Bildungssystem

Die kommenden Herausforderungen der ÖH

  • 12.05.2017, 22:26
Alle zwei Jahre wählen Österreichs Studierende ihre Vertretung, seit 2015 wird auch die Bundesvertretung wieder direkt gewählt. Welche Probleme und Herausforderungen werden sich der künftigen ÖH-Spitze stellen und wie wollen die Fraktionen damit umgehen?

Alle zwei Jahre wählen Österreichs Studierende ihre Vertretung, seit 2015 wird auch die Bundesvertretung wieder direkt gewählt. Welche Probleme und Herausforderungen werden sich der künftigen ÖH-Spitze stellen und wie wollen die Fraktionen damit umgehen?

In den letzten Jahren haben sich große Demonstrationen oder Aktionen zum Thema österreichische Bildungspolitik rar gemacht. Das heißt aber leider nicht, dass sich die Situation an den Hochschulen entspannt hätte – es haben nur alle gelernt, damit zu leben. Maßnahmen wie die Studieneingangs- und Orientierungsphase (StEOP), gegen deren Einführung 2009 noch heftig protestiert wurde, sind heute für Studienanfänger_innen Normalität geworden, die nicht unbedingt hinterfragt wird.

STUDIENPLATZFINANZIERUNG. Mit der sogenannten „Studienplatzfi nanzierung“ will die Regierung die Unis fi nanziell entlasten. Seit das Regierungsprogramm eine Überarbeitung erfahren hat, ist fi x, dass berechnet werden soll, wie viel ein Studienplatz kostet. Danach soll dann auch entschieden werden, nach welchem Schlüssel die Unis Geld für eben jene Studienplätze bekommen sollen. Vermutlich werden dabei genau so viele „Studienplätze“ herauskommen, wie Budget da ist. Sprich: Flächendeckende Zugangsbeschränkungen und die Reduktion von Studierendenzahlen sollen die Unis „entlasten“. Da die Details noch nicht ausgehandelt sind, hat die zukünftige Bundesvertretungsspitze einige Einfl ussmöglichkeiten. Ob die ÖH allerdings viel verhandeln können wird, ist fraglich. Die meisten Fraktionen lehnen flächendeckende Zugangsbeschränkungen ab. Sowohl Grüne und Alternative Studierende (GRAS), der Verband sozialistischer Student_innen Österreichs (VSStÖ), die Fachschaftslisten (FLÖ) und die beiden kommunistischen Listen KSV-KJÖ und KSV-LiLi fordern stattdessen einen off enen Hochschulzugang, der staatlich fi nanziert werden soll. Die AktionsGemeinschaft (AG) begrüßte die „kapazitätsorientierte Studienplatzfi nanzierung“, lehnt Studiengebühren jedoch ab – Zugangsbeschränkungen nennt die AG „Zugangsmanagement“ und fordert „faire und transparente Aufnahmetests“. Die Jungen Liberalen Studierenden (JUNOS) hingegen sind begeistert von den Ideen des sozialdemokratischen Kanzlers: „Christian Kern setzt mit der Studienplatzfi nanzierung erste richtige Schritte in Richtung fairer Zugangsbeschränkungen.“ Die Fraktion fordert „nachgelagerte Studiengebühren“ in der Höhe von bis zu 500 Euro im Semester, die nach dem Studium bezahlt werden sollen. Der RFS will ausländischen Studierenden nur dann einen Studienplatz gönnen, wenn sie in ihrem Herkunftsland ebenfalls einen vorweisen können, was für Drittstaatenangehörige allerdings bereits Realität ist.

UNIS UND ANDERE HOCHSCHULEN. Seit der letzten Wahl 2015 sind alle Studierenden von Universitäten, Privatunis, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen Mitglieder der ÖH. Rechtlich gesehen sind sie aber nicht gleichgestellt, da sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen je nach Hochschultyp stark unterscheiden. Während die Regierung keine Pläne hat, einen einheitlichen Hochschulraum zu schaff en, sehen die Listen, die sich zur ÖH-Wahl stellen, das anders. Die GRAS schreibt zum Beispiel: „Das Problem liegt vor allem in den rechtlichen Grundlagen: Welche Rechte Student_innen haben, ob und wenn ja wo sie diese einfordern können, hängt maßgeblich vom Hochschulsektor ab. Bei einem einheitlichen Hochschulraum wären auch Wechsel zwischen den Sektoren wesentlich einfacher und unbürokratischer möglich“, und fasst damit die Meinung fast aller Fraktionen zusammen. Der KSV-KJÖ stellt die Privatuniversitäten jedoch in Frage, „denn von kritischer Lehre und Bildung kann dort nicht die Rede sein“. Der KSV-LiLi will sie nicht weiterhin öff entlich bezuschussen lassen. Die FLÖ betont, „Österreich braucht keinen einheitlichen Hochschulraum, aber ein klares bundesweites Studienrecht für alle Studierenden“. Auch die AG begrüßt den Status quo: „Eine Trennung ist durchaus sinnvoll, da so eine Vielfalt von ‚Systemen‘ erhalten bleibt und man für sich selbst entscheiden kann, welches für einen selbst das beste ist.“

SOZIALE LAGE. Die letzte Studierenden-Sozialerhebung zeigte: Obwohl 61 Prozent der Studierenden erwerbstätig sind, ist über ein Viertel von starken fi nanziellen Schwierigkeiten betroff en. Von der Familie wird nur ein Drittel fi nanziert – somit bleibt die staatliche Studienbeihilfe die wichtigste Unterstützung für Studierende. Erfolgreich ist sie auch: Die Studienabschlussquote ist bei jenen Studis, die eine Beihilfe beziehen, doppelt so hoch wie bei anderen. Die Beträge sind jedoch niedrig und der Kreis der potentiellen Bezieher_innen ist klein. So wundert es wenig, dass auch hier sämtliche Fraktionen Erhöhungen und Änderungen fordern. Dass die Studienbeihilfe seit 1999 nicht mehr an die Infl ation angepasst wurde, ärgert die wahlwerbenden Gruppen ebenso wie die diversen Altersgrenzen, die spätentschlossenen Studierenden das Leben schwer machen. Wie die Beihilfen künftig aussehen sollen, darüber sind die Fraktionen sich jedoch nicht eins: Während JUNOS mehr „Leistungsstipendien“ fordern, will die GRAS ein „existenzsicherndes Grundstipendium von 844 Euro im Monat für alle Student_innen“, der KSV-KJÖ sieht soziale Absicherung nur im Sozialismus als möglich an, FLÖ und AG wollen zusätzlich eine Aufstockung verschiedener Sachleistungen.

MOBILITÄT. In einem Thema sind sich alle Fraktionen, die in die Bundesvertretung wollen, einig: Sie fordern alle ein österreichweit gültiges günstiges Studiticket. Über diese Forderung – und darüber, dass der öff entliche Verkehr für Studierende in anderen europäischen Ländern gratis ist – haben wir in der letzten progress-Ausgabe ausführlich berichtet („Sparschiene“, S. 8). Eine andere Art der Mobilität ist jene zwischen den Hochschulen, sowohl in Österreich als auch im europäischen Hochschulraum. Mit einem FH-Bachelor einen Uni-Master zu belegen ist in der Praxis oft ein sehr steiniger Weg mit vielen Behördengängen. Sowohl VSStÖ als auch JUNOS schlagen deswegen die Schaff ung einer Informationsquelle vor, in der mögliche Anrechnungen und weiterführende Studien dokumentiert werden, die GRAS will diese Frage europaweit geklärt wissen. Bis auf eine Fraktion sind sich alle einig, dass das Bologna-System nicht durchlässig genug ist. Der KSV-KJÖ möchte das System dagegen abschaff en und zurück zu den Diplomstudien. Der KSV-LiLi möchte die Marktlogik des Bologna-Systems bekämpfen und so für mehr Mobilität sorgen.

BARRIEREN. Für eine ganze Reihe Studierender ist der Studienalltag von Barrieren geprägt. Diese können im Falle körperlicher Beeinträchtigungen ganz einfach baulicher Natur sein, andere Barrieren sind nicht so off ensichtlich. Alle Fraktionen begrüßen einen barrierefreien Ausbau der Infrastruktur, in den Details unterscheiden sich die Zugänge jedoch. Der KSV-LiLi sieht Nachholbedarf bei der Barrierefreiheit: „Während in anderen Ländern versucht wird, allen Menschen das Studieren zu ermöglichen, fangen österreichische Hochschulen gerade mal damit an, Aufzüge oder Rampen zu installieren.“ Die FLÖ hingegen ortet vor allem Mangel bei der Beratung und sieht auch die ÖH im Zugzwang: „Die ÖH kann sich dafür einsetzen, mehr Beratungen anzubieten und Anlaufstellen einzurichten.“ VSStÖ und GRAS erinnern daran, dass auch psychische Krankheiten wie Depressionen berücksichtigt werden müssen und fordern alternative Lern- und Prüfungsmodalitäten wie Online-Vorlesungen. Ebenfalls größtenteils unsichtbare Barrieren stellen sich für LGBTIQ-Studierende, vor allem für Trans- oder Inter-Studierende, deren Geschlecht nicht mit der Geschlechtsangabe in ihrem Pass übereinstimmt. Die Initiative #NaGeH fordert, dass Unis künftig unbürokratisch Vornamen und Geschlechtseintrag von inter*, trans und nichtbinären Menschen ändert. Diese Forderungen werden von den meisten Fraktionen geteilt, einzig die FPÖ-Vorläuferorganisation RFS äußert sich auf ihrer Homepage verächtlich über LGBTIQ-Studierende. Binäre Toiletten – also solche, die nach dem klassischen „Mann/Frau“-Schema aufgeteilt sind, nennt der RFS zwar „Unfug“, scheint sich der Bedeutung dieser Aussage jedoch nicht bewusst zu sein. Die AG hat sich nicht zu den Forderungen von #NaGeH geäußert, sieht die ÖH jedoch als zuständige Organisation, bei der sich Studierende bei Diskriminierungen melden könnten.

BILDUNG. Studierende und Hochschule sind nur der letzte Teil der Pipeline des österreichischen Bildungsystems und viele Probleme entstehen an anderer Stelle. Es ist daher wichtig, dass die ÖH einen genauen Blick auf die Reformen im Bildungsystem wirft – alleine schon deswegen, weil sie ja auch die zukünftigen Lehrer_innen vertritt, die momentan studieren. Zu der Frage, wie das Bildungssystem insgesamt organisiert werden soll, halten sich die Fraktionen eher bedeckt – die GRAS fordert aber z. B. die Einführung der Gesamtschule, der KSV-KJÖ will die Schulen demokratisieren. Schüler_innen sollten, da sind sich die Fraktionen einig, besser auf ein Hochschulstudium vorbereitet werden. Die JUNOS sagen dazu: „Der Wert der Bildung muss früh im Schulsystem vermittelt werden“, GRAS, VSStÖ, FLÖ und AG fordern mehr Informationen – das Referat für Maturant_ innenberatung der Bundesvertretung muss sich um seinen Fortbestand also keine Sorgen machen. GRAS und VSStÖ fordern zusätzlich ein Vorstudium, bei dem Fächer ausgetestet werden können, die AG einen freiwilligen Selbsteinstufungstest.

MAHLZEIT. Während in vielen Ländern das Essen in der Mensa zum Studierendenalltag gehört, ist das Angebot in Österreich dürftig und dazu noch recht teuer. Die AG nähert sich hier grünen Positionen an und fordert regionale Speisen. Vegetarische Optionen sind GRAS und KSV-KJÖ wichtig, die JUNOS wollen, dass das Mensapickerl auch bei privaten Gaststätten als Vergünstigung gilt, während der KSV-LiLi ein Problem mit Mensen als Privatunternehmen hat. FLÖ und VSStÖ fordern zusätzlich offene Küchen, in denen Studierende selbstständig kochen können.

ZUSAMMENGEFASST: Die Antworten auf die zukünftigen Fragen der ÖH unterscheiden sich nicht so sehr, wie man es zunächst vielleicht annehmen würde, gerade beim off enen Hochschulzugang jedoch gewaltig. Die Fraktionen haben nicht nur unterschiedliche Zugänge zu Themen, sondern auch zu der Art und Weise, wie sie als ÖH arbeiten wollen. Für Wähler_innen, die bisher wenig Kontakt mit der ÖH hatten, ist dies jedoch schwierig herauszuschälen. Es empfiehlt sich daher, sich umfassend zu informieren, bevor eins zwischen dem 16. und 18. Mai seine Stimme verteilt.

Redaktioneller Hinweis: Die Positionen der Fraktionen wurden mit einem Fragebogen und den jeweiligen Webseiten erarbeitet.

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Das Referat für FH-Angelegenheiten: „Viele Mythen, wenig Infos“

  • 28.08.2014, 14:21

Das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft bemüht sich darum, spezielle Probleme an Fachhochschulen sichtbar zu machen und Lösungen dafür zu erarbeiten.

Das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft bemüht sich darum, spezielle Probleme an Fachhochschulen sichtbar zu machen und Lösungen dafür zu erarbeiten.

Im Frühjahr 2009 wurde das Referat für FH-Angelegenheiten der Österreichischen Hochschüler_innenschaft gegründet – nachdem die Fachhochschul-Studierenden Mitglieder der Österreichischen Hochschüler_innenschaft wurden. Seitdem bemüht sich das jüngste ÖH-Referat darum, Probleme an FHs zu thematisieren, sie an das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zu transportieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. „Wir versuchen vor allem bei bildungspolitischen Themen, die Situation im FH-Sektor klarzumachen, da der Fokus immer noch sehr stark auf den Unis liegt. Außerdem wollen wir für Probleme sensibilisieren, die vielleicht auf den ersten Blick nicht sichtbar sind“, erklärt der Referent für FH-Angelegenheiten Michael Hnelozub. Der Architekturstudent hat in der Vergangenheit selbst Wirtschaftsberatung an der FH Wiener Neustadt studiert. Neben ihm sind noch drei weitere Leute in dem kleinen Referat aktiv.

Vielfältige Probleme

Die Probleme, mit denen sich das Referat beschäftigt, sind vielfältig und von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Konkrete Problemfälle gibt es im Bereich der Gleichbehandlung sowie der Lehrveranstaltungsevaluierung. Oft geht es auch um die Frage der Abwesenheit in den Lehrveranstaltungen, welche laut Michael manchmal sehr unsachlich eingeschränkt wird. Er sieht hier vor allem ein Problem in den selbsterklärt „berufsbegleitenden“ Studiengängen: „Das Arbeiten neben dem Studium ist für viele schwer planbar, dennoch werden Lehrveranstaltungen oder Stundenpläne oft sehr kurzfristig festgelegt. Hat man Familie, wird alles noch schwieriger“, erklärt Michael. Es entstehe hier für die Studierenden ein enormer Organisationsaufwand, der sich mit dem spießt, was die FHs an Serviceleistung propagieren.

Immer wieder haben Studierende Fragen bezüglich des Studienrechts, welches im Fachhochschul-Studiengesetz (FHStG) nur sehr oberflächlich behandelt wird. Fachhochschulen fallen nicht unter das Universitätsgesetz, da sie keine staatlichen sondern private Institutionen sind. Jede Fachhochschule hat dabei spezielle Details in ihrer Prüfungsordnung. „Das FHStG ist ein sehr dünnes Gesetz. Das ist problematisch, da es viel Interpretationsspielraum lässt. Außerdem sind Fristen oder Ausbildungsverträge der verschiedenen Fachhochschulen sehr unterschiedlich“, erklärt der Referent. „Im Zweifel wird daher auf das Universitätsgesetz zurückgegriffen und geschaut, wie dort ein Thema geregelt ist.“

Beratung auf Umwegen

Trotz vieler Fragen wird die Möglichkeit der persönlichen Beratung am Referat eher wenig in Anspruch genommen. „Das Referat ist nicht so präsent, da es relativ klein und neu ist. Viele Anfragen kommen deshalb über Umwege zu uns“, so Michael. Die Beratung geschieht viel in Kontakt mit anderen Referaten, vor allem dem Referat für Studien- und Maturant_innenberatung sowie dem Referat für Bildungspolitik. Dort ist auch eine Juristin für Studienrecht beschäftigt, welche sich zunehmend auch mit FH-Recht beschäftigt.

Beratungstermine werden vom Referat für FH-Angelegenheiten auf Anfrage festgelegt, Präsenzzeiten gibt es keine. Die Beratung erfolgt großteils über E-Mail, teilweise telefonisch. „Viele FH-Studierende können nicht persönlich kommen, weil sie berufstätig sind. Außerdem ist der Großteil der FH-Student_innen nicht in Wien“, erklärt Michael. Diese können sich an die lokalen Vertretungen der ÖH wenden, für die das FH-Referat die Schnittstelle mit der Bundesvertretung bildet. Dort werden Schulungen angeboten, Rechte und Prüfungsordnungen abgeklärt sowie Workshops an den einzelnen Fachhochschulen organisiert. Hier erfolgt auch die Weiterleitung von Informationen an die Fachhochschulen selbst.

Das Fachhochschulgesetz ist ein sehr dünnes Gesetz. Im Zweifel wird auf das Universitätsgesetz zurückgegriffen. Foto: Sarah Langoth

 

Entwicklungshilfe für die Vertretungen

Ein wichtiges Ziel ist es, die Studienvertretungen direkt an den Fachhochschulen zu
stärken. „Wir versuchen vor allem sogenannte `Entwicklungshilfe ́ für FH-Vertretungen zu
geben“, erzählt der Referent. Da die Jahrgangsvertretungen immer nur auf ein Jahr gewählt
werden, gibt es eine hohe Fluktuation. Dies wird teilweise von den Studiengangsleitungen
ausgenutzt, indem sie die Lösungen für Probleme einfach aufschieben. Oft gibt es an den FHs nur ein einziges,
kleineres Vertretungsteam, welches für alle Probleme zuständig ist. Referate gibt es kaum.

Studierendenvertretungen an Fachhochschulen werden - wie auch an Pädagogischen Hochschulen - von
der Bundesvertretung der Österreichischen
Hochschüler_innenschaft mitverwaltet. An den Standorten gibt es zwar eigene Vertretungskörper,
diese sind allerdings keine echte Hochschüler_innenschaft und lediglich ein halb-
selbstständiges Konstrukt. „Oft ist unklar, wie Dinge zu regeln sind und was die gewählten
Vertretungen überhaupt tun dürfen. Wann müssen sie die ÖH fragen, wann müssen sie
die FH fragen?“, erklärt Michael. „Erfreulicherweise ist das mit dem Hochschulgesetz
2014 ab dem nächsten Jahr vorbei. Dann sind die Vertretungsstrukturen und Rechte der
Studierendenvertreter_innen einheitlich geregelt.“

Zu wenig Information, viele Mythen

Der Referent stört sich besonders daran, dass bezüglich der Fachhochschulen viele Mythen kursieren, aber wenig echte Information vorhanden ist: Ein Mythos ist beispielsweise die Aussage, Studiengebühren schaden der sozialen Durchmischung nicht. Dass diese an den Fachhochschulen höher liegt, als an Universitäten, ist vielmehr dem Angebot geschuldet. „Es werden einfach andere Gruppen angesprochen“, meint Michael. Dies seien beispielsweise soziale Schichten, für die eine praxisorientierte Ausbildung interessanter ist als eine forschungsorientierte, oder Berufstätige, denen der Studienbeitrag egal ist.

Ein weiterer Mythos ist, dass die Fachhochschulen effizienter mit Geld umgehen würden als die Universitäten. „Die FH Wiener Neustadt hat zum Beispiel mit griechischen Staatsanleihen hohe Verluste gemacht. Auch die FH Wels hat einen Fehlbetrag von einer halben Million Euro erarbeitet. Es kommt also nicht wie versprochen jeder Euro bei den Studierenden an“, so Michael.

Auch dass die Fachhochschulen so viel Raum zur Verfügung hätten, sei ein Mythos, denn auch hier übersteige das Kontingent an Studierenden langsam den Platz. „FH-Themen werden sowohl von der Politik als auch medial zu wenig hinterfragt. Über Unis wird kritisch und differenziert berichtet, über die FHs hingegen sehr einseitig. Dabei sind vor allem diese untereinander sehr verschieden“, erklärt der Referent.

Im Vergleich zu den Universitäten ist die Datenlage im FH-Sektor dürftig. Da Fachhochschulen als Unternehmen geführt werden, wird vieles als „Geschäftsgeheimnis“ der Öffentlichkeit vorenthalten. Zum Teil muss sogar um die Herausgabe des Curriculums oder einzelner Lehrveranstaltungsbeurteilungen gestritten werden. Die verfügbaren Zahlen sind hauptsächlich Selbstangaben der Fachhochschulen, viele Themen werden aber auch gar nicht erhoben. Weiters gibt es kaum Expert_innen für Fachhochschulen. Da sich Studienanfänger_innen oft an mehreren Fachhochschulen und/oder für mehrere Studiengänge bewerben, sind die Zahlenangaben bezüglich der Bewerber_innen ungenau.

Auch die FHs haben’s nicht leicht

Dennoch sind Missstände nicht nur die Schuld der Fachhochschulen: „Fachhochschulen wurden bis jetzt nie kontrolliert. Es gibt kein straffes Gesetz, welches die Organisation regelt, und keine durchsetzungsstarke Kontrollinstanz“, erklärt Michael. „Das Ministerium agiert nur symptombekämpfend. Die FHs wissen also selbst oft gar nicht, was sie dürfen und was nicht, weshalb es teilweise unnötig restriktive Regelungen gibt.“ Ebenso sei es schwer, sich an der Schnittstelle zwischen den Bedürfnissen der Wirtschaft und den Studierenden anzusiedeln: „Das ist ein ewiger Widerspruch an den Fachhochschulen: Die Leute werden zur Unternehmensgründung, aber letztendlich doch als Arbeitnehmer_innen ausgebildet“, so Michael. Und schließlich handeln die FHs oft einfach in Angst vor schlechter Publicity. Damit könnten Bewerber_innen abgeschreckt werden und so deren Studiengebühren sowie die Finanzierung dieser Studienplätze durch den Bund für die betroffene FH verloren gehen.

Ein besonderes Problem ist die falsche Verteilung von Ressourcen und Rechten. Obwohl beispielsweise bei Studien im Gesundheitswesen wie Logopädie deutlich mehr Bedarf ist, gibt es nur eine sehr begrenzte Zahl an Studienplätzen. Die Studienanfänger_innen bewerben sich deshalb oft an mehreren Standorten und/oder für mehrere Studiengänge und suchen sich bei mehr als einer Zusage eine aus. Dadurch bleiben hier und da schlussendlich Plätze unbesetzt. Bekommen Personen hingegen gar keine Zusage, inskribieren sie sich oft vorübergehend an den Universitäten, wodurch diese überlastet sind. 

Stärkeres Hinterfragen

Mit Vorfällen wie jenem an der FH Wien, bei dem vor kurzem falsche Zu- und Absagen per Mail an die Bewerber_innen ausgesandt wurden, sieht Michael wichtige Diskurse angestoßen:  „Auch wenn das Ökonomisierungsdenken zunimmt, entwickeln FH-Studierende dennoch ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass auch sie Rechte haben. Beispielsweise fragen sie öfter nach, ob das wirklich so stimmt, was die FH sagt.“ Nur durch Feedback können Verbesserungen erzeugt werden. Auch die starren Curricula an den Fachhochschulen stoßen vor allem bei Berufstätigen, welche sich eher als „Bildungskonsument_innen“ sehen, zunehmend auf Widerstand. Es muss begründet werden, wieso gewisse Lehrveranstaltungen für das Studium wichtig sind.

Michael sieht das FH-Referat trotz aller Kompromisse als Anlaufstelle für (zukünftige) Student_innen: „Als ÖH sind wir auf der Seite der Studierenden. Wir können Probleme sichtbar machen und die Menschen dahinter anonymisieren. Dadurch tut sich auch was, aber leider oft ein bisschen zu spät“.

Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Mehr Informationen zum Referat

Inseln der Seligen

  • 17.12.2013, 15:50

Pakistan zählt zu den gefährlichsten Ländern der Welt. An seinen Hochschulen leben Studierende jedoch ein Leben jenseits des Klischees vom Land des Terrors. Sind Pakistans Universitäten Inseln der Seligen?

Pakistan zählt zu den gefährlichsten Ländern der Welt. An seinen Hochschulen leben Studierende jedoch ein Leben jenseits des Klischees vom Land des Terrors. Sind Pakistans Universitäten Inseln der Seligen?

„Leg dich auf den Boden und bleib liegen bis ich sage, dass du wieder aufstehen darfst!“, befiehlt die 20-jährige Ammasa dem zwei Jahre jüngeren Taha. Widerwillig legt der Architekturstudent sein Lineal und seine Mappe auf den heißen, staubigen Beton, bevor er seufzend dem Befehl Folge leistet. „Erstsemestrige müssen hier alles machen, was ihnen von den höheren Semestern befohlen wird. Das ist so etwas wie Tradition“, erklärt die junge Kunststudentin am National College of Arts in der pakistanischen Großstadt Lahore. Es ist ihr anzusehen, dass sie diese Machtposition genießt, kommt es doch im patriarchal geprägten Pakistan selten vor, dass eine Frau über das Schaffen der Männer bestimmt. Ammasa grinst zufrieden, macht eine Kehrtwende und lässt Taha im Schmutz liegen. Als sie außer Sichtweite ist, springt er auf, klopft sich den Hosenboden seiner dreckigen Jeans wieder sauber und quert den Arkadenhof mit schnellen Schritten, um weiteren Schikanen zu entkommen.

Insgesamt zwölf Studenten sind in einem Raum untergebracht. Geschlafen wird am Boden. Foto: Dwin Mardigian

An pakistanischen Universitäten lässt sich eine andere Seite dieses Landes beobachten, das sonst allzu oft mit Terrorismus, radikalem Islamismus und Gewalt gegen Frauen assoziiert wird: eine liberale, offene Gesellschaft, die westlicher Einflüsse zum Trotz versucht, ihren Wurzeln treu zu bleiben. Die Liebe zum eigenen Land ist bei den Jungen stark. Wer wohlhabend ist, studiert dennoch oft im Ausland, vornehmlich in Großbritannien, Australien oder den USA. Und viele kehren nach dem Studium nicht in ihre Heimat zurück, weshalb der sogenannte Brain-Drain ein großes Problem für die islamische Republik darstellt. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,50 Euro pro Tag auskommen. Junge Pakistani, die im Ausland studieren und arbeiten, schicken zwar oft Geld nach Hause, fehlen dort aber als Fachkräfte. Vom Ausbau des akademischen Bildungssystems erhofft sich der pakistanische Staat neuen Auftrieb. Die Weltbank unterstützt das Land dabei seit 2011 mit Krediten, bis 2015 soll so der Anteil der 17- bis 23-Jährigen, die eine inländische Universität besuchen, auf zehn Prozent anwachsen.

Eine andere Welt. „In westlichen Medien wird Pakistan sehr einseitig dargestellt. Es gibt hier nicht nur religiöse FanatikerInnen. Ich fühle mich in meiner Heimatstadt nirgendwo unsicher. Trotzdem ist der Campus eine andere Welt, isoliert vom Rest Pakistans“, sagt Ammasa. Das National College of Arts, wo sie seit zwei Jahren Bildende Kunst studiert, hat den Ruf, die liberalste Universität des Landes zu sein. In der Werkhalle aus Backstein schlägt sie mit einem schweren Hammer einen Spiegel in kleine Stücke, die sie später für eine Skulptur verwenden will. Am Tischbein der hölzernen Werkbank lehnt ein Gemälde eines Pissoirs, das geschmückt mit Bart und Turban verblüffende Ähnlichkeit mit Osama Bin Laden hat. Der Gebetsbereich, der durch ein Fenster in der Werkhalle sichtbar ist, besteht aus einem schlampig hingeworfenen Teppich auf einem Plateau. Studierende erzählen gerne von Feiern am Campus, bei denen Alkohol in rauen Mengen fließt, obwohl das gesetzlich verboten ist. „Ich glaube an Gott, aber ich muss nicht fünf Mal täglich beten, um das jedem zu beweisen“, so Ammasa.

Muhammad, Jahrgangsbester an der Jamia Naeemia-Universität. Foto: Dwin Mardigian

Studiengebühren in Pakistan fallen sehr unterschiedlich aus, viele staatliche Universitäten sind jedoch mit 30.000 bis 80.000 Pakistanischen Rupien (200–500 Euro) im Jahr auch für die Mittelschicht leistbar. Dennoch waren im Jahr 2011 lediglich fünf Prozent der 17- bis 23-Jährigen an Universitäten eingeschrieben. Das liegt auch an der mangelnden Verfügbarkeit von Studienplätzen. An Universitäten mit erschwinglichen Studiengebühren sind die Plätze heiß umkämpft. Zur Vergabe der Studienplätze werden Auswahlverfahren nach Leistung durchgeführt. Dabei werden unterschiedliche Einstufungstests nach dem Schulabschluss herangezogen. Eine der prestigeträchtigsten Hochschulen des Landes ist die Government College University Lahore (GCU), die Alma Mater des bisher einzigen pakistanischen Nobelpreisträgers, Abdus Salam. Dementsprechend umkämpft sind die Studienplätze: Nur die besten 1.500 der 30.000 BewerberInnen werden jährlich aufgenommen.

Der Campus der Government College University erinnert an ein subtropisches Hogwarts. Die Gänge mit ihren Schaukästen, die Gartenanlagen und die Studierenden in Schuluniform verstärken den elitären Eindruck. Hassan ist 17 Jahre alt und studiert englische Literatur. Er trägt eine Brille von Armani, sein weißes Hemd ist ihm ein wenig zu groß. Im Debattierclub diskutiert Hassan weltbewegende Fragen: Er ist derartig eloquent, dass es schon fast gezwungen wirkt. Er will, wie einige andere im Debattierclub, später Politiker werden und sein Land in bessere Zeiten führen. „In Österreich sprecht ihr Französisch, nicht wahr?”, fragt er. Hassan gesteht beschämt, er wisse nicht viel über Österreich, aber über den berühmten Wiener Kongress, darüber habe er einmal referiert.

„Seit einigen Jahren haben auch sehbehinderte Menschen wie Moaz die Chance zu studieren.“ Foto: Dwin Mardigian

Studieren ohne Armani. Viele Studierende der staatlichen Eliteuniversität kommen wie Hassan aus wohlhabenden Familien, aber auch einige wenige junge Menschen aus armen Verhältnissen haben eine Chance, die sozialen Barrieren zu durchbrechen. Quoten stellen sicher, dass auch Studierende aus den ärmsten Regionen Pakistans, wie dem von den Taliban kontrollierten Swat-Tal, zugelassen werden. Vollwaisen sind von Studiengebühren befreit und insgesamt 20 Millionen Pakistanische Rupien (140.000 Euro) stehen jährlich in Form von Stipendien zur Verfügung. Ein Allheilmittel gegen die Probleme im Land ist ein Ausbau des universitären Systems jedoch nicht. Immer noch fehlt es vor allem an grundlegender Bildung bei der breiten Bevölkerung. Fast die Hälfte der Pakistanis kann weder Lesen noch Schreiben.

Nichtsdestotrotz hat die verstärkte Investition in höhere Bildung mehr als lediglich ökonomischen Aufschwung zur Folge, sondern beispielsweise auch positive Effekte auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft: Mehr als die Hälfte der Chemiestudierenden der GCU sind weiblich. „Es stimmt nicht, dass Frauen in Pakistan nicht gebildet sind. Zweifellos gibt es Regionen, in denen es anders ist, aber uns stehen hier alle Wege offen“, sagt die 22-jährige Chemiestudentin Amna, die selbst aus dem ländlichen Grenzgebiet zu Afghanistan stammt, aus dem auch die junge Menschenrechtsaktivistin Malala Yousafzai kommt, die sich für Mädchenschulen engagiert und ein Attentat der Taliban im Oktober 2012 nur knapp überlebte. Eine gesellschaftliche Weiterentwicklung ist auch die Schaffung von Studienplätzen für Studierende mit besonderen Bedürfnissen, einer von ihnen ist Moaz. Der 24-Jährige ist von Geburt an blind. Blinde Menschen erhalten vom Staat sehr wenig Unterstützung. Es ist ihnen nicht einmal erlaubt, ein eigenes Bankkonto zu führen. An der GCU stehen Moaz und seinen drei ebenfalls blinden Brüdern aber spezielle Computer mit Braille- Tastatur zur Verfügung. „Es war ein harter Weg bis hierher, doch das Wichtigste ist, dass man sich nicht mit seiner Situation zufrieden gibt. Man darf nicht aufhören zu kämpfen“, sagt Moaz. Er steht kurz vor dem Abschluss seines Politikwissenschafts- und Englischstudiums. Sein Traum ist es, Lehrer zu werden – „einer der ehrvollsten Berufe, den es auf der Welt gibt“, wie Moaz meint.

Chemiestudentin Amna: Es stimmt nicht, dass Frauen in Pakistan nicht gebildet sind. Foto: Dwin Mardigian

Religion vs. moderne Bildung? Im krassen Gegensatz zu den elitären Universitäten, die zu einem großen Teil noch aus der britischen Kolonialzeit stammen, stehen alternative Formen der akademischen Bildung, wie an der Jamia Naeemia-Universität. Ursprünglich eine Moschee und Koranschule, in der vor allem Kinder die heilige islamische Schrift auswendig lernen, hat die Jamia Naeemia seit einigen Jahren versuchsweise zusätzlich einen akademischen Bildungszweig eingerichtet. In einem Zeitraum von acht Jahren kann dort ein Masterabschluss in Theologie erlangt werden. Neben dem ausgiebigen Studium des Korans beinhaltet das Studienprogramm auch Englisch-, Geschichte- und Computerkurse. Muhammad ist der beste Student seines Jahrgangs. Sein Tag beginnt um 4.30 Uhr und endet selten vor 21.00 Uhr. Er wohnt mit zwölf Mitstudenten in einem 40 Quadratmeter großen Zimmer. Jeder Student hat eine Kiste für seine persönlichen Dinge, geschlafen wird am Boden. „Die Sonntage haben wir frei, da wasche ich meine Wäsche. Manchmal gehe ich auch mit Freunden in den Park“, erzählt Muhammad. Seine Familie wohnt in Peshawar, nahe der afghanischen Grenze. Via Skype hält er Kontakt, alle paar Monate hat er auch Zeit, nach Hause zu fahren. Er sagt, er liebe den Islam, man dürfe seine Traditionen nicht vergessen, aber Bildung sei ebenso wichtig.

„Wir wollen eine Brücke zwischen Religion und moderner Bildung schlagen“, sagt der Leiter der Jamia Naeemia-Moschee und -Universität, Raghib Hussain Naeemi. Den radikalen Taliban ist dieser Zugang zu profan und deshalb ein Dorn im Auge. Naeemis Vater, der die Moschee früher leitete, kritisierte die Taliban öffentlich als unmuslimisch und bezahlte das mit seinem Leben: 2009 stürmte ein Selbstmordattentäter sein Büro und tötete ihn und vier seiner Angestellten. Auch Raghib Naeemi, der das Werk seines Vaters fortführt, bekommt regelmäßig Drohungen. Der Eingang der Moschee wird deshalb von drei bewaffneten Soldaten bewacht.

An vielen Universitäten gibt es ähnliche Vorkehrungen: Wachpersonal mit Maschinengewehren, Bombenkontrollen und Metalldetektoren. Universitätsfremde Personen haben meist gar keinen Zutritt. Das ist die Schattenseite der liberalen Entwicklungen in Pakistan: Sie passieren hinter verschlossenen Türen. Konservative KritikerInnen sehen in den Universitäten ein Einfallstor westlicher Einflüsse. Dabei findet gerade hinter den schützenden Mauern der Hochschulen ein stetiges Verhandeln zwischen moderner Bildung, freiem Denken und der Wahrung von Traditionen statt.

Hassan ist 17 Jahre alt, er will als Politiker seinem Land helfen. Foto: Dwin Mardigian

Der Autor studiert Politikwissenschaften, Lukas Klingan Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Die Recherche zu diesem Artikel wurde durch die Mittel des Egon-Erwin Kisch-Recherchestipendiums des Presseclubs Concordia ermöglicht.

Fachhochschulen: Geist oder Geld?

  • 29.05.2014, 14:35

Am 21.Mai 2014 fand in der Wiener Arbeiterkammer eine Podiumsdiskussion zum Thema „Fachhochschulen: Bildung zwischen Geist und Geld“ statt. Viele Meinungen prallten dabei aufeinander und dies nicht immer nur bezüglich der Fachhochschulen. Margot Landl war für progress online dabei.

Am 21.Mai 2014 fand in der Wiener Arbeiterkammer eine Podiumsdiskussion zum Thema „Fachhochschulen: Bildung zwischen Geist und Geld“ statt. Viele Meinungen prallten dabei aufeinander und dies nicht immer nur bezüglich der Fachhochschulen. Margot Landl war für progress online dabei.

Dwora Stein, die Vizepräsidentin der Arbeiterkammer Wien, ist die erste Rednerin, die an diesem Abend die Bühne betritt. Schon am Beginn ihrer Ansprache schlägt sie ein Thema an, welches an diesem Abend noch öfter zur Sprache kommen soll. Stein kritisert: „Bildung zwischen Geist und Geld – es mangelt an beidem! Bildung ist mehr als verwertbare Qualifikationen. Es geht um gebildete, nicht nur ausgebildete Menschen. Aber dafür wird nicht genug an Geld ausgegeben.“ Geld ist die Lösung aller Probleme, denn: „Geld vermehrt sich und verwandelt sich in Bildung und Geist“. Dwora Stein spricht von den Verbesserungen, die sich die Fachhochschulen wünschen: einen Ausbau auf  60.000 Studienplätze bis zum Jahr 2020, noch mehr berufsbegleitende Angebote, noch mehr soziale Durchlässigkeit. Es sei ein großer Vorteil der Fachhochschulen, dass es dort auch Möglichkeiten gäbe, ohne Matura oder berufsbegleitend zu studieren. Außerdem gäbe es laufend neue Studien, mehr regionale Standorte und die AbsolventInnen würden gut „verwertbar“ sein. Verwertbar, also doch. Kein Wort könnte besser den großen Zwiespalt beschreiben, an dem es an diesem Abend geht: Bildung oder Ausbildung? Verwertbarkeit oder Persönlichkeitsbildung? Geist oder Geld?

Applaus für mehr Geld

Der große Saal der Arbeiterkammer Wien ist an diesem Abend etwa zu zwei Dritteln gefüllt. „Bildung zwischen Geist und Geld“ ist die zweite Veranstaltung der dreiteiligen Veranstaltungsreihe „Im Dialog: 20 Jahre Fachhochschulen – Arbeit – Bildung – Wohlstand“. Sie wurde von der Fachhochschul-Konferenz gemeinsam mit dem Standard, der Arbeiterkammer Wien, der Industriellenvereinigung und dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Fachhochschulen in Österreich organisiert.

Der Präsident der Fachhochschul-Konferenz Helmut Holzinger hält die zweite Eröffnungsrede. Er schlägt in dieselbe Kerbe wie Dwora Stein und fordert „im Sinne der Studierenden eine Erhöhung der Fördersätze. Um den Studierenden gute Bedingungen sichern zu können, brauchen wir eine Wertsicherung.“ Und er ergänzt: „Doch die Regierung hat in ihrem Programm mehr Unterstützung verschriftlicht, als sie erfüllen kann!“ Das Publikum applaudiert. Mehr Geld für Bildung. Darüber sind sich an diesem Abend alle einig.

Mehr Engagement zur Gesellschaftsverbesserung

Das Impulsreferat für die anschließende Podiumsdiskussion hält Eva Blimlinger, die Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien. Das Logo der österreichischen Klassenlotterie wird groß auf die Wand projiziert. „Das österreichische Bildungssystem hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der österreichischen Klassenlotterie“, erklärt Eva Blimlinger sarkastisch. Aus einer langen Ausführung über Einkommen in Österreich im Jahr 1910 sowie heute zieht sie das Fazit, dass die überwiegende Mehrheit aller Superreichen kein Studium abgeschlossen hat. „An den Universitäten ist das gesetzlich definierte Ziel ein anderes als an Fachhochschulen: Das Streben nach Bildung und Autonomie sowie der Gesellschaft zu dienen.“ Eva Blimlinger differenziert hier, wie auch später in der Diskussion, klar zwischen der Orientierung von Fachhochschulen und Universitäten. Doch sie stellt für das gesamte höhere Bildungssystem dieselben Forderungen: mehr soziale Durchlässigkeit, mehr Engagement zur Gesellschaftsverbesserung, mehr politische und gesellschaftliche Teilhabe und eine kritische Betrachtung des Kapitalismus. „Der Wert der Bildung ist in der kapitalistischen und postfordistischen Gesellschaft ein monetärer. Und mit den ECTS wird diesem System Rechnung getragen.“ Am Ende wird Eva Blimlingers langer Vortrag nicht nur zu einer Kritik am Bildungssystem, sondern an der gesamten modernen Gesellschaft: „Heutzutage ist alles ein Projekt. Partnerschaften, ein Kind, ein Abendessen mit Freunden, ein Urlaub, ein Wohnungswechsel. Das Projekt ist der Arbeitsorganisationsmodus für unser Leben geworden. Ein Leben in ständiger Unsicherheit.“

Kritisch betrachten, nicht nur nachkauen

Bernhard Lahner, der zweite stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft von der „Fraktion engagierter Studierender“ (FEST), beschäftigt sich besonders mit der Situation von Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen. Er sieht wesentliche Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen. Deshalb ist es schwierig, Vergleiche anzustellen. „Die gesetzliche Lage der Fachhochschulen ist eine völlig andere“, erklärt er. „Sie sind unternehmensrechtlich organisiert. Studierende gehen einen Ausbildungsvertrag ein. Da die Studienplätze durch öffentliche Gelder beziehungsweise von den ErhalterInnen finanziert werden, gibt es Zugangsbeschränkungen. Außerdem unterscheiden sich die Fachhochschulen auch untereinander stark.“  Die ÖH setzt sich schon länger für ein gemeinsames Hochschulgesetz ein. Im HochschülerInnengesetz 2014 wurde nun unter anderem erwirkt, dass die Fachhochschulvertretung nun direkt durch ein Listenwahlrecht gewählt wird. Außerdem bestimmt der Erhalter oder die Erhalterin einer Fachhochschule eine reale Person, die als Kontaktperson den Studierenden zur Verfügung steht, wenn diese beispielsweise einen Raum für Veranstaltungen mieten wollen.

Auch Bernhard Lahner würde sich ein wenig mehr Freiraum für die FachhochschulstudentInnen wünschen: „Durch eine Fachhochschule wird man durchgeschleust, um in drei Jahren fertig zu sein. Dort schaut man, dass man die Ausbildung macht, weil genau diese das Ziel ist. Da schaut man nicht, was es sonst für Möglichkeiten gibt. Doch genau diesen Zugang sollte man aufbrechen“, meint der Hochschulpolitiker, der selbst an einer Pädagogischen Hochschule studiert. „Das Studium sollte Raum geben, um den eigenen Horizont zu erweitern und Sachen kritisch zu betrachten und sie nicht nur nachzukauen.“

Trennung von Theorie und Praxis?

Um etwa 18.30 Uhr eröffnet Katrin Bauer vom Standard schließlich die Podiumsdiskussion. Die Gäste auf der Tribüne sind Barbara Blaha, Leiterin des Politkongresses „Momentum“ und ehemalige ÖH-Vorsitzende, Eva Blimlinger, Andreas Breinbauer, Rektor der Fachhochschule des Berufsförderungsinstitutes Wien, Carola Iller, Universitätsprofessorin für Erwachsenenbildung an der Universität Linz und Claus J. Raidl, Präsident der Österreichischen Nationalbank. Barbara Blaha ist mit 31 Jahren die jüngste Diskutantin, auch im Publikum sieht man kaum Studierende oder andere jüngere Menschen.

Katrin Bauer beginnt die Debatte mit einer Befragung der TeilnehmerInnen zu deren individuellen Bildungsweg im Hinblick auf die Verwertbarkeit ihrer Ausbildungen. Der gemeinsame Nenner der Wortmeldungen kann als Offenheit für alle Möglichkeiten bezeichnet werden. Die meisten stammen aus keinem akademischen Umfeld und bemängeln die fehlende soziale Durchlässigkeit in Österreich. „Manchmal helfe ich Kindern mit Migrationshintergrund bei der Hausübung. Letztes Mal hat eins davon zu mir gesagt: `Dein Sohn hat es so gut! Der kann dich immer alles fragen!´“, erzählt Barbara Blaha.

Die DiskussionsteilnehmerInnen auf dem Podium hatte unterschiedliche Ansichten. Es kam zu hitzigen Diskussionen um das Thema Fachhochschulen und Universitätsausbildung. Foto: Christopher Glanzl

Lebendiger wird die Diskussion, als die Moderatorin das Gespräch auf die Trennung zwischen Theorie und Praxis lenkt. „Die Fachhochschulen haben hier einen guten Mix“, findet Andreas Breinbauer und ergänzt: „Eine Trennung zwischen Theorie und Praxis soll es nicht geben. Allerdings würden wir gerne mehr forschen.“

Andere DiskussionsteilnehmerInnen sehen Universitäten und Fachhochschulen allerdings stärker differenziert: „Die Universitäten sind oft weniger berufsbezogen. Aber das ist nicht immer nachteilig“, meint Carola Iller. Eva Blimlinger spricht sich noch klarer für eine Differenzierung aus: „Die Theorie ist die Praxis der Universität. Es ist schon sinnvoll, hier zwischen Universitäten und Fachhochschulen zu differenzieren. Auch die Sinnhaftigkeit eines Doktorats an den Fachhochschulen sollte man überdenken. Was bringen diese ganzen Abschlüsse? Was bringt es, alles zu formalisieren?“ Mit dem Stichwort Doktorat, welches bereits Helmut Holzinger in seiner Eröffnungsrede fallen gelassen hat, kommt Feuer in die Diskussion. „Nicht alles braucht ein Doktorat! Und nicht jedes Doktorat ist gleich! Ich habe früher oft gesagt: Wer von dieser oder jener Hochschule kommt, den nehmen wir nicht“, wettert Claus Raidl. Spätestens auf diese Provokation hin fahren die Hände im Publikum in die Höhe. Helmut Holzinger spricht sich leidenschaftlich für ein Doktorat an Fachhochschulen aus. Ideologien prallen aufeinander. Claus Raidl belächelt ihn aus seinem dunkelroten Ledersessel und winkt ab. Noch mehrere Wortmeldungen werden gehört, allerdings zu verschiedensten und unzusammenhängenden Themen. Von Ethik im Naturwissenschaftsunterricht bis zu einer Lobrede auf das Bundesheer. Viele TeilnehmerInnen, die etwas sagen möchten, nutzen die Gelegenheit.  

Ideologien und Minderwertigkeitskomplexe

Katrin Bauer erteilt erneut den DiskussionsteilnehmerInnen das Wort. Die nächste Frage dreht sich um stärkere Diversifizierung im Hochschulsektor. Der Präsident der Österreichischen Nationalbank Claus Raidl erklärt Oberösterreich einer Medizinuniversität ebenso unwürdig wie die Fachhochschulen eines Doktorats. „Das wär nur ein Denkmal für den Landeshauptmann!“. Etwas sachlicher äußern sich die anderen TeilnehmerInnen zu dem Thema. Eva Blimlinger und Carola Iller sprechen sich gegen eine weitere Differenzierung aus, da sie die Studienwahl noch weiter erschweren würde. Schuld an dem Frauenmangel in MINT-Fächern beispielsweise sei eher fehlender weiblicher Anschluss im Studium und eine zu kurze Orientierungsphase. Lediglich Andreas Breinbauer spricht sich für eine weitere Differenzierung der Studiengänge aus.

Doch das neue Thema hält sich nicht lange. Zu viele persönliche Äußerungen zur Frage von Theorie und Praxis sind noch ausständig. Das Publikum ist unruhig, es gibt noch einmal eine Wortmeldungsrunde. Katrin Bauer erteilt Karl Pfeiffer, dem Rektor der FH Joanneum das Wort. Er verteidigt vehement den „theoretischen Background“ der Fachhochschulen und will diese nicht als minderwertig beurteilt sehen: „Die FHs sollen nicht auf die Berufsfeldorientierung reduziert werden! Die angewandte Forschung an den FHs ist anerkannt und kann durchaus mit den Technischen Universitäten mithalten.“ Es scheint so, als würde die angebliche Herabwürdigung von Fachhochschulen hier viele Menschen persönlich kränken.

Die ehemalige Vorsitzende der ÖH, Barbara Blaha (mit Mikro), wünscht den FHs mehr Selbstbewusstsein, aber auch eine Anregung des gesamtgesellschaftlichen Denkens. Foto: Christopher Glanzl

Die geplante Zeit der Veranstaltung wurde bereits um zwanzig Minuten überschritten und die Moderatorin will die Diskussion nun rasch zu einem Ende bringen. Die DiskutantInnen dürfen den Fachhochschulen nun noch schnell etwas wünschen. Im Klartext bedeutet das, noch einmal Position zu beziehen. Claus Raindl lehnt sich in seinem Ledersessel zurück, gießt sich das letztes Mal Mineralwasser ein und holt zum Gegenschlag aus: „Ich bin für noch mehr Differenzierung. Fachhochschulen und Universitäten wurden aus anderen Absichten gegründet. Das ist nur elitäre Etikettenschwindelei“. Erneut schwillt die Lautstärke im Publikum an. Karin Bauer gibt rasch das Mikrofon an Carola Iller weiter. „Wir sollten mit dem Schachteldenken aufhören. Fachhochschulen und Universitäten sollten stärker kooperieren, aber die Unterschiede sind wertvoll“, formuliert diese etwas diplomatischer. Barbara Blaha wünscht den FHs „mehr Selbstbewusstsein, aber auch eine Anregung des gesamtgesellschaftlichen Denkens“. Eva Blimliner bleibt pragmatisch und wünscht sowohl den Universitäten als auch den Fachhochschulen „mehr Geld“, womit sich der Kreis zum Thema der Veranstaltung schließt. Andreas Breinbauer schließt sich dem an und fügt hinzu: „Mein Auftrag an die FHs: Bleibts dabei! Aber trotzdem wäre ein wenig mehr Zeit und Geld für Reflexion wünschenswert.“

Margot Landl studiert Politikwissenschaft sowie Lehramt Deutsch und Geschichte an der Universität Wien.

 

Teach for Austria: Mehr als ein Job!

  • 13.05.2014, 11:59

Die 2011 ins Leben gerufene Bildungsinitiative „Teach for Austria“ soll bessere Zukunftschancen für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen. Sogenannte „Fellows“ arbeiten zwei Jahre lang als volle Lehrkräfte in Schulen an sozialen Brennpunkten. Margot Landl hat für progress online mit dem Gründer Walter Emberger gesprochen und einen der Fellows in seinen Unterricht begleitet.

Die 2011 ins Leben gerufene Bildungsinitiative „Teach for Austria“ soll bessere Zukunftschancen für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen. Sogenannte „Fellows“ arbeiten zwei Jahre lang als volle Lehrkräfte in Schulen an sozialen Brennpunkten. Margot Landl hat für progress online mit dem Gründer Walter Emberger gesprochen und einen der Fellows in seinen Unterricht begleitet.

Wien-Brigittenau: In der Neuen Mittelschule Pöchlarnstraße läutet es zur fünften Stunde. Der Fellow Johannes Steiner (29) betritt die vierte Klasse, in der er nun das zweite Jahr unterrichtet. Die Schule mit Montessori-Schwerpunkt besuchen hauptsächlich SchülerInnen aus bildungsfernen Schichten. Viele von ihnen haben Migrationshintergrund und daher oft Schwierigkeiten, dem deutschsprachigen Unterricht folgen zu können. Zehn Jungen und dreizehn Mädchen sitzen in der Abschlussklasse, die Johannes jetzt unterrichten wird, alle um die vierzehn Jahre alt. Sie begrüßen ihren Geschichtelehrer herzlich. „Fellow“ ist das englische Wort für „Kumpel“.

Johannes scheint für seine SchülerInnen eine Mischung zwischen diesem und einem Lehrer zu sein. „Sie wissen nicht, dass ich kein normaler Lehrer bin“, erklärt er. Und man kann beobachten, dass die Jugendlichen – unter anderem auch aufgrund seines jugendlichen Auftretens – einen besonderen Zugang zu ihm zu haben. „Er schimpft nicht so viel“, meint die 13-jährige Asmira. „Ja, und er macht es mit Action“, pflichtet ihr ihre Klassenkameradin Alyssa bei. Burak aus der hintersten Reihe lässt sich schließlich zum größten Kompliment hinreißen, das man von einem 15-Jährigen als Lehrer wohl bekommen kann: „Er ist cool!“ Dennoch bemüht sich Johannes, bei allem, oft über den normalen Unterricht hinausgehenden Engagement für seine Schützlinge, die Balance zur Professionalität bei der Lehre zu wahren: „Meine SchülerInnen fassen schnell Vertrauen zu mir und erzählen mir dann auch von persönlichen Problemen. Trotzdem muss die Grenze zwischen Freund und Lehrer klar definiert bleiben.“

Johannes Steiner hat einen besonderen Zugang zu seinen SchülerInnen. Foto: Christopher Glanzl

Win-Win-Situation

Die Bildungsinitiative „Teach for Austria“ wurde 2011 als unabhängige und gemeinnützige Organisation von dem Wirtschaftsfachmann Walter Emberger nach internationalem Vorbild gegründet. Mit dem Schuljahr 2012/13 ist das Programm in Wien und Salzburg, der Heimat Embergers, gestartet. 2015 soll es auf ein weiteres Bundesland in Österreich ausgedehnt werden. Größere Städte sind vorerst das Ziel des Projekts, da es dort vermehrt soziale Brennpunkte gibt. „Es wäre beispielsweise eine unternehmerische Herausforderung für Ex-Fellows, neue Standorte zu eröffnen“, meint Emberger.

Um zu den Fellows von „Teach for Austria“ zu gehören, müssen die BewerberInnen hohe Qualifikationsstandards erfüllen. So müssen sie mindestens ein abgeschlossenes Bachelorstudium mit besonders guten Noten vorweisen können. Auch Berufs- und Auslandserfahrung sind bei der Bewerbung von Vorteil. Fellows sind also keine LehramtsabsolventInnen, sondern „Young Professionals“. Ein Trend, aus welchen Fachrichtungen die BewerberInnen kommen, lässt sich dabei nicht feststellen. Von Soziologie über BWL bis zu Informatik ist alles dabei. Psychische Voraussetzungen wie Belastbarkeit, Kommunikations- und Motivationsfähigkeit, Reflexion, Kritikfähigkeit und Durchhaltevermögen werden in einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren getestet.

Nur etwa zehn Prozent der BewerberInnen werden schließlich ausgewählt und einer Hauptschule oder Neuen Mittelschule zugeteilt, die als sozialer Brennpunkt gilt. In dieser bekommen sie zwei bis maximal drei Jahre eine volle Lehrverpflichtung. Bezüglich der Fächer können Präferenzen angegeben werden, üblicherweise werden aber mehrere Fächer gleichzeitig unterrichtet. In einer sechswöchigen Sommerakademie werden die Fellows durch PädagogInnen auf ihre Tätigkeit als LehrerIn vorbereitet. Während ihrer Arbeit bekommen sie Unterstützung durch TrainerInnen, die davor verschiedene Berufe ausgeübt haben. Ständige Weiterbildung ist Pflicht, ebenso sollen sich die Fellows gegenseitig helfen.

Nur zu einem geringen Teil wird die Initiative „Teach for Austria“ staatlich finanziert. Die Fellows erhalten zwar gewöhnliche LehrerInnengehälter, die Organisation finanziert sich jedoch hauptsächlich durch Firmen und Stiftungen. „Wir betrachten Bildung aus einer ökonomischen Perspektive“, so Walter Emberger. „Innovationsbewusste Firmen, die die SchülerInnen als zukünftige MitarbeiterInnen betrachten, haben ein Interesse daran, deren Ausbildung zu fördern.“  Im wirtschaftlichen Sinne sollen SchülerInnen, Fellows und Firmen gleichermaßen von dem Programm profitieren. Daher können auch nur die besten zehn Prozent des Landes unterrichten. Als Vorbild dient Finnland, das Land mit der besten Pisa-Studie. Da es dort jährlich etwa zehn Mal so viele BewerberInnen wie Studienplätze gibt, existiert für das Lehramtsstudium eine Eignungsprüfung. Auch bei „Teach for Austria“ existiert so eine strenge Selektion, wodurch der Beruf eine starke Aufwertung erfährt – allerdings ohne Lehramtsstudium.

Frische Impulse für das Schulsystem

Die Idee ist nicht neu und orientiert sich stark an der Vorbildorganisation „Teach for America“. International betrachtet ist die Initiative „Teach for Austria“ einer von 32 Mitgliedern der weltweiten Initiative „Teach for all“. „Die Fellows haben einen anderen Zugang zu ihrer Tätigkeit als LehrerIn und können frische Impulse ins System bringen“, erklärt der Gründer der Initiative Walter Emberger. „Außerdem sind sie eine gute Ergänzung für das Lehrerkollegium. Von Eltern, DirektorInnen wie auch LehrerInnen bekommen wir laufend positive Rückmeldungen.“ Auch die Fellows sollen von dem Exkurs profitieren, auf den Prospekten der Organisation ist der Slogan „Win Win“ abgedruckt: „Die Fellows lernen viel für sich selbst und gehen auch manchmal an ihre Grenzen. Sie stellen sich neuen Herausforderungen und lernen davon“, meint Emberger. Viele Firmen betrachtet die Tätigkeit bei „Teach for Austria“ positiv und als Leadership-Training. Die Arbeit bei der Organisation bietet die Möglichkeit, Kontakte zu PartnerInnen aus Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu knüpfen. Ein Alumni-Netzwerk soll dafür sorgen, dass ehemalige Fellows der Organisation erhalten bleiben und weiter auf verschiedenste Weise im Bildungsbereich tätig werden. Der Mehrwert zeigt sich also nicht nur in der Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch im Lebenslauf der Fellows.

Der angehende Fellow Anna Grüssinger hat „Teach for Austria“ online entdeckt. „Ich habe mich näher informiert und einen Fellow kontaktiert, um konkrete Nachfragen stellen zu können“, berichtet die Absolventin einer Journalismus-FH, die zusätzlich eine Ausbildung zur Tanzpädagogin gemacht hat. Nachdem sie den mehrstufigen Bewerbungsprozess durchlaufen hat, ist sie nun eine von 35 zukünftigen Fellows, die aus 650 BewerberInnen ausgewählt wurden. Anna sieht den Job als neue Herausforderung: „Ich bin mir sicher, dadurch spannende Impulse erhalten zu können. Aber ich denke, man muss es wirklich wollen.“ Sie kann sich vorstellen, alles zu unterrichten - „außer vielleicht Naturwissenschaften.“

Fit für die Leistungsgesellschaft

„Wir wollen Schülerinnen und Schüler für das spätere Leben in einer Leistungsgesellschaft fit machen“, erklärt Walter Emberger. „Die Erwartungen der Eltern von SchülerInnen, die Hauptschulen und Neuen Mittelschulen besuchen, sind oft sehr niedrig. Doch man darf durchaus hohe Erwartungen an Kinder setzen. Denn sie wollen sich miteinander messen.“ Eine frühe Selektion der SchülerInnen sei nicht von Vorteil, da so die Chancen der Kinder eingeschränkt werden. Emberger selbst bekam als Jugendlicher nur durch die Fürsprache eines engagierten Lehrers die Chance, ein Gymnasium zu besuchen und eine höhere Bildung zu genießen.

Teach for Austria Gründer Walter Emberger kommt aus einer ArbeiterInnenfamilie und hat als Einziger maturiert. Foto: Christopher Glanzl

Er stammt aus einer Schneiderfamilie und ist, wie er selbst sagt, immer noch der Einzige mit Matura in seiner Familie. Nach der Matura studierte er an der WU Wien Handelswissenschaften und promovierte anschließend in Volkswirtschaft. Danach arbeitete er in Frankreich und der Schweiz. Zuletzt war er Studienlehrgangsleiter für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Salzburg. „Die soziale Herkunft darf nicht ausschlaggebend für eine spätere Karriere sein“, meint er. Nachdem er bereits vor vielen Jahren auf die Initiative „Teach for America“ gestoßen war, etablierte Emberger das Programm auch in Österreich. Auf die Frage, woher er die Motivation dafür gewann, antwortet er schlicht: „Das ist es, man weiß es!“

Motivation für berufliche Ziele

Auch Johannes Steiner will seine SchülerInnen zu mehr Selbstvertrauen und Engagement bewegen. „Eine meiner Schülerinnen wollte vor kurzem eine Lehre beginnen. Ich habe zu ihr gesagt: ‚Das ist natürlich okay, aber du kannst mehr!' Jetzt hat sie sich dafür entschieden, einen höheren Bildungsweg einzuschlagen“, berichtet Johannes und man merkt ihm die Freude über diesen Erfolg an. Und er ergänzt: „Aber das ist natürlich eine Ausnahme. Es reicht schon, wenn die Kinder gern in die Schule gehen.“ Die anderen SchülerInnen von Johannes haben bereits eine fixe Vorstellung davon, was sie nach der Schule machen möchten. Asmira will eine Ausbildung zur Kindergartenpädagogin machen und Alyssa will die Fachschule für Tourismus absolvieren. Burak möchte eine Lehre als Installateur beginnen und danach, wie viele seiner Schulkollegen, Polizist werden. Durch „Teach for Austria“ sollen die SchülerInnen motiviert werden, sich eigenständig Ziele zu setzen und dafür zu arbeiten – eine Qualität, die auch ihre späteren ArbeitgeberInnen sehr schätzen werden.

Besonders während der Stunde merkt man den Willen des Fellows, die SchülerInnen zu motivieren. Johannes lässt sich durch falsche Aussagen nicht beirren, sondern besteht mit einem hartnäckigen „Das könnt ihr, das weiß ich!“ auf die richtigen Antworten. Die SchülerInnen ihrerseits reagieren auf den jungen engagierten Lehrer sehr positiv und arbeiten die ganze Stunde lang mit.  „Es ist in diesem Bereich ein großer Vorteil, ein Mann zu sein“, meint Johannes, „es gibt schließlich so wenige Hauptschullehrer. Für die Jungs ist es oft gut, auch männliche Lehrer zu haben.“ Auch für Walter Emberger ist es ein Ziel, den Männeranteil unter den Fellows zu erhöhen. Im ersten Jahrgang war das Verhältnis Eins zu Vier, mittlerweile ist der Prozentsatz der männlichen Followers auf dreißig Prozent angestiegen.

Nur etwa zehn Prozent der BewerberInnen werden schließlich ausgewählt und einer Hauptschule oder Neuen Mittelschule zugeteilt, die als sozialer Brennpunkt gilt. Foto: Christopher Glanzl

Nur eine kurze Episode?

Um sich bei „Teach for Austria“ zu bewerben, ist Johannes extra aus Äthiopien nach Österreich zurückgekehrt. Dort hatte er an einem Bildungsprojekt der NGO Project-E mitgearbeitet. Doch als ihm seine Schwester von einem von ihr über die Organisation gelesenen Artikel erzählte, konnte er sich in dem angeforderten Profil zu hundert Prozent wiedererkennen. Seine Wunschfächer waren Geographie, Geschichte und Englisch. Englisch ist sein Hauptfach, die Sprache, die er durch seine Auslandsaufenthalte gut beherrscht und in der er auch seine beiden universitären Abschlussarbeiten verfasst hat. Zusätzlich unterrichtet er noch Musikerziehung und Werken.

Sich immer wieder neu erfinden

Johannes ist ein Fellow des ersten Jahrgangs und kann zwei Universitätsabschlüsse vorweisen. Der gebürtige Oberösterreicher hat in Salzburg Politikwissenschaft und in Amsterdam International Development studiert. Ebenso hat er in Uganda und Äthiopien an Bildungsprojekten mitgearbeitet. „Bildung bedingt für mich Entwicklung und Bildung sollte es für jede und jeden geben. Sie sollte unabhängig vom Einkommen der Eltern sein.“, erklärt Johannes. „Für mich ist die Initiative mehr als ein Job. Es ist das, woran ich glaube.“ Was er nach seiner Zeit bei „Teach for Austria“ machen möchte, weiß er noch nicht. Er kann sich vorstellen, wieder nach Afrika zu gehen, eine andere Aufgabe bei „Teach for Austria“ zu übernehmen oder vielleicht auch weiterhin als Lehrer zu arbeiten. Dafür müsste er jedoch das Lehramtsstudium nachholen.

„Ein Viertel bis ein Drittel der Fellows werden nach dem Ablauf ihrer Zeit LehrerInnen“, erzählt Walter Emberger. Doch sie betreten den Beruf seiner Ansicht nach mit einem durch ihre vorherigen Tätigkeiten erweiterten Horizont. „Auch LehrerInnen sollten immer wieder neue, außerschulische Erfahrungen sammeln“, meint Emberger. „Personen, die im Finanz-, Bank- oder Beratungsbereich arbeiten, müssen sich alle paar Jahre neu erfinden. Die Gesellschaft ändert sich stetig und schnell und mit ihr auch das Bildungssystem.“ Permanente Anpassung an aktuelle Herausforderungen zählt für ihn dabei mehr als Kontinuität.

Emberger: "Unserer Gesellschaft ist das Bewusstsein abhandengekommen, dass Leistung gut ist und sich lohnt. Aber stetiges Lernen ist wichtig und notwendig. Und oft zahlt es sich aus, den schwierigeren Weg zu gehen.“ Foto: Christopher Glanzl

Auf die Frage, welche Werte er den SchülerInnen neben dem Fachwissen vermitteln möchte, antwortet er: „Sie sollen an sich glauben. Beispielsweise sollen Kinder mit Migrationshintergrund und nichtdeutscher Muttersprache erkennen, dass ihre Zweisprachigkeit etwas Wertvolles ist. Sie dürfen sich ruhig etwas zutrauen.“ Abschließend  konstatiert Emberger: „Unserer Gesellschaft ist das Bewusstsein abhandengekommen, dass Leistung gut ist und sich lohnt. Aber stetiges Lernen ist wichtig und notwendig. Und oft zahlt es sich aus, den schwierigeren Weg zu gehen.“

Link: http://www.teachforaustria.at/

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

Wenn Bildung vererbt wird

  • 13.05.2013, 15:05

Trotz des Anstiegs der Studierendenzahlen sind Personen aus nichtakademischem Milieu an den Universitäten stark unterrepräsentiert. Claudia Aurednik hat mit „working class academics“ über die Probleme von Kindern aus nicht privilegierten Elternhäusern im Bildungssystem gesprochen.

Trotz des Anstiegs der Studierendenzahlen sind Personen aus nichtakademischem Milieu an den Universitäten stark unterrepräsentiert. Claudia Aurednik hat mit „working class academics“ über die Probleme von Kindern aus nicht privilegierten Elternhäusern im Bildungssystem gesprochen.

„Einmal hat uns ein Student erzählt, dass er Germanistik studieren wollte und das Studienfach im Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien nicht gefunden hat. Daraufhin hat er ein anderes Studienfach inskribiert, weil ihm die Bezeichnung Deutsche Philologie unbekannt war“, erzählt der Bildungssoziologe Ingolf Erler (35). Erler hat während seines Studiums an der Universität Wien ein Referat für Kinder aus nicht privilegierten Elternhäusern gegründet, in dem er sich gemeinsam mit anderen theoretisch mit Ausschlussmechanismen des österreichischen Bildungssystems auseinandergesetzt hat. 2007 hat er das Buch Keine Chance für Lisa Simpson? Soziale Ungleichheit im Bildungssystem herausgegeben. Erler selbst ist in einem kleinen Industrieort in der Obersteiermark aufgewachsen. Sein Vater hatte einen Installateurbetrieb und seine Mutter war Bürokauffrau: „Zu Beginn waren sie angesichts meines Soziologiestudiums etwas irritiert, weil ich zuvor eine HTL gemacht hatte. Dennoch haben sie meine Entscheidung akzeptiert.“ Im Laufe seines Studiums wurde Ingolf Erler von den Schriften Pierre Bourdieus geprägt. „In unserer Gesellschaft zählt Bildung zu den Dingen, die Ungleichheit erzeugen, ohne dass dies gleich auffällt.“ Dieser Aspekt hat auch auf die Selbstwahrnehmung der Betroffenen enorme Auswirkungen, ergänzt Erler: „Denn diejenigen, die im Bildungssystem scheitern, suchen die Schuld bei sich selbst. Sie machen nicht die strukturellen Bedingungen dafür verantwortlich.“ Die Universität betrachtet Erler als Teil des gesamten österreichischen Bildungssystems: „Das Schulsystem funktioniert wie eine Pyramide. Unten kommen alle rein und oben an der Spitze befinden sich nur wenige. Denn Bildung hat die Funktion, Menschen zu selektieren und nur bestimmte in gewisse Positionen aufrücken zu lassen. Zudem geht die Universität immer davon aus, dass sie eine elitäre Ausbildung ist.“ Ingolf Erler erläutert, dass an der Hochschule auch subtile Mechanismen wirken: „Es gibt dort eine Unmenge an Abkürzungen und Hierarchien. Menschen aus einem nichtakademischen Milieu müssen erst lernen, mit ProfessorInnen auf Augenhöhe zu sprechen. Leute, die in einem akademischen Umfeld aufwachsen, fällt es viel leichter, sich vor ProfessorInnen zu inszenieren.“ Doch gerade die symbolische Ebene und die subtilen Mechanismen werden nach Erler oft übersehen und in Untersuchungen vernachlässigt. Eine Problematik stellt auch dar, dass im österreichischen Bildungssystem besonders früh selektiert wird. In Ländern mit hohem AkademikerInnenanteil ist das anders. „Im Bildungssystem der skandinavischen Länder steht die Förderung der einzelnen Personen viel stärker im Vordergrund. Dort lässt man die Leute in einem gemeinsamen Schulverband und fördert gerade jene, die Schwierigkeiten haben. Bei uns wird eher nach der Elitenförderung gefragt und so werden Leute, die bereits einen akademischen Background haben, gefördert.“ Erler betont dabei auch die unterschiedliche Verantwortung für Bildung: „In den skandinavischen Ländern ist die Gesellschaft für das einzelne Kind verantwortlich. Und die hat natürlich viel bessere Möglichkeiten Kinder zu fördern als die einzelnen Eltern.“

Für Personen aus nichtakademischen Familien werden in bildungspolitischen Debatten unterschiedliche Begriffe verwendet. Oft wird von „Personen aus bildungsfernen Schichten“, „kulturell und sozial benachteiligten Personen“ oder „Arbeiterkindern“ gesprochen. „Die Bezeichnung der Arbeiterklasse ist schwierig, weil Klasse in der Alltagssprache nicht als soziologischer, sondern als ideologischer Begriff verstanden wird. Gleichzeitig ist das oftmals dahinterstehende Bild des weißen, männlichen Fabrikarbeiters überholt“, erklärt Ingolf Erler: „Außerdem zählen häufig auch Kinder von LandwirtInnen zu dieser Gruppe, obwohl sie sich selbst dieser kaum zuordnen würden.“ Begriffe wie „bildungsferne Schicht“ oder „kulturell und sozial benachteiligte Person“ sind für ihn noch schwieriger fassbar: „Denn kein Mensch würde sich selbst so bezeichnen.“

Initiative Arbeiter-kind.at In Deutschland hat Katja Urbatsch 2008 die Initiative Arbeiterkind. de gegründet. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil von Kindern aus nichtakademischen Familien an den Hochschulen zu erhöhen und unterstützt betroffene Menschen auf ihrem Weg zu einem erfolgreichen Studienabschluss. Mittlerweile umfasst das Netzwerk 5000 ehrenamtliche MentorInnen und 70 lokalen Gruppen. Arbeiter-Kind.at ist der österreichische Ableger des sozialen Netzwerks, bei dem auch Natascha Miljkovic (34) aktiv ist. Sie hat mit dem Begriff Arbeiterkind keine Probleme und hat sich von der Initiative gleich angesprochen gefühlt: „Vor zwei Jahren habe ich in einem Magazin ein Interview mit Katja Urbatsch gelesen und darin meine eigene Lebensgeschichte wiedererkannt. Denn mein Vater war ein Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien, der in den 1970er Jahren nach Österreich gekommen ist und in Oberösterreich meine Mutter kennengelernt hat.“ Natascha Miljkovic hat vor einigen Monaten eine Firma gegründet und ist als Wissenschaftsberaterin an Universitäten tätig. 2007 hat sie ihre Dissertation am Institut für Zoologie abgeschlossen. Bei Arbeiter-Kind.at ist sie im Organisationsteam tätig. Dort kümmert sie sich primär um die Bekanntheit des Netzwerks an den Universitäten. Außerdem ist sie in Wien als Mentorin für Studierende der Naturwissenschaften aktiv. Eine höhere Ausbildung zu absolvieren war ainnert sich: „In der Volksschule wurde meinen Eltern noch gesagt, dass ein Kind aus einer Gastarbeiterfamilie nicht ins Gymnasium gehen muss. Doch meine Eltern haben sich trotzdem dafür entschieden, weil sie selbst nicht den Zugang zu höherer Bildung gehabt hatten.“

Während des Studiums an der Universität Wien hatte Natascha Miljkovic keine Probleme mit ihrer familiären Herkunft. Doch im Gymnasium hatte sie ihre soziale Stellung deutlich zu spüren bekommen: „Dort wurde mir vermittelt, ich wäre ein Nichts. MitschülerInnen aus Anwalts- oder Arztfamilien wurden viel besser behandelt als ich. Eine derart extreme, ungerechte Behandlung habe ich nachher nie wieder erlebt.“ Die negativen Erfahrungen aus der Schulzeit haben sich auch auf Miljkovics Verhalten zu Beginn ihres Studiums ausgewirkt: „Durch die permanente Demotivation in der Schule war ich in der ersten Zeit sehr schüchtern. Ich habe mich beispielsweise nicht getraut, jemanden nach dem Hörsaal zu fragen. Aber nachdem ich meine Zurückhaltung überwunden hatte, habe ich keine größeren Probleme während meines Studiums gehabt.“ Miljkovic erzählt, dass ihre Eltern sich nicht in ihre Studienwahl eingemischt hätten: „Meine Eltern wollten nur, dass ich die Matura mache. Und ich denke, dass ein Studium, das man sich selbst aussucht, für einen selbst viel mehr Wert hat.“ Natascha Miljkovic reflektiert über die gesellschaftliche Stellung von Menschen aus nichtakademischen Familien: „Bis heute ist es ein Stigma, aus einer Arbeiterfamilie zu kommen. Deshalb sind wir bei Arbeiter-Kind.at auch stolz darauf, dass die Nationalratspräsidentin Barbara Prammer unser erstes Testimonial war. Dass sie aus einer Bergarbeiterfamilie kommt, wissen nur wenige.“ Miljkovic merkt an, dass viele Studierende aus nichtakademischen Familien besondere Probleme haben: „Viele haben zu wenig Selbstbewusstsein und sehen ihre Möglichkeiten nicht. Das ist schade, denn dabei geht sehr viel Potenzial verloren.“

ArbeiterInnenmilieu „Meine Eltern haben sich gewünscht, dass ich einen polytechnischen Lehrgang und eine Lehre mache oder mich für eine HAK oder HTL entscheide“, erzählt Bernhard Bergler (22) und ergänzt: „Ich habe mich nach der Hauptschule bei meinen Eltern durchsetzen müssen, um aufs Gymnasium zu gehen. Nach der Matura war es dann für sie nachvollziehbar, dass ich ein Studium beginnen werde.“ Vor zwei Jahren war Bernhard Bergler Sprecher der Initiative Arbeiter-Kind.at. Das Engagement musste er dann aufgrund des Studiums ruhen lassen. Derzeit macht er seinen Bachelorabschluss am Institut für Politikwissenschaft und studiert Bildungswissenschaft an der Universität Wien. Bergler kommt aus dem Bezirk Liezen in der Obersteiermark. Sein Vater war Koch und Konditormeister und arbeitet derzeit als Hausmeister. Seine Mutter ist seit seiner Geburt Hausfrau. Unter dem Studium der Politikwissenschaft haben sich seine Eltern nichts vorstellen können: „Mit Medizin oder Jus können Menschen etwas anfangen. Aber es fällt ihnen schwer sich vorzustellen, was ein Studium der Politikwissenschaft ist und welche beruflichen Aussichten man mit diesem hat.“ Die Unterschiede zwischen ihm und Kindern aus akademischen Familien hat Bergler während seines Studiums rasch bemerkt: „Für Akademikerkinder ist es selbstverständlich, dass die Eltern helfen und die Arbeiten korrigieren. Oft habe ich in Gesprächen bemerkt, dass sie aus einer mir unbekannten Welt kommen.“ Bis heute hat er das Problem, dass er nicht genügend akademische FreundInnen hat, die seine Arbeiten Korrektur lesen und mit ihm über diese diskutieren. Außerdem hätten Studierende aus dem akademischen Milieu, nach Bergler, den Vorteil, während ihres Studiums auch mental unterstützt zu werden. „Bei anderen Eltern ist es selbstverständlich, dass das Kind auf eine höhere Schule geht und anschließend ein Studium beginnt. Von nichtakademischen Eltern werden Studierende oftmals entmutigt, während Kinder aus Akademikerfamilien ermutigt werden“, reflektiert Bergler.

Auch der akademische Habitus ist für ihn befremdend. Er erinnert sich an eine Episode während des Erstsemestrigen-Tutoriums an der Politikwissenschaft: „Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mit anderen Arbeiterkindern an der Wand gestanden bin und wir uns sehr unsicher verhalten haben. Da ist einer geradlinig zum Studiendekan gelaufen und hat mit ihm über handgemachte italienische Schuhe gesprochen. Damit hab ich überhaupt nichts anfangen können.“ Doch trotz der Probleme an der Universität lässt sich Bernhard Bergler nicht entmutigen. Für StudienanfängerInnen mit einer ähnlichen Ausgangsposition hat er folgende Ratschläge: „Man sollte niemals aufgeben und sich rechtzeitig Hilfe holen. Auch die Schwierigkeiten an der Universität sollte man nicht auf sich beziehen, denn oft krankt es an der Struktur des Hochschulsystems.“