Ausstellung

Gesprochen, Gehört, Gezeichnet

  • 10.02.2017, 13:53
Es ist schon merkwürdig. Hier wird Literatur gesprochen, gezeichnet, gehört und angeschaut. Trotzdem bleibt nach dem Besuch der Ausstellung „Bleistift, Heft & Laptop“ vor allem eines: das starke Verlangen zu lesen, lesen, lesen.

Es ist schon merkwürdig. Hier wird Literatur gesprochen, gezeichnet, gehört und angeschaut. Trotzdem bleibt nach dem Besuch der Ausstellung „Bleistift, Heft & Laptop“ vor allem eines: das starke Verlangen zu lesen, lesen, lesen.

Die erste Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, das 2015 eröffnet wurde, versammelt „10 Positionen aktuellen Schreibens“ (österreichischer Schriftsteller_innen) in den dunklen Holzregalen des ehemaligen k.u.k. Finanzarchivs. Folgt man der von den Kurator_innen Angelika Reitzer und Wolfgang Straub vorgegebenen Nummerierung, beginnt der Ausstellungsrundgang mit Teresa Präauer und ihrer Frage „Was hat Schreiben mit Zeichnen zu tun?“. Weiße Papierobjekte in der Form überdimensionierten Schreibmaterials bilden die passende Kulisse zu ihrer gewitzt formulierten Antwort auf die Frage, die der Linzer Autorin wohl schon allzu oft gestellt wurde.

So divers die Beiträge der fünf Frauen und fünf Männer sind, es zieht sich ein mehr oder weniger starker Bezug zur bildenden Kunst durch – sei es in Form von Kooperationen oder inhärent in der eigenen künstlerischen Praxis. Brigitte Falkners Comics und Storyboards, Hanno Millesis Collagen aus Texten und Bildern alter National-Geographic-Magazine, oder die mit Schrift überzogenen (Kitsch-)Objekte von Theaterautorin Gerhild Steinbuch und Bühnenbildnerin Philine Rinnert befreien den Text von seiner klassischen Erscheinungsform in horizontalen Linien auf Papier. Nur die Ölbilder, die Katharina Weiß zu Clemens J. Setz’ sprachlichen Bildern gemalt hat, wirken allzu plakativ. Ihnen fehlt der Bruch – das Gesicht, „das wie ein Goldfischglas für den darin lebenden Schnurrbart wirkte“, ist auf dem Gemälde nichts anderes. Und bei manchen Beiträgen, etwa Thomas Stangls oder Anna Weidenholzers, wäre eine vorausgehende Lektüre der Romane interessant gewesen – aber dafür sind alle Besucher_innen wohl selbst verantwortlich. Dass beim Besuch das Verlangen nach schwarzem Text auf weißem Papier und den imaginären Welten, die darin lauern, aufkommt, ist doch eigentlich der größte Erfolg einer Ausstellung im Literaturmuseum. Und eben diesen Wunsch haben die Kurator_innen wohl antizipiert – in der mittig im Ausstellungsraum platzierten Autor_innenbibliothek können ihm die Unaufhaltbaren sofort nachgehen.

„Bleistift, Heft & Laptop. 10 Positionen aktuellen Schreibens“.
KuratorInnen: Angelika Reitzer und Wolfgang Straub.
Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.
Bis 12. Februar 2017

Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.

„Did you try to find out where this comes from?“

  • 04.07.2015, 14:29

Wer sind die legitimen Besitzer_innen der Abermillionen Objekte in ethnologischen Sammlungen aus kolonialen Kontexten, die heute in europäischen Institutionen lagern? Wie können sie wem wo gezeigt werden und vor allem: wozu? Wer sollte darüber entscheiden? Ein Konferenzbericht.

Wer sind die legitimen Besitzer_innen der Abermillionen Objekte in ethnologischen Sammlungen aus kolonialen Kontexten, die heute in europäischen Institutionen lagern? Wie können sie wem wo gezeigt werden und vor allem: wozu? Wer sollte darüber entscheiden? Ein Konferenzbericht.

Nicht zuletzt die Konflikte rund um die Etablierung des „Humboldt-Forums“ im rekonstruierten Berliner Stadtschloss haben die Diskussionen über Sammlungen aus kolonialen Kontexten in ethnologischen und anthropologischen Museen in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum in eine breitere Öffentlichkeit getragen.

Die Legitimität dieser Sammlungen und der sie beherbergenden Institutionen an sich wird zunehmend in Frage gestellt. Damit wird ein Prozess fortgesetzt, der schon zu Zeiten der Dekolonisierung erhebliche Veränderungen in akademischen Diskursen und musealen Repräsentationen mit sich brachte: Kämpfe gegen eurozentristische Herrschafts- und Deutungsansprüche resultierten in der Hinterfragung einer objektiven Perspektive, die als weiß, bürgerlich und männlich dekodiert wurde. Ethnologische Museen stellen hier einen Kristallisationspunkt der Konstruktion des „Eigenen“ und „Fremden“ dar.

Manche Häuser scheinen von dieser Kritik bis heute vollkommen unbehelligt zu bleiben. Viele haben sich – mit unterschiedlich starker inhaltlicher Veränderung –  in den letzten Jahrzehnten umbenannt und einer Transformation verschrieben, so wie jüngst auch das Weltmuseum Wien. Bei einer Konferenz zur Positionierung ethnologischer Museen im 21. Jahrhundert, ausgerichtet von der Volkswagen Stiftung und dem Deutschen Museumsbund, waren Mitte Juni einige Größen der internationalen Museumsszene ethnologischer und anthropologischer Sammlungen ins Schloss Herrenhausen in Hannover eingeladen, um aktuelle Fragen zur Provenienzforschung, zu internationaler Zusammenarbeit, Restitutionsprozessen und Ausstellungspraxen zu diskutieren, sowie Perspektiven für die Zukunft auszuloten.

Wie Wilhelm Krull (Volkswagenstiftung) in seiner Begrüßung anmerkte, waren dazu Menschen aus mehr als 20 Nationen angereist. Zehn von 23 Präsentationen wurden jedoch aus weißer deutscher Perspektive gehalten, vier weitere aus weißer österreichischer und schweizerischer.

DIE FRAGE DER LEGITIMITÄT. Die Konferenz war spezifisch den Sammlungszugängen aus Kolonialzeiten gewidmet. Interessanterweise hoben vor allem jene Vortragenden, deren Haltung „ihren“ Sammlungen gegenüber als konservativ im doppelten Wortsinn bezeichnet werden kann, den kolonialen Kontext besonders hervor.

So hieß es bei Wiebke Ahrndt, Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbundes und Direktorin des Übersee-Museums Bremen sowie Ko-Organisatorin der Konferenz: „Museum professionals have to admit that they very often do not know how exactly individual objects found their way into the museum. None of them would say that every piece was acquired legitimately. But why should we believe that every piece was stolen? Yes, the colonial system caused structural asymmetries and deep injustices. But were all non-Europeans always unable to make a good deal because of this?“
Ähnlich Herrmann Parzingers (Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz) Erwähnung des Kolonialismus in seiner Präsentation der Pläne für das Humboldt-Forum: „Of course the history of the collections is a colonial one and this will be presented, but it is also a history of research.“ Der koloniale Kontext wird hier zum Zugeständnis, die Selbstverständlichkeit desselben zur rhetorischen Figur: Dass die Mehrheit der Objekte ohne adäquate Dokumentation und unter (nicht nur) strukturellen Unterdrückungsverhältnissen in die Sammlungen gelangten, wird als Gemeinplatz dargestellt, um Relativierungen anzuschließen.

Dem entgegen schienen diejenigen, deren Museumsarbeit tatsächlich die historischen Bedingungen zum Ausgangspunkt nimmt, weniger darum bemüht, die (Il)legitimität der Aneignungen zu diskutieren. In den Präsentationen von Nanette Jacomijn Snoep (Staatliche Kunstsammlungen Dresden und Ethnographische Sammlungen Sachsen), Adriana Muñoz (Värlskulturmuset Göteborg) oder Mauricio Estrada Muñoz (Musée d´Ethnographie de Genève) stand vielmehr die gesellschaftspolitische Verantwortung der Institutionen heute im Vordergrund. Hier bildete das Wissen um sexistische, rassistische, klassistische Machtverhältnisse und die eigene Eingebundenheit in postkoloniale Verhältnisse den Ausgangspunkt zur Entwicklung diverser Strategien, mit den Sammlungen zu arbeiten – im Versuch, mit dieser Arbeit auch an Machtverhältnissen inner- und außerhalb der Institutionen zu rütteln. Zugleich wurden (koloniale) Aneignungspraxen in diesem Zusammenhang sehr wohl problematisiert.

ZUSAMMENARBEIT. Auch im Sprechen über mögliche oder etablierte Kollaborationen mit sogenanntenSource Communities“, mit Expert_innen aus Gesellschaften, von denen sich Objekte in den Sammlungen befinden, zeigten sich erhebliche Unterschiede im Selbstreflexionsvermögen der Vortragenden.

So sprach etwa Parzinger von „Dialogen“ bei Workshops: „We travelled a lot, we were not only in Vancouver, (…) we also went to Australia, New Zealand, Africa, Sao Paulo…and we will again do a workshop in Africa.” Zugleich wurde er nicht müde zu betonen, dass die „Integration” der betreffenden Leute von Berlin aus besonders schwierig sei, weil sie tausende Kilometer weit weg seien. Auch wenn er später zugab: „The world is already around us as well, I mean in Berlin there live not only Turks, there are more than 180 nations“. Seine Kollegin Viola König (Ethnologisches Museum Berlin) stellte am letzten Tag der Konferenz jedoch noch einmal klar: „We don´t have diaspora communities connected to our collections in Berlin”. 

Das Publikum während des Votrages von Viola König. Fotograf: Ludwig Schoepfer

Weniger drastisch ignorant, aber in der Überzeugung, dass es heute keine ungleichen Machtverhältnisse mehr zwischen ihr als Kuratorin eines deutschen ethnologischen Museums und den Nachfahren von bei Völkerschauen ausgestellten Samoaner_innen gäbe, berichtete Hilke Thode-Arora (Museum Fünf Kontinente München) von ihren Recherchen auf Samoa. Die dort gesammelten Informationen zur Perspektive der Samoaner_innen auf ihre Teilnahme an den Völkerschauen und ihre Strategien zur Nutzung derselben für ihre Zwecke schienen in Thode-Aroras Darstellung leider zur Relativierung kolonialer Machtverhältnisse eingesetzt zu werden. Etliche andere Präsentationen – zum Beispiel jene von Adriana Muñoz und Anthony Shelton (Museum of Anthropology Vancoucer), aber auch von Michael Kraus (Abteilung Altamerikanistik Bonn) –  zeigten hingegen positive Beispiele langjähriger Kollaborationen auf unterschiedlichen Ebenen: als Berater_innen, Ausstellungsgestalter_innen, Partner_innen in der Durchführung von Community-Veranstaltungen und Weiterbildungen. Dabei beschrieb Andriana Muñoz ihre Position als in stetiger Ausverhandlung begriffen; als in Argentinien sozialisierte Kuratorin habe sie sich immer auch als Aktivistin verstanden – als Kuratorin in einem schwedischen Museum stelle sich ihre Rolle je nach Kontext neu dar.

INTERVENTIONEN UND KONTROVERSEN. Die gab es leider trotz der sehr heterogenen Vortragsinhalte wenige. Es war zwar sogar eine „Interjection“ geplant gewesen – von dem Politikwissenschaftler und Aktivisten Joshua Kwesi Aikins – doch sagte dieser kurzfristig ab. Zu Recht würde man meinen, denn so zeigte sich, dass provokante Fragen fast ausschließlich den wenigen (Schwarzen) Teilnehmer_innen überlassen blieben, die aus Ländern angereist waren, die massiv von Raub kultureller Güter für europäische ethnologische Sammlungen betroffen waren und sind.

Indra Lopez Velasco, Beatrix Hoffmann, Karoline Noack, Limba Mupetami, Clara Himmelheber, Michael Kraus und Emmanuel Kasarhérou als Chair bei der Session zu Kooperationen. Fotograf: Philip Bartz

Ihre Fragen in Bezug auf konkrete Provenienzen bzw. die Bemühungen, die von den jeweiligen Institutionen in Bezug auf die Klärung der Herkunft bestimmter Objekte (oftmals mit unzureichender Kontextualisierung on display) ausgegangen seien, wurden immer mit ausweichendem Verweis auf die fehlenden Ressourcen und gleichzeitiger Beteuerung der Notwendigkeit zur Recherche beantwortet. Limba Mupetami (Museum Association of Namibia) stellte ein Projekt vor, das auf diese Situation mit Eigeninitiative antwortet: Das Africa Accessioned Project, das in europäischen Sammlungen nach Objekten aus vier afrikanischen Ländern sucht – Botswana, Namibia, Zambia, Zimbabwe – um zumindest Wissen um sie und potentielle Forschung über sie zu ermöglichen.

Und so lassen sich denn auch neben all den möglichen komplexen Strategien und Herausforderungen, die sich in Bezug auf die Arbeit mit ethnologischen und anthropologischen Sammlungen zeigen, wohl doch zwei recht einfache Beobachtungen machen: Erstens, eine eigentliche Kernaufgabe der Museen, die sorgfältige Auf- und Bearbeitung ihrer Sammlungsbestände, inklusive Herkunftsort und Bedeutung, wurde und wird nicht erfüllt. Oder wie Caroline Mutahanamilwa Mchome (Ministry of Natural Resources and Tourism, Tanzania) es formulierte: „The museums just don´t seem to be doing their job“. Zweitens braucht es personelle Veränderungen in den Museen: Die „Communities of Origin“ müssen auch die „Communities of Authority“ werden und dafür bezahlt werden.

Podcasts der Vorträge werden Ende Juli hier abrufbar sein.

 

Sophie Schasiepen ist Kulturwissenschafterin und arbeitet derzeit an ihrer Dissertation zur Repatriierung von Klaas und Trooi Pienaar.

 

In Hitlers Badewanne

  • 25.06.2015, 11:23

„Mein Name ist Lee Miller, und ich bin Ihre neue Schülerin.“ Mit diesen an Man Ray gerichteten Worten begann Lee Miller ihre Karriere als Fotografin im Jahr 1929 in Paris.

„Mein Name ist Lee Miller, und ich bin Ihre neue Schülerin.“ Mit diesen an Man Ray gerichteten Worten begann Lee Miller ihre Karriere als Fotografin im Jahr 1929 in Paris.

Zuvor war die damals 22-Jährige in New York vor den Kameras renommierter Fotografen wie Edward Steichen gestanden. Das Werk der Amerikanerin ist untrennbar mit ihrer legendären Biografie verbunden. In der Albertina wird nun anhand von 100 Fotos aus den Jahren 1929 bis 1945 Lee Millers Entwicklung von der surrealistischen Fotokünstlerin zur fotografierenden Kriegskorrespondentin nachvollzogen. In den 1930ern schuf sie gemeinsam mit Man Ray ikonische Bilder des Surrealismus; als Statue in Jean Cocteaus Film „Le

Sang d’un Poète“ wurde Lee Miller zum steinernen Mythos. Ironisch gebrochen wird die Reihe weiblicher Akte durch ihre Fotos von amputierten Brüsten, arrangiert auf Tellern mit Messer, Gabel und Dessertlöffel. Ab 1940 inszenierte die Fotografin Mode und Mannequins – etwa mit Brandschutzmasken am Eingang zu Schutzkellern – für die englische Vogue. Der leicht(fertig)e Schritt an diesen vom Surrealismus geprägten Bildwelten vorbei wird im hinteren Raum  der  thematisch  angeordneten Ausstellung dann abrupt unterbrochen.

1945 fotografierte Lee Miller als Kriegsreporterin in Deutschland. Einschneidend ist bei diesen Aufnahmen nicht nur die Brutalität der Sujets selbst – der tote, im Kanal treibende SS-Mann oder die befreiten Häftlinge in Lageruniform, aufgereiht vor einem Leichenberg – sondern auch deren Inszenierung durch die Fotografin. Die ganze Wucht von Lee Millers „ungeheurer" Persönlichkeit  offenbart sich in jenen berühmten Aufnahmen, die ihr Kollege David E. Scherman am 30. April 1945 von ihr machte. Während sich Hitler im sogenannten Führerbunker mit der Pistole der Verantwortung entzog, wusch sich Lee Miller den Staub der Konzentrationslager in der Badewanne dessen Münchner Wohnung vom Körper und legte sich in legerer Pose mit Zigarette in Eva Brauns Bett. Der Gang aus der Wiener Albertina nach draußen ist kein lässiger, hingehen und um eine beeindruckende Erzählung reicher werden, ist trotzdem empfehlenswert.

„Lee Miller“ Kurator: Walter Moser
Albertina Wien
bis 16.8.2015


Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Von giftigen Handtüchern und recycelten Festplatten

  • 23.04.2015, 13:22

Der Zeitgeist wohnt in unseren Rennrädern, Windturbinen und Glasfaserkabeln – in Form der Metalle der Seltenen Erden. Diese sind Ausgangspunkt für die Ausstellung „Rare Earth“ in der TBA21 im Wiener Augarten, deren wenig kritische Umsetzung am Anspruch des brisanten Themas scheitert.

Der Zeitgeist wohnt in unseren Rennrädern, Windturbinen und Glasfaserkabeln – in Form der Metalle der Seltenen Erden. Diese sind Ausgangspunkt für die Ausstellung „Rare Earth“ in der TBA21 im Wiener Augarten, deren wenig kritische Umsetzung am Anspruch des brisanten Themas scheitert.

Sie klingen wie die Götter in einem Science-Fiction-Roman. Scandium, Yttrium, Cer, Promethium oder Europium. Dabei stammen die Metalle der Seltenen Erden ganz und gar nicht aus einem phantastischen Himmel, sondern aus den unwirtlichen Tiefen der Erde, zutage gefördert von Schwerstarbeiter_innen in China, Indien oder dem Kongo. Allzu weit hergeholt erscheint der göttliche Vergleich nicht, ist ein Alltag ohne die sogenannten Seltenen Erden – als integrale Bestandteile von LCD-Bildschirmen, DVDs, Elektromotoren oder Röntgentechnik – heute kaum mehr vorstellbar.

DIE EPOCHE DER SELTENEN ERDEN. 17 Elemente des Periodensystems zählen zu jenen raren Metallen – ebenso viele Beiträge versammelt die Ausstellung in der TBA21. Für die Kuratoren Boris Ondreička und Nadim Samman bilden die Seltenen Erden die elementare Basis unserer Epoche, nehmen einen ähnlichen Stellenwert ein wie ur-einst Stein, Bronze und Eisen. Mit dem Auftrag, den „zeitgenössischen Geist“ anhand seiner materiellen Grundlage zu untersuchen, wurden zehn der präsentierten Arbeiten eigens für die Schau produziert. Hochkomplexe Gebilde stehen einfachen Installationen gegenüber, deren Spektrum zwischen abstrakt-kryptisch und didaktisch-banal zwar weit über das Thema hinausreicht, aber kaum auf einen spannenden und damit kritischen Punkt kommt.

SINGENDE STALAGMITEN UND TECHNOMÜLL. Arseniy Zhilaev gruppiert in einer Vitrine Werkzeuge und Waffen verschiedener Epochen: die Eisenschwerter der Sklaven, die Mistgabeln der Bauern, die Pflastersteine der Proletarier und die Mobiltelefone des Prekariats. Der kurzlebige Clou an der gegenüber platzierten mineralen Form aus recycelten Metallen und dem Haufen zerlegter Festplatten: Sie wurden vom Künstlerduo Revital Cohen und Tuur van Balen eigenhändig zerlegt, anstatt von Tagelöhnern in Konfliktzonen. Eindringlicher sind Ai Weiweis weiße Handtücher, bestickt mit fluoreszierendem, Europium enthaltendem Garn – westlicher Komfort gespeist aus Chinas Raubbau. Gar höchst spektakulär ist Marguerite Humeaus Rauminstallation, die mit Hilfe der magnetischen Eigenschaften von Erbium und eines Neodym-Verstärkers die Stimmen einer stalagmit-förmigen Wachsskulptur, Mineralien und Flammen inszeniert. Zumindest hier wird die Frage übertönt, was das ganze eigentlich soll.

„Rare Earth“
Kuratoren: Boris Ondreička und Nadim Samman
TBA21-Augarten Wien
bis 31.5.2015

 

Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.