Besetzung

24 Stunden Sicherheit?

  • 24.06.2015, 17:40

Ob auf Segways, am Gang oder am Campusgelände - Securities gehören oftmals zum Hochschulalltag dazu. Über öffentlichen Raum, lntransparenz und Millionenbeträge.

Ob auf Segways, am Gang oder am Campusgelände - Securities gehören oftmals zum Hochschulalltag dazu. Über öffentlichen Raum, lntransparenz und Millionenbeträge.

Vor einer der Türen der Universität Wien steht ein Sicherheitsbeamter. Sein Kopf ist kahl rasiert und in seinem Ohr steckt ein Kabel, das ihn mit dem restlichen Sicherheitspersonal über Funk verbindet. Er ist groß, ungefähr 1,80 Meter, sein Körper wirkt mus- kulös. Er trägt seine Arbeitskleidung: weißes Hemd, Hose und Schuhe sind schwarz. Er ist einer von zehn Securities an der Universität Wien, die in Zweier-Teams, 24 Stunden täglich, im Einsatz sind: sieben Männer und drei Frauen. „Die Universität besteht aus insgesamt 70 Gebäuden und unsere Sicherheitsteams haben Rundendienste", sagt Josef Scheibenpflug, Sicherheitskoordinator der Universität Wien. Bevor er sich der Sicherheit der Uni Wien verpflichtete, war er 35 Jahre lang im Polizeidienst tätig. Bei ihren Rundgängen müssen die Securities überprüfen, ob alle Lichter abgedreht und die Türen verschlossen  sind. Im Falle von Diebstahl, Belästigung oder Verletzungen sei das Sicherheitspersonal zuständig.

PRIVATANGELEGENHEIT. Es gibt zwar gesetzliche Regelungen zu Brand- und Arbeitnehmer*innenschutz, aus denen die Anwesenheitspflicht von entsprechendem Personal abgeleitet werden kann. Das heißt aber nicht, dass diese Aufgaben durch Sicherheitsdienste verrichtet werden müssen.

Foto: Mafalda Rakos

Die Anstellung der Sicherheitsfirmen selbst folgt einem durch das Bundesvergabegesetz geregelten Verfahren: Die Stelle wird öffentlich von der Universität ausgeschrieben, verschiedene Firmen erhalten die Möglichkeit der Bewerbung und das Rektorat wählt eine Firma aus. Die jeweilige Sicherheitsfirma erhält den Zuschlag für ein Jahr. Die Ausbildung, für die es in Österreich zurzeit keine Regelung gibt, findet durch Schulungen innerhalb der privaten Sicherheitsfirmen statt. Auch für die Wirtschaftsuniversität Wien sind „einschlägige und nachzuweisende Ausbildungen und Kenntnisse" erforderlich. Die Sicherheitskräfte sind für Scheibenpflug vor allem auch Serviceleistende und Repräsentant*innen der Universität. Auf die Frage, welche Sicherheitsfirmen momentan einen Vertrag mit der Uni Wien haben, gab es seitens der Universität keine klare Antwort.

„Das sind viele. Wir haben schon mit allen größeren Sicherheitsfirmen in Österreich zusammengearbeitet." Die drei größten Sicherheitsfirmen in Österreich sind G4S, der Österreichische Wachdienst (ÖWD), der an der Universität Innsbruck unter Vertrag ist, und Securitas. Diese drei setzten 2013 gemeinsam über 150 Millionen Euro bei über 7.500 Angestellten um.

2,1 MILLIONEN. Für die  Sicherheitsmaßnahmen an der Universität Wien stehen 500.000 Euro und ein zehnköpfiges Sicherheitsteam zur Verfügung. An der Technischen Universität Wien ist der Etat sogar mit 2,1 Millionen Euro bemessen. „Der Sicherheits- und Informationsdienst der TU Wien besteht aus 65 Mitarbeiter"'innen", weiß Gerald Hodecek, Leiter der Abteilung Gebäude und Technik. „Die Aufgabenbereiche der Securities an der TU sind denen an der Hauptuni und auch der Universität Innsbruck sehr ähnlich: Brandschutzwartung, Auskunft und Schlüsselverwaltung", sagt Hodecek. Dabei werden teilweise rund um die Uhr Leistungen erbracht.

Foto: Mafalda Rakos

Warum das nötig ist, erklärt die Universität Innsbruck: „Universitäten sind öffentliche Gebäude mit sehr großzügigen Öffnungszeiten. Das kann zum Problem werden, wenn Menschen die Räumlichkeiten ohne Rücksicht auf andere benutzen wollen und aggressiv oder zerstörerisch agieren. Das ist eher in den Wintermonaten hin und wieder problematisch. Daher betreut die Sicherheitsfirma in dieser Zeit auch tagsüber unsere Gebäude."

Die Handlungsrechte der Securities sind beschränkt. Laut eigenen Angaben spricht der Innsbrucker Wachdienst Personen an, die das Gastrecht missbrauchen, und bitten diese, das Gebäude zu verlassen. Das betrifft vor allem auch Obdachlose. Hier bewegen sich die Securities innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten, verfügen aber nicht über polizeiliche Rechte. Das heißt, sie dürfen nicht viel mehr, als auf die bestehende Hausordnung verweisen, aus Notwehr handeln und Nothilfe leisten. Deshalb ist es der Universität Wien wichtig, dass die Sicherheitskräfte Probleme durch Kommunikation lösen können. In unklaren Situationen sei es Scheibenpflug lieber, wenn das Sicherheitspersonal einmal mehr nachfragt. „Bei gröberen Sachen, wie zum Beispiel unangemeldeten Veranstaltungen, fragen sie automatisch nach, was zu tun sei", sagt  Scheibenpflug.

,,SAFETY“ FIRST. Die Rektorate greifen nicht nur dauerhaft auf Sicherheitskräfte des sogenannten dritten Sicherheitssektors zurück, wenn es um die Ordnung ihrer Hochschulen geht. Auch bei  akuten „Problemen" zögert man nicht, private Ordnungshüter_innen einzusetzen. So zum Beispiel bei einer gewaltsamen Räumung der BOKU-Flächen in Jedlersdorf. 2012 besetzte „SoLiLa - Solidarisch Land- wirtschaften in Jedlersdorf", eine Gruppe, die unter anderem aus Student innen der BOKU Wien bestand, ein brachliegendes Feld in einem ehemaligen Versuchsgarten der Universität. Der Widerstand, der sich für eine kollektive Nutzung der Flächen und Ermöglichung der partizipativen Landwirtschaft einsetzte, währte jedoch nicht lange. Nach zehn Tagen ließ das Rektorat die Fläche in Jedlersdorf durch Sicherheitsbeamt innen des Sicherheitsdientes Hellwacht gewaltsam räumen. Laut attac wurde auch die bereits davor von anderen Organisationen jahrelang aufge- baute Infrastruktur mit Motorsägen, Fräsen, LKWs und Containern zerstört und weggebracht. Auch bei #unibrennt wurden Sicherheitskräfte eingesetzt, um eine (erneute) Besetzung des Audimax der Universität Wien zu verhindern.

Viktoria Spielmann vom Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung wünscht sich keine Zukunft mit Sicherheitskräften privater Firmen an Hochschulen. „Securities gehören raus aus der Hochschule. Soziale und gesellschaftliche Probleme müssen woanders als auf dem Unicampus oder in den Hochschulgebäuden bekämpft und gelöst werden. Zum Beispiel im Nationalrat."

(red)

Amsterdam: Studis kämpfen gegen radikale Kürzungen

  • 10.03.2015, 20:11

„Maßnahmen zur Effizienzsteigerung“ nennt die Universität von Amsterdam ihre Einsparungen haupsächlich geisteswissenschaftlicher Fächer. Die Studierenden besetzten nun im Protest gegen Bildungsökonomisierung ein Uni-Gebäude.

Anfang Februar verkündete die Universität von Amsterdam (UvA) ihre vorläufigen Pläne für die Effizienzsteigerung. Alle geisteswissenschaftlichen Programme wie Philosophie, Geschichte, Niederländische und Englische Literatur sollen in ein fächerübergreifendes Programm namens „Liberal Arts“ zusammengeführt werden. Sprachstudien mit schwächerer Nachfrage werden, genauso wie Masterkurse mit weniger als 20 Studierenden, gänzlich abgeschafft.

Der Unmut der Studierenden, die mit der seit Monaten diskutierten radikalen Kürzungspolitik nicht einverstanden sind, resultierte in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar in der Besetzung des sogenannten Bungehuis, einem Universitätsgebäude. Zuvor waren von der Universitätsleitung „College van Bestuur“ im Zuge der Konfliktprävention Debatten und Panelgespräche eingeleitet worden, die zu keiner Einigung führten. Innerhalb von zwei Wochen konnte sich die Studierendenbewegung „Die Neue Universität“ auf das ganze Land ausweiten.

BACHELOR IM SCHNELLDURCHLAUF. Studierende wie Lehrende kritisieren den neoliberalen Kurs der Universitätsleitung. Um sich international mit den besten Bildungseinrichtungen messen zu können, wurde der Druck auf alle Involvierten erhöht. So viele Absolvent_innen wie möglich in einem kurzen Zeitraum auf den Arbeitsmarkt zu spülen bringe der Universität Vorteile: Einerseits sorge man damit für eine scheinbar positive Jahresbilanz und somit auch für bessere Rankingergebnisse im internationalen Vergleich. Andererseits werden der Universität bei einem zeitgerechten Abschluss die Ausbildungskosten für Studierende zurückerstattet, erklärt Noeri van den Berg, Vorsitzender des studentischen Gewerkschaftsbundes Amsterdam: „In dem Moment, wo dir dein Diplom verliehen wird, bekommt die Universität die Restbeträge deiner Studiengebühren ausbezahlt.“ Solange man den Bachelor in acht Semestern abschließt, verdienen die Universitäten also an den Studierenden. Alles darüber wird nicht zurückerstattet und ist somit ein „Verlustgeschäft“.

FORDERUNGEN DES BILDUNGSPROTESTS. Unterstützer_innen der Proteste fordern eine Demokratisierung des Unterrichts, Transparenz in der Verwaltung sowie eine bewusste Abwendung kostenorientierten Effizienzdenkens hin zu einer adäquaten Bezahlung nach tatsächlich geleisteter Arbeit. Für Dozent_innen und wissenschaftliche Mitarbeiter_innen sollen fixe statt zeitlich auf ein Jahr begrenzte Arbeitsverträge ausgehandelt werden.

Forscher_innen an der UvA müssen die Zahl ihrer jährlichen Publikationen nämlich unter unglaublichem Druck von oben erhöhen. Die neoliberale Logik führte zu drastischen Budgetkürzungen, kombiniert mit einer Kultur des top-down Managements sowie schleichender Bürokratisierung. Die Folgen sind bekannt: Die Zahl der psychischen Erkrankungen unter Studierenden und Lehrenden steigt stetig.

Auch die bereits eingeleitete Fusion der UvA mit der Freien Universität Amsterdam wird von Studierenden und Lehrenden abgelehnt. Das Präsidium aber ignoriert die Beschlüsse des Personal- und Studierendenrates. Generell wünschen sich alle Beteiligten, dass die Universität mehr Autonomie erhält und die Vernetzung innerhalb der akademischen Gemeinschaft gefördert wird.

SOLIDARITÄT IM MAAGDENHUIS. Nach der elftägigen Besetzung des Bungehuis wurde das Gebäude am 24. Februar zwangsgeräumt, 46 Personen wurden dabei verhaftet. Zuvor urteilte ein Gericht am 19. Februar, dass die Aktivist_innen das Gebäude verlassen müssten, ansonsten würde ein Zwangsgeld von 1.000 Euro für jeden weiteren Tag anfallen. Statt das Gebäude zu räumen, begannen die Besetzer_innen Geld zu sammeln. Vergebens.

Einen Tag nach der Räumung, am 25. Februar, organisierten Studierende, Dozent_innen und Sympathisanten eine Demonstration, die letztendlich zur Besetzung des Hauptgebäudes der universitären Verwaltung – dem Maagdenhuis – führte. 300 Menschen waren an der Besetzung beteiligt und sind immer noch vor Ort. Das geräumte Bungehuis soll jetzt wie geplant an eine private Firma verkauft werden, die daraus einen privaten „British Society Club“ machen möchte.

UNIVERSITÄT ALS UNTERNEHMEN. „Die UvA verkommt immer mehr zu einem Betrieb”, schreibt die Studierendenpartei UVASociaal auf ihrer Homepage. Entscheidungen werden von universitätsfremden Manager_innen getroffen, die im Zuge einer Umstrukturierung von ihren Konzernen entfernt wurden und nur wenig Verständnis für die Anliegen und Fragen der Studierenden aufbringen. Demonstrant_innen fordern nun die Dezentralisierung der Vorstandsführung, um der Universität die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu verwalten.

Man müsse sich zudem von quantitativen Leistungsbeurteilungen wie Drop-Out-Quoten oder der Zahl der Absolvent_innen entfernen, sowie die auf Wirtschaftsmodellen beruhenden Formeln der Evaluation gegen selbstreflexive Praxen wie jene der Peer-Group-Reviews ersetzen. Statt sich der Verbesserung der Lehrqualität zu widmen oder internes Bürokratieprozedere zu vereinfachen, bekommt das Management sechsstellige Beträge ausbezahlt um sinnlosen Papierkram, destruktive Arbeitsmethoden und unrealistische Erwartungen an die fortschreitend prekär arbeitenden Angestellten auszulagern.

Obwohl die Aktivist_innen mit einer Ausweitung der Proteste auf Petitionen sowie die Besetzung weiterer Gebäude gedroht hatten, wurde der offene Brief an das UvA-Präsidium bis zum 9. März nicht beantwortet. „Die Administration hat bis jetzt keine konkreten Schritte eingeleitet, um die Forderungen umzusetzen“, erzählt Noeri van den Berg. Das Präsidium brauche noch Zeit, um die richtigen Antworten zu finden.

Eine Abkehr vom bestehenden System der Bildungsmonetarisierung auf den Universitäten scheint nur durch eine Loslösung vom Bologna-Prozess realisierbar. Ein Hauptantrieb in der umfassenden Neugestaltung des europäischen Hochschulraumes ab 1999 bestand darin, einen europaweiten Vergleich universitärer Leistungen zu ermöglichen. Weitere Ziele waren die Förderung der Studierendenmobilität sowie des Studierendenmitspracherechts und der europäischen Zusammenarbeit in der Forschung. Tatsächlich wurden 15 Jahre nach dem Beschluss fast keine dieser Ziele erreicht: Schon von ECTS-Vergleichkarkeit zwischen einzelnen Unis kann keine Rede sein, geschweige denn von leichteren Anrechnungsverfahren von Auslandssemestern. Die Verschulung des Systems führte zu einem stärkeren Konkurrenzdruck und zu einem weiteren Abbau der Lehrqualität zu Gunsten des Publikationsoutputs, wie zahlreiche nationale und transnationale Studien zeigen. Der Fokus an den Universitäten liegt nicht mehr bei einer Anregung zu selbstbestimmtem und kritischem Denken; die straffen Bachelor-Lehrpläne lassen dafür keinen Platz.

Die Entscheidung über die weiteren Verhandlungen zwischen Universitätsführung und Studierenden liegt jetzt jedenfalls bei Präsidentin Louise Gunning. Will sie den Forderungen der akademischen Community zugunsten einer Demokratisierung zustimmen – oder im Sinne der internationalen Vergleichbarkeit und Betriebsstraffung vorgehen wie bisher? Das Management-Personal der Uni ist während der Proteste jedenfalls nirgends zu sehen; ein Banner mit den Worten „DIRECT DEMOCRACY“ wurde währenddessen von Protestierenden vors RektorInnenbüro gehängt. Am 4. März verkündete der Bildungsprotest „Die Neue Universität“ Pläne zur Ausweitung des Widerstands. Die Aktivist_innen haben zu einem Tag des Protests an den Universitäten von Leiden, Groningen, Utrecht, Nijmegen und Rotterdam aufgerufen.

Weitere Informationen zu den Protesten findet ihr auf der Homepage der Initiative “Die neue Universität” sowie der Bewegung der Lehrenden, RethinkUvA. Unter dem hashtag #denieuweuniversiteit gibt es aktuelle Fotos und Statements von Demonstrierenden.

progress wird die Entwicklungen an der Universität von Amsterdam verfolgen und euch bezüglich Neuigkeiten auf dem Laufenden halten.

 

Bianca Xenia Mayer studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien.

Petition: https://www.change.org/p/university-of-amsterdam-executive-board-support-the-new-university

Brücken statt Stacheldraht

  • 13.02.2013, 17:30

Klaus Schwertner: "Ich glaube, dass die ÖVP nach dem Wahlkampf in Wien 2010 erkannt hat, dass es keine Wahlerfolge bringt, Menschen in Not zu kriminalisieren. Es ird am 1. Jänner 2014 eine Liberalisierung des Fremdenrechts geben."

progress: Wann wären die Proteste in der Votivkirche aus Sicht der Caritas ein Erfolg?

Klaus Schwertner: Durch ihren Protest haben die Flüchtlinge schon sehr viel erreicht: Sie haben sichtbar gemacht, dass es  grundsätzliche Probleme in den Unterkünften und im Verfahren gibt. Erstmals treten AsylwerberInnen in einer breiten Öffentlichkeit selber für ihre Anliegen ein. Menschenrechte gelten für alle, das vermitteln sie eindrucksvoll. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass  wir in einem Rechtsstaat leben, das heißt nicht jedeR die oder der Asyl beantragt, wird auch Asyl erhalten. Die PolitikerInnen könnten zwei Dinge von den Flüchtlingen lernen: mehr Menschlichkeit und mehr Mut. Eine Lösung für die Flüchtlinge in der Votivkirche ist eine Frage des Wollens, nicht des Könnens.

Warum hat sich aus der Bundesregierung niemand in die Kirche begeben? Oder der Bundespräsident, der sich auch
für Arigona Zogaj stark gemacht hat?

 
Das müssen Sie die PolitikerInnen selbst fragen. Es gab in der Kirche Gespräche mit Kardinal Schönborn und mit Othmar Karas, dem Vize-Präsidenten des Europaparlaments. Aber es ist nicht so wichtig, wo ein Dialog stattfindet, sondern dass ein Dialog stattfindet. Die Innenministerin hat Anfang Jänner vier Flüchtlinge, die in der Votivkirche Schutz suchen, empfangen. Dabei hat sie zwei Stunden lang mit ihnen gesprochen und faire Verfahren versprochen – aber auch betont, dass es keine strukturellen Änderungen im  Asylrecht geben werde.

Welche gesetzlichen Änderungen braucht es aus Ihrer Sicht?

Es ist nicht alles schlecht und nicht alles gut im österreichischen Asylwesen. Wenn man sich die Verhältnisse in Griechenland anschaut, stehen wir hier nicht so schlecht da. Trotzdem sollte Europa gemeinsam Brücken bauen, anstatt Stacheldrähte hochzuziehen. Österreich braucht rasche, qualitätsvolle Asylverfahren. In acht von neun Bundesländern gibt es baufällige, schimmlige Quartiere. Da brauchen wir Mindeststandards: Es geht nicht um Hotels mit drei Sternen, sondern um menschenwürdiges Wohnen. Wir brauchen eine einheitliche Beurteilung der Gefahren in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Es mutet eigenartig an, dass auf der Homepage des Außenministeriums Reisewarnungen der höchsten Sicherheitsstufe für Pakistan ausgesprochen werden, aber die Flüchtlinge aus diesen Regionen möglicherweise dorthin zurück müssen.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass im Asyl- und Fremdenrecht seit 20 Jahren eine Verschärfung die andere jagt.

Unzählige Novellen haben dazu geführt, dass die Qualität der Gesetze immer schlechter geworden ist. Durch die Schaffung des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration sollte es aber hier dringend notwendige Verbesserungen geben. In den letzten Jahren hat  sich einiges zum Positiven verändert. Aber auf der einen Seite wirft man Flüchtlingen oft vor, dass sie viel Steuergeld kosten, und auf der anderen Seite lässt man sie nicht arbeiten – das ist zynisch. Die aktuelle Regelung erlaubt nur Saisonarbeit bei der Ernte. AsylwerberInnen dürften Gurkerl ernten, aber aufgrund der Einschränkung der Bewegungsfreiheit dürfen sie oft nicht dort hin, wo  die Gurkerl sind.

Haben sich SPÖ und ÖVP in der Frage der Rechte von MigrantInnen zu lange von der FPÖ treiben lassen?

Ich glaube, dass die ÖVP nach dem Wahlkampf in Wien 2010 erkannt hat, dass es keine Wahlerfolge bringt, Menschen in Not zu kriminalisieren. Es wird am 1. Jänner 2014 eine Liberalisierung des Fremdenrechts geben. Menschen, die sich fünf Jahre in Österreich aufhalten, drei davon legal, bekommen einen Rechtsanspruch auf humanitäres Bleiberecht. Abschiebungen von Kindern mit Sturmgewehren, Familien, die auseinandergerissen werden: Diese Zustände müssen in Österreich ein Ende haben und ich bin  guten Mutes, dass uns das gelingt. Es braucht klare Gesetze und Menschlichkeit.

Was das Herz berührt

  • 13.02.2013, 17:17

Alexander Pollak (SOS Mitmensch): "Dass Flüchtlinge vor Medien für sich selbst sprechen, ist auch neu. Symbolisch ist der aktuelle Protest kaum zu übertreffen. Die politischen Erwartungen muss man davon trennen."

progress: Wie hat sich das politische Klima für Menschenrechte in den letzten 20 Jahren entwickelt? Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen 1993 und 2013?

Alexander Pollak: Zum Einen hat sich verändert, wer die Debatte führt. Die Zivilgesellschaft hat mehr Gewicht bekommen, es gibt mehr Organisationen, die sich individuell und politisch für Flüchtlinge engagieren. Es kommen immer wieder Impulse von der EU,  die in Österreich umgesetzt werden müssen. Ich denke an die Einführung der Grundversorgung für AsylwerberInnen vor zehn Jahren. Neu sind die Herkunftsländer der Flüchtlinge: AsylwerberInnen aus Afrika und Asien, die sich mit den restriktiven Regelungen  herumschlagen müssen, haben wir erst seit den letzten Jahren. Verändert hat sich auch die Wahrnehmung der FPÖ: Sie ist zu einem  Teil der Normalität geworden. Vor 20 Jahren war die Empörung über die Hetze der FPÖ noch größer.

Der Journalist Peter Huemer hat bei der Matinee zur 20-Jahr-Feier des Lichtermeers die Frage in den Raum gestellt, ob man nicht  mindestens so massiv gegen SPÖ und ÖVP protestieren müsste, die Haider und jetzt auch Strache immer wieder nachgegeben  haben. Wie sehen Sie das?

Unsere politische Arbeit richtet sich in erster Linie an die Regierung, also beispielsweise an den Sozialminister, wenn es um ein Recht auf Arbeit für AsylwerberInnen geht, oder an die Innenministerin, wenn es etwa um unzulässige Härten in Asylverfahren geht. Die FPÖ nimmt vor allem eine Rolle wahr: Den Diskurs immer wieder aus einer menschenfeindlichen Perspektive anzuheizen.

Hat  sich die politische Mitte durch diesen Anti- Migrations-Diskurs verschoben?

Es gibt eine gewisse Verschiebung. Aber diese ist nicht eindimensional. Eine negative Verschiebung sehe ich, was die Bereitschaft betrifft, menschenfreundliche Reformen anzugehen. Aber ich sehe auch positive Verschiebungen: Vor 20 Jahren gab es kaum  Dorfgemeinschaften und BürgermeisterInnen, die sich für Asylsuchende stark gemacht haben.

Welche Strategien gibt es gegen die angesprochene Abstumpfung gegenüber dem Thema Asyl?

Menschen sind leichter für Mitleid als für konkrete rechtliche Anliegen zu gewinnen. Viele haben Probleme damit, wenn Flüchtlinge plötzlich beginnen, Forderungen zu stellen und sich selbst zu artikulieren, wie das in der Votivkirche passiert. Unsere Kampagnen richten sich nicht primär danach aus, ob Mitleid erregt werde kann, etwa weil Kinder betroffen sind, oder nicht. Aber alles, was das  Herz berührt, hat größere Chancen, wahrgenommen zu werden und Engagement zu wecken. Dieser Logik kann sich niemand ganz  entziehen.

Was ist das Neue an den Protesten in der Votivkirche?

Dass eine Innenministerin Flüchtlinge empfängt, ist auf jeden Fall neu. Dass Flüchtlinge vor Medien für sich selbst sprechen, ist auch neu. Symbolisch ist der aktuelle Protest kaum zu übertreffen. Die politischen Erwartungen muss man davon trennen. Ich glaube nicht an Erfolge von heute auf morgen. Regierungen lassen sich ungern von außen zu Änderungen zwingen. Allerdings sind Verbesserungen im Asylbereich dringend nötig. Positive Reformen weiter hinauszuschieben, ist keine gute Idee.

Was hindert die Regierungsparteien daran, für zumutbare Bedingungen für Flüchtlinge zu sorgen?

Inoffiziell hören wir aus der SPÖ und auch aus der ÖVP immer wieder, dass sie unsere Anliegen unterstützen. Aber die Ängstlichkeit der Regierungsparteien vor der FPÖ und dem Boulevard verhindert Verbesserungen. Diese Angst macht aber gerade die FPÖ nicht schwächer, sondern gibt ihr immer wieder neue Nahrung. Wenn die Regierungen der letzten 20 Jahre konsequenter eine Linie für  Menschenrechte eingenommen hätten, wäre die FPÖ um nichts stärker, sondern eher schwächer, als sie heute ist.

Keine Frage des Könnens

  • 13.02.2013, 17:12

In der Wiener Votivkirche protestieren Flüchtlinge in Österreich zum ersten Mal selbst für ihre Rechte. Doch gerade der Rechtsstaat wird wohl verhindern, dass auch für sie Menschenrechte gelten. Was sich ändern muss, erzählten zwei ungleiche Unterstützer, Alexander Pollak und Klaus Schwertner, progress-Autor Paul Aigner.

In der Wiener Votivkirche protestieren Flüchtlinge in Österreich zum ersten Mal selbst für ihre Rechte. Doch gerade der Rechtsstaat wird wohl verhindern, dass auch für sie Menschenrechte gelten. Was sich ändern muss, erzählten zwei ungleiche Unterstützer,  Alexander Pollak und Klaus Schwertner, progress-Autor Paul Aigner.

Es war die größte politische Kundgebung, die Österreich je gesehen hatte und bis heute gesehen hat. 300.000 Menschen demonstrierten am 23. Februar 1993 am und um den Wiener Heldenplatz. Keinen halben Kilometer Luftlinie weiter frieren und hungern im Winter 2013 AsylwerberInnen in der Wiener Votivkirche. Sie finden die Lebensumstände in den Asyllagern nicht mehr  zumutbar und ihre Position aussichtslos.

Rückblende. Anfang der 1990er-Jahre scheint der Aufstieg der FPÖ kaum zu stoppen. Jörg Haider ist seit sechs Jahren Obmann der größten Oppositionspartei, er nennt SPÖ-Innenminister Franz Löschnak „meinen besten Mann in der Regierung“. Trotz interner  Widerstände setzt Haider  das sogenannte „Ausländervolksbegehren“ durch. Es beinhaltet gezielte Tabubrüche wie die Verknüpfung eines Zuwanderungsstopps mit der Arbeitslosenquote und eine „Ausländerquote“ in Schulklassen. Der liberale Flügel der FPÖ bricht nach dem Volksbegehren weg, fünf Abgeordnete um Heide Schmidt gründen das Liberale Forum (LIF). Den Takt in der  Fremdenpolitik gibt die FPÖ trotzdem weiter vor. 20 Jahre später ziehen zwei Protagonisten der Menschenrechtsbewegung von heute  ein vorläufiges Resümee. progress hat Caritas-Pressesprecher Klaus Schwertner und SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak getroffen und mit ihnen über das raue Klima in der österreichischen Menschenrechtspolitik und die Perspektiven des Protests in der Wiener Votivkirche gesprochen und dabei unterschiedliche Einschätzungen gefunden, was Flüchtlinge in Österreich in den kommenden Jahren erwartet.

Weiterlesen: Interview mit Alexander Pollak (SOS Mitmensch)

Weiterlesen: Interview mit Klaus Schwertner (Caritas)