Diskriminierung

In einer Bank arbeiten statt sie zu putzen

  • 11.05.2015, 08:36

Im März eröffnete in Wien das erste muslimische Frauenhaus. Über die Notwendigkeit von Hilfen, öffentliche Missverständnisse und Zukunftsvisionen sprach progress mit Silke Kettmann-Gamea bei einem Lokalaugenschein.

Im März eröffnete in Wien das erste muslimische Frauenhaus. Über die Notwendigkeit von Hilfen, öffentliche Missverständnisse und Zukunftsvisionen sprach progress mit Silke Kettmann-Gamea bei einem Lokalaugenschein.  „Angefangen hat alles in der Frauengruppe im muslimischen Zentrum vor ein paar Jahren“, erzählt Silke Kettmann-Gamea. Ein neu eingerichtetes Büro zwischen Donaukanal und Hannovermarkt, im Herzen von Brigittenau: In den Ecken stapeln sich Decken, Kleidung und Kuscheltiere – Spenden, die für das neu gegründete Projekt „Hatice“ abgegeben wurden. „Damals stieß eine konvertierte Frau zu uns, die nicht wusste wohin. Ich bot ihr meine Hilfe an.“ Das sei ein häufiges Problem, fährt die Mittvierzigerin fort. Viele Familien reagieren mit Ablehnung darauf, wenn ihre Kinder den Islam für sich entdecken. „Das ist ganz normal, dass das anfangs ein Schock ist. Man muss bloß den Fernseher einschalten und schauen, wie über den Islam berichtet wird.“ Doch nicht nur Konvertitinnen brauchen Hilfe. Die Frauengruppe war oft die erste Anlaufstelle für Probleme jeder Art.

WAS HAST DU FÜR EIN PROBLEM? Kettmann-Gamea arbeitete damals als Begleitlehrerin in der islamischen Volksschule des Vereins Jetzt – Zukunft Für Alle. Immer wieder baten dort Frauen um ihre Unterstützung. Da war es für sie der konsequente nächste Schritt, mehr anzubieten als spontane Privatunterkunft oder hier und da ein behördliches Schreiben in Alltagsdeutsch zu übersetzen. Anfang des Jahres wurden durch den Verein günstige Wohnungen angemietet und hergerichtet. Vor Kurzem sind die ersten Frauen eingezogen, sie leben in Wohngemeinschaften verschiedener Größe, je nachdem, wer sich miteinander versteht oder wer wie viel Platz braucht. „Das war uns wichtig, dass die Frauen quer durch die Stadt verteilt wohnen. Nicht nur aus Sicherheitsgründen. Wir hoffen, dass durch die WGs gegenseitige Unterstützung entsteht, aber auch, dass der Kontakt zu den NachbarInnen leichter fällt.“ Je nach Einkommen zahlen die Frauen Miete. Finanziert wird das Projekt aus Spenden und privaten Mitteln. „So lange wir uns das leisten können, soll es so bleiben.“

In der Anlaufstelle stehen eine Sozialarbeiterin und Integrations- und Frauencoaches zur Verfügung. „Viele Frauen kommen und wissen gar nicht genau, was sie wollen oder welche Möglichkeiten sie haben. Anfangs muss man grundlegend klären: Was hast du überhaupt für ein Problem?“ Wie in jedem Hilfeprozess wird sortiert, Prioritäten werden gesetzt und Zuständigkeiten ermittelt. Es wird auch geklärt, was „Hatice“ anbieten kann, wofür die verschiedenen öffentlichen Einrichtungen da sind, und was andere Vereine aus dem bestehenden Netzwerk übernehmen können.

NICHT NUR PUTZFRAUEN. Kettmann-Gamea schildert, dass es für viele Musliminnen schwierig sei Hilfe anzunehmen. Sie fürchten, nicht akzeptiert und unterstützt zu werden, auf Vorurteile zu stoßen oder aufgefordert zu werden, das Kopftuch abzulegen. Viele der Frauen sind nach islamischem Recht verheiratet. Bei Trennungen, Konflikten und auch wenn Kinder im Spiel sind, besteht häufig der Wunsch, Lösungen im Sinne der Scharia zu finden. Hier wird gemeinsam mit einer Rechtsberaterin und einem Juristen nach einem gangbaren Mittelweg gesucht.

Der Diskriminierung am Arbeitsmarkt möchte man durch Kooperationen mit Ausbildungsstellen entgegensteuern. Derzeit werden Frauen vorwiegend im Care-Bereich, in Kinderbetreuung und Altenpflege, vermittelt. Kettmann-Gamea möchte Frauen, die Kopftuch tragen, ermutigen, beruflich Fuß zu fassen und in der Öffentlichkeit präsent zu sein. „Vor ein paar Jahren gab es Berufe, die waren regelrechte Männerdomänen, das bricht langsam auf. Und warum sollte es nicht auch irgendwann möglich sein, dass eine Frau mit Kopftuch in der Bank hinter dem Schalter arbeitet, statt sie zu putzen?“

KRITISCHE STIMMEN. Der Trägerverein Jetzt – Zukunft Für Alle stand nach der Schließung der privaten Volksschule Anfang des Jahres in der Kritik. Auch das Projekt „Hatice“ wurde medial angegriffen. „Zunächst einmal sind wir nicht die Schule, sondern ein eigenes Projekt“, stellt Kettmann-Gamea klar. „Und zweitens: Die polizeilichen Ermittlungen dazu sind abgeschlossen, die Schule wurde von allen Anklagepunkten freigesprochen. Darüber berichtet niemand. Vom Stadtschulrat kam noch keine Reaktion.“ Weder Rechtsabteilung noch PressesprecherInnen des Stadtschulrats wollten progress diesbezüglich Auskunft geben.

Auch der Verein Wiener Frauenhäuser reagierte verschnupft auf das neue Projekt, nachdem es hieß, in seinen Einrichtungen dürften Muslimas ihre Religion nicht frei ausüben. „Das war ein Missverständnis“, räumt Kettmann-Gamea ein. „Ich glaube nicht, dass sie sagen: Du darfst nicht beten. Ich finde es wichtig, dass es solche Einrichtungen gibt, aber ich finde es genauso wichtig, dass es uns gibt. Man sieht ja, es wird gebraucht. Sonst würde es keinen Menschen interessieren.“ Kontakt gab es zwischen den beiden Vereinen bislang nicht, so Irma Lechner, Leiterin des dritten Wiener Frauenhauses: „Eigentlich ist das üblich in Wien, dass neue Projekte sich ankündigen und vernetzen. Aber mit Sicherheit ergeben sich irgendwann Schnittstellen.“ Eigenständig wolle man jedoch nicht auf das neue Projekt zugehen.

ZUKUNFTSMUSIK. Dass „Hatice“ sich als „Frauenhaus“ bezeichnet, folgt einem anderen Gedanken als jenem, der hinter Frauenhäusern steht, die Gewaltschutzeinrichtungen mit hohen Sicherheitsstandards sind: Es soll ein Ort für Frauen sein, für alle Frauen. Auch trans* Frauen. Egal welches Problem und welche Religion sie haben. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, dann, dass alle Menschen eine Gemeinschaft sind. „Jeder für jeden, jede mit jedem, egal welcher Herkunft, egal ob Christ, Jude oder Moslem. Vielleicht erleb’ ich das ja noch.“

Zum Abschied überreicht Kettmann-Gamea einen Folder der noch jungen Dokumentationsstelle zur Durchsetzung von Gleichbehandlung für Muslime der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Eigene Folder hat „Hatice“ noch nicht, auch die Homepage ist noch im Aufbau. So wie vieles derzeit: Aktuell verhandelt der Trägerverein mit der Wiener RosaLilaVilla über die Bereitstellung leistbaren Wohnraums für LGBTI-Flüchtlinge: „Eigentlich hat alles ja gerade erst angefangen.“

 

Eva Grigori hat Germanistik in Göttingen und Wien studiert und beendet derzeit den Master Soziale Arbeit in St. Pölten.

 

Zeitreisende Ethno-Waschmaschinen

  • 05.02.2015, 08:00

Wie und woran wir uns erinnern, wird nachhaltig von Medien geprägt. Durch sogenanntes Whitewashing werden die Geschichten von People of Color ausradiert.

Wie und woran wir uns erinnern, wird nachhaltig von Medien geprägt. Durch sogenanntes Whitewashing werden die Geschichten von People of Color ausradiert.

Wieder einmal erhitzt ein Spielfilm aus Hollywood die Gemüter. „Exodus“ von Ridley Scott scheint mit der Besetzung seiner millionenschweren Verfilmung von Moses Geschichte im alten Ägypten einen Nerv der heutigen Zeit getroffen zu haben – im negativen Sinne. Denn während Prophet, Pharao und Götter von weißen Menschen gespielt werden, werden – surprise surprise – Sklav*innen, Dieb*innen und Mörder*innen von schwarzen Schauspieler*innen verkörpert.

Es ist nicht nur rassistisch, dass Held*innen hier Weiße und Antiheldi*innen Schwarze sind. Zusätzlich ist der im antiken Ägypten angesiedelte Streifen das beste Beispiel für eine problematische Praxis, welche in Geschichte, Kunst und Kultur häufig aufzufinden und dem Begriff „Whitewashing“ unterzuordnen ist. Whitewashing bezieht sich in erster Linie auf historische Persönlichkeiten dunkler Hautfarbe (hier etwa Moses und der Pharao), die in der Geschichtsschreibung und dadurch in der kollektiven Erinnerung aber als weiße Menschen aufscheinen. Klassische Bespiele dafür sind etwa der Nikolaus, Maria Muttergottes und Jesus himself. Dieser wird in Erzählungen, Filmen und Abbildungen stets als hellhäutiger Mann mit blauen Augen und blonden bis dunkelblonden Haaren dargestellt. Geographisch und historisch gesehen müsste Jesus von Nazareth aber einen dunklen Hauttyp haben, mit braunen Augen und dunklem Haar. Der historische Nikolaus von Myra soll im dritten und vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung auf dem Gebiet der heutigen Türkei Süßigkeiten verteilt haben. Es ist sehrunwahrscheinlich, dass Sankt Nikolaus helle Haut hatte. Trotzdem werdender „Nikolo“ und der an ihn angelehte Weihnachtsmann immer als weiße Männer dargestellt.

ROLL OVER BEETHOVEN. Jesus und der Nikolaus sind alte Hasen, was die Schwarz-Weiß Diskussion betrifft. Schenkt man einigen historischen Quellen Glauben, so wurde auch beim bekannten Ludwig van Beethoven Whitewashing betrieben. Beethoven, 1770 in Bonn geboren und 1827 in Wien gestorben, eines der größten Musikgenies der Klassik, soll dunkelbraune bis schwarze Haut gehabt haben. Sämtliche Biograph*innen und Anthropolog*innen, die den Deutschen getroffen haben, beispielsweise Frederik Hertz, Emil Ludwig oder Fanny Giannatasio del Rio, beschreibenBeethoven als dunkelhäutigen Mann mit abgeflachter Nase, kleinen dunklen Augen und breitem Mund. Auch der österreichische Schriftsteller Franz Grillparzer bezeichnet Beethovens Hautton als „braun“. Andere schreiben über sein krauses schwarzes Haar, welches an den Seiten meistens abstand. Diese Beschreibung könnte auf einen dezenten Afro verweisen.

Der Name Beethoven kommt aus Flandern. Das Gebiet wurde bis zur Errichtung des Königreichs Belgien 1830 abwechselnd von vielen verschiedenen Häusern regiert, unter anderem den spanischen Habsburgern. Die Mauren, eine nordafrikanische Volksgruppe, prägten die spanische Gesellschaft und Architektur seit Anfang des achten Jahrhunderts. Beethoven hätte väterlicherseits maurischer Abstammung sein können.

Apropos Musik: Hier werden beispielsweise Elvis, Jerry Lee Lewis, die Beatles oder die Rolling Stones als Könige, Erfinder und Perfektionierer des Rock ’n’ Roll gefeiert, obwohl das Genre auf die Musik der schwarzen Community in Nordamerika zurückgeht und lange vor Elvis schwarze Musiker*innen wie die (übrigens bisexuelle) „Godmother of Rock ’n’ Roll“ Rosetta Tharpe, Chuck Berry, LaVern Baker und Ray Charles den damals neuen Stil prägten.

Auch zahlreiche innovative Errungenschaften, die unser Leben bereichern, kommen von People of Colour (PoC). Trotzdem werden diese Erfinder*innen und Wissenschaftler*innen nursehr selten in Medien oder Schulbüchern erwähnt. Sie scheinen nur als Sklav*innen Geschichte schreibenzu dürfen. „Die Sklaverei begründet den materiellen Vorsprung Europas gegenüber anderen Erdteilen. Eine Darstellung von People of Colour, die bedeutende wissenschaftliche oder politische Erkenntnisse produzierten oder eine besondere Machtstellung innehatten, hätte dieses Monopol gefährdet“, erklärt Hanna-Maria Suschnig, Geschichtsdidaktin an der Universität Wien, die Problematik von Whitewashing in der Wissenschaft.

Das Ampelsystem oder die Gasmaske zum Beispiel wurden vom afro-amerikanischen Erfinder Garret Morgan entwickelt. Der Sohn von befreiten Sklaven ließ sich 1914 das Patent für seine Gasmaske ausstellen. Eine andere Erfindung, die weltweit unzählige Menschenleben gerettet hat, ist die Blutbank. Sie wurde 1930 vom Afro-Amerikaner Charles Drew entwickelt, der später auch Direktor von Blutbanken des Roten Kreuzes war, in der Geschichtsschreibung jedoch keinen Platz fand. Und wer gerade darüber nachdenkt sich einen 3D-Fernseher zuzulegen, sollte Valerie Thomas gedenken: Die NASA-Wissenschaftlerin war eine der ersten, die sich in den 60ern mit der Projektion und übertragung dreidimensionaler Bilder beschäftigte.

POSTKOLONIALISMUS IN 3D. Durch „Exodus“ wurde erneut international eine Debatte über Whitewashing losgetreten. Aufmerksamkeit erhielt das Thema vor allem durch den Hashtag #boycottexodusmovie. Davor klärten Blogs wie stopwhitewashing. tumblr.com darüber auf, in welcher Form Diskriminierung und Rassismus immer noch im Entertainmentbereich vorzufinden sind. „Exodus“ beraubt ägyptische und israelitische Menschen ihrer Geschichte setzt damit eine lange Tradition fort. Schon frühe HollywoodIkonen wie Katherine Hepburn („Dragon Seed“, 1944) oder Elizabeth Taylor („Cleopatra“, 1963) mimten Frauen, welche andere ethnische Backgrounds oder Hautfarben hatten; heute sind zum Beispiel der nicht besonders per- sische Jake Gyllenhaal als „Prince of Persia“ und Ben Affleck als Latino Tony Mendez („Argo“) zu sehen.

Minderheiten werden im Schauspielbusiness häufig nur für klischeehafte Rollen gecastet: als Terrorist*innen, Mörder*innen, Drogendealer*innen oder Sklav*innen. Wenn Rollen für Figuren mit einem bestimmten (ethnischen) Hintergrund oder einer gewissen Hautfarbe ausgeschrieben werden, werden trotzdem oft nur weiße Darsteller*innen gecastet, obwohl es genügend qualifizierte Anwärter*innen gibt, die sich auch tatsächlich mitdem Charakter identifizieren könnten. Aber viele Regisseur*innen und Produzent*innen wollen es mit ihren Filmen bis zu den Oscars und den Geldbörsen der Kinobesucher*innen schaffen und beteuern, Nicht-Weißein Hauptrollen zu casten, bedeute ein wirtschaftliches Risiko für die Filmstudios. Eine solche Entscheidung schmälert die Chancen auf einen der begehrten Filmpreise. Unter die Oscar-Nominierten in den Hauptkategorien etwa schafften es heuer ausschließlich weiße Schauspieler*innen, obwohl nicht nur im hochgelobten Historiendrama „Selma“ über die Emanzipationsbewegung rund um Martin Luther King genügend Kandidat*innen auszumachen wären. Diese Ungleichheit macht es wiederum schwieriger für People of Color, im Filmbusiness Anerkennung zu bekommen und auf andere junge Menschen vorbildhaft zu wirken: ein Teufelskreis.

People of Color werden also – wie diese Beispiele zeigen – seit Jahrhunderten entweder weißen Menschen hierarchisch untergeordnet, exotisiert und/oder durch Whitewashing ihrer Identität beraubt. Um dem entgegenzu wirken, bräuche es eine sensiblere Geschichtsschreibung. Laut Suschnig sollte sich neben der Schule auch die Wissenschaft das kollektive Erinnern zur Aufgabe machen, indem Whitewashing in Ausbildungen thematisiert wird. „In manchen Ländern gibt es den Black History Month, in den USA wird der Martin Luther King Day gefeiert, das sind erste Ansätze“, findet die Hochschulreferentin für Fachdidaktik.

HISTORISCH AKKURAT. Auch im Netz bilden sich immer mehr Initativen, die gezielt gegen Whitewashing vorgehen. Der Blog medievalpoc.tumblr.com zeigt mittelalterliche Gemälde und Illustrationen, auf denen PoC zu sehen sind. Das Bildarchiv, das mittlerweile zu einer riesigen Fundgrube angewachsen ist, kämpft gegen das retroaktive Whitewashing, denn Bilder mit PoC werden in Museen, Schulklassen oder Kunststudien nur selten gezeigt. Außerdem sollen die Bilder Argumente gegen die Fiktion, das mittelalterliche Europa sei nur von weißen Menschen bewohnt worden, liefern. Die historischen Abbildungen zeigen sehr deutlich, dass PoC vonder Antike bis zur Neuzeit in sämtlichen gesellschaftlichen Schichten und in allen Ländern Europas vertreten waren und auch abgebildet wurden. Auch die vielbeschworene angebliche „historische Akkuratheit“ in Mittelalter- und Fantasyfilmen soll so als weiße Fantasie dekonstruiert werden. Wenn in „Herr der Ringe“ nur Weiße mitspielen, liegt das am internalisierten Rassismus des Autors und des Regisseurs, nicht etwa an der tatsächlichen Anlehnung an die europäische Geschichte, wie gerne behauptet wird. Im Kontrast dazu bietet medievalpoc auch immer wieder Büchertipps: Hier werden Sci-Fi- und Fantasy-Romane von PoC-Autor*innen und/oder mit PoC-Charakteren vorgestellt, um der medialen überrepräsentation weißer Autor*innen und Charaktere entgegen zu wirken.

„Homestory Deutschland“ heißt ein langjähriges Projekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) für das Erinnern an Leistun-gen schwarzer Menschen. Es ist eine seit zehn Jahren durch Deutschland wandernde Ausstellung, die mit historischen Portraits schwarzer Menschen mahnen möchte, dass „schwarze Menschen in Mitteleuropa nicht erst seit den 1980ern existieren“, wie Tahir Della vom ISD es ausdrückt. Da wäre beispielsweise der Philosoph Anton Wilhelm Amo aus dem 18. Jahrhundert, der erste Afrikaner, der an einer europäischen Universität promovierte. Oder Martin Dibobe, Vertreterder Community von Kamerunern in Deutschland, der schon 1919 für Anerkennung und Gleichstellung kämpfte.

„Unseren Erfahrungen mit dem Projekt nach sehen viele junge schwarze Menschen hier tatsächlich zum ersten Mal gesellschaftliche, wissenschaftliche und künstlerische Beiträge von Schwarzen in Europa“, erzählt Della. „Das ist wichtig, denn wenn deine Geschichte systematisch ausgeblendet wird, hast du auch Schwierigkeiten bei Identitätsfindung und Identifizierung.“ Die Geschichte von schwarzen Menschen in Deutschland beziehungsweise Zentraleuropa werde ignoriert, was dazu führe, dass es kein kollektives Bewusstsein dafür gebe. Della erklärt, dass das Ausradieren der Geschichte von People of Color auf die Kolonialgeschichte Europas zurückgeht:„Die Negation der Leistungen einer Menschengruppe ermöglicht eine Stigmatisierung, die wiederum zu Diskriminierung führt.“ Das Thema Whitewashing solle breiter politisch diskutiert werden, immerhin handle es sich dabei um eine „Verfälschung von Geschichte“.

Nour Khelifi studiert Publizistik und Kommunikationswissenschaft und Biologie an der Universität Wien.

 

Mehr als eine

  • 30.09.2012, 21:49

Das Transgender Equality Network Ireland (TENI) tritt für eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Transgender-Personen in Irland ein. progress sprach mit dem TENI-Aktivisten Broden Giambrone über die Herausforderungen einer Bewegung.

Das Transgender Equality Network Ireland (TENI) tritt für eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Transgender-Personen in Irland ein. progress sprach mit dem TENI-Aktivisten Broden Giambrone über die Herausforderungen einer Bewegung.

progress: Der Begriff Transgender wird sehr unterschiedlich verwendet. Was bedeutet Transgender für TENI?

Broden Giambrone: Alle Menschen, deren Geschlechtsidentität von jener abweicht, die ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen wurde fallen für uns unter den Begriff Transgender. Konkret: Crossdressing, Transsexualität, Travestie, Gender-Queer oderGender-Fluid  und viele mehr, aber auch Menschen, die sagen, dass sie gar keine Geschlechtsidentität haben.

Wie würdest du die Wahrnehmung von Transgender-Personen in Irland beschreiben?

Diskriminierung von Trans-Personen ist ein großes Problem. Viele Menschen realisieren überhaupt nicht, dass es Trans-Menschen gibt. Ein gutes Beispiel dafür war ein Interview, zu dem ich letztes Jahr von einem der großen Radiosender eingeladen wurde. Nachdem das Interview vorbei war, kam der Moderator zu mir und sagte: „Ich habe ja gar nicht realisiert, dass es mehr als eine Trans-Person in Irland gibt.“ (lacht) Wir kämpfen also in erster Linie mit dieser Unsichtbarkeit. Von dieser Unwissenheit leiten sich viele der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, wie etwa Transphobie, ab. Das Sereotyp ist eine Trans-Frau in ihren Fünfzigern.

Welche Unterstützung können sich Transgender-Personen erwarten, wenn sie zu TENI kommen?

Viele sind arbeitslos oder haben Probleme, das Haus zu verlassen, manche wollen sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen oder sie haben ganz einfach Probleme mit ihren Gefühlen in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität. Die Anfragen reichen vom Wunsch nach einem Kontakt zu Gleichgesinnten, etwa in einer Peer-Support-Group, über das Bedürfnis, anonym mit einem/einer TherapeutIn sprechen zu können, bis hin zu Fragen rund um intraspezifische Gesundheitsversorgung.

Ihr haltet Workshops an Schulen, für Gewerkschaften oder andere Interessierte. Was vermittelt ihr hier?

Wenn wir mit Gruppen aus dem Gewerkschaftsbereich arbeiten, reden wir vor allem über Diskriminierungen am Arbeitsplatz. Da die Gleichbehandlungsgesetze in Irland Trans-Menschen nicht explizit erwähnen, kommt es für sie am Arbeitsplatz immer wieder zu Problemen, wenn es etwa um Mobbing oder Kündigungen geht. Wir bekommen selten die Möglichkeit, in den Schulen Workshops zu  halten, weil das Schulsystem sehr katholisch geprägt ist.

Welche Reaktionen bekommt ihr auf die Workshops?

Die Reaktionen sind meist positiv, aber auch sehr unterschiedlich. Ich würde nicht sagen, dass die irische Gesellschaft inhärent  transphob ist. Oft ist es einfach Unwissenheit. Wenn wir mit Jüngeren sprechen, sind sie zwar meist recht schüchtern, dafür fehlen ihnen viele der Vorurteile die ältere Generationen haben.

Wie funktioniert eure Zusammenarbeit mit der Politik beziehungsweise der Gesetzgeberin als Interessensvertretung?

Wir versuchen in erster Linie Bewusstsein zu schaffen. Wir reden mit den PolitikerInnen über negative Erfahrungen, die Trans-Menschen in den verschiedenen Lebensbereichen machen müssen, wie etwa den schwierigen Zugang zur Gesundheitsversorgung, Diskriminierung am Arbeitsmarkt oder die hohe Selbstmordrate. Wir bemühen uns auch das Thema positiv zu besetzen. Aber die Politik agiert in diesem Bereich nicht proaktiv. Zum Beispiel ist Irland eines der letzten Länder, in dem man die eigene  Geburtsurkunde immer noch nicht ändern kann. Und das, obwohl ein Gericht bereits 2007 entschieden hat dass eine entsprechende  Änderung möglich sein muss. Wir arbeiten an einem entsprechenden Gesetz, aber der Prozess schreitet sehr langsam voran.

Wie sieht die Situation in Irland in Bezug auf den Zugang zum Gesundheitssystem für Transpersonen aus?

Um in Irland etwa eine Geschlechtsumwandlung oder einfach nur einzelne geschlechtsspezifische Operationen machen zu können, muss man zuerst mit einer sogenannten „Geschlechtsidentitätsstörung“ identifiziert werden. Im staatlichen Gesundheitssystem gibt  es aber nur sehr wenige PsychologInnen oder PsychiaterInnen, die sich damit auskennen oder Erfahrungen mit Trans-Menschen haben. Das führt dazu, dass Menschen in das teure private System wechseln, sofern sie sich das überhaupt leisten können. Es hängt also davon ab, ob man das Geld hat, um sich die entsprechende Gesundheitsversorgung leisten zu können.

Wie  gehen die Menschen damit um, dass sie mit einer Geschlechtsidentitätsstörung identifiziert werden müssen, um Anspruch auf gewisse Leistungen bekommen zu können?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt einige, die sich sehr stark damit identifizieren. Für sie bietet ein „Geschlechtsidentitätsstörung“ eine Erklärung für ihre Gefühle sowie eine Möglichkeit, zu ihren KollegInnen, FreundInnen oder ihrer Familie gehen und sagen zu  können: Schaut ich habe diese Störung, ich kann nichts dafür. Ich denke aber, dass wir uns langsam in eine Richtung entwickeln die diese Diagnose überflüssig macht.

Arbeitet ihr auch mit anderen europäischen oder internationalen Transgender-Organisationen zusammen?

Ja. Derzeit mit verschiedenen europäischen Organisationen gemeinsam an dem Projekt Page One, das sich mit der Sichtbarkeit und Repräsentation von Trans-Menschen in den Medien beschäftigt. Europaweit erleben wir einen sehr ähnlichen Umgang der Medien mit Trans-Themen, entweder sie finden gar keine Beachtung, oder es werden Sensations-Stories gebracht. Ziel des Projekts ist es, mehr Sichtbarkeit und eine positivere Berichterstattung in den Medien zu erreichen. Oft wird in Interviews danach gefragt, ob man  eine Operation hatte oder wie man früher geheißen hat. Unvorbereitet kann es in solchen Situationen passieren, dass man plötzlich  über Sachen spricht, die man gar nicht erzählen wollte. Wir wollen, dass sich Trans-Menschen dabei wohl fühlen, ihre eigene Geschichte so zu erzählen, wie sie es wollen und nicht, wie sie die JournalistInnen oftmals hören wollen.

Wie würdest du die Repräsentation von Trans-Menschen in den Medien generell beschreiben?

Wenn darüber überhaupt berichtet wird, dann fast ausschließlich in Form von Klatsch- und Tratsch- Geschichten. Themen, über die eigentlich berichtet werden sollte, wie Transphobie, Diskriminierungen, Gewaltverbrechen oder die rechtliche Situation, kommen praktisch nicht vor. Die Medien sind mehr daran interessiert, ob du operiert wurdest, oder an Vorher-nachher-Bildern. Unsere Vorsitzende bei TENI, die auch als Lektorin für die Trinity Universität in Dublin arbeitet, musste vor einiger Zeit eine besondersschlimme Erfahrung im Umgang mit den Medien machen. Die irische Sun, eine der größten Boulevard- Zeitungen, die von Millionen Menschen gelesen wird, hat ein Foto von ihr auf dem Cover abgedruckt und getitelt: „Trinity's sex swap proof. Greek Lecturer was a man“. Sie haben sie einfach so geoutet. Auf der Titelseite! Sie hat weder ihr Einverständnis zu einem Interview gegeben, noch dazu, dass ein Foto von ihr gemacht wird und schon gar nicht, dass es abgedruckt wird. Wir waren erschüttert.

Habt ihr geklagt?

Nein, aufgrund einer Reihe von persönlichen Gründen hat sie sich entschieden, keine rechtlichen Schritte einzuleiten.

Irgendwo dazwischen

  • 30.09.2012, 21:20

Mann oder Frau, entweder–oder: In unserer Gesellschaft herrscht der Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit. Menschen, die diese Geschlechtergrenzen überschreiten, stehen dabei nicht nur vor juristischen Hürden.

Mann oder Frau, entweder–oder: In unserer Gesellschaft herrscht der Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit. Menschen, die diese Geschlechtergrenzen überschreiten, stehen dabei nicht nur vor juristischen Hürden.

„Wann lässt du dich operieren?“ – „Nimmst du Hormone oder so?“ Diese Fragen werden Jolly (siehe Porträt, Anm.), Student_in der  Materialwissenschaften in Jena, häufig gestellt, wenn er_sie mit anderen Personen darüber spricht, dass er_sie trans* ist. Beim Thema Transgender haben die meisten eine Metamorphose von Frau zu Mann oder umgekehrt vor Augen. Trans* beziehungsweise Transgender ist aber ein Überbegriff, den einerseits Menschen verwenden, die sich auch mit Begriffen wie Transsexuelle, FTM (Female to Male) oder MTF (Male to Female) beschreiben und sich damit klar als Mann beziehungsweise Frau identifizieren. 

Andererseits gibt es viele Personen, die sich erst gar nicht in dieses Schema einpassen wollen, und für die eine geschlechtliche „Uneindeutigkeit“ Grundlage ihres trans*-Seins bedeutet. Die Frage, wo Transgender anfängt und aufhört, lässt sich somit nicht eindeutig beantworten. „Trotzdem gibt es eine Gemeinsamkeit, nämlich Geschlechternormen teilweise abzulehnen und sich selbst nicht mit dem Geschlecht zu  identifizieren, das einem nach der Geburt zugeordnet wurde“, sagt Jolly.

Status Quo. In Österreich ist seit einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahre 2009 der Operationszwang für  Trans*Personen gefallen. Das heißt, dass eine geschlechtsanpassende Operation für eine Personenstandsänderung, durch die das gelebte Geschlecht offiziell anerkannt wird, nicht mehr verpflichtend ist. Diese Änderung muss beim Standesamt des Geburtsortes  beantragt werden. Allerdings lässt der Gesetzestext noch immer Raum für Interpretationen, weshalb bezüglich  Personenstandsänderungen keine Rechtssicherheit besteht. Eine Ablehnung des Ansuchens liegt im Ermessen des oder der jeweiligen BeamtIn. Je nach Bundesland gibt es hier Unterschiede. „Es geht in Wien und in Salzburg relativ problemlos, in Kärnten und der Steiermark gibt es ziemliche Schwierigkeiten“, erklärt Andrea von TransX, einem Verein für Transgender-Personen.

Kranke Klassifikation. Eine weitere Hürde bei der Personenstandsänderung ist für viele Trans*Personen die Forderung nach einem psychiatrischen Gutachten, in dem explizit die Diagnose „Transidentität“ gestellt wird. Laut der WeltgesundheitsorganisationWHO sind Trans*Personen krank. Mann oder Frau, entweder–oder: In unserer Gesellschaft herrscht der Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit. Menschen, die diese Geschlechtergrenzen überschreiten, stehen dabei nicht nur vor juristischen Hürden. Im Diagnosekatalog ICD (International Classificationof Disease) wird Transsexualität als eine „Persönlichkeits- und Verhaltensstörung“ geführt, wodurch Trans*Personen pathologisiert werden. „Viele Transgender-Personen finden es diskriminierend, dass sie die Krankheitswertigkeit nachweisen müssen. Wenn eine Transgender-Person den Personenstand dem anpassen will, was er_sie empfindet, und dann den ganzen Zinober machen muss, fühlt er_sie sich natürlich nicht gut“, sagt Angela Schwarz von der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Die Pathologisierung garantiert im Moment jedoch, dass beispielsweise genitalanpassende Operationen von der Krankenkasse übernommen werden. „Die Sorge ist, dass, wenn die Einstufung als Krankheit weg ist, medizinische Systeme nicht mehr zahlen wollen“, sagt Schwarz.

Dabei gäbe es durchaus internationale Richtlinien für die Behandlung von Transgender-Personen – die sogenannten Standards Of Care – die von der WPATH, der internationalen Gesellschaft für Transgender Gesundheit, formuliert wurden. Doch anstatt diese anzuerkennen, wird in Österreich eine Kommission eingesetzt, die eigene Empfehlungen entwickelt.

Recht auf freie Namenswahl. Ein weiterer Missstand in Österreich ist, dass es derzeit nicht möglich ist, einen Vornamen zu wählen, der dem staatlich zugewiesenen Geschlecht widerspricht. Im Bundesgesetzblatt Nummer 195/1988 steht in Paragraph drei  geschrieben, dass die Änderung des Vornamens nicht bewilligt werden darf, wenn dieser „nicht dem Geschlecht des Antragsstellers entspricht“. Bisher können Menschen, die in einem anderen Geschlecht leben wollen als dem, das ihnen bei der Geburt zugewiesen worden ist, ihren Vornamen folglich erst dann offiziell tragen, wenn eine Personenstandsänderung bewilligt worden ist. Dafür brauchen sie aber jenes psychiatrische Gutachten, das ihnen eine psychische Störung bescheinigt. Damit werden Menschen für krank erklärt, obwohl diese weder den Wunsch noch Bedarf nach medizinischer Behandlung haben. „Das ist vor allem für die Personen eine Hürde, die gerade damit beginnen, im anderen Geschlecht zu leben“, sagt Heike Keusch vom Vorstand des Vereins TransX. Daher fordert TransX das Recht auf freie Namenswahl. Das heißt, dass die Geschlechtszugehörigkeit beim Namen nicht mehr zwingend sein soll. Bislang stelle sich die Politik in dieser Causa aber völlig quer.

Zwar können die Personen für sich selbst – etwa im Alltag – ihren Namen wechseln, aber bei offiziellen Angelegenheiten bleibt der unpassende Name bestehen. Eine Option für eine Namensänderung ist im Moment die Wahl eines geschlechtsneutralen Vornamens. Das kostet in etwa 500 Euro, die sich nicht jedeR leisten kann. Aus verschiedenen Gründen kann diese Gebühr erlassen werden. „Ein weiterer Grund für einen Erlass wäre für uns, dass eine Transgender- Person einen geschlechtsneutralen Vornamen haben will“, erklärt Schwarz.

Ähnliche Situation. In Deutschland ist eine Namensänderung nur nach einer einjährigen Psychotherapie und der Vorweisung von zwei verschiedenen Gutachten möglich. Ein Preis, den Jolly nicht bezahlen will, auch wenn er_sie gerne den im Pass eingetragenen Namen ändern möchte: „Wenn sich die Regelung nicht verbessert, dann würde ich lieber darauf verzichten und den schmalen Grat  dazwischen für mich selbst finden, als dieses Prozedere über mich ergehen zu lassen. Dabei geht’s für mich auch ums Prinzip und die Anerkennung, dass es so, wie es jetzt ist, gar nicht geht.“ Progressiver ist da Argentinien: Dort wurde vor kurzem ein  fortschrittliches Transgender-Gesetz  verabschiedet, mit dem eine Namensänderung und Geschlechtseintragung in Dokumenten nur mehr  einen Gang zum Amt braucht. Für Jolly ist das eine klare Lebensverbesserung. Trotzdem stellt er_sie klar: „Solange die gesellschaftliche Akzeptanz nicht da ist, sind alle gesetzlichen Regelungen nur halb so viel wert.“

Coming-Out. Laut Andrea haben sich die Reaktionen auf Coming-Outs im familiären Umfeld in den vergangenen Jahren verbessert, weil die Leute besser aufgeklärt seien: „Dass die Eltern und Verwandten in der Regel nicht glücklich sind, ist klar. Die ganz großen Katastrophen habe ich in den letzten Jahren aber nicht mehr erlebt.“ Dass es für Familienangehörige dennoch oft schwierig ist, mit der Situation umzugehen, hat auch Jackie erlebt. Er*sie schreibt in Wien derzeit an ihrer*seiner Masterarbeit
und ist in einer katholisch geprägten Familie aufgewachsen, die eine sehr konservative Vergangenheit hat: „Meine doch eher aufgeschlossene Mutter meinte, ich solle mit meiner Identität nicht hausieren gehen und dass meine Großeltern ‚das’ nichtverkraften würden. Und weil ich meine Mutter mag, hab ich das dann im Dorf nicht so rumerzählt, weil sie im Endeffekt diejenige ist, die dem Dorf dann ausgesetzt ist und nicht ich.“ „Die Leute fallen nicht mehr in Ohnmacht, wenn sie Transen sehen“, sagt Andrea, die bei TransX in der Beratung tätig ist und lacht.

Offene Diskriminierung würde es in unserer Gesellschaft kaum mehr geben – unterschwellig jedoch sehr wohl. Das bekommen viele Trans*Personen vor allem im Berufsleben zu spüren. „Ich habe in der Firma getransed und dann nicht mehr Fuß fassen können und  bin dann fünf Jahre lang herumgeschoben worden, bis ich aufgegeben habe“, erzählt Andrea. Rund 50 Prozent können laut Heike  Keusch ihren Job behalten. „Das geht aber oft mit viel Bauchweh und anderen Geschichten einher“, sagt sie. Laut Schwarz sind Bildung und Aufklärung in diesem Zusammenhang wesentliche Aufträge. Die Haltung „Ich verstehe nicht, warum dieser Mann plötzlich eine Frau sein will, und weil ich es nicht verstehe, kann ich darüber stänkern“ ist ihrer Meinung nach sehr wohl noch  verbreitet. Auch Jolly stößt auf der Uni des Öfteren auf diese Art von Unverständnis: „Das Problem beispielsweise bei meinen Kommiliton_innen ist, dass ich versucht habe, Gespräche zu führen und von ihnen keine Bereitschaft da war, auch nur ansatzweise darüber zu reden“, erzählt er_sie.

Verfolgung. Als großes Thema in Zusammenhang mit Transgender sehen Keusch und Andrea in Zukunft die Betreuung von Trans*Personen, die in Österreich um Asyl ansuchen, weil sie in ihrer Heimat aufgrund ihrer Transsexualität verfolgt werden. Ein bekannter Fall ist jener von Yasar Öztürk, die in der Türkei von der Polizei misshandelt wurde. Ihre Abschiebung konnte zwar verhindert werden, ein positiver Asylbescheid fehlt aber bis heute. „Dabei geht es nicht nur darum, dass diese Leute Asylstatus bekommen, sondern dass diese Leute, wenn sie in der Grundversorgung sind, in Wien leben können, da sie in Flüchtlingsheimen außerhalb ebenfalls mit Diskriminierung zu kämpfen haben“, erklärt Schwarz.

Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit. Viele Trans*Personen sehen sich nicht als strikt männlich oder weiblich, sondern bewegen sich in einem Feld dazwischen. „Zweigeschlechtlichkeit an sich ist kein großartiges Konzept“, sagt Jolly. „Für mich bedeutet Trans*, dass ich mich selbst nicht als eines der beiden von der Gesellschaft vorgegebenen Geschlechter definieren möchte.“ So von anderen Menschen wahrgenommen zu werden, gestalte sich aber auch als schwierig, weil die Möglichkeit, weder als „Frau“ noch als „Mann“ verstanden zu werden, in deren Köpfen gar nicht existiere. „Die Leute tun sich leichter, wenn sie andere in zwei Schachteln einordnen können. Wenn es in die Bandbreite der Identitäten geht, wird es schwierig“, sagt Schwarz. „Dass für manche die Zuordnung zu einem Geschlecht unerträglich ist, ist zu akzeptieren. Wie man das jetzt im Detail umsetzen kann, weiß ich aber  nicht“, fährt sie fort. Die kritische Frage, in welchen offiziellen Papieren das Geschlecht überhaupt aufscheinen muss, stellt Schwarz ebenso wie Jolly.

Dennoch hält Schwarz es für unwahrscheinlich, dass es im westeuropäischen Rechtssystem etwas anderes als Mann und Frau geben  wird. „Geschlechtsidentitäten völlig auszuheben, wäre ein bisschen wie das Kind mit dem Bade auszuschütten, weil es im  negativen Sinne Diskriminierung auf Basis des Geschlechts gibt. Diese wäre dann nicht mehr feststellbar. Außerdem ist Geschlecht für viele schon auch ein Teil der Identität. Es wäre nicht in Ordnung, das als null und nichtig wegzuwischen.“ Abseits der  Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung, freier Personenstandsänderung und freier Wahl des Vornamens geht es bei der  Verbesserung der Lebensrealitäten von Trans*Personen auch um eine gesellschaftliche Veränderung. Die Geschlechtsidentitäten von  Personen als ihre eigene Wahl zu akzeptieren und anzuerkennen, sei dabei der erste Schritt, meint auch Jolly: „Das Wichtigste ist, dass sich Leute darauf einlassen können. Dass sie Identitäten auch mal akzeptieren, auch wenn sie diese gerade nicht  nachvollziehen können. Dass sie beispielsweise gewünschte Pronomen verwenden und versuchen, den anderen Namen zu verwenden und darin zu denken.“

* Die Verwendung von Personalpronomen in unterschiedlichen Schreibweisen entspricht den Selbstbezeichnungen der Interviewten.

Info: Jeden zweiten und vierten Donnerstag wird von 20:00 bis 22:00 Uhr von TransX persönliche Beratung in der Rosa Lila Villa angeboten. Nähere Informationen gibt es unter www.transx.at.