Diagonale

Mehr als eine Autopanne.

  • 06.04.2017, 18:14
Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

„Die Überstellung“ von Regisseur Michael Grudsky findet dagegen die genau richtige Länge.

Irgendwo im Nirgendwo in der Wüste Negev steht Abu Sharif vor seiner letzten Überstellung bis seine Haftstrafe in zwei Wochen abgebüßt ist. Der junge Befehlshaber Erez versucht streng die Disziplin durchzusetzen, die seine untergebenen Soldaten vermissen lassen und eher kommod mit den Regeln und den Gefangenen umgehen.

Der Produzentin Nina Poschinski gelang es, Drehgenehmigungen in einem israelischen Gefängnis und in der Wüste Negev zu bekommen, was sich in der bemerkenswertenCinemateographie widerspiegelt. Im Niemandsland der Wüste taucht eine Festung der Überwachung auf, die abgelöst wird von bombastischen Weitwinkelaufnahmen der Wüste auf der Fahrt in Abu Sharifs letzten Gefängnisaufenthalt Megiddo. Als dann plötzlich der Wagen einen Motorschaden hat, geraten die Soldaten in eine Ausnahmesituation. Abu Sharif ist Automechaniker, darf aber laut Erez weder seine Handschellen ablegen noch den Wagen berühren. Es scheint Erez einziger Halt, in einer aus den Fugen geratenen Situation streng nach Vorschrift vorzugehen. Erst als der Fahrer durch sein Asthma in eine lebensbedrohliche Situation zu kommen droht, lässt Erez es zu, Hilfe von dem Mann anzunehmen, von dem er nur Schaden erwartet. Abu Sharif hilft und schafft so einen kurzen Moment der Kameraderie auf der Weiterfahrt. Es wird über Autos und Zigaretten geredet und gelacht. Der normale tägliche Wahnsinn dringt jedoch über das Radio ein, das einen Terroranschlag in Ashkelon meldet, der Heimatort eines der Soldaten, der panisch seine Freundin anruft. Die Rollen sind wieder klar verteilt und alles was bleibt, ist Schweigen.

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Es ist die Unmöglichkeit von Freundschaft und Frieden in einer ausweglosen Situation, die den Nahostkonflikt im kleinen Rahmen der Autofahrt spiegelt. Die Schuldfrage bleibt nicht unbeantwortet: Es ist der Terrorismus der Feinde Israels, die eine Normalität verhindert. Die Fronten sind wieder geklärt, hier ein (ehemaliges) Mitglied einer islamistischen Gruppe, dort Soldaten, die ihren Dienst tun und doch nicht ihre Liebsten zu schützen vermögen, wenn Terrorist*innen attackieren.

Bemerkenswert war auch eine Frage des Moderators im Publikumsgespräch. Der Film sei ja durchaus kritisch gegenüber Israel (der Regisseur merkte hier an, dass er dies nicht so sehe), ob dieser dann überhaupt in Israel zum Beispiel im Rahmen eines Festivals zeigen könne. Hier zeigt sich ein Bild von Israel, dass selbst vor der Kulturszene nicht Halt macht: Israel lasse keine Kritik an seiner Politik zu. Der Regisseur musste den Moderator erst darauf hinweisen, dass es in Israel keine Zensur gibt und durchaus noch viel kritischere Filme in Israel gezeigt werden.

Die Überstellung, DE 2017 | Hebr. mit dt. UT |23 Minuten

Anne Marie Faisst schreibt (nicht) ihre Masterarbeit in Internationale Entwicklung sondern stattdessen Filmkritiken von der #Diagonale17 in Graz.

Zwei mal Jugoslawien

  • 04.04.2017, 20:19
„Beyond Boundaries – Brezmejno“ bewegt sich in einer ovalen Schleife um den slowenischen Sprachraum, während „Unten“ linear zwischen Linz und dem vormals serbischen Teil Kroatiens pendelt.

„Beyond Boundaries – Brezmejno“ bewegt sich in einer ovalen Schleife um den slowenischen Sprachraum, während „Unten“ linear zwischen Linz und dem vormals serbischen Teil Kroatiens pendelt.

Beide Filme verhandeln das politische und individuelle Erbe Jugoslawiens, bedienen sich aber gegensätzlicher dokumentarischer Erzählstrategien. „Beyond Boundaries – Brezmejno“ besucht im Modus der Rundreise jeweils unterschiedliche ProtagonistInnen, die zu Geschichte und gegenwärtigem Leben an unterschiedlichen Orten dies- und jenseits der slowenischen Staatsgrenze Auskunft geben: In Südkärnten wird eine BusfahrerIn porträtiert, die vom Kampf gegen patriarchale Zuschreibungen in ihrem Arbeitsalltag erzählt. Anderswo feiern Tito-Nostaligiker ein Fest in einem mit sozialistischen Devotionalien reich geschmückten Raum. Am Ufer der Mur philosophiert ein Landwirt mit Hochschulstudium über die Bedeutung des Grenzfluss als trennenden und verbindenden Faktor. In der durch die Grenze mit Italien seit Ende des Zweiten Weltkriegs zweigeteilten Stadt Goricia-Nova Goricia wird eine Filmemacherin am Schnitttisch besucht und so auf sehr reflektierte Art fremdes Filmmaterial, klar als solches geframet, in den Film einbezogen.

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„Unten“ wiederum stellt den Dokumentarfilmer selbst in den Mittelpunkt. Der Film beginnt in einem verwaisten Schulgebäude. Es wäre das von Filmemacher Djordje Čenić gewesen, wären seine Eltern nicht nach Linz gezogen, wo er als GastarbeiterInnenkind – zunächst in sehr ärmlichen Verhältnissen – aufwuchs. Mit den Jahren folgt ein allmählicher, durch harte Arbeit beider Elternteile ermöglichter, sozialer Aufstieg. Schließlich kann die Familie nach mehreren beengten Substandard-Wohnungen, vermittelt durch einen sozialdemokratischen Gemeinderat, eine Gemeindebauwohnung beziehen. In Österreich im sozialistisch-jugoslawischen Kulturverein politisch sozialisiert, bricht sich in den frühen 1990ern beim Regisseur – wie auch bei vielen anderen jungen Männern seiner Generation – eine politische Persönlichkeitsspaltung die Bahn. Oben (=Linz) nach wie vor links, mutiert er unten (=Kroatien) zum serbischen Nationalisten. Mittels biographischer Selbstreflexion zeigt der Film eindrucksvoll, wie schnell aus NachbarInnen, für die Kategorien wie Religion und vermeintliche nationale Zugehörigkeit weitgehend irrelevant waren, FeindInnen werden konnten. Doch der Film zeigt auch – und das ist seine Stärke –, dass alles nicht so kommen hätte müssen.

 

Beyond Boundaries – Brezmenjno, DE/SI/AT 2016.

Unten, AT 2016.

 

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Jenseits des elektrischen Stacheldrahtzauns

  • 01.04.2017, 17:12
Ein Spielfilm von dem österreichischen Regisseur Lukas Valenta Rinner mit Geldern des südkoreanischen Jeonju Digital Cinema Projekt über eine argentinische Putzfrau klingt erstmal spannend.

Ein Spielfilm von dem österreichischen Regisseur Lukas Valenta Rinner mit Geldern des südkoreanischen Jeonju Digital Cinema Projekt über eine argentinische Putzfrau klingt erstmal spannend. Das Leben von Hauptfigur Belens (Iride Mockert) dagegen ist trist. So trist, dass es ihr scheinbar selbst die Sprache verschlagen hat. Durch eine Agentur vermittelt, wird sie Teil der vielen unsichtbaren Arbeiter*innen in einer Gated Community in Argentinen. Sie schrubbt, putzt und wäscht in einer riesigen Villa, wo für sie selbst nur Platz in einem kleinen Kämmerchen hinter der Waschküche bleibt. Vom Sohn des Hauses wie ein Gegenstand, und von dessen Mutter wie ein kleines Kind behandelt, beschwert sie sich nicht und verharrt in ihrer gehorsamen Sprachlosigkeit. Belen bleibt isoliert, nie sind im Film Interaktionen mit den anderen unzähligen Care-Arbeiter*innen der Community zu sehen. So wie deren Arbeit sind auch sie im Film bis auf eine Ausnahme unsichtbar gemacht.

Die Kamera nimmt sich Zeit, die Gated Community als Ort der Sterilität zu zeigen, deren künstliche Aufgeräumtheit sich in englischem Rasen, Golf- und Tennisplätzen manifestiert. Doch jenseits des surrenden elektrischen Stacheldrahtzauns tut sich für Belen schon bald eine spannende neue Welt auf, die es jedoch erst nach und nach zu erkunden gilt.

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Die Gewalt des Bürgertums blitzt immer wieder auf, etwa wenn Belens Arbeitgeberin von ihrem Sohn angeschrien und gedemütigt wird, weil er mit dem Erfolgsdruck als Nachwuchstennisspieler nicht zurecht kommt. Die anbiederische Freundlichkeit der Hausherrin Belen gegenüber, lässt das hierarchische Machtverhältnis nur noch deutlicher zutage treten. Als die Hausherrin wegen des Krachs jenseits des Elektrozauns nicht schlafen kann, weckt sie ihre Untergebene mitten in der Nacht und bittet sie mit ihr Tee zu trinken und sich Videos ihres Sohnes anzusehen. Belen bleibt nicht viel anderes übrig und muss spätnachts die Hand ihrer Arbeitgeberin halten, bis diese eingeschlafen ist.

Die Neugier treibt Belen schon bald zur Quelle des Lärms jenseits des Zauns, wo sie lauter nackte Menschen vorfindet, die ihre Wochenenden mit Tantraworkshops und Naturverbundenheit füllen. Die erst komplett Verschreckte wagt sich mit jedem Wochenende weiter vor, bis sie schließlich Eingang in die Community findet. Der Kontrast von Nudist*innen-Camp und Gated Community könnte nicht größer sein. Die Nudist*innen scheinen im Garten Eden zu residieren: mit Gebäuden, die halbverfallen wie Schlösser aus der dichten Vegetation hervorlugen, mit weißen Pferden und von Vogelgezwitscher untermalter Geräuschkulisse. Am Anfang vor jeder körperlichen Berührung zurückschreckend, findet Belen zu sich selbst und auch wieder ihre Sprache. Sie singt, reimt und ist vergnügt, immer wieder unterbrochen von der Rückkehr in das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis. Sind es erst noch Momentaufnahmen des Nudist*innen-Camps und lange establishing shots der Gated Community, kehrt es sich irgendwann um und die Bilder der sterilen Bürgerlichkeit unterbrechen nur noch kurz wie unangenehme Insektenstiche das Paradies der selbst gewählten Befreiung.

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Doch ist dem Paradies die Vertreibung eingeschrieben und je paradiesischer es wird, desto mehr wächst die Angst vor dem unausweichlichen Unheil. Schließlich entpuppt sich der Elektrozaun als Schlange, die keine Erkenntnis, sondern nur den Tod bringt. Die Gewalt der bürgerlichen Gesellschaft dringt ein, als einer der Nudist*innen zu Tode gegrillt wird. Doch anstatt für den überladenen Zaun bestraft zu werden, schließt die Exekutive in einer real allzuoft erlebten Umkehr das Camp. Der Traum ist aus.

Doch so viel sei gespoilert: Belen lässt sich nicht mehr in die fremdbestimmte Unmündigkeit zurückführen und kehrt die Spirale der Gewalt in einem fulminanten Finale um.


Anne Marie Faisst schreibt (nicht) ihre Masterarbeit in Internationale Entwicklung sondern stattdessen Filmkritiken von der #Diagonale17 in Graz.


 

Endlich sprechen Gaybies

  • 16.03.2016, 21:49
„Gayby Baby“ ist ein Dokumentarfilm, der vier Kinder auf sehr intime, aber unaufgeregte Art in ihrem Alltag begleitet.

„Gayby Baby“ ist ein Dokumentarfilm, der vier Kinder auf sehr intime, aber unaufgeregte Art in ihrem Alltag begleitet. Gus, Ebony, Graham und Matt haben zwei Dinge gemein: Sie sind zwischen zehn und zwölf Jahre alt und sie leben in einer Regenbogen-Familie. Sie sind „Gaybies“. Inmitten politischer Debatten über Ehe- und Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare, kommen in „Gayby Baby“ die Kinder selber zu Wort. progress sprach mit der Produzentin Charlotte Mars.

Gemeinsam mit Maya Newell hast du die Dokumentarreihe „Growing up Gayby“ realisiert. Jetzt habt ihr zusammen den Film „Gayby Baby“ gemacht, wo ihr Kinder begleitet, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen. Wie seid ihr zu diesem Thema gekommen?
Vor fünf Jahren wurde die Debatte über die gleichgeschlechtliche Ehe sehr laut und dabei ging es immer mehr um die Frage von Familie und um diese rechts-konservative Sorge, dass homosexuelle Paare, die heiraten, auch Kinder wollen. Dass das ein Problem sein könnte. Dass diese Kinder anders sein könnten. Maya und ich kennen uns schon sehr lange und fanden die Debatte extrem beleidigend. Maya hat selber zwei Mütter. Es war nicht nur ein Angriff, weil die ganze Diskussion so tat, als ob Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften noch gar nicht existieren, sondern auch, weil sich niemand die Zeit genommen hat mit den Familien, mit den Kindern zu reden. Alle haben über die Kinder, aber niemand mit ihnen gesprochen. Und da es immer lauter und richtig hässlich wurde, wollten wir dem etwas entgegnen, indem wir den Kindern zuhören.

Ja, das Thema selber ist sehr politisch. Der Film ist aber überraschend unpolitisch. War es eine bewusste Entscheidung den Film zu entpolitisieren?
Ja, absolut! Es gab so viel Hass in der Diskussion und wir wollten nicht eine weitere aufgebrachte Stimme sein. Eine Kraft des Kinos sind die Geschichten, die du erzählen kannst. Damit wollten wir uns einbringen. Viele haben sich mit Regenbogen-Familien noch gar nicht auseinandergesetzt. Und in einer Welt voller heteronormativer Bilder, ist es erfrischend, etwas anderes zeigen zu können und zu sagen, dass es diese Familien gibt und zwar schon lange. Die Geschichten im Film sind zwar nicht politisch erzählt, aber der Kontext des Films ist politisch, Maya und ich sind politisch.
Auch der Kontext eurer Screenings ist sehr politisch: Der Film wurde an Schulen in Australien verboten. Wie kam es dazu?
Der Film kam in Australien bereits 2015 in die Kinos, eine Woche vor dem jährlich stattfindenden „Wear It Purple Day“ im August. Das ist ein Tag, an dem sich junge LGBTIQ-Menschen selbst feiern. Statt einem normalen Preview wollten wir den Schulen die Möglichkeit geben, den Film an diesem Tag zu zeigen. Rund dreißig oder vierzig Schulen haben zugesagt. Einen Tag vor den Screenings landeten wir auf dem Cover einer der größten Zeitungen mit der Schlagzeile „Gay class uproar“. Am Beispiel einer Schule ging es in dem Artikel darum, dass alle Eltern aufgebracht seien, weil ihre Kinder dazu gezwungen werden, ein – wie die Zeitung es formulierte – Video über homosexuelle Erziehung, zu sehen. Das war schrecklich! Wir haben vier Jahre an diesem Film gearbeitet, vier Jahre in der LGBTIQ-Community verbracht und dann kommt diese Schlagzeile. Wir waren eine Woche lang durchgehend in der Berichterstattung. Der Premierminister von New South Wales entschied, dass der Film an Schulen in diesem Bundesstaat nicht gezeigt werden darf. Das war auch furchtbar für die Community, da die Botschaft vermittelt wurde, dass diese Familien in den Schulen nicht willkommen sind.

Wie geht es euch und auch den Familien und Kindern aus dem Film jetzt – nach dem ersten Schock?
Das ist fünf Monate her und obwohl ich persönlich und sehr viele andere durch die Reaktion verletzt wurden, ist uns mittlerweile klar, dass eine Konversation, die lange nicht geführt wurde, plötzlich geführt wurde. Es war notwendig. Auch die Familien und Kinder waren sehr großartig. Uns ging es in erster Linie darum zu schauen, wie es den Kindern aus dem Film geht, weil sie diejenigen waren, die am nächsten Tag in die Schule mussten. Aber die Kinder haben als erste gemeint, wir sollen uns keine Sorgen machen, denn es sei das Beste, was passieren konnte.

Die Kinder im Film sind alle zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Habt ihr euch bewusst für dieses Alter entschieden?
Nein, zumindest anfangs nicht. Wir haben für den Film Menschen sehr verschiedenen Alters interviewt. Aber als sich die Geschichten, die wir im Film erzählen wollten, herauskristallisierten, wurde uns bewusst, dass das Alter zwischen zehn und zwölf sehr spannend ist. Es ist eine Art „magisches Alter“. Du hast einen Fuß in der Kindheit und den anderen im Erwachsenensein. Deine eigenen Ideen beginnen sich in dem Alter zu formen. Du fängst an, deine Eltern als Personen und nicht nur als deine Eltern wahrzunehmen – was in unserem Kontext sehr spannend ist, da auch immer klarer wurde, dass nicht die ganze Welt denkt, dass meine Familie unbedingt normal ist.

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Meiner Meinung nach kamen die Kinder im Film sehr reif und erwachsen rüber. Kann das mit den täglichen Kämpfen zu tun haben, die man als Gayby in einer heteronormativen Gesellschaft, auszutragen hat?
Ich würde nicht sagen, dass die Kids andauernd am Kämpfen sind. Das sehe ich gar nicht so. Ich glaube aber, dass viele Gaybies sehr gut kommunizieren können, weil sie seit sie sprechen können, andauernd ihre Familie erklären müssen. Daher lernten viele über Familie, aber auch über queere Politiken, zu sprechen. Gleichzeitig sind die Kinder unglaublich belastbar, was eigentlich keine Eigenschaft von Kindern sein sollte. Aber sie treten jeden Tag vor die Haustüre, wissend, dass es die Möglichkeit gibt mit Homophobie konfrontiert zu werden. Auch wenn es gar nicht so sein muss. Aber allein dieses Bewusstsein schafft eine Art Belastbarkeit, ein Bereit-Sein.

Gemeinsam mit Gaybies wart ihr im australischen Bundestag. Dort hatten die Politiker*innen die Möglichkeit Fragen zu stellen. Welche Fragen sind gekommen?
Wir sind nicht mit den Kindern aus dem Film, sondern mit Erwachsenen hin. Ich kann mich nicht mehr an alle Fragen erinnern, aber wir wollten das Panel so strukturieren, dass wir langsam alle Fragen, die immer wieder kommen, durchgegangen sind. Es gibt einige wenige Fragen, die wiederholen sich: Zum Beispiel, wenn du zwei Mütter hast, kommt die Frage, ob du einen Vater vermisst. Die Leute wollen auch wissen, wie du gezeugt wurdest, ob du adoptiert bist – wie all das funktioniert. Viele fragen, ob du auf Grund deiner homosexuellen Eltern schikaniert wurdest oder wirst. Und natürlich kommt immer wieder die Frage, ob Gaybies homosexuell sind. Das klingt eigentlich sehr dumm. Aber es gibt wirklich viele Menschen, die glauben, dass es so ist.

Du hast mit Maya auch eine Firma mit dem Namen „Marla House“ gestartet zur Unterstützung weiblicher Filmemacherinnen. Ist die Branche nach wie vor männlich dominiert?
„Marla House“ haben wir eigentlich für unsere gemeinsamen Kollaborationen gestartet. „Marla“ bedeutet auf einer Aborigines-Sprache „Mädchen“. Das heißt es ist das „Mädchen Haus“, also unser Haus. Aber ja, ich bin absolut der Meinung, dass die Branche männlich dominiert ist. Das zeigen auch die Statistiken. Aber frage mich bitte nicht, wie man das...

… ändern kann?
Genau! Es gibt sehr viele Menschen, die versuchen diese Frage zu beantworten und daher gibt es auch viele verschiedene Zugänge. Meiner Meinung nach sollen wir sie alle probieren. Dabei geht es nicht nur um Frauen und Männer, sondern um LGBTIQ-Personen, aber auch um „People of Colour“. Wenn wir nur Geschichten von von weißen Männern hören und sehen, wenn nur diese kleine Gruppe repräsentiert wird, erhalten wir offensichtlich nicht das ganze Bild von Gesellschaft. Es ist wichtig, all die problematischen Systeme unserer Gesellschaft aus vielen verschiedenen Perspektiven zu zerlegen.

Valentine Auer lebt als freie Journalistin in Wien.

„Wie das riecht. So riecht Gerechtigkeit“

  • 13.03.2016, 15:56
Die neunjährige Hanna wächst Ende der 60er in der oberösterreichischen Stadt Wels auf. Auch 20 Jahre nach dem Krieg ist die Nazi-Ideologie spürbar. Die jüdische Herkunft Hannas Familie soll daher laut ihrer Mutter verborgen werden. Niemand will die „schlafenden Hunde“ der Vergangenheit wecken. Eine Rezension.

Die neunjährige Hanna wächst Ende der 60er in der oberösterreichischen Stadt Wels auf. Auch 20 Jahre nach dem Krieg ist die Nazi-Ideologie spürbar. Die jüdische Herkunft Hannas Familie soll daher laut ihrer Mutter verborgen werden. Niemand will die „schlafenden Hunde“ der Vergangenheit wecken. Eine Rezension.

„Schau mich nicht an. Schau mich nicht so an. Am liebsten wäre ich unsichtbar.“ Wie ein Mantra spricht Hannas Mutter diese Sätze vor dem Spiegel stehend. Auch wenn die Worte in erster Linie an ihren Mann gerichtet sind, meint sie wohl gleichzeitig auch ihr Spiegelbild, richtet die Worte an sich selbst. Hannas Mutter ist einer der titelgebenden „schlafenden Hunden“. Sie will nicht geweckt werden. Sie will nicht, dass irgendjemand ihre Vergangenheit weckt. Die Vergangenheit. Ihre jüdische Herkunft. Sie sollen unsichtbar bleiben, im Tiefschlaf verharren. So ihre Überlebensstrategie.

Die Verfilmung des 2010 veröffentlichten Romans von Elisabeth Escher lag für Andreas Gruber auf der Hand: Er ist selbst in Wels aufgewachsen, die Autorin eine Schulfreundin. Zudem solle „Hannas Schlafende Hunde“ an den 20 Jahre zuvor veröffentlichen Film „Hasenjagd“ anknüpfen, der die Ereignisse der sogenannten „Mühlviertler Hasenjagd“ von 1945 auf die Leinwand brachte. Er ist Grubers erster und gelungener Versuch den Nationalsozialismus filmisch aufzuarbeiten.

Nazi-Ideologie in Oberösterreich, die Zweite also: 1967 in der Stadt Wels, 22 Jahre nach dem offiziellen Kriegsende. Offiziell, denn: Die nationalsozialistische Ideologie und so auch der Antisemitismus sind nach wie vor in den Köpfen der Menschen verankert. In den Gesichtern der Figuren, in den Blicken und inszenierten Dialogen, mit denen Grubers Charaktere versuchen zu kommunizieren, zeichnen sich tiefsitzende Kriegs-Traumata ab. Nach wie vor. Nicht nur an der älteren, sondern auch an der jüngeren Generation zehrt die Vergangenheit.

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Im Mittelpunkt des Geschehens steht die neunjährige Hanna (Nike Seitz). Sie singt gern. Egal ob „Kein schöner Land“ auf einem „Totengedenken des Kameradenverbunds“ am 8.Mai oder „Schweigen möchte ich gern“ während des Gottesdienstes. Als katholisch erzogenes Mädchen wächst sie bei ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer Großmutter auf. Letztere ist Hannas wichtigste Bezugsperson: Für die Oma (Hannelore Elsner) dichtet sie gemeinsam mit ihrem Bruder ein Lied. Mit der Oma lässt sie Löwenzahn-Stängel im Wasser einkringeln. Von der Oma erfährt sie, dass sie Jüdin ist: „Natürlich, bist du Jüdin.“ Was das heißt? „Jeder soll sein, was er ist. Punkt.“ Mit der Oma blickt sie aus dem Fenster, während im Hof ein verbrannter Körper abtransportiert wird: „Wie das riecht. So riecht Gerechtigkeit“. Der abtransportierte Körper gehört dem Hauswart. Nicht lang her verwehrte er der Großmutter als Jüdin den Zutritt zum schützenden Keller. Nun ist er es dem der Keller zum Verhängnis wurde

Sehen kann Hannas Großmutter schon lange nicht mehr. Sie ist blind. Die Folge eines Bombenangriffs: „Ich dachte, ich verliere meinen Verstand, … aber ich habe nur mein Augenlicht verloren.“ Der Geruchssinn funktioniert dafür allzu gut.

Dem gegenüber steht Hannas Mutter (Franziska Weisz). „Wir fallen nicht auf!“ ist ein weiteres Mantra, das die Mutter nicht müde wird zu wiederholen, insbesondere gegenüber ihren Kindern. Sie tut alles, „um nicht aufzufliegen“. Nicht auffliegen heißt dabei: Die jüdische Herkunft penibelst vor der Stadtbevölkerung, vor ihren Kindern, aber auch vor sich selber zu verheimlichen, einfach zu vergessen. So gibt es auch keine Kinderbilder mehr von der Mutter, denn „jedes Foto hätte uns verraten“. Hannas Mutter verharrt dabei nicht nur in einer Totenstarre, sondern sieht sich nur allzu gern in der Opferrolle, ein Vorwurf der von Hannas Großmutter kommt, vor allem weil Hannas Mutter die Opferrolle auch von anderen verlangt: „Das ist genau das, was dir am Katholisch-Sein so gut gefällt: Da kannst du schön leiden und die anderen sollen es gefälligst auch.“

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Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Hanna. Trotz der Bemühungen ihrer Mutter wird ihr nach und nach klar, dass sie auf irgendeine Weise anders ist: Ihre Klassenlehrerin fragt neugierig und abschätzig nach der Herkunft ihrer Oma. Dass sie aus Wels ist, sei unwahrscheinlich, denn „sie spricht nicht wie eine Hiesige.“ Ein Klassenkamerad beschimpft sie und deutet dabei auf ein Anderssein von Hanna hin. Ein Nachbar belästigt sie im betrunkenen Zustand sexuell und schimpft sie „Judengfrast“. Hanna will wissen, was all das zu bedeuten hat. Sie weckt die schlafenden Hunde, macht die Vergangenheit sichtbar. So emanzipiert sie nicht nur sich selbst, sondern holt auch ihre Mutter aus der Erstarrung und aus ihrer Opferrolle.

Andreas Gruber erzählt von drei Frauen-Generationen, die alle auf ihre Art einen Weg suchen, um mit dem Stigma, mit dem Hass, mit dem Antisemitismus umzugehen: Ob mit dem Versuch der Selbstauslöschung oder dem Versuch, dem Hass stolz entgegen zu blicken – auch ohne Augenlicht oder durch das ständige Nachfragen, durch kindliche Neugier. Hanna, ihre Mutter und ihre Großmutter sind in ihren alltäglichen Kämpfen umgeben von „antisemitischer Normalität“, wie es Gruber selbst beschreibt: „Ich möchte eine nicht immer gleich erkennbare Scheinwelt von Normalität erschaffen, in der selbst die ungeheuerlichsten braunen Rülpser zur Normalität gehören. Man könnte in Anlehnung an Hannah Arendt von der Trivialität und Selbstverständlichkeit des Bösen sprechen. Durch eine besonders lapidare, unbetonte Inszenierung soll eine Monstrosität der Figuren verhindert werden – weil es ihnen eine unverdiente Größe geben würde.“ Auch wenn Gruber seiner abgebildeten Welt keine Monstrosität zuschreiben will und nicht auf Gewaltorgien zurückgreifen muss, um das Grauen der Nazi-Ideologie sichtbar zu machen, zeichnet er eine Welt, geprägt von Ungeheuerlichkeiten, von Hass und Misstrauen, das nur schwer zu überwinden ist. Hannelore Elsner bringt die Schrecken der Zeit im Publikumsgespräch auf den Punkt: „Diese Zeit stößt mich ab: ihre Verlogenheit, ihre Bigotterie, ihre Sprachlosigkeit.“

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.

Uncut – ein Bruch mit dem Schweigen

  • 10.04.2015, 16:50

Am 20.03.2015 hatte Paul Poets neuester Film "My Talk with Florence" Premiere bei der Diagonale in Graz. Zu sehen ist ein zweistündiges, ungeschnittenes "Interview" mit Florence Bournier-Bauer, die von Misshandlungen in ihrer Jugend und ihrem Leben in Otto Mühls Kommune berichtet, wo auch ihre Kinder missbraucht wurden.

Am 20.03.2015 hatte Paul Poets neuester Film "My Talk with Florence" Premiere bei der Diagonale in Graz. Zu sehen ist ein zweistündiges, ungeschnittenes "Interview" mit Florence Bournier-Bauer, die von Misshandlungen in ihrer Jugend und ihrem Leben in Otto Mühls Kommune berichtet, wo auch ihre Kinder missbraucht wurden.

progress: Wie bist du zu der Idee gekommen, ein Gespräch über Missbrauch in einen Film zu verpacken?

Paul Poet: Der Film war als solcher nicht geplant. Er war im Rahmen des Theaterstücks „Satan Mozart Moratorium“, das ich 2008 fürs Donaufestival in Krems gemacht habe, entstanden. Im Vorfeld habe ich durch Zufall Florence kennengelernt. Sie hat 20 Jahre dafür gekämpft, dass ihre Geschichte gehört wird. Sie war maßgeblich mitverantwortlich, dass Otto Mühl wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Sie war 10 Jahre in der Kommune Friedrichshof und hat nachher versucht, ihre Geschichte an die Öffentlichkeit zu bringen. Es wollte ihr aber keiner zuhören.

Ich wollte im Theaterstück den latenten Missbrauch in der Gesellschaft als Karikatur aufarbeiten. Für die Geschichte von Florence hatten wir ein Talkshow-Setting, in dem ich selber so ein klassisches Jauch-Arschloch gespielt habe. Ich hatte damals den Film als Back-up für das Theaterstück gedreht. Wir hatten drei Aufführungen geplant, aber ich wusste nicht, ob Florence wirklich immer auftaucht und wollte zur Sicherheit etwas filmen, um es notfalls projizieren zu können. Das Stück mit ihr hat aber  großartig geklappt, sie war jedes Mal voll da, wollte gehört werden und hat immer etwas anderes erzählt. Da der Film selbst aber so gut geworden ist, bringe ich ihn nun doch extra raus, um ihrem Leben wirklich Gehör zu verschaffen.

Hast du im Zuge des Gesprächs Bedenken gehabt, dass es bei ihr zu einer Re-Traumatisierung kommen könnte?

Wir haben im Vorhinein viele Gespräche geführt. Ich bin kein professioneller Psychologe. Zu dem Zeitpunkt hatte ich selbst eine lange Therapie abgeschlossen, weil ich lange schwer depressiv war. Das rührte zum Teil auch aus einer eigenen Missbrauchsgeschichte in der Vergangenheit und insofern waren wir Leute, die sich auf Augenhöhe trafen. Eine Garantie gibt es in solchen Bereichen aber nie.

Aus dem Film geht klar hervor, dass es nicht das erste Gespräch ist, das wir führe. Es ist klar, dass wir uns abgesprochen haben, es ist klar, dass Florence sich selbst inszeniert, zum Beispiel mit der missbrauchten Kinderpuppe, die ich selber als Regisseur furchtbar gefunden habe. Mich interessiert aber der Mensch als ambivalentes Wesen, so wie es für mich als Linken nur die Herangehensweise geben kann, Menschen in ihrer Komplexität zu begreifen statt Propaganda zu zimmern. Florence bezeichnet sich auch selbst als Täterin. Nicht weil sie missbraucht hätte, sondern weil sie ihre Kinder im Stich gelassen und nicht geschützt hat.

Was hat Florence zum Film gesagt?

Sie hat den FIlm zuerst gehasst, dann wieder geliebt, dann wollte sie eine ganz reguläre, klassische Doku haben. Und dann fand sie es wieder ganz großartig, dass er so künstlerisch ist.

Erging es dem Publikum auch so?

Der Großteil ist im Saal sitzen geblieben, manche haben mokiert, dass der Film von der Umgangsweise her schon sehr hart sei, aber er vermeidet eben jede Form von  gegenwärtigem Dokukino, das ich so hasse: diese vorgekauten Messages, diese schwer manipulativen emotionalen Trigger.

Florence wollte über ihre Geschichte sprechen. Welche Aspekte standen für sie dabei im Vordergrund?

Es ist natürlich schon ein egoistischer Aspekt für sie, das aufzuarbeiten, aber natürlich will sie Opfer inspirieren, darüber zu sprechen. Ich bin ja selber nicht primär, aber sekundär betroffen von Missbrauch. Als Kind musste ich mitansehen, wie ein guter Freund von mir vergewaltigt wurde. Ich weiß daher sehr gut, wie viel Verletzung die Schweigespirale auslöst. Es ging mir darum, mit dem Film genau diese zu brechen, um Leute zu inspirieren, nichts hinzunehmen.

Hast du Befürchtungen, dass Florence dich bittet, den Film zurückzuziehen?

Ich weiß nicht, wie groß es wird, es ist ein kleines Arthouse-Ding. Er wird vielleicht als Film ein langes Leben haben, der international auch gut präsent ist, aber er wird kein Blockbuster (lacht), das ist abzusehen. Und so haben Florence und ich einfach eine Abmachung, dass alle Einnahmen 50/50 zwischen uns geteilt werden, weil ich den Film nicht alleine als mein eigenes künstlerisches Produkt sehe, sondern sehr wohl als ihr Leben. Florence hat nur eine kleine Witwenpension, also hoffe ich, dass sie zumindest ein bisschen was reinkriegt, damit ihr Leben gesichert ist.

“My Talk with Florence”
Regie: Paul Poet
129 Minuten
ab Oktober 2015 im Kino

 

Gabriel Binder studiert Geschichte an der Universität Wien.

Der Rand in der Mitte?

  • 30.03.2014, 17:25

„Und in der Mitte, da sind wir“ wurde auf der Diagonale 2014 präsentiert und ist eine entlarvende Dokumentation über die vermurkste österreichische Bewältigung des Nationalsozialismus. Drei Jugendliche aus Ebensee geben Einblick in ihre Gedankenwelt. Das Ganze ist authentisch. Fast schon zu sehr.

„Und in der Mitte, da sind wir“ wurde auf der Diagonale 2014 präsentiert und ist eine entlarvende Dokumentation über die vermurkste österreichische Bewältigung des Nationalsozialismus. Drei Jugendliche aus Ebensee geben Einblick in ihre Gedankenwelt. Das Ganze ist authentisch. Fast schon zu sehr.

Anmerkung: Ebensee im oberösterreichischen Salzkammergut hat eine fatale Vergangenheit. Die Nazis errichteten dort ein Konzentrationslager, 8.745 Menschen starben. Die Häftlinge mussten innerhalb kürzester Zeit und unter großer körperlicher Anstrengung den Stollen 250 Meter in den Berg hineintreiben. Hitler wollte geheim unter Tage V2-Raketen entwickeln.

„Voll fad“ war er, der Besuch im KZ, erzählen Jugendliche im Film. Die Eltern sehen das ähnlich: Sie haben noch nie eine Gedenkfeier besucht und sprechen von einer „Notwendigkeit des Vergessens“. In Ebensee scheint der Nationalsozialismus ein sensibles Thema zu sein. Vermutlich auch, weil es 2009 zu einem Vorfall kam: Elf Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren störten die KZ-Gedenkfeier mit Softguns und „Heil Hitler“-Rufen. Drei der Beteiligten wurden wegen Wiederbetätigung verurteilt. Aufgearbeitet wurde das in Ebensee aber nie.
Regisseur Sebastian Brameshuber aus dem Nachbarort Gmunden hat diesen Vorfall zum Anlass genommen, um drei junge Ebenseer beim Älterwerden zu begleiten. Es geht um die Suche nach der eigenen Identität, während die Geschichte des Heimatorts nicht ausgeklammert wird. Die Teenager werden aktiv mit der nationalsozialistischen Vergangenheit konfrontiert. Die Reaktionen sind entlarvend, fast ein wenig deprimierend, aber dafür umso authentischer. „Und in der Mitte, da sind wir“ ist ein authentisches Abbild von Zeitgeschichte. Das ist weder schön, noch romantisch. Das inszenierte Drama fehlt ebenso. Pure Realität, die eineN fesselt.

Regisseur Brameshuber diskutierte bei der Diagonale 2014 im KIZ Royal mit KinobesucherInnen über seinen Film. Foto: Rumpf

Neonazis oder Lausbuben?

Die Beurteilung der Wiederbetätigungsaktion fällt bunt aus. Einige EbenseerInnen sprechen von einem „Lausbubenstreich“ und an sich netten Burschen, die Opfer einer „politisch zu korrekten Gesellschaft“ wurden. Sie als „Neonazis“ abzutun, findet Brameshuber aber auch für zu kurz gegriffen. Der Begriff „Neonazis“ drängt die Akteure an den Rand der Gesellschaft, was vor allem der eigenen Beruhigung dient: „Ein paar Verrückte gibt’s halt immer.“ Da es aber so viele Jugendliche waren, die sich an der Aktion beteiligt haben, möchte Brameshuber nicht von Extremisten reden. Sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft und haben ein Problem mit der Vergangenheitsbewältigung.

Die Angst, Dinge beim Namen zu nennen

Das äußert sich vor allem bei den eingefangenen Wortmeldungen der Jugendlichen. Die jungen Ebenseer nehmen im Film kein Blatt vor den Mund: Locker und ohne Scham geben sie tiefe Einblicke in ihr Leben. Der Regisseur gibt sogar zu, dass er manchmal „die Protagonisten vor sich selbst schützen“ musste. Beim Thema Nationalsozialismus werden sie aber ruhig. „Was man in der Schule halt so hört“ – mehr kommt oft nicht. Die Dinge beim Namen zu nennen – Hitler, KZ, Nationalsozialismus – wagt niemand. Diese Begriffe werden durch „damals“, „der Stollen“ und „das“ ersetzt. Dies ist bedenklich, da es das Vergessen erleichtert. Selbst Brameshuber gibt zu, dass der Nationalsozialismus weder in der Familie noch in der Schule ein Thema war: „Eine sehr wortkarge Gegend ist das“. Vom KZ im 15 Kilometer entfernten Ebensee hat er zufällig in Amerika (!) erfahren, wohlgemerkt erst nach der Matura. Er kritisiert, dass manche Ebenseer Schulklassen zwar nach Mauthausen fahren, aber nicht ins KZ und dem zeitgeschichtlichen Museum vor Ort: „Man versucht die Außenlager zu vergessen“. Und de facto die eigene Geschichte.

Ebensee als Beispiel

Muss sich Ebensee mehr mit der Nazi-Vergangenheit befassen als andere Orte? – Nein, so etwas wie eine Bringschuld gibt es nicht. Auch Gmunden, auch Bad Ischl, auch ganz Österreich braucht Vergangenheitsbewältigung. Der Film zeigt aber schön auf, dass selbst ein Ort, der hautnah von NS-Geschichte betroffen ist, es nicht tut. Eine neue, wenn auch bedenkliche Erkenntnis.

Fazit

„Und in der Mitte, da sind wir“ liefert mit einfachen Bildern eine zeitgeschichtliche Abbildung einer Generation, die sich keine Gedanken über ihre Vergangenheit macht. Der Film ist jedenfalls ein Beweis, dass es Versäumnisse in der Vergangenheitsbewältigung gibt - nicht nur bei ein paar Verrückten am Rand der Gesellschaft, sondern auch in der Mitte. Der Rand in der Mitte?

Hier geht’s zur Filmbeschreibung auf der Diagonale-Homepage und hier gibt’s zusätzliches Info-Material auf der Website des Films.

Christoph Schattleitner studiert „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum in Graz.

Mit Tabus brechen?

  • 30.03.2014, 13:57

In „Der letzte Tanz“ dreht sich alles um eine Intimität, die es so - zumindest nach unseren gesellschaftlichen Standards - nicht geben darf. Das Brechen eines Tabus, das vielleicht als solches zu hinterfragen ist.

In „Der letzte Tanz“ dreht sich alles um eine Intimität, die es so - zumindest nach unseren gesellschaftlichen Standards - nicht geben darf. Das Brechen eines Tabus, das vielleicht als solches zu hinterfragen ist.

Ein zum Frühstück gedeckter Tisch, an welchem eine Mutter mit ihrem längst dem Kindesalter entwachsenen Sohn sitzt. Die mütterlichen Versuche, sich nach dem Wohlbefinden des Sohnes zu erkundigen, werden durch das Läuten an der Wohnungstür unterbrochen: „Wir suchen den Herrn Karl Streiner.“ Karl - verkörpert durch das deutsche Schauspieltalent Daniel Sträßer - wird trotz Protest und Unverständnis seiner Mutter eskortiert, verhört und schließlich in eine Zelle gebracht, wo er seine Untersuchungshaft abzusitzen hat.

Im zu Beginn noch schwarz-weißen Bild hat der Junge einiges in der Justizanstalt auszuhalten. Er findet sich auf engstem Raum mit vermeintlich Kriminellen wieder. Es misslingt ihm, nicht anzuecken, oder er versucht es erst gar nicht. Der Regisseur Houchang Allahyari, der in Teheran geboren wurde und bereits seit seiner Jugend in Wien wohnhaft ist, lässt die ZuseherInnen lange im Dunkeln tappen, welche Untat der Zivildiener begangen haben mag. Niemand, weder seine „Vielleicht-Freundin“ noch seine Mutter, glaubt an die Schuld von Karl. Auch er selbst ist sich keiner Schuld bewusst.

Plötzlich findet man sich in der Vergangenheit wieder: drei Monate zuvor, in Farbe. Karl Streiner bestreitet seinen ersten Tag als Zivildiener. Nachdem er sein Studium in Heidelberg abgeschlossen hat, lebt er nun wieder in Wien. Er wird für die geriatrische Abteilung eines Krankenhauses eingeteilt. Es macht ihm Spaß, doch schnell macht er Bekanntschaft mit der Alzheimer-Kranken Frau Ecker. Erni Mangold sticht in ihrer Rolle als Julia Ecker besonders hervor. Beeindruckend glaubwürdig spielt sie die vom Leben gezeichnete Patientin, die nichts auf die Meinung anderer gibt und so dem Krankenhauspersonal das Leben schwer macht und letztlich auch im Leben von Karl eine tragende Rolle spielt. Wenig überraschend also, dass sie mit dem Schauspielpreis der Diagonale 2014 ausgezeichnet wurde. Sie ist ein schwieriger Fall und „mit Absicht boshaft“. Doch irgendwie gelingt es Karl schon nach wenigen Tagen, einen Draht zu ihr herzustellen. Er liest ihr aus dem Roman „Die Geier-Wally“ vor, es entsteht eine besondere Verbindung zwischen den beiden so unterschiedlichen Charakteren. Die alte Frau erfährt durch ihn einen Energieschub, der die bis dahin Bettlägerige flotten Schrittes tanzen lässt. Bald will die Patientin nur noch von ihrem Liebling Karl betreut werden, was ihm schließlich zum Verhängnis wird.

„Der letzte Tanz“ wurde zum besten Spielfilm der Diagonale gewählt. Der Andrang an der Kinokasse war dementsprechend groß, die Vorstellung restlos ausverkauft. Foto: Rumpf

Fazit

Allahyari schafft es während des ganzen Films - fern von Actionszenen und Explosionen - die Spannung aufrechtzuerhalten. Zurecht also wurde die Arbeit mit dem Publikumspreis gewürdigt. Einziger Wermutstropfen an diesem insgesamt sehr gut gelungenen Spielfilm ist die Besetzung des Strafverteidigers von Karl. Er wird von Viktor Gernot, vor allem bekannt als Kabarettist und Bestandteil der ORF-Sendung „Was gibt es Neues?“, gemimt. Leider wird man das Bild des gaukelnden und lachenden Gernot vor dem inneren Auge nicht los, selbst wenn er als vermeintlich seriöser Anwalt für seinen Mandanten kämpft.

Die Rezension entstand im Rahmen der Diagonale-Serie "Dem bedrohten österreichischen Film ein Festival"
Hier geht’s zur Filmbeschreibung auf der Diagonale-Homepage.

Gerald Rumpf studiert Journalismus & PR an der FH Joanneum in Graz.

Dem bedrohten österreichischen Film ein Festival

  • 30.03.2014, 13:34

In Graz fand vom 18. bis 23. März die Diagonale 2014 statt. Innerhalb von sechs Ta-gen wurden 200 Filme gespielt – größtenteils österreichische. Diese sehen die Film-schaffenden nun bedroht.

In Graz fand vom 18. bis 23. März die Diagonale 2014 statt. Innerhalb von sechs Ta-gen wurden 200 Filme gespielt – größtenteils österreichische. Diese sehen die Film-schaffenden nun bedroht.

Einmal im Jahr ist Österreich im Film-Fieber. Heimische Produktionen werden bei der Diagonale in Graz präsentiert und im Anschluss wird oft mit den RegisseurInnen diskutiert. Von 500 eingereichten Werken werden 200 präsentiert, 25.000 BesucherInnen strömen in die Kinosäle. Die Filmindustrie zeigt sich stolz auf die „nationalen sowie internationalen Erfolge“ des kleinen Österreichs. Jener „Exportschlager“ droht nun „unverschuldet“ wegzufallen, wie die Filmschaffenden in einem für die Diagonale gemachten Protestvideo warnen. Der Hintergrund: Der größte Auftraggeber ORF will ein Drittel seiner Aufträge im heimischen Film kürzen. Damit wären 1.500 Arbeitsplätze vernichtet und SteuerzahlerInnen müssten für die anfallenden Sozialkosten von 25 Millionen Euro aufkommen. Das sei beinahe die Summe, die dem ORF aufgrund der Streichung der Gebührenrefundierung fehlt. „Blunzendeppat“, nennt Kabarettist und Schauspieler Lukas Resetarits dieses Vorgehen und sieht ORF und Regierung in der Verantwortung. Mehr dazu im Protest-Video.

Quo vadis österreichischer Film?

Rezensionen

Unsere Redakteure waren bei der Diagonale vor Ort. Nachfolgend drei kurze Rezensionen. Die Filme „Der letzte Tanz“ und „Und in der Mitte, da sind wir“ wurden ausführlicher rezensiert.

Das finstere Tal

Zwei Stunden, in denen man sich nicht zu atmen traut. Garantierte Spannung und Action. Gedreht in den Alpen im Stil eines Western, Tobias Moretti und der Brite Sam Riley, der putzig am Tirolerischen scheitert. Teuer produziert und ein Aushängeschild des österreichischen Films.

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Der Fotograf vor der Kamera

Dokumentation über Erich Lessing (*1923), einer der bedeutendsten europäischen Reportage-FotografInnen der Nachkriegszeit. Bekannt in Österreich vor allem für das Foto von Leopold Figl mit dem unterzeichneten Staatsvertrag. Der Film begleitet Lessing in seinem Alltag und nimmt sich Zeit für Details. Oder: Er ist zu lang. Interessant für Geschichte-LiebhaberInnen und Fotografie-Begeisterte.

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Bad Fucking

Wirkt anfangs mehr als beschaulich, dieser Kurort namens Bad Fucking. Es dauert jedoch nicht lange, bis die Lage eskaliert. Oder eher die Lagen: quasi jedeR BewohnerIn des Dorfes ist involviert, als kaum eine Todsünde ausgelassen wird. Ist es eigentlich Zufall, dass Michael Ostrowski nicht weit ist, wenn es ein Inferno gibt?

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Das UCI Annenhofkino diente als Spielstätte der Diagonale. Ebenso: KIZ Royal, das Schubert- und Rechbaukino

Die Diagonale in Zahlen

Von 1993 bis 1995 wurde die Diagonale in Salzburg abgehalten. Seit 1998 ist sie in Graz beheimatet. Im Jahr 2015 wird sie von 17. bis 22. März wieder unter der Leitung von Intendantin Barbara Pichler stattfinden.

  • Filme: ca. 200
  • BesucherInnen: ca. 25.000
  • Spielstätten: 4
  • 16 Preiskategorien

 

Gerald Rumpf und Christoph Schattleitner studieren „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum in Graz.