Auslandsstudium

Hürdenlauf Nostrifizierung

  • 05.12.2015, 19:18

Dokumente, Taxen, Ergänzungsprüfungen: Das steht Migrantinnen und Migranten bei der Nostrifizierung bevor. Wie erfolgt eigentlich die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse in Österreich? Eine Spurensuche.

Dokumente, Taxen, Ergänzungsprüfungen: Das steht Migrantinnen und Migranten bei der Nostrifizierung bevor. Wie erfolgt eigentlich die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse in Österreich? Eine Spurensuche.

Hasan H. (Name auf Wunsch geändert) aus dem syrischen Homs ist seit vier Monaten in Österreich und lebt in einer Flüchtlingsunterkunft in Reichenau an der Rax. Sein Asylverfahren ist mittlerweile in Gang, doch Hasan will arbeiten, und zwar so rasch wie möglich. In Syrien war der 33-Jährige als Agraringenieur tätig. Fünf Jahre hat sein Studium gedauert, nach einem weiteren Jahr und einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit wurde ihm der Magistergrad (Arabisch: Al-madjistir) verliehen. Ob das Studium in Österreich anerkannt wird, dafür gibt es keine pauschale Regelung. Im besten Fall wird Hasan H. nach einigen Monaten Verfahrensdauer das Studium voll anerkannt. Im schlimmsten Fall gibt es keinen positiven Bescheid, sondern maximal die Anerkennung einzelner Prüfungen.

HÜRDENLAUF. Es ist ein steiniger, mit Barrieren gepflasterter Weg, den Asylwerbende und anerkannte Flüchtlinge in Österreich gehen müssen, wenn sie ihre akademischen Ausbildungen anerkennen lassen wollen. Dafür braucht es eine Menge Unterlagen, vor allem aber viel Geduld und Durchhaltevermögen. Die Nostrifizierung, so der Fachbegriff für das Verfahren zur Anerkennung ausländischer Studien in Österreich, hängt von Staatsangehörigkeit und Berufsart ab. Eine „automatische“ Anerkennung gibt es nicht – auch nicht angesichts der 90.000 Asylanträge, die in Österreich bis Jahresende 2015 zu erwarten sind. Begründung: Die Studieninhalte sind zu unterschiedlich, eine Prüfung im Einzelfall ist daher zwingend notwendig. Ein syrischer Arzt kann sich nicht darauf verlassen, in Österreich rasch in seinem Beruf arbeiten zu können.

Diese Ungewissheit schreckt viele Migrantinnen und Migranten ab, es überhaupt zu versuchen: Nur jedeR Dritte lässt sich die im Ausland erworbene akademische Ausbildung nostrifizieren. Andere verzweifeln an der Dauer des Verfahrens, an den Ergänzungsprüfungen – und geben am Weg zur Nostrifizierung auf. Selbst eine erfolgreiche Nostrifizierung ist noch kein Garant dafür, danach auch einen adäquaten Job zu bekommen. Laut einer Befragung aus dem Jahr 2012 im Auftrag der Arbeiterkammer Wien ist jedeR dritte MigrantIn in Wien unterhalb ihres/seines Ausbildungsniveaus beschäftigt. Der Anteil von überqualifiziert beschäftigten Migrantinnen und Migranten ist laut OECD in Österreich einer der höchsten innerhalb der 34 OECD-Staaten. Gesamtstatistiken gibt es jedoch nicht.

KOMPETENZ-CHECKS. Erschwert wird die Anerkennung von akademischen Abschlüssen durch das mangelnde Wissen über die Kompetenzen der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Viele Klischees stehen im Raum – doch Daten gibt es kaum bis gar nicht. Um den Bildungsstatus zu erfassen, führt das Arbeitsmarktservice (AMS) aktuell Kompetenz-Checks durch. Mitte Dezember sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Wer ist für die Anerkennung von Studien überhaupt zuständig? Einfach ist es nicht, das herauszufinden. Erste Anlaufstelle ist in den meisten Fällen ENIC-NARIC-Austria. Ein zehnköpfiges Team kümmert sich im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) um Anerkennungsfragen. Einrichtungen dieser Art gibt es in allen EU-Staaten. Doch die tatsächliche Anerkennung eines ausländischen Studienabschlusses als gleichwertig mit dem Abschluss eines inländischen Studiums erfolgt direkt an der Universität bzw. Fachhochschule. Zwischen 2010 und 2013 gab es laut ENIC-NARIC-Austria etwa 13.000 Ansuchen auf Titel-Anerkennung, zum Großteil aus osteuropäischen Staaten und Russland. Nicht notwendig ist die Nostrifizierung übrigens für die Zulassung zu weiterführenden Studien (Magister/Master, Doktorat, PhD).

Es sind also die Universitäten und FHs selbst, die über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse entscheiden. Doch: keine Regel ohne Ausnahme. So erkennt das BMWFW – und nicht die von zwischenstaatlichen (bilateralen) Abkommen direkt an. „Dieses vereinfachte Verfahren gilt für Absolventinnen und Absolventen bestimmter Studien aus Bosnien und Herzegowina, Italien, dem Kosovo, Kroatien, Liechtenstein, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien“, erklärt Heinz Kasparovsky, Leiter der Informationsstelle. Auch Studienabsolventinnen und -absolventen von päpstlichen Universitäten dürfen sich über ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren dank eines bilateralen Abkommens freuen. Initiativen, die Verfahren nun angesichts tausender Asylwerbender in Österreich zu vereinfachen, gibt es aktuell nicht. Dabei könnte eine raschere Anerkennung akademischer Studien dem Mangel an Fachkräften in zahlreichen Branchen entgegenwirken. Einerseits suchen österreichische Krankenhäuser händeringend nach medizinischem Personal, andererseits müssen aber in diesem Bereich ausgebildete Fachkräfte den langen, zermürbenden Weg der Anerkennung gehen.

BEISPIEL: UNIVERSITÄT WIEN. Dem Großteil der an der Nostrifizierung Interessierten bleibt der Gang an die Universitäten und Fachhochschulen nicht erspart. An der Universität Wien entscheidet gemäß Satzung und Universitätsgesetz die/der Studienpräses über die Nostrifizierung. Um das Verfahren starten zu können, sind zahlreiche Unterlagen nötig, so Claudia Universitäten bzw. FHs – einzelne Studien aus bestimmten Staaten aufgrund Fritz-Larott vom Büro der Studienpräses: Neben dem Antragsformular sind das die Geburtsurkunde, ein Staatsbürgerschaftsnachweis/ Reisepass, der Aufenthaltstitel, das Reifeprüfungszeugnis, ein kurzer Lebenslauf, die Urkunde über den ausländischen Studienabschluss und möglichst viele Unterlagen zum absolvierten Studium selbst, also Zeugnisse über Prüfungen, Studienbuch, Studienplan, wissenschaftliche Arbeiten usw. Die Antragstellerin oder der Antragsteller muss zudem nachweisen, dass die Nostrifizierung zwingend notwendig ist für die Berufsausübung oder die Fortsetzung der Ausbildung – ein Nachweis, der in der Praxis häufig schwierig zu beschaffen ist. De facto kann das durch den/die (künftige/n) ArbeitgeberIn geschehen, aber auch durch ein Schreiben einer Behörde.

Neben den Dokumenten ist zudem die Zahlung der Nostrifizierungstaxe erforderlich. Claudia Fritz-Larott von der Universität Wien sagt dazu: „Diese beträgt 150 Euro und ist damit im europäischen Vergleich nicht besonders hoch.“ Das Verfahren verteuert sich jedoch durch die Übersetzung der zahlreichen Dokumente, die für die Nostrifizierung vorzulegen sind. Das Nostrifizierungsverfahren dauert etwa drei Monate, so die Universität Wien, und mündet in einen Bescheid. Ist er positiv, gilt der ausländische Studienabschluss als mit dem inländischen gleichwertig. Ist er negativ, ist eine Anerkennung nicht möglich, denn Inhalt und Dauer des im Ausland absolvierten Studiums gelten als zu stark von den österreichischen Studien abweichend. Ein negativer Bescheid wird auch ausgestellt, wenn Unterlagen fehlen, die Hochschule nicht anerkannt oder die eingereichten Diplome ungültig sind. Möglich ist es dann noch, sich für ein Studium an einer österreichischen Universität einzuschreiben und einzelne Prüfungen anerkennen zu lassen. In der Praxis gibt es häufig einen Mittelweg zwischen positivem und negativem Bescheid: Der Antragstellerin oder dem Antragsteller werden Bedingungen gesetzt: Sie oder er muss dann noch einmal eine Abschlussarbeit verfassen, einzelne Lehrveranstaltungen nachholen oder Prüfungen ablegen. Auf Deutsch, versteht sich.

SPRACHKENNTNISSE ALS SCHLÜSSEL. Hier liegen auch die größten Schwierigkeiten für Migrantinnen und Migranten, so der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF). Auf der Flucht verloren gegangene oder im Herkunftsland zurückgelassene Dokumente lassen sich äußerst selten beschaffen. Dies führt zu Auflagen im Nostrifizierungsverfahren – und zu Verzögerungen. Denn um Prüfungen auf Deutsch ablegen zu können, ist in der Regel ein Sprachniveau auf B2 und damit ein mehrjähriges Erlernen der Sprache erforderlich. Bei „geschützten“ Berufen wie RechtsAnanwältinnen und Rechtsanwälten, Lehrerinnen und Lehrern, Medizinerinnen und Medizinern haben zudem auch die Berufsvertretungen – von der Rechtsanwaltskammer über die Ärztekammer bis hin zum Hebammengremium – mitzureden. Viele Migrantinnen und Migranten, so der WAFF, lassen es daher überhaupt bleiben und nehmen dieses langwierige Verfahren gar nicht auf sich.

Welche Alternativen bleiben Flüchtlingen also? Eine Möglichkeit wäre ein Studierendenvisum. Haken an der Sache ist jedoch, dass dieses bereits im Herkunftsland gestellt werden muss – und neben dem Nachweis, über ausreichend finanzielle Mittel (8.000 Euro am Bankkonto) zu verfügen, auch eine Versicherung sowie einen festen Wohnsitz erfordert. Einfacher geht es mit der Initiative MORE (s. Seite 11). Haken an der Sache: Prüfungen können MORE-Studierende nicht ablegen. In Deutschland startet mit dem Wintersemester die Pilotphase der „Wings University“: Sie ermöglicht, per Online-Studium auf Englisch einen Studienabschluss zu erwerben. Momentan sind vier Studiengänge im Angebot: Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Ingenieurwissenschaften und Architektur. Der Zugang zur Online-Uni erfolgt über Einstufungstests. Zeugnisse müssen die angehenden Studierenden nicht vorlegen. All diese Initiativen, so vorbildlich und kreativ sie auch sein mögen, ändern jedoch nichts am komplizierten Verfahren der Nostrifizierung.

Hasan H. will es jedenfalls probieren und sein Studium hier in Österreich anerkennen lassen. „Was habe ich schon zu verlieren?“, meint der junge Mann aus Syrien. Sobald sein Asylantrag bearbeitet ist, will er seine Unterlagen für die Nostrifizierung an der Universität für Bodenkultur in Wien einreichen. Ihm geht es bei dem Antrag nicht nur um die Anerkennung seines akademischen Titels. Er will sich in Österreich integrieren – anerkannt sein. Nicht nur akademisch und rechtlich, sondern beruflich und persönlich.

Susanne Weber hat Politikwissenschaft in Wien und Brüssel studiert und arbeitet als Pressereferentin.

Informationszentrum für akademische Anerkennung ENIC-NARIC-Austria
www.nostrifizierung.at (auf Deutsch und Englisch)
Telefon: 0800 312 500 (gebührenfrei aus ganz Österreich)
info@nostrifizierung.at
KundInnendienstzeiten: Dienstag und Donnerstag, 9.00 bis 12.00 Uhr

Studieren in der Arktis

  • 11.12.2014, 09:34

Das Universitätszentrum in Longyearbyen ist das nördlichste der Welt – und, glaubt man Studierenden und Lehrenden, eines der besten. Studieren mit Eisbären, Schneemobilen und Icebreakerpartys.

Das Universitätszentrum in Longyearbyen ist das nördlichste der Welt – und, glaubt man Studierenden und Lehrenden, eines der besten. Studieren mit Eisbären, Schneemobilen und Icebreakerpartys.

Ein Auslandssemester an einem Ort, an dem es monatelang finster ist? In Longyearbyen, dem nördlichsten Ort der Welt, gibt es rund 110 Tage im Jahr weder Sonnenauf- noch -untergang. Wer hier im Wintersemester studiert, lebt lange Zeit in Finsternis. Doch wer das auf sich nimmt, wird mit einer offenen, internationalen Gemeinschaft und einer außergewöhnlichen, außerirdisch anmutenden Umgebung belohnt: schneebedeckt, baumlos, unberührt, arktisch, mit Gletschern und Bergen – ein Abenteuerfilm-Setting, Eisbären inkludiert. Und im Sommersemester holt die Mitternachtssonne ihre Sonnenstunden nach.

Die Stadt Longyearbyen liegt auf der Hauptinsel von Svalbard (Spitzbergen) und wurde ursprünglich als Bergarbeiterstadt errichtet. Der Kohleabbau ist nach wie vor der größte Wirtschaftszweig auf Spitzbergen, doch aufgrund der exponierten Lage 600 km von der Nordspitze Finnlands entfernt haben sich die Inseln in den letzten Jahrzehnten zum wichtigsten Zentrum für Arktisforschung weltweit entwickelt – und UNIS ist ein wichtiger Teil davon.

Uni in Eis und Schnee. Das UNIS (University Centre in Svalbard) ist keine Hochschule im klassischen Sinn, denn es ist nicht dafür ausgelegt, hier ein komplettes Studium zu absolvieren. Stattdessen treffen sich hier Studierende aus aller Welt für ein oder zwei Semester, um von Arktis-Koryphäen unterrichtet zu werden und gemeinsam mit ihnen zu forschen. Am UNIS können die Fächer Arktische Biologie, Arktische Geologie, Arktische Geophysik und Arktische Technologie studiert werden – wer sich hier bewirbt, sollte also besser ernsthaftes Interesse an Schnee und Eis haben. Es gibt Kurse auf Bachelor-, Master- und PhD-Level. 2013 zum Beispiel verbrachten fast 500 Studierende einige Wochen, Monate oder gar ein volles Jahr hier.

Die 22-jährige Meteorologie-Studentin Veronika Hatvan hat zwei Semester lang auf Bachelor-Niveau Arktische Geophysik am UNIS studiert und ist seit Anfang Juni für ihr Masterstudium zurück in Innsbruck. Sie bereut ihre Entscheidung für Svalbard keine Sekunde. „Ich habe in einer Zeitung gesehen, dass es hier eine Uni gibt. Meine Mutter hat gemeint, das wäre doch was für mich. Das war im ersten Semester. Und dann hat sich das zu einer fixen Idee entwickelt“, erzählt Veronika.

(c) Daniela Sulz

Weg zum Studium. Eine Idee, die sie in die Tat umgesetzt hat, auch wenn der Weg zum Studium am UNIS ein wenig kompliziert ist: Direkte Bewerbungen sind nicht möglich. Stattdessen müssen sich Interessierte zuerst an einer norwegischen Universität bewerben – mit dem Hinweis, dass das eigentliche Studium in Longyearbyen geplant ist – und dann noch einmal separat für UNIS. Die Studentinnen und Studenten sind international durchmischt. Sie kommen nicht nur aus Norwegen, sondern beispielsweise auch aus Kanada, Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz, Deutschland und Österreich. Insgesamt waren 2013 36 Nationen vertreten und der Frauenanteil lag bei 53 Prozent. Abgesehen von einer kleinen Semestergebühr von 65 Euro gibt es keine Studiengebühren, und wenn die norwegische Universität Partnerin der eigenen Hochschule ist, ist ein Erasmus-Auslandssemester möglich. Das UNIS selbst vergibt keine Stipendien. Das Leben so hoch im Norden ist allerdings teuer: Mit Kosten von zumindest 1.000 Euro pro Monat ist zu rechnen. Der organisatorische und finanzielle Aufwand lohnt sich jedoch, findet Veronika: „Ich habe das Gefühl, dass sie hier wirklich wollen, dass du etwas lernst“, sagt Veronika. Auch Stefan Schöttl, 25 Jahre alt und Gebirgs- und Klimageographie-Student in Graz, hat von Februar bis Mai 2014 zwei Master-Kurse am UNIS absolviert. „Die Studierenden sind sehr motiviert. Es ist schon irgendwie eine Ehre, hier studieren zu dürfen“, beschreibt er seine Erfahrung.

Aber nicht nur den Studierenden ist es eine Ehre, sondern auch den Lehrkräften: „Hier unterrichten wirklich gute Leute. Im ersten Semester haben wir zum Beispiel in einem Kurs zuerst mit Fachartikeln gearbeitet, und eine Woche später war dann derjenige unser Vortragender, der fünf dieser Papers geschrieben hat“, sagt Veronika. Stefan lobt das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden: „Es ist mehr auf einer Ebene.“ Er hält es für ein Qualitätsmerkmal, dass „hier jede/r das unterrichtet, worin er oder sie Experte/in ist“.

Gegenseitiges Lob. Das Lob beruht auf Gegenseitigkeit: Auch die Lehrenden heben die Motivation der Studierenden hervor. „Die Studierenden hier sind wahnsinnig toll“, erzählt Anne Hormes. Sie hat sieben Jahre lang am UNIS unterrichtet, obwohl ursprünglich nur drei geplant waren. Geblieben ist die Geologin unter anderem wegen der Möglichkeiten, die sich am UNIS in der Lehre bieten. Sie ist nicht nur wegen der kleinen Gruppengrößen spannend (im Schnitt 20 bis 25 Teilnehmer*innen), sondern auch wegen der praktischen Ausrichtung. „Wir gehen raus und involvieren die Studierenden bei Forschungsfragen. Sie sammeln Daten, die für weitere Arbeiten von Interesse sind. Sie lernen, wie man wirklich Forschung betreibt.“

(c) Daniela Sulz

Diese Einbindung in „richtige“ Forschungsarbeit war auch ein großer Motivationsfaktor für Veronika und Stefan. „Es ist toll, wenn man auf Exkursionen Daten sammelt, die dann tatsächlich in Publikationen verwendet werden“, sagt Veronika. Diese Publikationen werden nicht nur von den Forscher*innen des UNIS geschrieben, auch die Studierenden beteiligen sich – und es kommt immer wieder vor, dass ein von Studierenden geschriebener Artikel tatsächlich in einem Fachmagazin erscheint.

STEOP: Schießkurs. Der Schwerpunkt auf Forschung liegt aufgrund der außergewöhnlichen Lage von Spitzbergen auf der Hand, ist aber trotzdem beeindruckend: Feldexkursionen bringen einen großen Aufwand an Material und Logistik mit sich. Neben dem Forschungsequipment sind zum Beispiel auch Schneemobile und Gewehre ein fixer Bestandteil der Ausrüstung.

Der erste Kurs, den alle Neuankömmlinge in Longyearbyen absolvieren müssen, heißt „Arctic Survival and Safety Course“. Hier lernen die Studierenden, wie man sich in der arktischen Wildnis richtig verhält. Der Umgang mit Gewehren gehört da einfach dazu, denn es ist verboten, die Stadt unbewaffnet zu verlassen – der Eisbären wegen. Diese sind zwar eigentlich maritime Raubtiere, das heißt, sie leben großteils auf dem Eis, aber sie kommen auch immer wieder an Land. Dass Eisbären Menschen zu nahe kommen, passiert sehr selten, aber ausgeschlossen ist es nicht. Und da das Universitätszentrum seine Studierenden nicht nur auf Exkursionen schickt, sondern auch dabei unterstützt, die Insel so gut und sicher wie möglich auf eigene Faust zu erkunden, ist ein kleiner Schießkurs Pflicht.

„Es gibt jede Woche eine Lotterie“, erzählt Veronika. Dabei wird ausgelost, wer für die nächste Woche Waffen zur Verfügung gestellt bekommt. Auch Schneemobile kann man ausleihen. Das ermöglicht Ausflüge in der Freizeit. „Uns wurde letztes Semester gesagt, dass wir die teuersten Studierenden der Welt sind, weil wir all dieses Equipment verwenden dürfen“, sagt Veronika.

 

(c) Daniela Sulz

Aktiv in der Freizeit. Die Studierenden des UNIS sind auch in ihrer Freizeit sehr aktiv: Obwohl die Kurse fordernd und arbeitsintensiv sind, stehen Skifahren, Wandern und Scooterfahren so oft wie möglich auf dem Programm – die knappe Zeit in dieser ungewöhnlichen und faszinierenden Umgebung will genutzt werden. Veronika hat sich einen eigenen gebrauchten Scooter zugelegt, um so mobil wie möglich zu sein.

Und das Sozialleben? Mit rund 2.000 Einwohner*innen ist Longyearbyen nicht gerade eine Partystadt, aber durch den Tourismus gibt es einige Bars und Restaurants. Die Studierenden meiden die Restaurants aufgrund der hohen Preise aber eher und organisieren die Partys selbst – mit Unterstützung des Universitätszentrums. Jeden Freitag gibt es ein „Friday Gathering“ im Universitäts-Gebäude. Es wird von Studierenden veranstaltet und von der Universität gefördert. Zusätzlich gibt es eine große Party pro Semester: Die „Icebreaker Party“, ein Name, der wohl nirgendwo so passend ist wie am Rande der Arktis. Putzen müssen die Studierenden nach ihren Feiern selbst. Auch das stärkt den Zusammenhalt.

Rückkehr. Die Rückkehr an ihre österreichischen Unis war für Veronika und Stefan eine Umstellung. „An das Betreuungsverhältnis in Österreich muss man sich erst wieder gewöhnen“, sagt Stefan, der sich trotzdem gefreut hat, wieder nach Hause zu kommen. Und: „Es gibt ja auch hier genug Berge, Gletscher und vor allem Bäume.“ Wenn alles klappt, wird er nächstes Jahr im Februar wieder einen Kurs am UNIS machen. Auch Veronika vermisst UNIS und Longyearbyen. „Die Umgebung ist einzigartig“, findet sie. Auch für sie war es vermutlich nicht der letzte Aufenthalt auf Svalbard. Dass viele Studierende wiederkommen, verwundert Anne Hormes nicht: „Sie machen hier eine tolle Erfahrung mit extremen Erlebnissen.“ Die Umgebung verlange, dass man sich ganz aufeinander einlässt. Dazu kommen die eng gestrickte Gemeinschaft und die Erfahrung, dass Lehrende und Studierende sich auf Augenhöhe begegnen können. Wer einmal hier war und am rauen Klima, der arktischen Natur und der Diskrepanz zwischen Polarnacht und Mitternachtssonne Gefallen gefunden hat, der will mehr.

Daniela Sulz lebt zur Zeit in Helsinki und hat Journalismus an der FH Wien und Geschichte an der Uni Wien studiert.

 

Info Spitzbergen

Die Inselgruppe mit dem norwegischen Namen Svalbard liegt auf halbem Weg zwischen Norwegen und dem Nordpol. Nach der Entdeckung der Inseln 1596 blieben sie zuerst unbewohnt, wurden aber als Ausgangspunkt für den Walfang genutzt. Die Besiedelung begann erst im frühen 20. Jahrhundert, nach der Entdeckung von Kohlevorkommen. Durch den Spitzbergen-Vertrag wurde die Inselgruppe Norwegen zugesprochen. Longyearbyen wurde 1906 gegründet und war eine Bergbaustadt, in der jahrzehntelang fast gar keine Frauen lebten, nicht einmal Ehefrauen waren erlaubt. Das änderte sich erst mit der Eröffnung des Flughafens. Nur langsam wurde Longyearbyen für die „Zivilbevölkerung und den Tourismus geöffnet. Heute ist der Tourismus ein wichtiger Einkommenszweig. Svalbard ist auch das wichtigste Zentrum für die Arktisforschung. Das Klima ist arktisch, nur die Küstenregionen sind im Sommer für einige Wochen schneefrei und von Gräsern und Flechten bedeckt. Das Nahrungsangebot ist aber für einige angepasste Tierarten wie das Spitzbergen-Rentier und rund 30 Vogelarten ausreichend. Um die Inseln leben auch verschiedene Robbenarten und ungefähr 3.500 Eisbären. 

Populismus in der EU: „Wir gegen die da oben in Brüssel“

  • 18.07.2014, 16:16

Die Schweizer Initiative gegen Masseneinwanderung hat das Verhältnis zu Europa verschlechtert. Auch in anderen Staaten haben bei der EU-Wahl populistische Anti-EU-Kräfte gewonnen. Gewählt werden sie oft von jungen Leuten, die von Initiativen wie Erasmus und Co eigentlich profitieren.

Die Schweizer Initiative gegen Masseneinwanderung hat das Verhältnis zu Europa verschlechtert. Auch in anderen Staaten haben bei der EU-Wahl populistische Anti-EU-Kräfte gewonnen. Gewählt werden sie oft von jungen Leuten, die von Initiativen wie Erasmus und Co eigentlich profitieren.

Der Traum vom Auslandssemester in Spanien oder Großbritannien ist für Schweizer Studierende erst einmal ausgeträumt. Im Februar stimmten die Schweizer BürgerInnen der so-genannten Initiative gegen Masseneinwanderung zu, in der die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei SVP eine Kontingentierung von Einwanderern fordert. Aufgrund des Schweizer Systems der direkten Demokratie, muss die Regierung diese Initiative nun umsetzen und darf erst einmal keine internationalen Verträge abschließen, die dieser Initiative widersprechen.

 

 

Die ersten Leidtragenden sind Studierende. Denn die Kontingentierung widerspricht dem EU-Prinzip der Personenfreizügigkeit und bricht damit die bilateralen Verträge, die die Schweiz mit der Europäischen Union geschlossen hat. Die EU hat nun die Verhandlungen zum neuen Erasmus-Plus-Programm und zu Horizon 2020, dem entsprechenden Programm für ForscherInnen, erst einmal auf Eis gelegt. Die Schweiz wird nicht mehr als Partner- sondern als Drittstaat behandelt.

Die Schweizer Regierung und die Unis versuchen nun zu retten, was zu retten ist: Studierende, die ins Ausland gehen wollen, werden nun nicht mehr von der EU sondern vom Schweizer Nationalfonds unterstützt. Fast 23 Millionen Franken stellt die Regierung dafür zur Verfügung. Die Abkommen mit den Partnerunis müssen die Schweizer Universitäten neu verhandeln. Die meisten europäischen Unis sind wieder eingestiegen, Großbritannien und Italien haben ihre Verträge aber nicht erneuert. „Ob wirklich alle StudentInnen, die wollen, ins Ausland gehen wollen, wird sich zeigen, wenn alle Bewerbungen durch sind. Ich denke aber es sollte klappen“, sagt Dominik Fitze von der Schweizer StudentInnenvertretung. „Die Ersatzlösungen bedeuten, dass Auslandssemester grundsätzlich möglich sind. Nur eben nicht unbedingt im gewünschten Zielland.“ Horizon 2020 stellt das größere Problem dar. Das Programm soll Forschungsaufenthalte ermöglichen und länderübergreifende Projekte finanzieren. Dabei geht es natürlich auch um die Frage, wer den Vorsitz bei solchen Projekten bekommt.

Appell an Bund und die EU. Schweizer Studierende, Lehrende und Rektoren haben sich nun zusammengeschlossen, um Erasmus für die Schweiz zu erhalten: Auf der Website not-without-switzerland.org appellieren sie an EU und den Schweizer Bund, Lösungen zu finden, so dass die Austauschprogramme wieder aufgenommen werden können. „Diese zur Hochschulwelt gehörige Internationalität, an der wir alle partizipieren und von der wir profitieren, wird gegenwärtig in Frage gestellt. Dagegen sprechen wir uns vehement aus. Wir, die unterzeichnenden Hochschulen, Bildungsinstitutionen, Dozierenden, Forschenden und Studierenden der Schweiz und Europas,  appellieren an die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in der Schweiz, in Brüssel und in den europäischen Staaten, alles daran zu setzen, dass die Schweizer Hochschulen an den erwähnten Programmen teilnehmen können“, heißt es darin. Fast 31.000 UnterstützerInnen haben bereits online unterzeichnet.

Doch der Appell hat einen Schönheitsfehler: Er kommt zu spät. Genau das kritisieren wiederum einige andere Hochschulangehörige in einem offenen Brief. Die Studierenden und WissenschaftlerInnen hätten sich vor der Abstimmung engagieren müssen, Studierende als die einzigen Opfer zu stilisieren greife zu kurz. Das sei nur ein Teil des Problems, kritisieren sie. „Wir fordern die Studentenschaft auf, sich ihrer politischen Verantwortung bewusst zu werden und sich mit ihren MitbürgerInnen ohne schweizerischen Pass zu solidarisieren.“

„Die Kritik ist teilweise berechtigt. Was man der Wissenschaftsgemeinschaft vielleicht vorwerfen kann ist, dass sie zu spät reagiert hat“, gibt Dominik Fitze zu. Tatsächlich zeigen die Wahlanalysen zur Masseneinwanderungsinitiative, dass junge und gebildete SchweizerInnen nicht zur Abstimmung gegangen sind, obwohl sie die Bevölkerungsgruppe sind, die am eindeutigsten gegen die Initiative eingestellt waren. Die Abstimmung wurde nicht zuletzt von der ungewöhnlich starken Mobilisierung von politisch wenig Interessierten beeinflusst, heißt es in der VOX-Analyse (Analysen nach jedem Schweizer Volksentscheid) zur Abstimmung. Doch dass die Verträge mit der EU und damit Programme wie Erasmus in Gefahr waren, war schon vor der Abstimmung klar. Warum sind trotzdem so viele Junge zu Hause geblieben? „Unter den Studenten wurde das schon diskutiert“, sagt Dominik. „Aber wir haben prinzipiell das Problem, dass die Folgen nicht richtig kommuniziert wurden. Sie SVP hat immer gesagt, die EU könne sich nicht leisten, die Verhandlungen mit der Schweiz abzubrechen.“

EU-Skepsis in ganz Europa. Die Schweiz ist zwar bekanntlich kein EU-Mitglied, doch sie steht mit ihrer EU-Skepsis nicht alleine da. Bei der EU-Wahl haben Anti-EU Parteien wie Front National in Frankreich, Ukip in Großbritannien oder auch die FPÖ in Österreich stark zugelegt. Und auch in Österreich war die FPÖ bei Männern unter 30 die Nummer eins. Ausreißer seien das keine mehr, sagt Politikwissenschaftler Josef Melchor von der Uni Wien, der zu EU-Integration und Populismus geforscht hat.

Es sei aber nicht alleine Informationsmangel, der dem Populismus von rechts auch unter Jugendlichen solchen Auftrieb verleiht. Studierende und ForscherInnen seien von Programmen wie Erasmus zwar begeistert, für viele aus unteren Schichten bringen Studierendenaustauschprogramme aber gar nichts. Daher sehen ArbeiterInnen die EU oft sehr kritisch, was eben auch junge, also zum Beispiel Lehrlinge, betrifft. „Das ist auch ein Problem der Politik. Auf EU-Ebene gibt es zwar viel Förderung für Forschung und Kultur, aber keine Diskussion über Mindestlöhne oder Arbeitszeiten, also Themen, die ArbeiterInnen betreffen“,  erklärt Melchior. Für Studis ist der Austauschaufenthalt in Schweden, England oder Frankreich vielleicht ein tolles Erlebnis, für weite Teile der Bevölkerung ist die EU aber ein Eliten-Projekt. Sie machen in ihrem Alltag kaum positive Erfahrungen mit EU-Projekten, sondern eher mit stärkerer Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Das hat auch Dominik in den SVP-Kampagnen beobachtet: „Die SVP ist gar kein Fan von Erasmus. Die haben das einfach in Kauf genommen, oder sogar akzeptiert.“

Dazu kommt eine generelle Politikverdrossenheit der Jugend. Gerade in den neuen Mitgliedsstaaten sind Unter-30-Jährige am Wahltag meist zu Hause geblieben. Und für Studierende ist die EU meist einfach eine Selbstverständlichkeit, meint Melchior: „Sie sehen es einfach nicht als notwendig, das bei einer Wahl noch mal extra zu deklarieren.“

 

 

Keine Reaktion von Links. Was jetzt notwendig sei, sei eine Antwort der anderen Parteien, erklärt der Politikwissenschaftler. Bei der Abstimmung in der Schweiz war die SVP als einzige Partei für die Initiative. Alle anderen, von den Konservativen über die Sozialdemokraten bis hin zu den Grünen, warnten vor Diskriminierung, wirtschaftlichen und außenpolitischen Problemen. Aber sie konnten sich nicht durchsetzen. Laut Melchior sei ein Problem, dass rechtspopulistische Parteien oft tatsächlich Probleme ansprechen, die von der „Mainstream-Politik“ ignoriert werden. Diese teilweise legitime Politik komme im Paket mit emotional aufgeladenen Themen – in der Schweiz etwa gerechtfertigte Kritik an der EU zusammen mit dem „Ausländer“-Thema. Andere Parteien überlassen dann das Feld den Populisten. „Diese Kritik kommt dann einfach unter die Räder, die populistischen Parteien haben das Monopol darauf. Es braucht aber eine Reaktion von den anderen Parteien.“ Die anderen Parteien hätten also kommunizieren müssen, dass die Initiative gegen Masseneinwanderung zwar falsch sei, aber zugeben, dass es tatsächlich Probleme gibt.

Das Beispiel der Schweiz zeigt, was geschieht, wenn es keine solche Antwort gibt. Die Aussetzung der Erasmus-Verhandlungen ist nur ein kleiner Teil des Problems. Schon jetzt beklagen Uni-Rektoren, dass viele ForscherInnen aus dem Ausland skeptisch wären eine Stelle in der Schweiz anzunehmen, aus Angst, dass sie in zwei Jahren wieder abgeschoben werden können. Die Regierung versucht nun, das Abstimmungsergebnis in einen gemäßigten Gesetzesentwurf zu packen. Auch über eine weitere Abstimmung, um die erste zu revidieren, wird schon diskutiert.

 

 

Magdalena Liedl studiert Anglistik und Zeitgeschichte an der Uni Wien.

Reservate für Eliten

  • 24.10.2013, 22:43

Der Sparstift, der an Spaniens Universitäten angesetzt wird, zwingt Hunderttausende zum Studienabbruch. Während Stipendien von der konservativen Regierung massiv beschnitten werden, stecken die Hochschulen selbst in der Krise.

Der Sparstift, der an Spaniens Universitäten angesetzt wird, zwingt Hunderttausende zum Studienabbruch. Während Stipendien von der konservativen Regierung massiv beschnitten werden, stecken die Hochschulen selbst in der Krise.

Mit Semesterbeginn flammt der Protest der Studierenden gegen die aktuelle Bildungspolitik der konservativen spanischen Regierung wieder auf. Spätestens Anfang November soll das Gesetzespaket zur „Verbesserung der Qualität der Ausbildung“ in Spanien in Kraft treten. Mit einem landesweiten Streik werden Schulen und Universitäten am 24. Oktober dagegen Widerstand leisten. „Meine KommilitonInnen haben es sehr schwer. Kein Wunder, dass sie wie auch beim Generalstreik im Herbst 2012 die Möglichkeit zum Protest nutzen. Dabei geht es ihnen nicht ums Blaumachen, wie es rechte PolitikerInnen gerne sehen“, weiß Julia Portnova (23), ukrainischdeutsche Politikwissenschaftsstudentin, die über Erasmus ein Jahr in Granada verbracht hat.

Knapp 360.000 Anspruchsberechtigte werden zukünftig wegen ihres Notenschnitts keine oder deutlich weniger finanzielle Unterstützung erhalten. Denn das Bildungsministerium unter José Ignacio Wert von der rechtskonservativen Volkspartei hat die Voraussetzungen für den Bezug von Stipendien drastisch verschärft. Hunderttausende sind folglich zum Abbruch ihres Studiums gezwungen. Hinzu kommt, dass auch Förderungen für die Mobilität von Studierenden wegfallen. Wer einen Studienort fern des Elternhauses hat, hat nicht mehr unbedingt Anspruch auf Förderungen, weil nicht länger der Wohnsitz der Eltern, sondern jener des nächsten Verwandten zur Berechnung herangezogen wird. Mittlerweile wurde vor dem Verfassungsgerichtshof eine Klage gegen die Stipendienkürzungen eingebracht.

MASSIVE KÜRZUNGEN. „Ich konnte mit 3.000 Euro jährlich an Unterstützung rechnen“, sagt Juan Castillo Argudo (35). Castillo hat in Madrid und Granada bereits erfolgreich zwei Studien – Lehramt Pädagogik und Psychopädagogik – absolviert und macht derzeit einen Master in Sevilla . Jedoch erfuhr er kürzlich, dass er von nun an weniger als 1.500 Euro bekommen wird: „Nicht einmal mit 3.000 Euro jährlich kann man überleben. Mit der Hälfte ist das unmöglich.“ Er werde mehr arbeiten müssen und sich kaum dem Studium widmen können, sofern sich ein Job findet. „Die Universität wird wieder ein Reservat der Eliten, die Geld haben“, prophezeit Castillo.

Auch um die Förderung der internationalen Mobilität steht es nicht gut in Spanien: Castillo hat im Zuge seiner bisherigen Studien über Erasmus auch ein Jahr in Lissabon verbracht. Dabei hat man ihn und viele andere um einen Teil ihrer Erasmusförderungen geprellt. Staat und EU zahlen einen Teil, außerdem stockt die andalusische Regionalregierung mit maximal 350 Euro monatlich auf 900 Euro auf. Eine Summe, die Castillo niemals gänzlich erhalten hat, wenngleich schriftlich vereinbart worden war, dass das Geld spätestens bei der Rückkehr ausbezahlt werde. KollegInnen nahmen Bankkredite oder Darlehen bei Verwandten auf, die sie nicht retournieren können. „Über 2.100 Euro sind sie mir schuldig geblieben“, sagt Castillo. Einige StudentInnen haben gegen die Einsparungen geklagt, doch bis es zu einem Urteil kommt, werden mindestens fünf Jahre vergehen.

Mit all dem nicht genug: Studiengebühren rangieren in Spanien zwischen 2.000 Euro und 18.000 Euro pro Jahr – Summen, die durch hinzukommende Prüfungstaxen noch um 15 bis 25 Prozent, in einzelnen Fällen sogar um 50 Prozent, erhöht werden. Zusätzlich zu den Studiengebühren kostet das Absolvieren von 60 ECTS-Credits, laut Bildungsministerium, im Schnitt 1.070 Euro. Außerdem krempelt Spanien derzeit auch die Regelungen des Hochschulzugangs radikal um. Einzelne Studiengänge können nun selbst ihre Studierenden auswählen, während vormals das Abschneiden bei der „Selectividad“ – der spanischen Version der Matura – ausschlaggebend war.

NACHHALTIGE KRISE. Mit Spaniens aktuellem Kurs in Sachen Bildungspolitik legt die konservative Regierung von Premier Mariano Rajoy den Grundstein für die Permanenz der Krise. Derzeit sind weit mehr als zwei Millionen junge SpanierInnen weder in Ausbildung, noch haben sie eine Arbeit. Ein Wert, der laut OECD in den Krisenjahren um 69 Prozent angestiegen ist. Die Jugendarbeitslosigkeit (bei 18–25 Jährigen) rangiert bei rund 60 Prozent. Wer kann, sucht sein Glück im Ausland.

Aber auch Prostitution scheint für Studierende vermehrt ein Mittel zum Zweck der Studienfinanzierung zu sein, wie der in Barcelona beheimatete Verein der SexarbeiterInnen Aprosex betont. Seit Krisenbeginn würden rund 300.000 Menschen mehr als zuvor mittels sexueller Dienste ihr Leben finanzieren, betont Concha Borrell, Sprecherin der NGO. Ärzte ohne Grenzen sprach für 2012 von lediglich 2.100 neuen SexarbeiterInnen in Spanien. Davon wären 18 Prozent Studierende. Bei Aprosex geht man von mehr als 100.000 Studierenden seit Krisenbeginn aus.

Was abseits der Kürzungen von Stipendien an Spaniens kaputt gesparten Universitäten in Sachen Forschung und Lehre geschieht, sorgt derzeit auch für Spott und Häme aus dem Ausland. So sprach die Süddeutsche Zeitung zu Recht von „akademischem Inzest, Filz, Nepotismus und Vetternwirtschaft“ und „Plagiieren mit Auszeichnung“. Weite Wellen schlug die Causa um den Plagiatsvorwurf gegen den Präsidenten des spanischen Olympischen Komitees Alejandro Blancos betreffend seiner Doktorarbeit. Eine in weiten Teilen identische Arbeit wurde an der Universität von Alicante eingereicht – ebenfalls betreut von Blancos Doktormutter, die mittlerweile für ihn arbeitet. Die Uni reagierte auf Kritik mit dem Kommentar, es „sei keine Arbeit eingereicht worden“, es handle sich lediglich um „Vorstudien“.

KÜNDIGUNG NACH PROTEST. Der Pädagoge José Penalva hat in seinem Buch „Korruption an Spaniens Universitäten“ die Kritik an abgekarteten Auswahlverfahren, Postenschachern und der damit unmittelbar verknüpften Vergabe von Stipendien und Fördermitteln gebündelt. Weil er Missstände aufzeigt, wird er nun von KollegInnen massiv gemobbt. In einem anderen Fall wurden fünf WissenschaftlerInnen, die zum ForscherInnenstab der Universität von La Rioja gehörten und dort über Alzheimer forschten, nach ihrer Teilnahme an Protesten gegen Einsparungen gekündigt. So wird ein Klima geschaffen, in dem viele lieber schweigen, um nicht den Kündigungswellen an öffentlichen Universitäten zum Opfer zu fallen.

 

Jan Marot ist freischaffender Journalist in Granada.

Sous le soleil et les cocotiers

  • 29.09.2012, 00:12

Studieren in Neukaledonien

Studieren in Neukaledonien

Wer Neukaledonien auf dem Globus finden will, verlässt die nördliche Hemisphäre und zieht den Finger durch das endlose Blau des Südpazifiks. Das französische Überseeterritorium liegt zwischen Australien und Tahiti – gleich neben Fidschi.
Auf der Hauptinsel befindet sich – unerwarteter Weise – sogar eine Stadt mit über 100.000 EinwohnerInnen: Nouméa, Hauptstadt Neukaledoniens, Zentrum des frankophonen Pazifiks und Sitz einer Universität. Diese ist mit 2.500 Studierenden entsprechend winzig. Das Verhältnis zwischen ProfessorInnen und Studierenden ist unkompliziert, die Atmosphäre sehr familiär. Als einzige Auslandsstudentin ist man außerdem bald auf der ganzen Uni bekannt. Das organisierte Studierendenleben mit großen Parties und Ähnlichem steckt noch in den Kinderschuhen. Doch das Universitätssportinstitut bietet Kurse an, von denen wir in Österreich nur träumen können: Windsurfen, Va’a – Rudern in polynesischen Auslegerbooten – oder Apnée – ohne Sauerstoffgerät tauchen – am nahe gelegenen Riff. An der Uni sind alle drei großen ethnischen Gruppen des Territoriums präsent: MelanesierInnen, das sind Angehörige der indigenen Bevölkerung, auch Kanaken [sic!] genannt, NeukaledonierInnen europäischer Herkunft – „Caldoche“ – und Wallisiens, die von der Insel Wallis 2.000 km weiter östlich kommen. Die Uni wird damit zum Ort des Austausches, der tiefe Einblicke in verschiedene Lebensweisen eröffnet.
Besonders schön ist, dass beide Campusse der Université de la Nouvelle-Calédonie am Strand gelegen sind. So mancher Unitag klingt mit einem Bad bei Sonnenuntergang aus und endet am Lagerfeuer, mit dem lokalen Bier „Number One“ und den süßen Klängen der Ukulele.
Weniger schön sind die administrativen Barrieren, die überwinden muss, wer in Neukaledonien studieren möchte. Allein der Aufwand für ein Studierendenvisum gleicht dem einer Unternehmensgründung. Doch es zahlt sich aus: Das entspannte Flair der Südsee kombiniert sich mit dem französischen Savoir-Vivre auf einer Insel, die trotz bewegter Vergangenheit im Großen und Ganzen allen ein gutes Leben ohne gravierende soziale Unterschiede bietet.