CD-Rezension

Aivery – „Because“

  • 20.06.2017, 22:13

KATJA: Aivery bestehen aus Gitarre (Jasmin Rilke), Bass (Franziska Schwarz) und Schlagzeug (Doris Zimmermann). Nicht nur die Besetzung ist typisch für Bands von Anfang der 90er Jahre, sondern der Sound im Kern auch – aber eben auch nur dort. Was zur Krönung des Debütalbums von Aivery entscheidend beiträgt, ist ein präzises Gefühl für laut und leise, Krach und Pop, Melodie und Rage. Schließlich hat Grunge seit über zwanzig Jahren ausgedient und was wir hier haben, ist ein volles, abwechslungsreiches und mitreißendes Werk dreier junger Frauen. Was auf dem Album in eine halbe Stunde Musik gepresst wird, eignet sich genauso gut für die Freistunde am Schulhof, die man im Raucher_inneneck verbringt, wie für alle Festivals in diesem Sommer. Live hat die Band jedenfalls in den letzten fünf Jahren genug Erfahrung gesammelt, um problemlos alle bevorstehenden Festivals in Europa bespielen zu können. Wenn das Album nur als akustischer Füller zwischen den Acts laufen sollte, werden sich bestimmt viele fragen, welches unbekannte Album von Sleater-Kinney das ist.

MARIE LUISE: Aivery wurde 2012 gegründet, jetzt kommt ihr erstes Album bei Siluh heraus. Bisher gab es eine 7-Inch-Platte und eine Kassette. Die drei Frauen an Gitarre, Bass und Schlagzeug bewegen sich zwischen Grunge, Noize und Punk. Manchmal wird riotgrrrlig geschrien, oft ist aber die Stimme von Franziska Schwarz zu hören, die ungebrochen, samtig abgemischt und gut zu verstehen die englischen Texte singt. Der Song Don’t you dare war auch schon auf dem Nono- Sampler vertreten, auf dem es um female* Bands ging, die über das Nein- Sagen singen. Secret war schon auf Aiverys 7-Inch zu hören, kommt jetzt aber in neuem Gewand, neu aufgenommen und gemischt. Ich mag den ersten Teil von Not Sorry gern, in dem einen Gitarre und Beat wie in einen Strudel hineinziehen. Zu Aivery lässt sich in kleinen Underground-Punk-Lokalen tanzen und auch beim Hören daheim muss ich mitwippen, ganz besonders beim immer wiederkehrenden Gitarrenriff von Space Between, vielleicht musikalisch meinem Lieblingssong auf der Platte.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

SXTN – „Leben am Limit“

  • 20.06.2017, 22:10
Die laut Selbstbezeichnung im ersten Track „talentlosen Fotzen“ von SXTN haben endlich ein Album gemacht

KATJA: Die laut Selbstbezeichnung im ersten Track „talentlosen Fotzen“ von SXTN haben endlich ein Album gemacht, yaaaaas. Jetzt kann man sich die derben Texte von Juju und Nura auf Albumlänge anhören und das lohnt sich. Die zwei Rapperinnen aus Berlin, die auf Four Music gesignt sind und zum Beispiel mit Haftbefehl auf Tour waren, haben nichts von ihrem Drive einbüßen müssen, der bei ihrer EP Asozialisierungsprogramm und in den vorgeschossenen Singles zu spüren war.

Auf wie viele verschiedene Arten die beiden sich dem Sprachgebrauch von Rappern [sic] annehmen und die Rollen vertauschen ist genial. Sie rappen darüber, einen Ständer zu kriegen und (d)eine Mutter zu ficken. Angenehm selbstreflexiv wird es bei Tracks wie Ausziehen, der Sprüche des Publikums bezüglich des Entkleidens der Rapperinnen auf der Bühne aufgreift. Der Re- Album nur als akustischer Füller zwischen den Acts laufen sollte, werden sich bestimmt viele fragen, welches unbekannte Album von Sleater-Kinney das ist. Marie Luise: Aivery wurde 2012 gegründet, jetzt kommt ihr erstes Album bei Siluh heraus. Bisher gab es eine 7-Inch-Platte und eine Kassette. Die drei Frauen an Gitarre, Bass und Schlagzeug bewegen sich zwischen Grunge, Noize und Punk. Manchmal wird riotgrrrlig geschrien, oft ist aber die Stimme von Franziska Schwarz zu hören, die ungebrochen, samtig abgemischt und gut zu verstehen die englischen Texte singt. Der Song Don’t you dare war auch schon auf dem Nono- Sampler vertreten, auf dem es um female* Bands ging, die über das Nein- Sagen singen. Secret war schon auf Aiverys 7-Inch zu hören, kommt jetzt aber in neuem Gewand, neu aufgenommen und gemischt. Ich mag den ersten Teil von Not Sorry gern, in dem einen Gitarre und Beat wie in einen Strudel hineinziehen. Zu Aivery lässt sich in kleinen Underground-Punk-Lokalen tanzen und auch beim Hören daheim muss ich mitwippen, ganz besonders beim immer wiederkehrenden Gitarrenriff von Space Between, vielleicht musikalisch meinem Lieblingssong auf der Platte. Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien. frain besteht angenehmerweise nur aus dem Schlachtruf „Ausziehen! Ausziehen!“, den ich mir in einer Konzertsituation – von oben nach unten gerufen – sehr befreiend vorstellen kann.

Marie Luise: SXTN fordern heraus, sie provozieren mit expliziten Raplyrics. Ihren großen Durchbruch hatten sie mit Ich fick deine Mutter und dem dazugehörigen Video auf Vimeo mit nackten Frauen, Explosionen und Gras. Mit dem Motto „Jeder Hater ist ein Klick mehr“ mischen sie den Klischeetopf ordentlich durch, versprechen in den Texten eins auf die Nase, zelebrieren sich als starke Frauen und nutzen selbstbestimmt sexualisierte Kleidung und Posen für sich. Inwiefern das Reproduktion von sexistischen Klischeebildern ist, kann jede* für sich entscheiden, und inwiefern jede* die destruktiven Rhymes bis zum Schluss supporten will auch. Was deutlich ist: Es funktioniert. Das neue Album erzählt vom jüngsten Erfolgsschub. Der Titel des ersten Lieds auf der Platte ist Programm. Da schimpfen sie auf Mackerrapper und machen „Realtalk von nem Mannsweib, was ja doch ein bisschen rappen kann, anscheinend“. Andere Songs heißen Ständer, Partyopfer oder Frischfleisch. In Er will Sex singen sie „Du willst mich ficken, aber du darfst es nicht, weil ich es verbiete“. SXTN besitzen sich selbst und sind dabei wahnsinnig cool.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

The XX – „I See You“

  • 11.05.2017, 09:00
Katja und Marie Luise haben sich The XXs "I see you" angehört.

Katja: Bei der Vorabsingle „On Hold“ musste ich mich doch sehr wundern, in welche Richtung sich The XX bewegen. Der Song klang extrem aufgesetzt nach 80er-Jahre-Synthieschnulze, vor allem durch das Vocalsample von Hall & Oates von „I Can’t Go For That (No Can Do)“ im Refrain, das mich extrem nervte. Auch inhaltlich bot der Track keinerlei Reiz, ganz im Gegenteil (ein Lovesong, der davon handelt, dass man dachte, man hätte jemanden „on hold“ – cringeworthy!). Doch zum Glück war „On Hold“ wirklich ein totaler Ausreißer und der Rest des Albums überzeugt mühelos. Die Kernkompetenz von The XX liegt einerseits im melancholischen, perfekt arrangierten Zweigesang zwischen Romy und Oliver und andererseits in den langsamen, minimalistischen Schleppbeats von Jamie. Von beidem gibt es auf dem Album mehr als genug. Ganz besonders „Say Something Loving“ hat es mir angetan. Dieses sehnsüchtige Duett zwischen zwei Liebenden, die nostalgisch in die Vergangenheit schauen und einen Funken Liebe einfordern, ist herzzerreißend schön. Die entschleunigten Sounds von The XX kann ich mir täglich anhören und es wird nicht langweilig.

Marie Luise: Mir fällt es beim Hören schwer, festzumachen, was das Neue auf „I See You“ von The XX ist. Es hat sich etwas verändert, soviel ist klar. Die Stimmung bleibt, aber musikalisch scheint vieles reicher geworden zu sein. The XX sind immer schon durch Ruhe und sensible Gefühlstexte aufgefallen. Wörter, die in einer Rezension in Kombination mit The XX aufzählbar sind: Elektronik, Soundscapes, Beatarchitektur, Stimmungen, Musikräume, Flächen. Auf ihren vorherigen Alben haben sie ihre Arrangements so gewählt, dass die Lieder live auf Bass, Gitarre und programmierter Drummachine zu spielen waren. Dieses Mal hatte der Produzent der Band, Jamie XX, der 2015 sein erstes Soloalbum („In Colour“) herausgebracht hat, viel mehr Freiheiten, an den Beats, den hier und dort unauffällig eingespielten elektronischen Strings und den Bläsern zu feilen. In den Liedern ist ein größeres Spektrum an Varianten dazugekommen, produktionstechnisch, aber auch im Gesang. Sie sind so ernst dabei, über die großen Gefühle zu singen, wie es auch Teenager sind. So ernst, wie die großen Gefühle sich auch anfühlen, wenn man verliebt ist. The XX zu hören ist schön. Es geht einem ein bisschen das Herz auf und man kann dazu großartig schmusen. Tanzen vielleicht weniger.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien, nur dieses Semester nicht.Marie Luise Lehner studiert
Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

Schnipo Schranke – „Rare“

  • 11.05.2017, 09:00
Katja und Marie Luise haben sich Schnipo Schrankes „Rare“ angehört.

Katja: Seit der Single „Pisse“ sind sie die deutschen Lieblinge des Feuilletons, werden gelobt von der Süddeutschen, der FAZ und im Intro: Schnipo Schranke. Das Duo bringt das neue heiße Ding, das früher etwa „freche Frauen“ genannt wurde, endlich in den rechten Rahmen. Fäkalien, Liebeskummer und Tierleichen sind die Themenschwerpunkte der Band – also sehr nah an ähnlichen Ausnahmekünstlerinnen wie Stefanie Sargnagel, aber eben auch grob vertont. „Grob“ schreibe ich, um nicht das minderwertige „rotzig“ schreiben zu müssen, da seltsamerweise immer nur Musik weiblicher Musikerinnen mit dieser Eigenschaft versehen wird. Das neue Album „Rare“ knüpft nahtlos an „Satt“ aus 2015 an. Sie klingen manchmal wütend, angepisst, gelangweilt, leicht apathisch gar, haben aber immer eine grauslich-spannende Geschichte zu erzählen. Mal gibt es eine tote Katze zum Geburtstag, mal spielt sich der ganze Song um eine trashig-lustige Wortspielerei herum ab („Pimmelreiter“) – das Intro hingegen ist eine melancholische Instrumentalnummer. Es hat sich schon einiges getan in den letzten zwei Jahren. Es wird auch erwähnt, dass sie jetzt berühmt seien und dass sich trotzdem nicht viel geändert habe. Die Reime sind immer noch so schräg und real, dass es Helge Schneider die Barthaare vor Neid weiß gefärbt hat.

Marie Luise: Schnipo Schranke sind mir das erste Mal mit dem Song „Pisse“ aufgefallen, in dem sie auf lustige Weise stereotyplos, unrein, rotzig und stark gereimt haben. Schon damals fand ich die anderen Lieder nicht so aufregend. Auf dem neuen Album ist leider auch nicht viel Spannendes passiert. Musikalisch besticht es recht wenig. Ich höre mich durch die Platte, höre auf, als das Lied „Stars“ mit „Ne Nutte spricht mich an, weil ich mich einfach nicht als Frau verkleiden kann“ beginnt. Könnte spannend werden, denke ich. Es geht dann aber hauptsächlich um das egozentrierte Leben „unserer Generation“. Das Thema ist leider genauso alt wie „unsere Generation“. Um eine ähnlich passive Haltung gegenüber dem Rest der Welt geht es in dem Lied mit dem Titel „Pimmelreiter“ mit dem Refrain „Ich bin der Pimmelreiter (…) Ich reit’ durch Pipi, Sperma und so weiter“. Es kann schon ziemlich cool sein, wenn all-female*-bands über Sekrete und Körperflüssigkeiten singen, bloß alleine reicht das halt auch nicht. Ich hab die beiden in ihrem Auftreten aber zu gern, um jetzt so schlecht über sie zu enden. Das nächste Album zum Beispiel könnte richtig gut werden, wenn sie mal was Neues ausprobieren und aus der erprobt-bewährten Komfortzone herauskommen.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien, nur dieses Semester nicht.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

Imany – The wrong kind of war

  • 23.02.2017, 19:15

Katja: Imany sollte man wegen ihres Nr.-1-Hits „Don’t Be So Shy“ kennen, der heuer als Remix schon die österreichischen Charts angeführt hat. Das lässt schon vermuten, dass Imanys Stimme und Songwritingqualitäten erste Sahne sind – aber für einen Superhit braucht es manchmal ein paar zusätzliche Beats und Breaks. So kann man nur hoffen, dass sie auf Albumlänge noch ein paar Fans mehr gewinnen kann, ganz allein und durch die Geschichten, die sie eher ruhig und unaufgeregt erzählt. Und tatsächlich sind die Geschichten der Kern der Songs auf „The Wrong Kind Of War“. Normalerweise finde ich Singer-Songwriter- Alben nicht so spannend, aber Imany überzeugt mich auf dieselbe Art, wie mich damals Norah Jones von sich überzeugen konnte. Es war nicht besonders cool oder edgy, diese Musik zu hören, aber muss es denn immer Gitarrenlärm oder Elektrogefriemel sein? Von der durch Imany kreierten musikalischen Atmosphäre und ihrer einlullenden Stimme kann sich selbst Feist noch was abschneiden.

Marie Luise: „The Wrong Kind of War“ ist vier Jahre nach Imanys viel gefeiertem Debütalbum „The Shape of a Broken Heart“ erschienen. Damals hat die Pariserin über 400 Konzerte gespielt und fast eine halbe Million Alben verkauft. Mit ihrer im Juli erschienenen Single „Don’t be So Shy“ war sie wochenlang Nummer eins in den französischen Charts. Imany hat zunächst als Model gearbeitet und ihre Musikkarriere viel später begonnen, als die meisten andern MusikerInnen, die derart hohe Verkaufszahlen erzielen. Auch für die Musik auf der neuen Platte hat sie sich viel Zeit genommen. Sie sagt, sie habe sehr viel geschrieben und wieder verworfen, sie sei viel gereist und habe die Lieder für „The Wrong Kind of War“ in Paris und Dakar aufgenommen. Der Sound erinnert manchmal an Tracey Chapman, manchmal an Bob Dylan. Ihre neuen Lieder sind von einer starken Melancholie durchzogen. Zu den meisten Songs gibt es schöne Videos. Imany singt über Liebe und Gefühle, ist aber auch sozialkritisch. Im ersten Song des Albums singt sie über den medialen Umgang mit Kriegsberichterstattung und Gewalt, die im Fernsehen verherrlicht werde. In „There were Tears“ singt sie „Freedomfighters, here I am, knock on my door“ und später im Song: „If there is no justice, there will be no peace“.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie.

Milliarden – Betrüger

  • 23.02.2017, 19:07

Katja: Ich hab die Band Milliarden zum ersten Mal im Radio gehört, was heutzutage bei mir selten genug vorkommt. Es war der Song „Oh Cherie“ und zu Beginn hab ich nicht wirklich auf den Text geachtet, sondern mich gefreut, mal wieder einen guten Rocksong zu hören. Meine Schwäche für deutschen Jungs*schrammelkram ist allgemein bekannt, deswegen sollte mir Milliarden zusagen. Als ich dann aber, ein paar Tage später, den Song noch einmal hörte und sich der Text in meinen Kopf bohrte, war der Zauber dahin. Da wird tatsächlich eine schlichtweg gewalttätige Beziehung verharmlost mit Zeilen wie „damit du meine Liebe spürst, tu ich dir weh“. Das geht einfach nicht, das kann ich mir unmöglich anhören. Als Marie diese Platte für die Rezensionen vorschlug, wollte ich der Band noch eine Chance geben und mir ihren Langspieler „Betrüger“ anhören. Doch es sollte noch viel schlimmer kommen. Zum Beispiel mit dem Song „Freiheit is ne Hure“. Da singt Frontman Ben Hartmann von Dingen, die er gerne wäre (Mörder, Terrorist, Denker und reich), und auch von Dingen, die er gerne hätte: Krieg, Frieden, HIV und Armani. Ja, richtig. Kein Scherz. HIV und Armani kommen tatsächlich so nebeneinander vor. Passend dazu bezeichnet er die Freiheit als Hure und sich als ihr Kind. Mehr muss ich eigentlich nicht dazu sagen. Privilegierte Lausbuben wollen „Punk“ machen.

Marie Luise: „Du reißt mir die Haare aus, ich schlag dir die Zähne ein“, sind die ersten Zeilen der Platte und genau so geht es weiter. Schon bevor ihr Debütalbum erschienen ist, haben die beiden Musiker Ben Hartmann und Johannes Aue riesige Konzertsäle gefüllt. Bei „Rock im Park“ haben sie sogar die Hauptbühne vor tausenden ZuschauerInnen eröffnet. Die Band versucht mit eingängigen Lines zu glänzen. Der Stil erinnert an Ton, Steine, Scherben, schafft es aber nicht, an das Vorbild heranzukommen und entpuppt sich als bloße Kopie von etwas, das es schon in verschiedensten Spielformen gab. Wir haben es mit Mackern zu tun. Einer der Songs auf dem Album heißt „Freiheit is ne Hure“. Auf dem Cover sind zwei abgetrennte Köpfe und gespreizte Frauenbeine zu sehen. Es ist erstaunlich, wie viel Bühne es für Männermusik gibt. Irgendwann beim Hören muss man unweigerlich an Wanda denken. „Und ohne was zu haben, habe ich Milliarden“, singt Ben. Das Album klingt nach Wohlstandspunk.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie.

Cage the Elephant – „Tell me I’m pretty“

  • 08.03.2016, 19:48
Katja und Marie Luise rezensieren „Tell me I’m pretty“ von Cage the Elephant.

Marie Luise: Kaum läuft bei mir zuhause die neue Platte von „Cage the Elephant“ habe ich das Gefühl, ich kann und will mitsingen, will ein bisschen tanzen. Über sympathischem Indierock liegt eine angenehme Frauenstimme. „Cage the Elephant“ haben sich mit ihrem neuen Produzenten Dan Auerbach (Frontmann der Black Keys), der an „Tell me I’m pretty“ mitgearbeitet hat, in der Qualität ihrer Aufnahmen eindeutig gesteigert. Auf dem Cover ist eine rothaarige dünne Frau zu sehen, die romantisch zum Himmel schaut und so aussieht, als habe sie ein wenig zu viel Sonne abbekommen. Die Lyrics sind gut, die Songs fließen ineinander und funktionieren. Keines der Lieder sticht besonders heraus, zu allem lässt sich mit dem Kopf wippen, zurück bleibt ein angenehmes Gefühl. Charakterisieren würde ich das als „Sag mir, dass ich schön bin, aber sonst ist alles, alles in Ordnung“-Gefühl. Diesen Sound würde ich gerne in der Früh nach ekstatisch durchgetanzten Nächten oder auf einem langen Roadtrip hören. Vor meinem inneren Auge entstehen Bilder von den Mädchen im Club, die verschwitzte Haare psychedelisch in ihre Gesichter hängen lassen.

Katja: Also, „Cage the Elephant“, „Tell Me I’m Pretty“, nun ja, … die Platte läuft schon zum dritten Mal bei mir durch und mir fällt einfach gar nichts ein, was diesen Sound gut beschreiben würde. Moment, das ist gelogen, ich muss es umformulieren: Mir fällt dazu nichts ein, was nicht schon eine Milliarde Mal aufgeschrieben wurde. Wie viele vierköpfige Gitarrenbands aus den Vereinigten Staaten wird es wohl geben, die Indierock spielen? Mir fallen auf Anhieb gerade einmal 43 ein, von denen ich mir bei dreien nicht ganz sicher bin, ob sie nicht vielleicht aus Skandinavien kommen. Anyway, die drei Adjektive, die mir spontan zur Musik einfallen: beliebig, langweilig, Arschgeweih. Ich würde den Platz auf diesem Blatt Papier in diesem Magazin gerne für etwas Sinnvolleres nutzen, ein Kochrezept vielleicht oder eine Strickanleitung. Passend dazu tönt im Hintergrund gerade Sänger Matthew Schultz die beispielhafte Zeile „du dudub du du, oh yeah“. Die Recherche über Band und Album hat überhaupt keinen interessanten, erwähnenswerten Fakt ans Licht gebracht, es tut mir leid. Die Band soll – wie jede andere auch – live eine unheimliche Energie versprühen. Sänger Matt und Gitarrist Brad sind Brüder. Die Namen reimen sich. Total crazy.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.
Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Universität Wien.

David Bowie – „Blackstar“

  • 08.03.2016, 19:39
Malte und Moritz haben David Bowies letztes Album rezensiert.

Malte: „Blackstar“ ist David Bowies 25. und letztes Studioalbum, zwei Tage nach der Veröffentlichung verstarb der Meister. Wesentlich experimenteller als das, was die/der durchschnittlich versierte KennerIn des Pop von Bowie eben kennt, dürfte es in Bezug auf Klangfarben und Stimmung mit sehr viel Jazz- und Rockeinflüssen überraschen. Weil man jetzt Experte/In ist und das Album sehr überraschend quasi aus dem Grabe heraufschallen hört, lauscht man natürlich auf die inzwischen prophetisch gedeuteten Zwischentöne, die Themen Tod und Mortalität. In „Lazarus“, der Single, singt Bowie etwa „I'm in heaven […], everybody knows me now“. Es ist tatsächlich auf ehrliche Weise tragisch, aber auch sehr kryptisch, vor allem für eine/n frischgebackene/n Experte/In. Die Ausnahme bietet da vor allem „Girl Loves Me“, das durch sein treibendes Jazzschlagzeug, merkwürdig dissonante Instrumente und Bowies brechende Stimme, die in Polari, einem Slang aus der Londoner Gay-Scene der 70er, singt, aus der großen Melancholie des Albums ausbricht. Als Experte/In muss man „Blackstar“ wohl als Abschied, als Bowies Ahnung seines Todes hören, aber es ist auch einfach ein vielfältiges, schönes Album, vor allem für Freund/ innen von rätselhafter Traurigkeit und Alt-Saxophonen. Es gibt wirklich viel Saxophon, straight aus den 80ern.

Moritz: Wenn man, so wie ich, mit dem Schaffen Bowies wenig bis gar nicht vertraut ist, kann man sein letztes Album auch nicht im Kontext eines Lebenswerks betrachten. Nicht wissend, worauf man sich einlässt, ist es schwierig, Zugang zu „Blackstar“ zu finden, das mit einem Stück von zehn Minuten Länge mit so einigen Längen beginnt. Die darauf folgenden 35 Minuten Spielzeit decken das gesamte Spektrum von unerträglich triefend bis hin zu packend mitreißendem Musikgenuss ab. Kein Stück möchte sich mit irgendetwas vergleichen oder sich gar in eine musikalische Schublade einordnen lassen. Wenn überall, im einzelnen Track, aber auch innerhalb des gesamten Albums, alles bricht, Bowie über packende Rhythmen hinwegnölt und nichts zusammenpassen möchte, kann man das toll finden, es ist aber oft einfach nur anstrengend. Abgesehen von „Sue (Or in a Seasonofcrime)“ und „Girl Loves Me“ werde ich mir keines der Lieder bewusst ein drittes oder viertes Mal anhören wollen.

Malte Röhricht studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.
Moritz Rauch studiert Soziale Arbeit an der Fachhochschule Wien.

Alt-J This is all yours

  • 28.10.2014, 02:01

Zwei Mal hingehört

Zwei Mal hingehört

Kati: Stilistisch und thematisch schließen die drei Briten von . „This Is All Yours“ nahtlos an ihren Erstling an – Intros und Interludes, Kombination aus Gitarren, Synthies und schwarzem Chorbubenhumor. Mit „Love is the warmest colour“ (in „Nara“) oder einer Begehrenserklärung klärung der brachialen Art („Every Other Freckle“) zwischenmenschelt es auch hier. Vielleicht nicht unbedingt innovativ – aber ein verdammt guter Herbst-Soundtrack: als Begleitung auf Spaziergängen durch sonnenbeschienenes, leicht vermodertes Herbstlaub oder im Duett mit Regentropfen, die gegen die Straßenbahnscheiben schlagen. Ein Album, das abwechselnd Melancholie und Glückseligkeit produziert und schließlich wie ein heißer Kakao mit viel Rum wirkt. Und für Leute, die das Herbstgedöns nicht mehr hören können: „Left Hand Free“ sage ich eine Zukunft in der Sommerhandywerbung voraus.

Katja: Die schwierige zweite Platte: Viele Bands sind schon an dieser Aufgabe gescheitert. Je erfolgreicher das Debüt, desto tiefer kann der Fall des Nachfolgers werden. alt-J stellten sich dieser Herausforderung und verloren zwischendurch zwar einen Drummer aus dem Bandgefüge, hatten sich aber gut genug im Griff, um nach der Welttour zu „An Awesome Wave“ bald genug neue Songs zu schreiben. Auf „This is All Yours“ kann man sich nun davon überzeigen, dass alt-J gekommen sind, um zu bleiben. Wer sich nach einer Tastenkombination auf dem Mac benennt, handelt sich schnell einen Ruf als One-Hit-Hipster-Wonder ein, doch sind Fans und KritikerInnen längst davon überzeugt, dass in den Engländern Talent steckt. Ein wenig gebrochen und experimentell können die Tracks sein, aber auch straighte Nummern sind dabei. Hier ein einminütiges Panflötenstück, da ein Miley-Cyrus-Sample. Es empfiehlt sich, weniger mit dem Kopf und eher mit dem Herzen hinzuhören.

Beyoncé – „Lemonade“

  • 21.06.2016, 19:30

Marie Luise: Beyoncés neues Album, zu dem es einen abendfüllenden Begleitfilm gibt, handelt von Wut. Unter anderem lassen sich Anspielungen auf Jay Zs außereheliche Affären herauslesen. Worum es aber viel stärker geht, ist eine hochpolitische Wut. Das Video zu „Formation“ wurde am Vorabend der Super Bowl in den U.S.-amerikanischen Medien heiß diskutiert. Es geht um rassistische Polizeigewalt und zeigt Beyoncé, wie sie auf einem Streifenwagen sitzt, der langsam untergeht. Die Polizei zeigte sich weitgehend empört, viele Polizist*innen weigerten sich, bei Beyoncés Konzerten den Security Service zu übernehmen. Weiße Republikaner*innen gaben öffentlich kund, dass eine Musikerin, die sich so polizeikritisch äußert, keinen Platz bei der Super Bowl haben sollte. In ihrer Performance auf dem Mega-Event bezog sich die Künstlerin dann mittels Kleidung auf die Black Panthers und durch die Choreographie (die Tänzerinnen waren in Form eines X aufgestellt) auf den Schwarzen Bürgerrechtskämpfer Malcolm X. In ihrem neuen Album thematisiert Beyoncé darüber hinaus Themen wie Feminismus und #Blacklivesmatter. In einer Szene zitiert sie Pipilotti Rists Videoperformance „Ever is over all“, in der die Künstlerin mit einem Stock die Fensterscheiben parkender Autos zerschlägt. Ein großartig notwendiges Gesamtkunstwerk!

Katja: Beyoncés neues Album hat mich kalt erwischt. Es kam so plötzlich und so heftig wie selten etwas in der Musikbranche. Nach ihrem Video zu „Formation“ konnte doch unmöglich etwas nachgeschoben werden, das noch krasser einschlägt? Doch. Es klingt absolut unglaubwürdig, dass ein Konzeptalbum über Ehebruch das politischste Statement des Jahres hervorbringt, aber „Lemonade“ ist genau das. Bei Beyoncé ist das Politische privat und das Private politisch, mit Leib und Seele. Wäre es ein Album ohne dazugehörigen einstündigen Film gewesen, wäre die ganze Sache ein bisschen fad geworden, aber deswegen heißt es ja „eine Vision haben“. Als Musikerin und Künstlerin hat sich Beyoncé etwas dabei gedacht, beides gemeinsam über HBO zu zeigen und dann online zu stellen. Schließlich spielt die ökonomische Komponente der sinkenden Plattenverkäufe eine gigantische Rolle in allen Entscheidungen der Frau, die sich „black Bill Gates in the making“ auf die Fahnen schreibt. Für mich ist dies ein absoluter Meilenstein der Musikgeschichte, der besser ausgedacht, realisiert und perfektioniert gar nicht sein könnte.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.

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