Comic

Comic-Krankenakte

  • 20.06.2017, 21:46
Ein Comic, der aus Österreich stammt, komplett ohne Sprechblasen auskommt und dazu noch in einem Hospiz fernab von muskelbepackten Superheld_innen spielt – es gibt einige Eigenschaften, die The Medical Records of Mr. Zachary Griffith aus der Masse von Comics und Graphic Novels hervorhebt.

Ein Comic, der aus Österreich stammt, komplett ohne Sprechblasen auskommt und dazu noch in einem Hospiz fernab von muskelbepackten Superheld_innen spielt – es gibt einige Eigenschaften, die The Medical Records of Mr. Zachary Griffith aus der Masse von Comics und Graphic Novels hervorhebt.

Der Titel verrät es schon: Die Geschichte entfaltet sich in der Krankenakte von Zachary Griffith, dessen Leidensweg durch das St. Matthews Nursing Home uns in umgekehrt chronologischer Reihenfolge präsentiert wird. Und so lesen wir uns durch die Notizen seiner Pfleger_innen, die anfangs das Bild eines schwerkranken, dementen Mannes ergeben. Je weiter wir vorblättern und je näher wir seiner Aufnahme im Hospiz kommen, desto schwammiger wird dieses Bild. Was hat es mit dem mysteriösen Stein auf sich, den Griffith bei seinem Tod in der Hand hielt? Warum findet sich in seinem Zimmer ein Urlaubsbild seiner Pfleger_innen? Warum hat er seinen Spinat nicht aufgegessen, obwohl er das Blattgemüse so mochte? Die drei Pfleger_innen, die sich hauptsächlich um den Protagonisten kümmern, widersprechen sich nicht nur ständig, sondern schwärzen sich auch gegenseitig bei der Leitung des Heimes an.

Die Dreiecksbeziehung zwischen ihnen macht die Sache nicht unkomplizierter. Was schlussendlich die Todesursache war, wird nicht explizit geklärt – in dieser Hinsicht funktioniert der Comic wie eine Detektivgeschichte, die zum Mitraten einlädt. Die englischen Texte von David „LuvDav“ Hofer-Zeni wirken stellenweise fast zu poetisch für die Krankenakte, treiben die Geschichte aber dennoch gut voran. Die Zeichnungen von Verena „Nudlmonster“ Loisel, hauptsächlich in Pastelltönen gehalten, sind wunderschön und voller süßer Details, die es zu entdecken gilt. Überhaupt sind es die Kleinigkeiten, die dieses Projekt so reizvoll machen: Von der liebevoll gestalteten Krankenakte über die Nebenfiguren, die das St. Matthews Nursing Home zum Leben erwecken, bis hin zum Bonus-Content am Ende des Bandes wirkt hier alles stimmig und gut durchdacht. Das offene Ende könnte auf manche Leser_innen allerdings frustrierend wirken.
 

David Hofer-Zeni und Verena Loisl
The Medical Records of Mr. Zachary Griffith
Selbstverlag, 18 Euro
Erhältlich z. B. bei Bunbury’s Comics

Joël Adami liest neben dem Studium manchmal gerne Comics.

Kapitalismuskritik to go

  • 23.02.2017, 19:20
Marx als Comic.

Eine kleine Käserei am Land, ein Familienbetrieb. Hier stellen Robin und sein Vater den Käse her, den sie später am städtischen Marktplatz verkaufen. Dort macht Robin eines Tages Bekanntschaft mit einem Investor, welcher ihm ein Angebot unterbreitet. An dieser Stelle entspinnt sich eine Geschichte, in welche die marxsche Analyse des Kapitalismus eingewoben ist. Robin nimmt einen Kredit auf, es werden Gebäude, Maschinen, Rohstoffe und andere Waren gekauft. Darunter befindet sich auch die im Kapitalismus entscheidende Ware: die Arbeitskraft.

Die zentralen Konzepte der marxschen Kritik, die im Laufe der Story vorkommen, werden in kleinen Hinweiskästchen in zwei oder drei Sätzen erklärt – angesichts des fast tausendseitigen Umfanges des ersten „Kapital“-Bandes eine unglaubliche Reduktion. Wie den marxistisch ungeschulten Leser_innen, so wird auch dem Nachwuchs-Kapitalisten Robin Stück für Stück klar, wie die „Maschine Kapitalismus“ funktioniert.Sein Investoren-„Freund“ Daniel erklärt ihm, wie man Arbeiter_innen ausbeutet, wie man Mehrwert generiert, was der Tausch- und der Gebrauchswert einer Ware sind, und dass er als Finanzier sein Geld zurückbekommen wird – unter allen Umständen. Langsam vermengt sich theoretischer Input mit der immer dramatischer werdenden Geschichte.

Mit jeder Anhebung des Arbeitstempos, mit jeder weiteren angeordneten Prügelorgie des Vorarbeiters sinkt Robins Hoffnung, das Geld jemals zurückbezahlen zu können. Vom Gedanken reich zu werden ganz zu schweigen. Karl Marx war nicht nur Philosoph, sondern auch Visionär. Die Arbeiter_innen würden sich über ihre gemeinsame ökonomische Lage klar und von einer „Klasse an sich“ zu einer „Klasse für sich“ werden, so seine These. Über diesen knapp 200-seitigen Comic kann man verschiedener Meinung sein. Manche mögen in ihm eine zu starke Vereinfachung und Popularisierung von Marx' Gedanken sehen. Andere könnten es begrüßen, dass der Comic die intellektuelle und theoretische Schwelle zur Kapitalismuskritik senkt, wodurch sich potentiell mehr Leute für dieses Thema begeistern könnten. „Capital in Manga“ ist jedenfalls eine gute Einstiegslektüre für alle, die an Robert Misiks „Marxismus für Eilige“ noch scheitern.

VarietyArtworks: Capital in Manga! Red Quill Books 2012, 191 Seiten, 24,50 Euro.

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien.

Viel Klon um nichts

  • 05.10.2016, 13:47
Kleinkriminelle Waisin findet heraus, dass sie eine von mehreren Klonen ist, tut sich mit den anderen zusammen und macht sich auf, ihren „Schöpfer_innen“ und heimlichen Aufseher_innen in den Hintern zu treten.

Kleinkriminelle Waisin findet heraus, dass sie eine von mehreren Klonen ist, tut sich mit den anderen zusammen und macht sich auf, ihren „Schöpfer_innen“ und heimlichen Aufseher_innen in den Hintern zu treten. Die Details der Story sind wesentlich komplizierter, aber das spielt keine große Rolle: Weder für die Frage, ob die Zuschauer_innen sich in die Serie verlieben (das steht und fällt nämlich mit den hinreißenden Klonen) – noch in Hinblick auf den Comic. Selbiger hat einfach zu wenig Seiten, um sich in Details zu ergehen – dabei ist es genau das, was er verspricht: Mehr Hintergründe zur geliebten Serie sollte er liefern.

Aufgeteilt in fünf Kapitel, eins für jede der Hauptklone, Sarah, Helena, Alison, Cosima und Rachel, liegt die Annahme nah, dass jedes Kapitel einen Strang aus dem Leben der jeweiligen Frau näher beleuchtet, der in der Serie zu kurz kam. Statt sich auf dieses Ziel zu konzentrieren, bemüht sich der Comic jedoch gleichzeitig, die erste Staffel zusammenzufassen. Er scheitert an beiden Zielen. Wer die Serie nicht gesehen hat, wird mit dem Comic überfordert sein, den Plot nicht nachvollziehen können und sich nicht in die Charaktere verlieben, die unerträglich flach bleiben. Wer hingegen bereits Fan ist, wird sich mit dem Comic langweilen und sich die Frage stellen, warum 99 Prozent des Inhalts nur wiederkäuen, was bereits bekannt war. Allein in Rachels Kapitel ist ein Teil ihrer Kindheit zu sehen, der in der Serie kürzer dargestellt wurde, neue Einsichten ergeben sich daraus aber nicht. Zudem hat es einen schalen Beigeschmack, wenn aus einer dermaßen queeren Fernsehserie ein Comic hervorgeht, in dem auf mehrere Hetensexszenen sage und schreibe ein lesbischer Kuss kommt – und Obertucke Felix nicht als queer zu erkennen ist.

Auch der Zeichenstil vermag es nicht, zu überzeugen. Wann immer Bilder aus der Serie direkt „geklont“ wurden – es wurde vermutlich direkt über Screenshots gemalt – sind die Charaktere mitunter atemberaubend gut zu erkennen, die Bildkomposition beeindruckend. Sobald die Künstler_innen jedoch frei zeichnen mussten, wird es sogar schwer, die einzelnen Personen auseinander zu halten. Die am Ende des Bandes angehängten Variant-Cover verschiedener Zeichner_innen sind vielfältig und würden wunderschöne Poster ergeben, doch als einzig wirklich innovativer Teil des Comics sind sie einfach den Kaufpreis nicht wert.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist der zweite Band: „Helsinki“. Er soll vor allem die Geschehnisse in Finnland erläutern, die in der Serie bis einschließlich Staffel drei nur angedeutet wurden und erst in Staffel vier ansatzweise ans Licht kommen. Damit würde der Comic wirkliche Lücken füllen, was Band eins mit dem bisschen Extrainformationen pro Klon wahrlich nicht halten konnte. Leider ist dieser zweite Sammelband, obwohl bereits im März 2016 in den USA erschienen, erst im Oktober auf Deutsch zu bekommen.

Die vierte Staffel der Fernsehserie gibt es seit dem 6. August auch im deutschsprachigen Netflix, die fünfte und letzte Staffel wird 2017 in den USA anlaufen.

Non Chérie macht queeren Krempel, feministisches Gedöns und stolpert mitunter versehentlich auf dem Campus der Uni Wien umher.
 

The cake is a lie

  • 30.09.2016, 16:30
Wachsende Zensur, Ausheblung von Menschenrechten - Die Staaten der Welt werden repressiver und begründen diese Maßnahmen mit der wachsenden Gefahr durch Terroranschläge. Irgendwann gibt es keine Unschuldsvermutung mehr. Zeit zu handeln und in der Zeit zurückzureisen!

Wachsende Zensur, Ausheblung von Menschenrechten - Die Staaten der Welt werden repressiver und begründen diese Maßnahmen mit der wachsenden Gefahr durch Terroranschläge. Irgendwann gibt es keine Unschuldsvermutung mehr. Zeit zu handeln und in der Zeit zurückzureisen!

Der Hacker Ho Zhing entwickelte ein Programm, das es erlaubt, mittels Internet durch die Zeit zu reisen. Einzige Voraussetzung dafür ist, dass das Internet zu der Zeit, in die gereist werden soll, bereits existiert haben muss. Denn: Das Internet vergisst nie, und durch eine physische Verbindung zwischen Mensch und Internet, wie es sie vor allem in den nächsten Jahrzehnten geben wird, kann der menschliche Körper Zeitsprünge auslösen.

So handelt „No Borders“ von verschiedenen Grenzen, die nicht mehr vorhanden sind oder sein werden: Die Möglichkeiten der totalen Überwachung der Bevölkerung durch Staaten, ebenso wie die unmittelbare Möglichkeit durch die Zeit zu reisen. Es kreuzen sich die Wege der Bloggerin Kat, dem Hacker Ho Zhing und der Geheimdienstmitarbeiterin Jill Edwards, die ursprünglich in unterschiedlichen Zeit-Strängen leben.

Namensgebend für das Buch ist die Organisation „No Borders“, welche sich gegen Zensur und staatliche Überwachung einsetzt. Und auch wenn beim Lesen stets der Demo-Sprech-Gesang „No Border, No Nation, Stop Deportation!“ im Kopf halt, ist die Öffnung von staatlichen Grenzen trotz der gedanklichen Nähe kein Haupt-Thema im Buch. Stattdessen stehen Zeitreise und Vorgehen gegen Internetzensur und Überwachung im Vordergrund. Im Bezug darauf findet das Buch leicht zugängliche Antworten für diejenigen, die auf staatliche Überwachungs-Maßnahmen stets mit „Ich habe ja nichts zu verbergen“ antworten.

Etwas eindimensional ist leider, dass China als Projektionsfläche für den Überwachungsstaat und die NSA als der überwachende Geheimdienst schlechthin herhalten müssen. Auch die Hetero-Sex-Szenen sind eher überflüssigen, wohingegen die Anspielungen auf Computerspiele, Filme und Serien, die in jedem zweiten Bild zu finden sind, sehr viel Spaß bereiten.

Mit Bonus-Inhalten im Internet lässt „No Borders“ die Leser*innen weitere Informationen entdecken. Zusätzliche Entwürfe und Skizzen, sowie Hintergründe zum Autoren und der Zeichnerin des Buches geben Einblicke in den Entstehungsprozess und die Arbeit hinter dem kurzweiligen Buch (TeMels Arbeitszeit pro gezeichneter Seite beträgt beispielsweise 15-25 Stunden). Auch lassen sich hier Hintergrundinformationen über die Charaktere und weiteres Material zu den im Buch angesprochenen Themen finden. An die Bonus-Inhalte gelangen die Leser*innen mittels Passwörtern, die sich im Buch verbergen.

Am Ende der Geschichte wird aus diesen spielerischen und unterhaltsamen Aspekten Ernst, denn es bleibt die Frage im Raum: Was kannst DU tun, um staatlicher Überwachung, Zensur und Repression Einhalt zu gebieten, ehe es zu spät ist?

Clara van Dyke ist eigentlich kein Fan von Zeitreise-Episoden, jedoch leidenschaftliche Serien-schauerin und so hofft sie auf viel Gesellschafts-Kritik, aber wenig Zeitreise-Folgen in der neuen „Star Trek“-Serie, welche Anfang 2017 erscheinen wird.

Liebe ist ein Säurebad

  • 02.09.2016, 19:44
Wir haben uns Suicide Squad angesehen, damit ihr es nicht müsst. Ganz so schlimm wie erwartet war es dann eh nicht.

Wir haben uns Suicide Squad angesehen, damit ihr es nicht müsst. Ganz so schlimm wie erwartet war es dann eh nicht.

Liebe Freund*innen des umstrittenen DC-cinematic universe: nach scheinbar endlosen fünf Monaten seit „Batman v Superman – Dawn of Justice“ kommt „Suicide Squad“ in die Kinos und erlöst uns vom langem Warten auf einige unserer Lieblingscharaktere. Wer Bat- und Superman schon nicht mehr sehen kann, erwartet sich von diesem Film nicht nur lässige Hau-drauf-Action, Sex und Humor, sondern auch ein Wiedersehen mit dem Joker bzw. die Einführung von Harley Quinn, seiner On-Off-Hassliebe.

Kurz zur Story: Eine toughe FBI-lerin hat den kecken Plan, Superbösewichte zusammenzutrommeln und aus ihnen einen unzerstörbaren Militärtrupp zu basteln, der dann auf diverse Himmelfahrtskommandos geschickt wird. Im Hintergrund steht der potentielle Terror von gesetzlosen Flattermännern, aber auch nicht ganz unwichtig sind die Machtspielchen des FBI und die Frage: Kann man diese Typen kontrollieren?

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Die Bösewichte sind bei Leuten, die nicht so oft Comics lesen, eventuell nicht bekannt. Da gibt es z.B. Deadshot (Auftragskiller mit Herz, aber ohne Sorgerecht), Diablo (siehe Pyro, Human Torch, Match – hier als die Latin Bad Boy Version), Captain Boomerang (Stichwort: Down Under), Killer Croc (Reptil) und eben Harley Quinn (verrückt). Captain Boomerang und Killer Croc werden höchstens für ein oder zwei Gags gebraucht, sonst spielen sie keine weitere Rolle. Dem Truppenführer Flag wird Katana zur Seite gestellt, eine schwertschwingende Asiatin. Damit hat man alle Klischees auf einem Haufen.

Gegenspielerin der Bösewichte ist Enchantress, eine Mischung aus Göttin und Hexe, geschlüpft aus einer ausgegrabenen Tonfigur. Sie möchte gerne eine Maschine bauen, die alle Menschen tötet. Dies erinnert sehr an den letzten Film von Marvel: „X-Men: Apocalypse“. Die Parallele ist in beiden Filmen, dass Mutanten bzw. paranormale Wesen aus längst vergangener Zeit erwachen und sich darüber echauffieren, dass sie nicht mehr angebetet werden. Ob das große Geister wirklich stören würde?

Um es kurz zu machen: Mit mächtig viel Feuerkraft ballert sich die Suicide Squad bis zur Hexe durch und es gibt einen Showdown. Ende.

Was am Schluss von Suicide Squad übrig bleibt ist ein extrem bemühter, aber insgesamt eher qualmender als feuriger Blockbuster. Zu Gute halten kann man dem Film aber, dass hier zumindest ansatzweise auf grundlegende Diversität geachtet wurde. Es gibt mehr als nur eine „Schlumpfine“, die wohl Harley Quinn wäre. Neben ihr sind noch drei andere Frauencharaktere handlungsmächtig. Aber bleiben wir kurz bei Harley Quinn. Ohne sie wäre der Film absolut gar nichts. Sie bringt jeglichen Humor, jegliche Farbe und (natürlich) auch jeglichen sex appeal ins Suicide Squad-Team. Sie sollte einen oder gleich mehrere Spin-Offs bekommen.

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Zum blutleeren Rest muss man leider sagen, dass solcherlei millionenschwere Bemühung nicht immer zum Erfolg führt. Man merkt genau, welche Makel der allgemeinen Superman-Schiene von DC versucht wurden auszubügeln. An der Musikliste kann man ungefähr erkennen, in welche Kerbe man schlagen wollte. Bei den Neuverfilmungen der Star Trek Reihe wird z.B. „Sabotage“ von den Beastie Boys eingesetzt, um popkulturelle Relevanz und einen Wiedererkennungswert zu schaffen. Bei Suicide Squad sind es Megahits wie “Seven Nation Army” (White Stripes) oder „Without Me“ (Eminem) – sie werden im 10-Minuten-Takt eingestreut, so dass genau der gewünschte Knalleffekt nicht mehr spürbar ist.

So fühlt es sich von Anfang bis Ende auch an: überladen, lieblos und chaotisch – wie eine Collage aus dem Kunstunterricht einer Projektwoche im Jahre 1995. Aber trotzdem macht der Film soliden Spaß und ist nicht allzu ärgerlich für alle, die die Comicvorlage nicht kennen.

Katja Krüger-Schöller ist Studentin der Gender Studies an der Universität Wien.

Illusionen in der Wissenschaft

  • 21.06.2016, 22:34
Dem Verhältnis der Wissenschaft zu Bildern und Comics widmet sich „Unflattening“ – eine Doktorarbeit über Comics in der Philosophie, verfasst in Form eines Comics.

Dem Verhältnis der Wissenschaft zu Bildern und Comics widmet sich „Unflattening“ – eine Doktorarbeit über Comics in der Philosophie, verfasst in Form eines Comics.

In der Philosophie wird Wissen und Information vornehmlich über Wort und Text weitergegeben. Es gibt ein lange gehegtes, ja traditionelles Misstrauen gegenüber anderen Medien, vor allem gegenüber Bildern und ihren Mischformen.

Für dieses schlechte Verhältnis der Philosophie zum Bild als Informationsmedium wird oft Plato zur Verantwortung gezogen.

SCHATTEN AN DER WAND. Für ihn zeigt sich die Wirklichkeit nur durch Schatten in der Höhle, in der wir Menschen uns metaphorisch befinden. Nur durch das Denken in Form eines inneren Dialogs könne die Wirklichkeit erkannt werden. Obwohl Plato auch dem geschriebenen Wort als billigem Ersatz für Erinnerung und wahres dialektisches Verstehen misstrauisch gegenüberstand, billigte er es als notwendiges Übel, ganz im Gegensatz zu Bildern und optischen Wahrnehmungen, die für ihn nichts anderes waren als trügerische Illusionen, Schatten von Schatten.

Die Philosophen des Rationalismus im 17. Jahrhundert übernahmen Platos Misstrauen gegenüber Bildern und Sinneswahrnehmungen und versuchten, die Welt zu verstehen, indem sie Phänomene isoliert von diesen trügerischen Wahrnehmungen betrachteten. Dieser Ansatz führte zunächst zu großen Entdeckungen, bestärkte jedoch auch das darauffolgende Aufteilen und Abstecken der Wissenschaften in Teilgebiete. In manchen dieser Teildisziplinen scheint es dieser Tage vor allem darum zu gehen, die für die jeweilige Disziplin reklamierten Methoden und Ideen zu verfeinern und Beobachtetes als „richtig“ zu klassifizieren.

In der Physik etwa, dem Teilgebiet der Wissenschaft, in dem ich mich Expertin nennen darf, scheint es zur Zeit nur noch darum zu gehen die „theory of everything“ zu finden, in der endlich alle Kräfte, alle Phänomene mit einer Kraft, einer Formel beschrieben werden können. Überraschenderweise sind wir mit diesem Ansatz noch nicht so weit gekommen.

SEEING DOUBLE. Viele tausend Jahre nach Plato legt Nick Sousanis in seiner Dissertation „Unflattening“ dar, wie Bilder und Comics neue Perspektiven des Denkens und Verstehens eröffnen. Verfasst in Form eines Comics kann „Unflattening“ auch als Abhandlung über unsere Wahrnehmung verstanden werden. Der Sehprozess, zeichnet und schreibt Sousanis, involviert beide Augen – also zwei Perspektiven – gleichermaßen: „Our stereoscopic vision is the creation and integration of two views. Seeing, much like walking on two feet, is a constant negotiation between two distinct sources.”

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Unseren Augen gleich, ermöglichen uns Comics, aus Text wie Bild bestehend, zwei verschiedene Sichtweisen ineinanderfließen zu lassen. Denn Text ist, seiner Natur gemäß, sequentiell und linear, eine diskrete Abfolge von Wörtern. Ein Bild andererseits präsentiert alles Gezeigte auf einmal, es gibt weder Anfangs- noch Endpunkt. Wie Michael Baxandall schreibt, gibt es keine direkte Entsprechung von Text und Bild. Jede textliche Beschreibung eines Bildes presst dieses in ihre textliche, also lineare und hierarchische Form. Das bedeutet, dass Erkenntnisse und Wahrnehmungen, die sich nicht textlich ausdrücken lassen, weil sie außerhalb dieses sequentiellen Paradigmas stehen, ausgeklammert werden. In Comics aber verschmelzen der textlich sequenzielle und der bildlich simultane Charakter und bilden so eine neue Form des Verstehens, in der nun auch das zuvor Außenstehende einen Platz findet.

Kritische Stimmen mögen an dieser Stelle anmerken, dass zum Beispiel in den empirischen Wissenschaften die Verwendung von Abbildungen gängige Praxis ist, also die Comic-Idee ohnehin schon Praxis sei. Nun stimmt es zwar, dass man beim Durchschauen einer Publikation aus den Naturwissenschaften auf viele Diagramme und Graphen stößt. Es ergibt sich jedoch nicht der dialektische Text-Bild-Zusammenhang, den Sousanis meint. In einem klassischen Graphen wird eine Größe als Funktion der anderen dargestellt, zum Beispiel die Anziehungskraft zweier massiver Körper als Funktion ihres Abstandes oder das Wahlverhalten einer Bevölkerungsgruppe als Funktion ihres Alters.

Wie aus diesen Beispielen ersichtlich, besitzen Graphen ein sehr hohes Abstraktionsniveau. Graphen beantworten eine spezielle und isolierte Frage. So werden sie sogar zum Gegenspieler von Bildern, die alles Beobachtete ungeordnet und simultan preisgeben. Zudem haben Graphen in unserer heutigen Gesellschaft, ganz im Gegensatz zu Bildern, eine extreme Überzeugungskraft. Ihr reduktionistischer Charakter strahlt eine Objektivität aus, der man sich schwer entziehen kann, aber häufiger sollte.

GRAPH 4.3 ZEIGT GAR NICHTS. In den Geisteswissenschaften hingegen, und zwar vor allem in der Philosophie, wird auf Bilder jeder Art verzichtet. Es gibt zwar Philosophiecomics, diese sind allerdings entweder für Kinder oder als Infotainment gedacht. Seriöse akademische Diskussionen werden selbst in Philosophieschulen, die dem Rationalismus kritisch gegenüberstehen, ausschließlich mit Wörtern geführt. Zu sehr riechen Comics nach Anti-Intellektualismus und Reduktionismus.

Nun, wenn es um simple Graphen oder Comics zum Notfallverhalten in Flugzeugen geht, mag der Reduktionismusvorwurf, wie oben besprochen, berechtigt sein. Doch die Textversion des Flugzeugnotfallverhalten- Comics ist auch kein literarisches Meisterwerk. Die Verwendung von Comics in der Wissenschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Doch Versuche wie Sousanis Doktorarbeit zeigen, dass das Medium mehr als geeignet ist, komplexe Themen zu bearbeiten und neue Sichtweisen, und zwar solche die einer rein textlichen Darstellung verschlossen bleiben, zu eröffnen.

Carina Karner studiert Physik im Doktorat und baut Computermodelle für die Kristallisation von Kolloiden – Schatten von Schatten.

Mit Burka gegen das Böse

  • 25.06.2015, 10:58

Superheld*innen des Marvel-Verlags haben nun auch Migrationshintergrund und tragen Kopftuch. Die multikulturellen Hero*ines spielen in der Comicwelt eine genauso wichtige Rolle wie Wolverine, Thor und Iron Man.

Superheld*innen des Marvel-Verlags haben nun auch Migrationshintergrund und tragen Kopftuch. Die multikulturellen Hero*ines spielen in der Comicwelt eine genauso wichtige Rolle wie Wolverine, Thor und Iron Man.

Sie hat eine blonde, wallende Mähne, Kurven wohin das Auge reicht und zeigt  dem  männlichem  Geschlecht, wo der Hammer hängt. So kannten Comic-Fans die bisherige Ms. Marvel. Weibliche Figuren wurden stets maß- los anzüglich gezeichnet. „Mich hat bis dato die übertrieben sexualisierte Dar- stellung der Frau in Comics gestört“, kritisiert die muslimische Feministin Dudu Kücükgöl. Die idealisierte weibli- che Frau sei nicht realitätsgetreu, die Körper stets normiert. „Da ist mir eine Spidermanfigur lieber als eine Heroine mit unrealistischen Körpermaßen“, so die Wirtschaftspädagogin. Das Comic- Imperium Marvel beschloss jedoch, mit der Zeit zu gehen und realitätsna- here Charaktere zu schaffen. Dunkle Haare und Teint, eine geballte Faust verziert mit Ringen, ein Teenie in seiner Blütezeit – die neue Ms. Marvel ist rebellisch  unterwegs.

PAKISTANI-PUNK. Eine Heldin mehr im Marvel-Kosmos – was ist schon dabei? Viel, denn die inter- nationale mediale Aufmerksamkeit war groß. Grund dafür war Kamala Khan. Kamala aka Ms. Marvel ist eine US-Amerikanerin mit pakistanischen Wurzeln. Interessant ist, dass die neue Ms. Marvel Muslima ist. Bei keinem*r bekannten Superhelden*in stand das Thema Religion bisher im Vordergrund – ob  Iron Man dem Christentum oder Buddhismus zugeneigt ist, davon war nie die Rede.

Fäuste mit einer Power, die dich ins Nirvana befördern können – und längere Beine als Heidi Klum. Kamalas Skill ist  es, ihren Körper nach Lust  und Laune zu formen. Die Macherinnen* der neuen Ms. Marvel, G. Willow Wilson und Sanaa Amanat, wollten eine Figur kreieren, mit der sich viele Mädchen identifizieren können - Migrationshintergrund hin oder her.

Sanaa Amanat ist selbst US-Amerikanerin mit pakistanischen Wurzeln und hat viele eigene Erlebnisse in die Figur einfließen lassen. Somit ist Kamala ein Vorzeigemädchen des amerikanisch-muslimischen Lifestyles. „Die Comicwelt reflektiert oft gesellschaftspolitische Entwicklungen. Man kann aber auch sagen, dass der Anstieg der muslimischen Charaktere etwas mit dem modernen muslimischen Lifestyle zu tun hat“, meint Medienmanager Karim Saad.

DIE ZERISSENEN. Kamala ist übrigens nicht die erste Muslima in amerikanischen Comics, die mit traditionellen Stereotypen und Geschlechternormen konfrontiert wird. 2002 widmete Marvel einer Burkaträgerin eine komplette Serie. Sooraya Qadir, alias Dust, kann sich in einen tödlichen Sandsturm verwandeln. Durch Wolverines Hilfe kommt die Afghanin nach New York, wo sie in den Kreis der Young X-Men aufgenommen wird. Im Land der unbegrenzten Freiheit und Demokratie ist die Burka jedoch ein No-Go! Neben emanzipierten Superheldinnen muss Dust auch mit anderen Outlaws fertig werden.  Erstaunlich ist, dass Dust im kompletten Comic kein einziges Mal enthüllt wird: , Ninja-Feeling pur! Weniger Arbeit für uns, dachten sich die Zeichner"'innen. Dass es sogar Sequenzen gibt, in denen Sooraya betet, fasziniert nicht nur muslimische Comicleser*innen. Hier werden tiefe Einblicke in das Leben einer Super-Muslima gewährt, aber ebenso wird gezeigt, was es heißt, zwischen zwei Kulturen und Identitäten leben zu müssen.

Neben Marvel Comics ist auch DC Comics auf die Diversitätsschiene aufgesprungen. Bilal Asselah ist ein Franzose mit algerischen Wurzeln und Student  in  Paris. Sein Wohngebiet  liegt in Clichy-Sous-Bois, einem Pariser Vorort, in dem es 2005 tatsächlich zu Revolten kam. Nachdem Bilals Freund bei einem Feuer in einer Polizeistation umkommt, widmet sich Bilal dem Parkour und wird zu „Nightrunner“, um Chaos und Bürger*innenkriegen in der Stadt vorzubeugen. Kurze Zeit später wird Batman auf ihn aufmerksam und kürt ihn zum „Batman von  Paris“.

INTEGRATIONSLEKTÜRE 2.0. „Seine Community repräsentiert zu sehen, prägt mehr als man glaubt“, sagt Comiczeichnerin Soufeina Hamed. Das Erscheinen in Massenmedien ist ein Zeichen dafür, dass  man als aktiver und selbstverständlicher Teil der Gesellschaft angesehen wird. Saad ist derselben Meinung: „Gerade die Film- und Serienindustrie könnte hier  unglaublich viel in  den Köpfen  der jungen Menschen verändern. Man denke etwa an die massiven Erfolge der X-Men Serie, die mehr als drei Milliarden Dollar eingespielt hat.“ Leser*innen sollen sich in den Figuren wiedererkennen können. „Vielfalt in Herkunft und Aussehen machen die Figuren lebendiger und spannender“, erklärt Hamed. Außerdem werden neue Perspektiven auf brisante gesellschaftliche Themen wie Kinder aus Migrationsfamilien eröffnet.

Superheld*innen wie Bilal entsprechen dem heutigen Zeitgeist, Identität spielt hier eine große Rolle. Marvel greift damit ein heikles Thema auf. Sooraya oder Kamala sind der Inbegriff einer modernen muslimischen Frau,  die ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten will, aber auf Granit stößt. Integrationslektüre vom Feinsten, wenn man so will.

Ob die Verlage mit Vorurteilen in unserer Epoche aufräumen möchten, da sie sich ihrer immensen Reichweite bewusst sind, oder die ethnische Diversität bloß der kapitalistischen Maschinerie in die Hände gefallen ist? Die Illustratorin Hamed tendiert eher zu letzterem. „Ich würde gerne an eine sozialkritische Absicht glauben. Ich persönlich habe mir aber meinen ersten Comic wegen der pakistanischen Ms. Marvel gekauft“,  meint Hamed.

 

Nour Khelifi studiert Publizistik und Kommunikationswissenschaften und Biologie an der Universität Wien und ist als  freie  Journalistin  tätig.

ROAR!

  • 11.05.2015, 08:36
Comic-Rezension

Comic-Rezension

Die kleine 4-jährige Lena lebt bei ihrer Mama. Aber ihre Mama kann nicht richtig auf sie und sich selbst aufpassen, denn sie ist krank. Immer und überall vermutet sie Scientolog_innen, oder wie Lena sie nennt „Seintogen“, die sie bedrohen und verfolgen. Viel erfährt man nicht über den Hintergund von Lena und ihrer Mama. Offen bleibt zum Beipiel der Name der Krankheit von Lenas Mama, oder warum sie keinen Job, dafür eine Faszination für Amerika hat. Was man aber weiß, ist, dass ihre Mama vergisst einzukaufen, den Wohnungsschlüssel einzustecken und den Geburtstagskuchen aus dem Rohr zu nehmen. Immer wieder ist sie aggressiv gegenüber anderen Menschen wie Frau „Blöde Kuh“ Gehring vom Jobcenter, „Wertloser Dreck“-Passant_innen auf der Straße oder „Abschaum“-Menschen vom Jugendamt.

Irgendwann eskaliert die Situation und Lenas Mama wird gegenüber einer Frau handgreiflich. Danach passiert alles schnell. Frau Siebert, Lenas Mama, wird in ihrer Wohnung verhaftet und mitgenommen. Lena muss bei den Polizisten bleiben bis sie Roswitha, ihre neue Pflegemutter, abholt. Bei ihren Pflegeeltern bekommt Lena ein Zimmer in einem Haus mit Garten und einen Bruder. Und doch kehrt nicht das Gefühl der Ruhe und der Erleichterung eines Happy Ends ein. Lena vermisst ihre Mama und vergisst sich auch nicht über eine klassisch bürgerliche Familienstruktur mit Bonbon-Pillen, einem abwesenden Ehemann/Vater und einer geduldigen, aber überforderten Pflegemutter. Es gibt zwar unverkokelten Kuchen, Schule und Kakao, aber traurig ist Lena trotzdem.

Raphaela Buder schafft es in Grau-Weiß-Schwarz auf manchmal hellrosanem Hintergrund ein unstetes Leben aus der Perspektive eines Kindes zu skizzieren. Die weichen Bleistiftzeichnungen stehen im Kontrast zu den drastischen Erlebnissen. Und doch schafft Buder es durch die realistische Konkretheit ihrer Bilder den Schmerz, das Nicht-verstehen-Können und die Verwirrung Lenas aufs Papier zu bringen. „Die Wurzeln der Lena Siebert“ zeigt die Schwierigkeiten eines kleinen Mädchens, das auf sich selbst aufpasst, aber trotzdem ihre Mama lieb hat.

Raphaela Buder (edit: inzwischen Raphaela Doğan): „Die Wurzeln der Lena Siebert“
mairisch verlag, 128 Seiten
14,90 Euro

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

 

Comic-Rezension

Die kleine 4-jährige Lena lebt bei ihrer Mama. Aber ihre Mama kann nicht richtig auf sie und sich selbst aufpassen, denn sie ist krank. Immer und überall vermutet sie Scientolog_innen, oder wie Lena sie nennt „Seintogen“, die sie bedrohen und verfolgen. Viel erfährt man nicht über den Hintergund von Lena und ihrer Mama. Offen bleibt zum Beipiel der Name der Krankheit von Lenas Mama, oder warum sie keinen Job, dafür eine Faszination für Amerika hat. Was man aber weiß, ist, dass ihre Mama vergisst einzukaufen, den Wohnungsschlüssel einzustecken und den Geburtstagskuchen aus dem Rohr zu nehmen. Immer wieder ist sie aggressiv gegenüber anderen Menschen wie Frau „Blöde Kuh“ Gehring vom Jobcenter, „Wertloser Dreck“-Passant_innen auf der Straße oder „Abschaum“-Menschen vom Jugendamt.

Irgendwann eskaliert die Situation und Lenas Mama wird gegenüber einer Frau handgreiflich. Danach passiert alles schnell. Frau Siebert, Lenas Mama, wird in ihrer Wohnung verhaftet und mitgenommen. Lena muss bei den Polizisten bleiben bis sie Roswitha, ihre neue Pflegemutter, abholt. Bei ihren Pflegeeltern bekommt Lena ein Zimmer in einem Haus mit Garten und einen Bruder. Und doch kehrt nicht das Gefühl der Ruhe und der Erleichterung eines Happy Ends ein. Lena vermisst ihre Mama und vergisst sich auch nicht über eine klassisch bürgerliche Familienstruktur mit Bonbon-Pillen, einem abwesenden Ehemann/Vater und einer geduldigen, aber überforderten Pflegemutter. Es gibt zwar unverkokelten Kuchen, Schule und Kakao, aber traurig ist Lena trotzdem.

Raphaela Buder schafft es in Grau-Weiß-Schwarz auf manchmal hellrosanem Hintergrund ein unstetes Leben aus der Perspektive eines Kindes zu skizzieren. Die weichen Bleistiftzeichnungen stehen im Kontrast zu den drastischen Erlebnissen. Und doch schafft Buder es durch die realistische Konkretheit ihrer Bilder den Schmerz, das Nicht-verstehen-Können und die Verwirrung Lenas aufs Papier zu bringen. „Die Wurzeln der Lena Siebert“ zeigt die Schwierigkeiten eines kleinen Mädchens, das auf sich selbst aufpasst, aber trotzdem ihre Mama lieb hat.

Raphaela Buder (edit: inzwischen Raphaela Doğan): „Die Wurzeln der Lena Siebert“
mairisch verlag, 128 Seiten
14,90 Euro

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

 

Holzfällen – jetzt auch für Mädchen!

  • 28.10.2014, 01:35

Lumberjanes. Eine Comic-Rezension.

Lumberjanes. Eine Comic-Rezension.

Den Herbstbeginn haben Leseratten lang erwartet: Endlich wieder Tee trinken und Geschichten über die Sommerabenteuer anderer Leute lesen! Im Falle von „Lumberjanes“ spielen sich diese rund um ein Pfadfinderinnenlager ab. Der Comic, geschrieben von Grace Ellis und Noelle Stevenson und gezeichnet von Brooke Ellen, hat bereits sechs Teile und erscheint monatlich.

Die fünf Freundinnen Mal, Jo, Molly, Ripley und April erleben in „Lumberjanes“ eine atemberaubende Episode nach der anderen. Das Camp verlangt ihnen tagsüber Einiges ab, Nachtwanderungen planen sie selbst. Die dreiäugigen, gruseligen Flug-, See- und Landmonster, denen sie bei ihren Trips begegnen, spielen allerdings nur eine Nebenrolle in der Welt der Mädchenpartie. Ein genauer Blick auf die Namen verrät Einiges: Ripley ist eindeutig eine Hommage an Ellen Ripley aus „Alien“ und April sieht April O’Neil aus den „Teenage Mutant Ninja Turtles“ sogar etwas ähnlich. Bunt zusammengewürfelt sind die Looks der jungen Frauen – Sidecuts, Hotpants, Flanellhemden, alles geht! Garantiert Spaß gibt es, wenn sie mit Autoritäten wie der Campaufseherin Jen darüber verhandeln müssen, ob nach einem Regelverstoß die Eltern angerufen werden oder nicht. Diese Strafe wäre nämlich – im Gegensatz zur Begegnung mit den Seemonstern – der absolute Horror.

Der Zusammenhalt zwischen den Mädchen sowie die individuellen Einstellungen zu Autoritäten und Regeln machen jede Seite spannend und lassen die Sympathien des Publikums immer wieder zwischen den Charakteren wechseln. Außerdem wird die Coming- of-Age-Geschichte mit sehr viel Wortwitz und Situationshumor erzählt: An einem Tag bekommt man ein Abzeichen für Aufmüpfigkeit, am anderen ertrinkt man fast in einem Fluss; zur Kampfausrüstung zählen Haargummigeschosse und Netze aus Freundschaftsbändern. So etwas hätte es bei „Indiana Jones“ oder im „Jurassic Park“ nicht gegeben! Aber zum Glück haben wir jetzt „Lumberjanes“. Ideal auch als Geschenk – etwa für heranwachsende Familienmitglieder, die statt zu den Lumberjanes nur jedes Jahr ins vergleichsweise langweilige Ferienlager geschickt werden.

 

Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.

www.comixology.eu/Lumberjanes/comics-series/16309

Superheldin in Zivil

  • 05.02.2015, 13:02

Comic-Rezension

Comic-Rezension

Da geht’s rund, dêh! In der Graphic Novel „Aya“ von Marguerite Abouet wird das Leben der jungen Aya in Yop City an der Elfenbeinküste erzählt. Mit allen Ecken und Kanten – differenziert und detailreich in Farbe bebildert von Clément Oubrerie. Es wäre eine klassische Coming-of-Age- Geschichte mit partywütigen Teenies, Herzschmerz und Missverständnissen, wenn da nicht auch Aya wäre, die sich ihr Leben anders vorstellt. Sie will nach ihrem Schulabschluss Medizin studieren. Schmusen im Hotel der Sterne? Keine Zeit. Heiraten? No way. Aber Aya ist keine egozentrische Streberin. Mit Weitblick und Gerechtigkeitssinn hilft sie nicht nur ihren Freund_innen Bintou und Adjoua aus der Patsche, sondern auch vielen anderen in Yop City. In einer Stadt, in der es wie in einer Telenovela zugeht, ist das keine leichte Aufgabe. Aya unterstützt nicht nur Bintou dabei, sich ein Leben als Alleinerzieherin aufzubauen, als diese unerwartet schwanger wird, und verhilft dem schüchternen Hérve zu Selbstvertrauen und einem Job als Automechaniker; sie wird auch die Vertraute des schwulen Innocent, der mit seiner homophoben Umgebung kämpft. Als ob das nicht schon genug wäre, organisiert sie eine Rettungsaktion, um Félicité, die von ihrem Vater ins Dorf verschleppt wird, wieder nach Yop City zurückzubringen und spürt mit Adjoua die heimlichen Affären ihrer Liebhaber auf. Aya, die Superheldin in Zivil. Als sich Aya jedoch gegen ihren Biologie-Prof wehrt, der seine Student_innen vergewaltigt, droht er ihr die Zukunft als Ärztin zu zerstören. Scham und Hilflosigkeit setzen Aya stark zu, alles wird zuviel – sie kann nicht mehr und wird krank. Nun sind ihre Freund_innen am Zug und sie lassen Aya nicht hängen. Vor allem die wütende Adjoua sorgt dafür, dass Ayas Biologie-Prof schlussendlich verhaftet wird. Abouets und Oubreries Graphic Novel rechnet auch mit eurozentristischen Vorurteilen gegenüber Afrika ab. Mit vielfältigen Charakteren, aufwendigkonkreter Bildsprache und Geschichten über Alltag und Abenteuer schenken sie den Leser_innen eine Alternative zum kolonialistischen Blick auf ein Leben an der Elfenbeinküste.

Marguerite Abouet, Clément Oubrerie: „Aya“ und „Aya: Leben in Yop City“ Reprodukt, 360 und 364 Seiten jeweils 39 Euro

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Uni Wien.

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