwerend kommen Betreuungsverpflichtungen hinzu: 21 Prozent der Dissertant_innen haben ein Kind, das jünger als 25 Jahre ist. Camille will sich durchbeißen: „Irgendwie schaffe ich das“, ist sie sicher. „Das hat mit Stolz zu tun und ein bisschen auch mit Trotz – weil viele seit meiner letzten Schwangerschaft davon ausgehen, dass ich früher oder später abbreche.“

Voller Kopf, leere Geldbörse

Zwei Drittel der Promovierenden schreiben ihre Doktorarbeit weder im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit noch finanziert über ein Stipendium. Sie forschen ohne Förderung. Lediglich 30 Prozent können Dissertation und Lohnarbeit vereinbaren (z. B. als Assistent_in an einer Universität) und nur fünf Prozent erhalten ein Lebensunterhaltskosten sicherndes Stipendium. Österreich ist damit unrühmliches Schlusslicht im europäischen Vergleich, wie eine Eurodoc-Studie schon 2011 festgestellt hat. Ein heuer veröffentlichter Zusatzbericht der Studierenden-Sozialerhebung des Instituts für Höhere Studien (IHS), in dem die Studienbedingungen der 25.231 Doktorand_innen durchleuchtet wurden, zeigt, dass sich die Situation in den letzten Jahren verschärft hat.

Am wenigsten gefördert werden die 10.863 Promovierenden in den rechts-, geistes- und kulturwissenschaftlichen Studien: Hier müssen knapp über 80 Prozent eine studienunabhängige Einkommensquelle finden. Besser stellt sich die Situation in den ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studien dar (9.400 Promovierende), in denen 54 bzw. 44 Prozent ihre Doktorarbeit im Rahmen der Erwerbsarbeit schreiben können. Erschwert wird die prekäre Situation durch die Tendenz zur (teil-)strukturierten Promotion, bei der zusätzlich zur Dissertation zeitaufwändige Qualifikationsleistungen erbracht werden müssen, die häufig an ECTS-Punkte gebunden sind.

Im Schatten der Eltern

Die Auswertung der soziodemografischen Faktoren der Studie ergab, dass die Doktoratsstudierenden mit einem Durchschnittsalter von 34,7 Jahren im Vergleich zur Erhebung 2003/04 älter werden und dass nur 46,5 Prozent von ihnen Frauen sind – obwohl diese in den Studien vor dem Doktorat mit 53 Prozent die Mehrheit stellen.

Die Wahrscheinlichkeit, ob jemand studiert, lässt sich nach wie vor am besten am Bildungsstand und am Beruf der Eltern ablesen. Dieser Zusammenhang verstärkt sich im Doktorat. Dissertant_innen stammen noch häufiger als Universitätsstudierende in einem Bachelor-, Master- oder Diplomstudium aus einer hohen oder gehobenen sozialen Schicht (57 %). In den vergangenen Jahren ist dieser Anteil gestiegen, während der Anteil der Doktorand_innen aus niedriger Schicht (16 %) leicht gesunken ist.

Wolfgang Fauth (Name geändert) kommt aus einem Milieu, das in der IHS-Studie prototypisch als niedrige soziale Schicht bezeichnet wird: Die Großeltern waren Bauern, seine Eltern Schichtarbeiter und Hausfrau. Als erster in der Familie hat er sich nach dem Gymnasium für ein Studium entschieden. Fehl am Platz – so wie es viele Arbeiterkinder bisweilen erleben – habe er sich dennoch an der Universität nie gefühlt: „Vielleicht lag’s an meiner Clique“, meint Wolfgang rückblickend. „Alle in meinem Freundeskreis stammen aus Nicht-Akademikerfamilien vom Land.“ Die Finanzierung des Studiums war durch eine Uni-Anstellung gewährleistet, das sei seinen Eltern wichtig gewesen: „In unseren Gesprächen über mein Doktorat standen praktische Dinge im Vordergrund, aber ich weiß trotzdem, dass sie stolz darauf sind, was ich geschafft habe.“

Kopftuch ist kein Widerspruch

Die erschwerenden finanziellen Rahmenbedingungen, aber auch strukturelle Diskriminierungen innerhalb des Hochschulsystems befeuern gesellschaftliche Schieflagen: 61 Prozent der Studierenden, die ihr Doktorat im Rahmen einer Anstellung bezahlt verfassen, sind männlich und kommen vergleichsweise selten aus einer niedrigen sozialen Schicht. Ebenfalls wenig vertreten sind Promovierende der ersten und zweiten Zuwanderer_innengeneration.

Lediglich sechs Prozent der promovierenden Bildungsinländer_innen haben einen Migrationshintergrund. Die gebürtige Bosnierin Esma Filipović (Name geändert) ist eine von ihnen. Sie ist in der dritten Klasse Volksschule ins österreichische Schulsystem eingestiegen. Nach Studium und mehreren Jahren im Berufsleben hat die 34-Jährige über eine Mitarbeit bei einem universitären Forschungsprojekt wieder Feuer an der Wissenschaft gefangen und mit dem Doktorat begonnen. Als Migrantin, Frau, Mutter und Kind aus einer Arbeiter_innenfamilie sind Esmas Hürden groß, aber nicht weniger groß ist ihre Motivation: „Ich möchte mich in meinem zweiten Heimatland vor allem über Bildung integrieren.“ Dass sie Kopftuch trägt, habe ihr im akademischen Umfeld keine Benachteiligung gebracht, betont sie: „Vielmehr erlebe ich unterstützende Reaktionen. Man zeigt mir, dass auch ich dazugehöre.“ Gleichzeitig spürt sie eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung: „Mir ist es in Bezug auf die mediale Diskussion wichtig, klassische Bilder umzudrehen. Ich möchte zeigen, dass es natürlich muslimische Frauen mit Kopftuch gibt, die gebildet sind.“

Leistungsbegriff in Kritik

Dass Arbeiter_innenkinder sukzessive an den wissenschaftlichen Karriere-Schnittstellen verlorengehen, wirke auf verfügbares Wissen zurück, kritisiert Tamara Ehs, Vorstandsmitglied der „IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen“: „Wissenschaft ist nie unabhängig von den Forscher_innen, die auch aufgrund ihrer Biografie bestimmte Fragen an ihr Fach richten.“ Doch mit dem Universitätsgesetz 2002 habe die Politik jegliche Steuerungsinstrumente an den globalen Markt übergeben. Seither richtet sich nicht nur die Vergabe von Fördermitteln an der internationalen Reichweite von Forschungsvorhaben, sondern mitunter auch die Auswahl der Promovierenden für bezahlte Stellen und Doktoratskollegs. Dies gehe zu Lasten derer, die nicht aus einem finanzkräftigen Elternhaus kommen, Kinder versorgen müssen oder sich aus anderen Gründen unbezahlte Auslandsaufenthalte nicht leisten können.

Ehs schlägt vor, den internationalen Leistungsbegriff an sich in Frage zu stellen und gesellschaftliche Verankerung von Forschenden wertzuschätzen: „Heutzutage können Promovierende, die nicht jeden Monat auf einer anderen Konferenz im Ausland sind oder an fünf Unis geforscht haben, nichtsdestotrotz weltweit Kontakte pflegen und über internationale Forschung informiert sein. Sie bringen sich im Gegenzug oft vor Ort mehr ein und zeigen gesellschaftspolitisches Engagement. Die Betreuung von Flüchtlingen bei Behördenwegen zum Beispiel ist ebenso eine internationale Erfahrung.“

Verlorenes Praxiswissen

Wissensproduktion an Hochschulen kann auch aus dem Blickwinkel der „Third Mission“ betrachtet werden: Neben Forschung und Lehre spielt der Wissenstransfer zunehmend eine wichtige Rolle in Universitäten. Die Implementierung einer aktiven Vernetzung von Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft haben sich viele Hochschulen explizit auf die Agenda geschrieben. Entsprechend sieht es die Journalistin Julia Herrnböck als Bringschuld der Unis, sich auch um Studierende zu bemühen, die aus der Wirtschaft kommen, um in ihrem Fachbereich zu forschen: „Dieser Fall ist offenbar nicht vorgesehen“, konstatiert sie enttäuscht über das Fehlen von Förderprogrammen für Doktorand_innen wie sie eine ist, die nicht unmittelbar in Anschluss an ein Grundstudium mit der Promotion beginnen, dafür aber Wissen aus der Praxis mitbringen: „Das halte ich für einen Fehler, weil viel Wissen und Potenzial nicht geschöpft wird.“ Die 35-Jährige steht noch am Anfang ihres Doktorats und will sich durch die hiesigen Strukturen nicht aufhalten lassen: „Neben einem anspruchsvollen Vollzeitjob ist ein Doktoratsstudium nicht möglich – jedenfalls nicht in guter Qualität und ohne auszubrennen. Wenn das in Österreich nicht klappt, werde ich mich im Ausland um ein Stipendium bewerben.“

Eine nicht geringe Anzahl von Promovierenden in Österreich ist den umgekehrten Weg gegangen – Tendenz langsam steigend: Rund 31 Prozent der Doktoratsstudierenden gehören zu den sogenannten Bildungsausländer_innen, die das reguläre Schulsystem nicht in Österreich absolviert haben.

Zerbrochene Träume

Wenn der erste Schritt im Doktoratsstudium gemacht und das eigene Forschungsvorhaben von der Uni akzeptiert wurde, heißt es durchhalten. Ein Einflussfaktor auf die Zufriedenheit von Promovierenden ist die Unterstützung durch Doktormütter und -väter. 40 Prozent sind mit der Betreuung ihrer Dissertation jedoch unzufrieden. Für manche steht und fällt damit die Motivation. So auch bei Anna Wanderer (Name geändert). Dabei hatte alles so gut angefangen: Schon während des Masterstudiums wurde die heute 29-Jährige als Projektmitarbeiterin angestellt. Es folgten Veröffentlichungen und Konferenzteilnahmen. Anna bewegte sich in einem akademischen Umfeld, erhielt finanzielle Unterstützung durch ihre Eltern und fühlte sich inmitten der Erfüllung ihres großen Lebenstraums. Dann kam die Ernüchterung: „Von meiner Betreuerin erhielt ich plötzlich nur mehr unkonstruktiven Gegenwind und keine Wertschätzung. Präsentationen des Arbeitsstandes empfand ich als Demütigung und zuletzt hatte ich deswegen mit massiven Angststörungen zu kämpfen.“ Sie beschloss, die Bühne unauffällig zu verlassen und exmatrikulierte sich. Den Mut, ihrer Betreuerin ihre Beweggründe offen zu kommunizieren, hat sie bisher nicht aufgebracht: „Mir tut wirklich weh, wie das gelaufen ist. Es hat mich zermürbt, verunsichert und verängstigt.“

Über einen Zeitraum von 24 Semestern wurde in der IHS-Studie eine Abbruchsquote von 46 Prozent erfasst. So individuell die Gründe für einen Abbruch sein mögen, so unbestreitbar sind die statistischen Beobachtungen, die zeigen, dass es mit Chancengleichheit und Diversity im universitären Nachwuchsbereich nicht weit her ist. In Bezug auf ihre soziodemografischen Merkmale unterscheiden sich Absolvent_innen jedenfalls kaum von den Promotionsstudierenden.

Cornelia Grobner ist freie Journalistin und Doktorandin am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg.

Studienvertretung zwischen den Stühlen

  • 11.07.2014, 18:56

Doktoratsstudierende sind in Österreich mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Nicht selten verzögert sich dadurch ihr Studium oder sie brechen es gar ab. Bianka Ullman, Vertreterin in der Fachschaft Doktorat der Technischen Universität in Wien, hat mit progress über die größten Problemfelder gesprochen.

Doktoratsstudierende sind in Österreich mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Nicht selten verzögert sich dadurch ihr Studium oder sie brechen es gar ab. Bianka Ullman, Vertreterin in der Fachschaft Doktorat der Technischen Universität in Wien, hat mit progress über die größten Problemfelder gesprochen.

progress: Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Menschen zu euch in die Beratung kommen?
Bianka Ullmann: Wie wechsle ich mein Doktoratsstudium? Das kommt nämlich öfter vor, als man glaubt. Und insbesondere für die, die aus dem Ausland oder von einer anderen Uni kommen, ist das gar nicht so einfach, weil man nur für ein Studium beziehungsweise für ein Fachzugelassen ist. Das heißt, wenn man Studium oder Fach wechselt, muss man nochmal eine Zulassung beantragen. Das ist ein Problem, mit dem wir oft konfrontiert sind. Es kommt aber auch vor, dass Studierende kommen, denen ihre Arbeit oder mein Gedankengut geklaut wurde.

Kommt das oft vor?
Ich glaube, es gibt eine hohe Dunkelziffer, weil man sich das oft nicht sagen traut. Das passiert oft in der eigenen Forschungsgruppe und man möchte die Kollegin oder den Kollegen, der/die das gemacht hat, nicht bloßstellen. Vielleicht spricht man das mal persönlich an, aber es ist nichts, wo man rechtliche Schritte setzt oder sich beraten lässt, wie das funktioniert. Deshalb glaube ich, dass das öfter passiert, als wir wissen. Wir hatten bis jetzt zwei Fälle, die sich bei uns diesbezüglich haben beraten lassen.

Wie steht es um die finanziellen Situation von Doktoratsstudierenden? Ist sie oft ein Grund das Doktoratsstudium abzubrechen?
Das kommt sicher auch vor. Aber da sind wir eher bei dem Problem, dass das in die Länge gezogen und einfach nicht fertig wird. Es ist kein bewusstes Aufhören, keine Entscheidung 'ich brech jetzt ab'. Vielmehr kommen immer andere Dinge dazwischen. Ich glaube auch, dass ganz oft Schwangerschaften mit ein Grund sind, Gerade wenn man auf finanzierten Stellen sitzt, hat man dann wenig Möglichkeiten dieses Projekt fertig zu machen. Dementsprechend ist das auch ein Grund, nicht weiter zu machen, weil man nach einer Unterbrechung nicht so leicht wieder hineinkommt.

Gibt es andere genderspezifische Gründe, warum vor allem Frauen das Doktoratsstudium abbrechen ? Beispielsweise Übergriffe am Arbeitsplatz?
Gibt es sicher auch. Ich hab aber persönlich keinen Fall betreut. So etwas passiert oft hinter verschlossenen Türen. Die Leute reden über sowas nicht. Ich kenne Geschichten, die sind wieder über drei Ecken. Wer weiß wie wahr oder unwahr sie sind. Ich kenne auch Geschichten von Professoren, die ihre Studentinnen nicht unbedingt sehr kollegial behandeln. Und in manchen Bereichen gibt es nach wie vor sehr wenige Frauen. Gerade im Bereich Maschinenbau und Elektrotechnik - bei uns am Institut sind wir zwei Frauen.

Ist es generell schwieriger als Frau Doktorat an einer technischen Studienrichtung zu machen?
Ich persönlich fühle mich sehr wohl dort, wo ich bin. Ich glaube aber schon, dass es insgesamt schwieriger ist, weil du ganz oft mit einer eine Art struktureller Diskriminierung konfrontiert bist, wenn sich jemand über dich lustig macht, weil du auffällst und in der Minderheit bist. Das sind auch so Probleme, über die man wenig weiß, weil die Frauen auch nicht darüber sprechen, als wäre es etwas Negatives, weil sie ja dazu gehören wollen. Das heißt, sie lachen dann mit, auch wenn ihnen der Witz oder die Aussage unangenehm ist. Sie lachen mit, damit sie quasi zur Gruppe dazugehören, weil sie sonst keine Chance auf soziale Anbindung haben.

Welche weiteren Gründe für Studienverzögerung und Abbruch, gibt es?
Auflagen sind oft ein Grund für Verzögerungen Wenn du von einer anderen Uni kommst, ist es relativ wahrscheinlich, dass du bei der Zulassung Auflagen bekommst, und das spielt sich im Rahmen von 20 ECTS ab, was im Doktoratsstudium sehr viel ist. Ich hab schon ganz oft von Leuten gehört, dass sie zwei Jahre zusätzlich gebraucht haben, um diese Auflagen zu erfüllen.

Betrifft das auch FH-Studierende?
Die betrifft das besonders. Mittlerweile ist klar geregeltl, dass sie direkt zugelassen werden müssen, zumindest die, die in einer dafür geschaffenen Verordnung aufgelistet sind. Das heißt im Moment haben wir eine unfaire Situation: Es gibt eine Gruppe von FH-Absolventen und -Absolventinnen, die direkt zugelassen werden ohne Auflagen, dann gibt es eine Gruppe, die mit sehr viel Auflagen zugelassen werden und drittens werdenUni-Absolventinnen und -Absolventen auch immer nur mit Auflagen zugelassen, wenn sie das Fach oder die Universität wechseln. Da brauchen manche Leute natürlich mehr Zeit, das wirkt auf alle Fälle verzögernd.
 

Zwischen den Stühlen

  • 27.06.2014, 18:25

Nicht alle Studierenden, die ein Doktoratsstudium beginnen, können es auch (fristgerecht) beenden. Verantwortlich dafür sind strukturelle Probleme, die oft ignoriert werden.

Nicht alle Studierenden, die ein Doktoratsstudium beginnen, können es auch (fristgerecht) beenden. Verantwortlich dafür sind strukturelle Probleme, die oft ignoriert werden.

Ein Doktoratsstudium wird von Politik und Medien gerne als Ausdruck österreichischer Titelgeilheit dargestellt. Die Gründe dafür, eine Dissertation zu schreiben, sind aber meist ganz andere: der Wunsch nach mehr Wissen und dem Einstieg in eine akademische Karriere. Etwa 8,6 Prozent aller österreichischen Studierenden haben im Jahr 2011 im Doktorat studiert – das sind etwa 26.000 Personen. Sie sind durchschnittlich 33,9 Jahre alt, 53 Prozent davon sind Männer, ein Viertel der DoktorandInnen hat bereits Kinder – und oft haben sie andere Bedürfnisse und Probleme, als Studierende im Bachelor, Master oder Diplom. Ein Grund dafür ist ihr Schwebezustand: mit einem Fuß noch Student_in, mit dem anderen Fuß schon in der wissenschaftlichen Karriere.

Von Anfang an Probleme. Bereits der Einstieg ins Doktorat stellt oft die erste Hürde dar. Nicht überall kann man sich ohne die Zustimmung einer Betreuungsperson inskribieren. Betreuen darf aber nur, wer selbst habilitiert ist, was die Auswahl an fachlich in Frage kommenden Personen stark einschränkt. Zwar dürfen habilitierte Personen aus ganz Österreich und dem Ausland angefragt werden, eine persönliche Betreuung vor Ort ist in solchen Fällen aber kaum möglich. Die Betreuungsperson sollte im Idealfall außerdem jemand sein, den der_die Student_in schon kennt, da eine gute Vertrauensbeziehung im Doktorat notwendig ist.

In technischen oder naturwissenschaftlichen Studienrichtungen ist sogar ein – oftmals durch Drittmittel – finanzierter Forschungsplatz Voraussetzung, um ein Doktorat beginnen zu können, da sonst die für die Forschung notwendigen Ressourcen nicht gegeben sind.

Auch das Doktorat wurde im Zuge der Bolognareform „modernisiert“, was beispielsweise die Uni Wien dazu genutzt hat, um im „Doktorat neu“ eine „fakultätsöffentliche Präsentation“ (FÖP) des eigenen Forschungsexposés innerhalb des ersten Jahres einzuführen. Vor der Präsentation dürfen offiziell keine Lehrveranstaltungen besucht werden, was jedoch für den Bezug der Studienbeihilfe notwendig wäre. Der weitere Bezug ist nur durch eine Ausnahmeregelung gewährleistet. Dabei bezieht ohnehin nur ein Prozent der Doktoratsstudierenden klassische Studienbeihilfe, ein etwas größerer Anteil erhält Selbsterhalterstipendien.

Foto: Linnēa Jänen


Universitärer Hindernislauf. Viele Vorteile für Studierende – Familienbeihilfe, vergünstigte Tickets für öffentliche Verkehrsmittel, Ermäßigungen – haben ein Alterslimit, das viele Doktoratsstudis übersteigen. Dazu kommen oft auch veränderte Lebensumstände, wie Kinder und Familie. Tobias*, der während seines Doktorats Vater wurde, klagt über die unsichere Lage und die wenige Zeit, die er für seine Familie gefunden hat: „Besonders schwierig war das ab dem ersten Baby zu vereinbaren – also musste ich noch mehr nachts arbeiten, da man als moderner Papa ja auch Zeit mit dem Kind verbringen will. Meine Anstellungen am Institut waren leider stets mit Befristungen von drei Monaten bis maximal einem Jahr verbunden. Sie wurden dann immer erst recht kurzfristig verlängert, was eine blöde Situation war, insbesondere wenn man dann schon eine Familie und damit Verpflichtungen hat.“

Studierende, die nicht ins Konzept einer weißen, gesunden, männlichen Uni passen, verschwinden im Doktorat zunehmend. Für Studierende mit besonderen Bedürfnissen gibt es wenige Angebote zur Unterstützung. Auch die Diskriminierung von Studierenden aus „Drittstaaten“ verschärft sich, da sie für die Zeit zwischen Diplom und Doktorat eine Anstellung nachweisen müssen, um zum Doktoratsstudium zugelassen zu werden. Wer extra fürs Doktorat nach Österreich kommt, muss die komplizierte Anrechnung ausländischer Abschlüsse bestehen. Der ständige Kampf um Aufenthaltstitel und Visa kommt noch erschwerend hinzu. Ein Studierender aus Südasien musste über ein halbes Jahr Behördenläufe absolvieren, bis er seine Familie nach Österreich bringen konnte: „Meine Konzentration war in dieser Zeit schwer beeinträchtigt, da ich meine Familie so vermisst habe.“ Dazu kommt oft eine Eingewöhnungsphase in Österreich, sowohl das alltägliche Leben, als auch den universitären Habitus betreffend.

Im Fall einer erfolgreichen Zulassung können Unis für Studierende, die ihr Vorstudium nicht an derselben Uni absolviert haben, Zusatzleistungen vorschreiben. Dies betrifft vor allem Studierende mit ausländischen Hochschulabschlüssen und auch solche, die innerhalb von Österreich die Uni wechseln. Denn für die Anrechnung bereits erbrachter Studienleistungen gibt es keine einheitliche Regelung, die einzelnen Fakultäten beziehungsweise. Institute dürfen selbst entscheiden. Einzig der Wechsel zwischen spezifischen Fachhochschulstudien zu spezifischen Doktoratsstudien an Unis ist geregelt. Hier fällt allerdings der Unterschied zwischen FHs und Unis besonders ins Gewicht. Ein solcher Wechsel macht eine zeitaufwendige Neuorientierung notwendig, da der Studienalltag an Unis und Fachhochschulen sehr unterschiedlich sein kann. Und das meistens alles, ohne überhaupt zu forschen, an der Dissertation zu schreiben oder die Arbeit zu finanzieren.

Foto: Linnēa Jänen


Ein großer Teil der Doktoratsstudierenden finanziert die eigene Forschungsarbeit entweder privat oder über Drittmittel, abhängig von Studienrichtung und Hochschulstandort. An vielen Universitäten gibt es bezahlte Prä-Doc-Stellen, die allerdings nicht Vollzeit für das Doktorat genutzt werden können, sondern weitere Verpflichtungen beinhalten. Besonders an künstlerischen Unis gibt es praktisch keine bezahlten Doktoratsprogramme.

Arbeitsplatz Universität? Nur 27 Prozent der Doktoratstudierenden können die eigene Uni als ihren Arbeitsplatz bezeichnen. Hier gibt es starke strukturelle Unterschiede zwischen den Wissenschaftsdisziplinen: Bezahlte Doktorate gibt es vor allem im Bereich der Technik und Naturwissenschaften, während sich in den Geistes-, Sozial-, Kulturund auch Rechtswissenschaften zwischen 76 und 90 Prozent der Doktoratstudierenden selbst finanzieren müssen. Wer eine Anstellung an der Uni hat, hat zwar temporär eine Finanzierung, die aber oft nur einen Teil des Doktorats abdeckt. Universitäten benutzen auch bei Doktoratsstudierenden beziehungsweise Assistenzstellen gerne Kettenverträge, die auf wenige Jahre befristet und nicht verlängerbar sind.

Oft muss neben der Forschungsarbeit für die eigene Dissertation auch noch für die Betreuungsperson mitgeforscht werden, vor allem bei Laborarbeit in technischen und naturwissenschaftlichen Studienrichtungen. Zusätzlich geht mit vielen Assistenzstellen auch eine Lehrverpflichtung einher. Damit können DoktorandInnen zwar durchaus wertvolle Erfahrungen im Bereich der universitären Lehre sammeln, die Lehre stellt aber auch eine beträchtliche Zusatzbelastung dar, wenn keine geeigneten Rahmenbedingungen geschaffen werden. Gleichzeitig gibt es auch Institute, an denen Menschen ohne abgeschlossenes Doktorat überhaupt nicht unterrichten dürfen und so keine Erfahrungen in diesem Bereich sammeln können. Studierende ohne fixen Arbeitsplatz an der Uni müssen sich nicht nur großteils selbst finanzieren, sie arbeiten in der Regel auch in Berufen, die nicht mit ihrem Studienfeld zusammenhängen. Sie nehmen das in Kauf, um ein Doktoratsstudium betreiben zu können, das verlängert aber meist die Dauer des Studiums. Hinzu kommt die große Diskrepanz zwischen Studierenden, die durch ihre Assistenzstelle bereits an der Unit Fuß fassen können und jenen, die ohne Anstellung strukturell von Teilen des Universitätsbetriebs ausgeschlossen sind. Sie beklagen oftmals, dass sie sich an der Uni unsichtbar fühlen.

Foto: Linnēa Jänen


Doktormutter, Doktorvater? Einen Vorteil eines Arbeitsplatzes an der Uni scheint die räumliche Nähe zur Betreuungsperson darzustellen. Allerdings trügt auch hier der Schein: Es gibt Professor_ innen, die ihre Doktoratsstudierenden zwar für sich arbeiten lassen, aber ihnen keinen Raum für und auch kein Feedback auf ihre eigene Arbeit geben. Dabei sollte das Verhältnis zur Betreuungsperson im Doktorat intensiver als im bisherigen Studium sein. Die Betreuungsperson soll nicht nur Feedback auf die wissenschaftliche Arbeit geben, sondern auch dabei helfen, sich im wissenschaftlichen Betrieb zu etablieren. Diese Nähe führt allerdings auch zu einem Abhängigkeitsverhältnis, denn Doktoratsstudierende sind unmittelbar auf ihre Betreuungspersonen angewiesen. Daraus kann eine Reihe von Problemen erwachsen, beginnend bei mangelnder Betreuung und Meinungsverschiedenheiten, bis hin zum Studienwechsel oder -abbruch. Etwa im Falle von Boris*, der die Korruption seiner Betreuungsperson – etwa als Forschungsreisen getarnte Familienurlaube und Vetternwirtschaft bei der Besetzung von Stellen – nicht weiter hinnehmen wollte und daraufhin massiv gemobbt wurde. „Schließlich habe ich komplett von vorne ein Doktorat an einer anderen Uni begonnen.“ Wie oft solche Situationen vorkommen, ist nicht bekannt, da keine Zahlen erhoben werden. Das gilt ebenso für Übergriffe im Rahmen der Betreuung oder in Forschungsgruppen, von denen vor allem Frauen betroffen sind. Oft werden solche Übergriffe aus Angst vor Konsequenzen nicht gemeldet, denn niemand möchte als „Netzbeschmutzer_in“ gelten und sich so selbst den Zugang zu einer akademischen Karriere verbauen.

Wer kümmert sich um die Sorgen von Doktoratsstudierenden? Die Vertretungsarbeit im Rahmen einer Studienvertretung fällt vielen schwer, die ohnehin bereits mehr als 40 Stunden an der Uni verbringen oder ihr Studium durch Jobs selbst finanzieren müssen. Oft sind Zuständigkeiten auch unklar, weil Dokoratsstudierende einen unklaren Status – zwischen jenem von Studierenden und jenem des wissenschaftlichen Nachwuchs – innehaben. Um ihre Lage zu verbessern, bräuchte es zunächst unabhängige Beratung beim Übergang vom Grundstudium zum Doktorat, um über offizielle und inoffizielle Voraussetzungen und Anforderungen des Doktorats aufzuklären. Um die Mehrfachbelastung abzuschwächen, benötigen mehr Studierende ausreichende finanzielle Unterstützung in der Form von vollwertigen Stipendien oder festen Anstellungen an der Universität. Vor allem für benachteiligte Gruppen fehlen diese. Aber auch kleinere Verbesserungen wie universitätsinterne E-Mail-Adressen und ein umfassenderer Zugang zur Bibliothek könnten helfen, Studierende ohne Anstellung besser in die Uni einzubinden. Zwar wird wissenschaftliche Arbeit damit noch kein normaler 40-Stunden-Job, aber so könnten mehr Doktoratsstudierende tun, was sie sich von ganzem Herzen wünschen: einfach forschen können.

*In den Artikel sind die persönlichen Erfahrungsberichte von über 20 Doktoratsstudierenden von neun öffentlichen Universitäten in ganz Österreich eingeflossen. Ihre Angaben wurden anonymisiert, um sicher zu stellen, dass sie für ihre Berichte keine Konsequenzen in ihren Betreuungsverhältnissen fürchten müssen. Alle Statistiken aus: Studierende im Doktorat. Zusatzbericht der Studierenden-Sozialerhebung 2011

Magdalena Hangel studiert Germanistik, Geschichte und Gender Studies an der Universität Wien und arbeitet zurzeit an ihrer Doktorinnenarbeit im Bereich der Literaturwissenschaft.

Auf progress-online.at ist auch ein Interview zum Thema „Studierendenvertretung im Doktorat“ erschienen.

Versicherung statt Kaugummi

  • 29.09.2012, 00:06

Das Ende des traditionellen Doktoratsstudiums in Österreich naht. Das Land der Titel stellt auf die zukunftsreiche Produktion exzellenten Humankapitals um. Mit der Einführung von PhD-Programmen verschwinden auch die missachteten Anliegen vieler Doktoratsstudierender.

Das Ende des traditionellen Doktoratsstudiums in Österreich naht. Das Land der Titel stellt auf die zukunftsreiche Produktion exzellenten Humankapitals um. Mit der Einführung von PhD-Programmen verschwinden auch die missachteten Anliegen vieler Doktoratsstudierender.

Kein Arbeitsplatz. Nicht einmal ein Spind, um mitgebrachte Geräte, Unterlagen oder Überbekleidung sicher zu verwahren. Ein halbherziger Doktoratsstudienplan, dessen Neugestaltung trotz notwendiger Einbeziehung der Bologna-Ziele bisher an internen Machtkämpfen gescheitert ist. Formvorschriften für die Erstellung der Dissertation, die freiwillig eingehalten werden können – oder auch nicht. Eine Personalführung, die nach dem Vitamin-B-cum-Laissez-faire-Prinzip operiert und der DoktorandInnenstellen unbekannt sind. Bibliotheksöffnungszeiten, die den Arbeitsfortschritt gerade jener JungforscherInnen behindern, die zwischen 8 und 18 Uhr einer geregelten Vollzeitarbeit nachgehen müssen, um sich ihr Studium leisten zu können. In Summe: Eine Bildungspolitik, die vorgibt, ein qualitätsvolles Doktoratsstudium zu fördern, sich aber gleichzeitig nicht verpflichtet fühlt, die infrastrukturellen und finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen. So sieht der Forschungsalltag von rund 120 Doktorandinnen und Doktoranden an der Universität für angewandte Kunst Wien aus.

Symptomatisch ausgegrenzt aus dem institutionellen Verantwortungsbewusstsein sind jedoch auch 40 Prozent der NachwuchsnaturwissenschafterInnen und jungen technologienahen ForscherInnen. Unsichtbare EinzelkämpferInnen bleiben laut Studierendensozialerhebung 2007 auch 80 Prozent der Sozial- und GeisteswissenschafterInnen sowie 90 Prozent der NachwuchsforscherInnen an rechtswissenschaftlichen Fakultäten.
Aber wen kümmern die Sorgen von fast dreiviertel der heutigen Doktoratsstudierenden, wenn die Zukunft durch den „third cycle“ des Bologna-Prozesses genau festgelegt ist? Während die ÖH weiter für einen „freien und offenen Hochschulzugang“ bei gleichzeitiger Budgeterhöhung kämpft, stellen die bildungspolitischen „Schwergewichte“ in Wissenschaft und Forschung schrittweise auf das dreiteilige Studienmodell Bachelor/Master/PhD um. Damit weicht das unstrukturierte, mindestbetreute Individualstudium kompetitiv ausgeschriebenen, voll finanzierten und teamorientierten PhD-Programmen. Im Wintersemester 2006 startete an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) mit Fördermitteln des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) ein vierjähriges PhD-Doktoratskolleg für Finanzierung. Wo von 1465 „gewöhnlichen“ Dissertantinnen und Dissertanten aktuell 65 Prozent unter den 205 Habilitierten der WU nach Betreuung suchen, werden handverlesene Stipendiaten und Stipendiatinnen zu „exzellentem Humankapital“ „herangezüchtet“.

Doktoratsstudium abgeschrieben? Die Trends zielen klar auf die Einrichtung von Graduiertenkollegs ab, die genau festgelegte personelle, strukturelle und inhaltliche Vorgaben erfüllen müssen. Werden die Defizite des traditionellen Doktoratsstudiums damit als nie eingelöste Schuld der österreichischen Wissenschaftsgeschichte abgeschrieben? Der Frage nach einer zukünftigen Schlechterstellung des Doktorgrades gegenüber dem PhD weicht Rudolf Novak, FWF-Leiter für Nationale Programme, im Telefongespräch aus. Bei der Umstellung auf das PhD-Studium seien lange Übergangszeiten vorgesehen: „Die heutigen Doktoratsstudierenden müssen sich akut keine Sorgen machen.“ Im Gegenteil: „Die Frage ist eher, wie viele Studierende überhaupt an einer wissenschaftlichen Laufbahn interessiert sind.“ Aber welche Frau Doktorin und welcher Herr Doktor hat schon Interesse daran, nach abgeschlossenem Studium, mühsam erarbeitete neue Erkenntnisse in einen teilnahmslosen Wissenschaftsbetrieb einzubringen, von dem sie oder er jahrelang grob vernachlässigt wurde?

Martina Grünewald studiert Doktorat in Wien.

Mehr Informationen rund um das Doktoratsstudium in Österreich findest du auf www.doktorat.at.