Ausbildung

Hört auf, so lange ihr noch könnt!

  • 25.03.2015, 17:46

Leistungsdruck, Versagensängste und prekäre Anstellungsverhältnisse: Zahlt es sich überhaupt noch aus, zu studieren? progress hat mit Studis gesprochen, die die Entscheidung für die Uni anzweifeln – aus guten Gründen.

Leistungsdruck, Versagensängste und prekäre Anstellungsverhältnisse: Zahlt es sich überhaupt noch aus, zu studieren? progress hat mit Studis gesprochen, die die Entscheidung für die Uni anzweifeln – aus guten Gründen.

Jung, erfolgreich und immer lächelnd. So werden Studierende auf den Webseiten von Universitäten, Fachhochschulen und Absolvent_innenvereinen gemeinhin dargestellt. Doch hinter den Kulissen spielen sich ganz andere Geschichten ab. Verbitterte Mienen und frustrierte Gesichter passen jedoch nicht in die Happy-Pepi-Welt der universitären PR-Abteilungen. „Hätte ich nicht studiert, hätte ich nicht drei Jahre meines Lebens weggeworfen“, resümiert Nina ihre akademische Laufbahn. Damit ist sie nicht alleine. Obwohl ihre Generation wohl die am besten ausgebildete, die internationalste und vielsprachigste ist, die jemals nach Hörsaal und Praktikum an die Pforten der Arbeitswelt geklopft hat, gibt es jene, die es bereuen, ein Studium begonnen oder auch absolviert zu haben. Unsere Gesprächspartner_innen, die von enttäuschten Erwartungen und Zukunftsängsten berichten, wollten anonym bleiben – für die Selbstdarstellung am Arbeitsmarkt sind ihre Geschichten wohl nicht förderlich. Wir haben im Folgenden daher alle Namen geändert.

WEGGEWORFENE ZEIT. Für Nina waren die drei Jahre, die sie studiert hat, schlichtweg weggeworfene Zeit. Ihre pädagogische Ausbildung musste sie kurz vor dem Abschluss aufgrund von Differenzen mit ihrem neuen Praxis-Betreuer abbrechen. „Er war der Meinung, es sei grob fahrlässig, mir einen Abschluss zu geben. Ich hätte die Praxis zwar wiederholen können, doch er versicherte mir, dass er mich nie durchlassen würde. Das Studieren ist für mich endgültig gestorben.“

Evas Lehramtsstudium war noch während der Studieneingangsphase zu Ende. Bereits am ersten Tag hatte sie ihre Entscheidung bereut. In kaum einer Vorlesung bekam sie einen Sitzplatz und wenn sie mal eine Vorlesung verpasste, hieß es von den Kolleg_innen nur: Pech gehabt! „Niemand wollte mir helfen, da jede_r froh war, wenn einmal die Hälfte fliegt und endlich jede_r einen Sitzplatz hat.“ Die Entscheidung, mit dem Studium aufzuhören, wurde ihr dann ohnehin abgenommen: Ein zweimaliges Durchfallen in der Pädagogik-Vorlesung mündete in einer lebenslänglichen Sperre für alle Lehramtsstudien. Auf Umwegen wurde Eva schlussendlich auf einem Kolleg für Sozialpädagogik glücklich.

Lucia bereut es, mit ihrem Studium an der Universität für Bodenkultur überhaupt begonnen zu haben. Der intellektuelle Anspruch gehe gegen Null: „Prüfungen bestehen in meinem Studium zu fünfzig Prozent aus stupidem Auswendiglernen des Skriptums, zu vierzig Prozent aus stupidem Reinsaugen eines Fragenkataloges und nur für die restlichen zehn Prozent muss mensch sich vielleicht wirklich ein paar eigene Gedanken machen. Das ist für mich allerdings keine Art, ein Studium zu absolvieren.“

Multiple-Choice-Tests, Knock-Out-Prüfungen, schlechte Betreuungsverhältnisse und eine unreflektierte Auseinandersetzung mit dem Stoff sind gängige Praxis. Viele Studienanfänger_innen bringen allerdings eine gänzlich andere Erwartungshaltung mit. Auch Eltern, ältere Geschwister, Bekannte und Lehrer_innen haben in vielen Fällen wenig Ahnung von der heutigen Studienarchitektur und den, mit Verlaub, oftmals beschissenen Studienbedingungen.

GEH AUF DIE UNI, HAM’S G’SAGT. Anna meint zurückblickend, sie hätte sehr glücklich werden können, wenn sie mit 16 eine Ausbildung zur Floristin gemacht hätte. Bezüglich ihrer abgebrochenen Ausbildung an einer Kunstuniversität berichtet sie von Zuständen, die einem Bootcamp ähneln, von Professor_innen, die Studis demütigen und Auseinandersetzungen, die oft in Tränen endeten. „Für mich und meine Familie war es jedoch undenkbar, etwas anderes als Matura zu machen und anschließend zu studieren.“

Annas Erzählung erinnert stark an eine Studie von Gabriele Theling aus den 80ern, die sich unter dem Titel „Vielleicht wär’ ich als Verkäuferin glücklicher geworden“ den schwierigen Bedingungen für Studentinnen aus Arbeiter_innenfamilien widmete. Die soziale Selektivität des österreichischen Bildungssystems ist bis heute von ungebrochener Aktualität, denn Bildung wird nach wie vor vererbt. Laut der aktuellen Statistik-Austria-Publikation „Bildung in Zahlen“ erreichen mehr als die Hälfte der 25- bis 44-Jährigen aus Haushalten, in denen ein Elternteil über einen akademischen Abschluss verfügt, ebenso einen solchen Abschluss. Unter Personen aus bildungsfernen Haushalten hingegen (mit Eltern, deren höchster Abschluss die Pflichtschule ist) erreichen nur etwa 6 Prozent einen akademischen Abschluss. Während es bei den einen um die Finanzierung des nächsten Urlaubes geht, geht es bei anderen um die Finanzierung des vollen Kühlschrankes.

Steht auf der einen Seite die Unmöglichkeit oder Unvorstellbarkeit zu studieren und in eine fremde Welt einzutauchen, so sprechen andere Geschichten die Kehrseite der Medaille an. Aus der Chance zu studieren wird die Erwartung zu studieren, beziehungsweise wird das Studium zur vermeintlich einzigen Option für eine erfolgreiche Lebensgestaltung. Die jetzige BOKU-Studentin Lucia erinnert sich an die Worte ihres Gymnasiallehrers zurück: Fachhochschulen seien für Menschen, die nicht selbst denken wollten, die es einfach haben wollten. Natürlich könne man diesen einfachen Weg gehen, wenn man sich einem „echten“ Studium nicht gewachsen fühle. 

Vor allem abseits der Ballungszentren mit vielen Wahlmöglichkeiten erscheinen die Bildungswege für viele Kinder aus Familien mit dem entsprechenden sozialen und finanziellen Hintergrund vorgefertigt. „Volksschule, Gymnasium und Matura. Was nun? Nach einem Abschluss am Gymnasium muss mensch ja studieren, um überhaupt Chancen am Arbeitsmarkt zu haben“, beschreibt Lucia ihre Entscheidung, an der Uni zu inskribieren.

Am vermeintlich vorbestimmten Weg kommt jedoch häufig eine gewisse Orientierungslosigkeit auf. Peter berichtet, nach einigen Jahren Berufstätigkeit eigentlich aus Langeweile sein Kunstgeschichte-Studium begonnen zu haben. Nach dem Bachelor entschied er sich, leider, wie er nun sagt, für den scheinbar einfachsten Weg und hing den Master dran. Auch weil ihm seine Eltern ständig im Ohr lagen und den Abschluss von ihm erwarteten – am besten mit Dissertation hinten nach.  

KRIEGST AN GUTEN JOB, HAM’S G’SAGT. Doch nicht nur schlechte Studienbedingungen oder die vermeintlich fehlende Alternative zum Studium bereiten Kopfzerbrechen. Amir machte sein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft immer sehr gerne. Nebenbei schloss er auch noch in Politikwissenschaft ab. Von Anfang an wusste er genau, welche Inhalte er sich herausnehmen und was er damit machen will. Heute rät Amir jedoch dringend von geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern ab: „Wenn ich mir im Nachhinein ansehe, wie viel Aufwand ich für mein Studium betrieben habe und was ich jetzt davon habe – es rechnet sich einfach nicht.“ Während des Studiums lebte Amir unter schwierigen Bedingungen, kam gerade noch so über die Runden. Und nach dem Studium war er erst mal jahrelang auf Arbeitssuche. Mit jeder Absage nahm auch der seelische Druck zu. „Bin ich denn unbrauchbar? Was habe ich im Leben falsch gemacht? Je länger der ersehnte Erfolg ausbleibt, desto tiefer dreht sich die Spirale nach unten, desto belangloser wird das Leben.“ Sein Fazit: Im Nachhinein würde er sich in Jus, Medizin oder einem technischen Studium besser aufgehoben fühlen. Geistes- und Sozialwissenschaftler_innen würden in der Gesellschaft zu wenig honoriert und trotz ihrer Relevanz als „unbrauchbar“ abgestempelt.

Ein Problem, das auch Alina mit ihrem Medienwissenschafts- und Germanistikstudium nur zu gut kennt: „Es fällt mir zunehmend schwer, meinem Studium irgendeinen Wert zuzugestehen, wenn mir selbst von anderen Studierenden immer wieder gesagt wird, wie nutzlos es ist. Natürlich ist ein Studium nie umsonst und es hat mich bestimmt zu einem besseren Menschen gemacht, aber mit einer reflektierten Persönlichkeit kann man halt nicht die Miete zahlen.“ Daher rät sie ihren möglichen Nachfolger_innen: „Brecht euer Studium ab, bevor es zu spät ist! Wenn mensch noch nicht so lange wie ich drin ist, hat man noch die Möglichkeit, auszusteigen und doch noch eine Ausbildung anzufangen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Ausbildung zur Köchin oder Gärtnerin mir sehr viel mehr Freude bereitet hätte.“

NO FUTURE UND WIE WEITER? Aus Angst und Verzweiflung hat Denise bereits Tränen vergossen. Freitagabends sitzt sie mit ihrem Laptop am Bauch an ihrer Masterarbeit für ihr Soziologiestudium. „Das Arbeitsleben betreffend habe ich Angst, dass mich niemand will, dass mich die Arbeit nicht glücklich machen wird, dass ich mir selbst nicht genug sein werde. Aber leider will es sich nicht in mein Hirn einbrennen, das sich mein Wert nicht durch meinen Arbeitswert bestimmt. Leider hab ich Angst davor, dass sich das nicht ändert, so arg dass ich nicht schlafen kann.“ 

Franz Oberlehner, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Studierende in Wien, spricht bei solchen Fällen von der Studienabschlussproblematik: „Für manche kann es sehr schwierig sein abzuschließen, weil oft nicht klar ist, was einen danach erwartet. Dies kommt aber nicht nur bei geistes- und sozialwissenschaftlichen Studierenden vor. Selbst bei Medizin oder technischen Studien gibt es häufig Ängste vor dieser Schwelle. Das hat natürlich damit zu tun, dass der allgemeine Druck ständig größer wird“. Laut aktueller Studierenden-Sozialerhebung leidet fast ein Drittel der Studierenden unter Leistungsdruck und Versagensängsten, ein Fünftel unter Existenzängsten und depressiven Stimmungen. „Der Mythos vom studentischen Lotterleben war schon immer da und schon immer falsch. Aber die Studierenden internalisieren ihn mehr als früher. Sie kommen sich so vor, als würden sie nichts leisten“, so Oberlehner.

Auswege aus den unzähligen individuellen Krisen sind kaum zu formulieren. Sie alle sind Produkt einer Gratwanderung zwischen relativer Selbstbestimmung und dem Zurechtkommen in einer Gesellschaft, die sich zunehmend entlang ökonomischer Verwertbarkeit ausrichtet. Unter diesen Umständen eine Portion Selbstironie und Sarkasmus zu bewahren, fällt schwer. Die studierte Historikerin Stefanie Schmidt scheint jedoch genau darin ein Rezept gefunden zu haben, um mit der vermeintlich ausweglosen Situation klar zu kommen. In der taz schreibt sie in ihrer pointierten Abhandlung zum arbeitslosen Akademiker_innen-Dasein: „Nach 400 Bewerbungen jedenfalls weiß ich nicht mehr, wer oder was ich eigentlich bin oder sein will. Gestern Unternehmensberaterin, heute Sozialarbeiterin, morgen Feuerwehrmann? […] Das Resultat dieser Tortur ist, dass sich neben dem Ego noch zwei weitere entwickeln, von denen eines denkt, warum bist du damals nicht zur Fremdenlegion gegangen?“

 

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

Von fehlendem Halt zu Hass

  • 27.10.2014, 14:49

Jugendliche ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz kämpfen mit einer unsicheren Zukunft. Vom Alltag frustriert, sind sie besonders empfänglich für Vorurteile.

Jugendliche ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz kämpfen mit einer unsicheren Zukunft. Vom Alltag frustriert, sind sie besonders empfänglich für Vorurteile.

Jugendliche provozieren mitunter gerne. Wenn es sich dabei um menschenfeindliche Äußerungen und Taten handelt, etwa im Kontext von rechtem oder islamistischem Gedankengut, stellt sich die Frage, wo die Wurzeln dafür liegen, und wie damit umgegangen werden kann. Das Phänomen lässt sich keineswegs nur auf Jugendliche beschränken. Trotzdem lohnt es sich, einen genauen Blick auf die Herausforderungen zu werfen, denen sich jene Menschen stellen müssen, die politische Bildungsarbeit und Sozialarbeit mit Jugendlichen leisten.

Nicht erfüllte Bedürfnisse. In den Räumlichkeiten des Vereins Backbone, der mobile Jugendarbeit im 20. Wiener Bezirk leistet, wird regelmäßig gemeinsam gekocht. In gemütlicher Atmosphäre reden die Jugendlichen mit den SozialarbeiterInnen darüber, was ihnen gerade durch den Kopf geht und was sie bewegt. Viele der jungen Menschen hier kommen aus ökonomisch und sozial benachteiligten Verhältnissen, manche befinden sich weder in Ausbildung noch in einem Arbeitsverhältnis. Bei Backbone wird ihnen nicht nur Unterstützung bei der Suche nach einer Lehrstelle oder beim Bewerbungsgespräch geboten, sie können auch in ihrer Freizeit die Räumlichkeiten nutzen. Die Jugendlichen können bei der Gestaltung des Freizeitangebots von Backbone mitreden, Regeln gibt es kaum. Dieser offene Zugang ermöglicht es den SozialarbeiterInnen, die Jugendlichen in all ihren Facetten kennen zu lernen.

Nicht selten übertragen die Jugendlichen den Frust, der sich aus ihrem Alltag ergibt, auf andere und greifen dabei auf Vorurteile, die sie entweder aus dem Elternhaus, den Medien oder von FreundInnen kennen, zurück. „Wir sind mit menschenfeindlichen Parolen, Ressentiments gegen verschiedene Minderheiten, Nationalismen in unterschiedlichster Ausformung und mit religiös-extremistischem Gedankengut konfrontiert“, erzählt Fabian Reicher, einer der Sozialarbeite rInnen bei Backbone. Die Gründe für solche Äußerungen und die Neigung mancher Jugendlicher zu diesen Weltbildern sind aus seiner Sicht vielfältig. Man dürfe nicht vergessen, dass die Jugend auch ohne zusätzlich erschwerte Umstände eine Phase des Experimentierens mit schnell wechselnden Einstellungen und Vorlieben ist. Die Zeit zwischen 12 und 15 Jahren sei oft wechselhaft, wie er am Beispiel eines Mädchens, das er schon länger kennt, illustriert: Bis vor einigen Monaten hatte sie oft ein T-Shirt der Band Frei.Wild, die dem Rechtsrock zuzuordnen ist, getragen und deren Musik gehört. Dann wiederum sah er sie vergangenes Frühjahr auf einer Demonstration gegen die rechte Gruppierung Die Identitären.

Foto: Mafalda Rakoš

Im Klassenraum. Der Rechtsextremismus und Islamismus-Experte Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, pflichtet dieser Einschätzung bei: „Wenn Bedürfnisse nicht erfüllt werden, kann das zur Projektion etwa auf Juden, Muslime oder andere Gruppen führen. Je mehr man über die eigenen Wünsche und Bedürfnisse weiß, desto geringer wird auch der Drang zur Projektion. Wenn Jugendliche in einem Milieu aufwachsen, das von physischer oder psychischer Gewalt geprägt ist oder in dem es kaum Anerken nung und Wertschätzung gibt, dann werden sie auch ein vergiftetes Selbstbild entwickeln.“ Peham ist seit 20 Jahren an österreichischen Schulen unterwegs, um Workshops zu Vorurteilen und Ressentiments zu halten. Diese Workshops sind Teil der politischen Bildung und sollen mitunter ein Beitrag zur Prävention sein. Für Peham liegt ein Problem darin, dass rechte Äußerungen oder Vorurteile oft nicht erkannt werden, etwa weil sie sehr indirekt oder undeutlich artikuliert werden. Aus seiner Erfahrung macht sich das vor allem unter jenen bemerkbar, die sich weiter oben in einer Bildungslauf bahn befinden und mit Rassismus oder Antisemitismus kokettieren. Dass LehrerInnen hier zu Sanktionen tendieren, liegt für Peham daran, dass ihnen schlicht die Zeit fehlt, um Vorurteile ausgiebig zu diskutieren. Die politische Bildungsarbeit kann hierfür Raum schaffen.

In seinen Workshops wird Peham mit unterschiedlichsten Vorurteilen konfrontiert. Aus seiner Erfahrung ist eines der häufigsten, dass alle AusländerInnen in der sozialen Hängematte liegen würden. Da solche Meinungen eben auch mit Emotionen verbunden sind, reicht es oft nicht, das nur faktisch zu widerlegen. Deshalb konfrontiert er die SchülerInnen auch mal mit unerwarteten Aussagen, wie: „Ich habe eigentlich selbst ein starkes Bedürfnis danach, versorgt zu werden.“ Das funktioniert zwar nicht immer, bringt manche aber dazu, sich dem Thema aus einer anderen Richtung zu nähern und so über die eigenen sozialen Verhältnisse anders nachzudenken. Dass in ein paar Stunden sämtliche Ressentiments, die mitunter bestehen, aufgelöst werden könnten, darüber macht sich Peham keine Illusionen. Er ist schon mit kleinen Erfolgen zufrieden. Besorgt zeigt er sich aber über eine Entwicklung, die er seit gut ei nem Jahr beobachtet: „Ein offensichtlicher Antisemitismus ist wieder bemerkbar, bis hin zu Mord und Vernichtungsphantasien.“

Begegnungen in Israel. Auch im Verein Backbone sehen sich die SozialarbeiterInnen immer wieder mit antisemitistischen Äußerungen jeglicher Art konfrontiert. Neben der alltäglichen Arbeit im Verein gibt es auch immer wieder Projekte, die es den Jugendlichen ermöglichen sollen, einen anderen Zugang zu sich und ihren eigenen Weltbildern zu bekommen. Im Herbst 2013 organisierte der Verein deshalb eine Reise nach Israel. Zwei Jugendliche sind mitgeflogen, deren Familien sich im Umfeld der Grauen Wölfe bewegen. Das ist eine rechtsradikale Gruppierung aus der Türkei, die auch antisemitische Positionen vertritt. Um sich auf die Reise nach Israel vorzubereiten, haben sich die beiden Jugendlichen einen Bart wachsen lassen, um sich abzugrenzen.

In Israel angekommen, haben sich die Erwartungen der beiden allerdings nicht bestätigt. „Zunächst waren sie überrascht über die Minarette, die sie dort gesehen haben. Auf der Straße sind sie außerdem laufend von Menschen gefragt worden, ob sie nicht mit ihnen gemeinsam beten wollen“, erzählt Reicher, der die Reise nicht nur mitorganisierte, sondern die Jugendlichen auch in Israel begleitete. So begannen die Jugendlichen bald festgefahrene Bilder neu zu überdenken. Es entwickelten sich auch Freundschaf ten. Dass sich durch die Reise bei den Jugendlichen etwas veränderte, steht für Reicher fest. Sie würden nun differenzierter mit vorgefertigten Ideen umgehen, die sie zuvor einfach übernommen hatten.

Foto: Mafalda Rakoš

Jugendlichen unterschiedliche Blickwinkel aufzuzeigen, ist für den Sozialarbeiter eine weitreichende Aufgabe: „Von Jugendlichen wird erwartet, dass sie sich von menschenfeindlichem Gedankengut abgrenzen. In Wirklichkeit fehlt es den Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, aber an den Voraussetzungen dafür, nämlich an Bildung. Sie können sehr schwer differenzieren.“ Deshalb ist es für ihn auch nicht verwunderlich, dass die Jugendlichen die häufig ebenso undifferenzierten Medienberichte sofort auf sich beziehen. Manchmal kommen Jugendliche wütend zu Backbone und ärgern sich über die Berichterstattung in einer der U-Bahn-Zeitungen, die sie zuvor gelesen haben, erzählt Reicher. Ein Jugendlicher sagte etwa zu ihm: „Wenn alle meinen, ich sei ein Terrorist, werde ich irgendwann wie ein Terrorist.“

Selbstwirksamkeit. Um diesem Ohnmachtsgefühl etwas entgegenzusetzen, haben Reicher und seine KollegInnen vergangen Sommer gemeinsam mit den Jugendlichen ein neues Projekt organisiert. Als im Frühjahr und Sommer 2014 die Konflikte im Nahen Osten wieder ein Thema wurden, bemerkten die SozialarbeiterInnen bei Backbone, wie sehr sich die Jugendlichen damit beschäftigten und dass daraus ein Gefühl der Lähmung erwuchs. Daraufhin entstand die Idee, ein Spendenprojekt zu organisieren und den Jugendlichen damit eine Möglichkeit zu geben, aktiv zu handeln. Gemeinsam mit den SozialarbeiterInnen produzierten die Jugendlichen Marmelade und Chili-Öl und verkauften diese. Ein Teil des Erlöses ging an das Internationale Rote Kreuz. Der andere Teil ging an das Projekt „Oase des Friedens“, ein Dorf nahe Tel Aviv, das gemeinsam von Muslimas und Muslimen sowie Juden und Jüdinnen aufgebaut wurde und sich als Teil der Friedensbewegung begreift. Für Fabian Reicher war diese Aktion ein voller Erfolg: „Die Jugendlichen konnten so Wertschätzung, Anerkennung und Selbstwirksamkeit erfahren. Das hat es wiederum ermöglicht, emotionalisierte Themen zu versachlichen.“

 

Georg Sattelberger studiert Internationale Entwicklung und Lehramt Geschichte und Englisch an der Uni Wien.

Das Referat für FH-Angelegenheiten: „Viele Mythen, wenig Infos“

  • 28.08.2014, 14:21

Das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft bemüht sich darum, spezielle Probleme an Fachhochschulen sichtbar zu machen und Lösungen dafür zu erarbeiten.

Das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft bemüht sich darum, spezielle Probleme an Fachhochschulen sichtbar zu machen und Lösungen dafür zu erarbeiten.

Im Frühjahr 2009 wurde das Referat für FH-Angelegenheiten der Österreichischen Hochschüler_innenschaft gegründet – nachdem die Fachhochschul-Studierenden Mitglieder der Österreichischen Hochschüler_innenschaft wurden. Seitdem bemüht sich das jüngste ÖH-Referat darum, Probleme an FHs zu thematisieren, sie an das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zu transportieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. „Wir versuchen vor allem bei bildungspolitischen Themen, die Situation im FH-Sektor klarzumachen, da der Fokus immer noch sehr stark auf den Unis liegt. Außerdem wollen wir für Probleme sensibilisieren, die vielleicht auf den ersten Blick nicht sichtbar sind“, erklärt der Referent für FH-Angelegenheiten Michael Hnelozub. Der Architekturstudent hat in der Vergangenheit selbst Wirtschaftsberatung an der FH Wiener Neustadt studiert. Neben ihm sind noch drei weitere Leute in dem kleinen Referat aktiv.

Vielfältige Probleme

Die Probleme, mit denen sich das Referat beschäftigt, sind vielfältig und von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Konkrete Problemfälle gibt es im Bereich der Gleichbehandlung sowie der Lehrveranstaltungsevaluierung. Oft geht es auch um die Frage der Abwesenheit in den Lehrveranstaltungen, welche laut Michael manchmal sehr unsachlich eingeschränkt wird. Er sieht hier vor allem ein Problem in den selbsterklärt „berufsbegleitenden“ Studiengängen: „Das Arbeiten neben dem Studium ist für viele schwer planbar, dennoch werden Lehrveranstaltungen oder Stundenpläne oft sehr kurzfristig festgelegt. Hat man Familie, wird alles noch schwieriger“, erklärt Michael. Es entstehe hier für die Studierenden ein enormer Organisationsaufwand, der sich mit dem spießt, was die FHs an Serviceleistung propagieren.

Immer wieder haben Studierende Fragen bezüglich des Studienrechts, welches im Fachhochschul-Studiengesetz (FHStG) nur sehr oberflächlich behandelt wird. Fachhochschulen fallen nicht unter das Universitätsgesetz, da sie keine staatlichen sondern private Institutionen sind. Jede Fachhochschule hat dabei spezielle Details in ihrer Prüfungsordnung. „Das FHStG ist ein sehr dünnes Gesetz. Das ist problematisch, da es viel Interpretationsspielraum lässt. Außerdem sind Fristen oder Ausbildungsverträge der verschiedenen Fachhochschulen sehr unterschiedlich“, erklärt der Referent. „Im Zweifel wird daher auf das Universitätsgesetz zurückgegriffen und geschaut, wie dort ein Thema geregelt ist.“

Beratung auf Umwegen

Trotz vieler Fragen wird die Möglichkeit der persönlichen Beratung am Referat eher wenig in Anspruch genommen. „Das Referat ist nicht so präsent, da es relativ klein und neu ist. Viele Anfragen kommen deshalb über Umwege zu uns“, so Michael. Die Beratung geschieht viel in Kontakt mit anderen Referaten, vor allem dem Referat für Studien- und Maturant_innenberatung sowie dem Referat für Bildungspolitik. Dort ist auch eine Juristin für Studienrecht beschäftigt, welche sich zunehmend auch mit FH-Recht beschäftigt.

Beratungstermine werden vom Referat für FH-Angelegenheiten auf Anfrage festgelegt, Präsenzzeiten gibt es keine. Die Beratung erfolgt großteils über E-Mail, teilweise telefonisch. „Viele FH-Studierende können nicht persönlich kommen, weil sie berufstätig sind. Außerdem ist der Großteil der FH-Student_innen nicht in Wien“, erklärt Michael. Diese können sich an die lokalen Vertretungen der ÖH wenden, für die das FH-Referat die Schnittstelle mit der Bundesvertretung bildet. Dort werden Schulungen angeboten, Rechte und Prüfungsordnungen abgeklärt sowie Workshops an den einzelnen Fachhochschulen organisiert. Hier erfolgt auch die Weiterleitung von Informationen an die Fachhochschulen selbst.

Das Fachhochschulgesetz ist ein sehr dünnes Gesetz. Im Zweifel wird auf das Universitätsgesetz zurückgegriffen. Foto: Sarah Langoth

 

Entwicklungshilfe für die Vertretungen

Ein wichtiges Ziel ist es, die Studienvertretungen direkt an den Fachhochschulen zu
stärken. „Wir versuchen vor allem sogenannte `Entwicklungshilfe ́ für FH-Vertretungen zu
geben“, erzählt der Referent. Da die Jahrgangsvertretungen immer nur auf ein Jahr gewählt
werden, gibt es eine hohe Fluktuation. Dies wird teilweise von den Studiengangsleitungen
ausgenutzt, indem sie die Lösungen für Probleme einfach aufschieben. Oft gibt es an den FHs nur ein einziges,
kleineres Vertretungsteam, welches für alle Probleme zuständig ist. Referate gibt es kaum.

Studierendenvertretungen an Fachhochschulen werden - wie auch an Pädagogischen Hochschulen - von
der Bundesvertretung der Österreichischen
Hochschüler_innenschaft mitverwaltet. An den Standorten gibt es zwar eigene Vertretungskörper,
diese sind allerdings keine echte Hochschüler_innenschaft und lediglich ein halb-
selbstständiges Konstrukt. „Oft ist unklar, wie Dinge zu regeln sind und was die gewählten
Vertretungen überhaupt tun dürfen. Wann müssen sie die ÖH fragen, wann müssen sie
die FH fragen?“, erklärt Michael. „Erfreulicherweise ist das mit dem Hochschulgesetz
2014 ab dem nächsten Jahr vorbei. Dann sind die Vertretungsstrukturen und Rechte der
Studierendenvertreter_innen einheitlich geregelt.“

Zu wenig Information, viele Mythen

Der Referent stört sich besonders daran, dass bezüglich der Fachhochschulen viele Mythen kursieren, aber wenig echte Information vorhanden ist: Ein Mythos ist beispielsweise die Aussage, Studiengebühren schaden der sozialen Durchmischung nicht. Dass diese an den Fachhochschulen höher liegt, als an Universitäten, ist vielmehr dem Angebot geschuldet. „Es werden einfach andere Gruppen angesprochen“, meint Michael. Dies seien beispielsweise soziale Schichten, für die eine praxisorientierte Ausbildung interessanter ist als eine forschungsorientierte, oder Berufstätige, denen der Studienbeitrag egal ist.

Ein weiterer Mythos ist, dass die Fachhochschulen effizienter mit Geld umgehen würden als die Universitäten. „Die FH Wiener Neustadt hat zum Beispiel mit griechischen Staatsanleihen hohe Verluste gemacht. Auch die FH Wels hat einen Fehlbetrag von einer halben Million Euro erarbeitet. Es kommt also nicht wie versprochen jeder Euro bei den Studierenden an“, so Michael.

Auch dass die Fachhochschulen so viel Raum zur Verfügung hätten, sei ein Mythos, denn auch hier übersteige das Kontingent an Studierenden langsam den Platz. „FH-Themen werden sowohl von der Politik als auch medial zu wenig hinterfragt. Über Unis wird kritisch und differenziert berichtet, über die FHs hingegen sehr einseitig. Dabei sind vor allem diese untereinander sehr verschieden“, erklärt der Referent.

Im Vergleich zu den Universitäten ist die Datenlage im FH-Sektor dürftig. Da Fachhochschulen als Unternehmen geführt werden, wird vieles als „Geschäftsgeheimnis“ der Öffentlichkeit vorenthalten. Zum Teil muss sogar um die Herausgabe des Curriculums oder einzelner Lehrveranstaltungsbeurteilungen gestritten werden. Die verfügbaren Zahlen sind hauptsächlich Selbstangaben der Fachhochschulen, viele Themen werden aber auch gar nicht erhoben. Weiters gibt es kaum Expert_innen für Fachhochschulen. Da sich Studienanfänger_innen oft an mehreren Fachhochschulen und/oder für mehrere Studiengänge bewerben, sind die Zahlenangaben bezüglich der Bewerber_innen ungenau.

Auch die FHs haben’s nicht leicht

Dennoch sind Missstände nicht nur die Schuld der Fachhochschulen: „Fachhochschulen wurden bis jetzt nie kontrolliert. Es gibt kein straffes Gesetz, welches die Organisation regelt, und keine durchsetzungsstarke Kontrollinstanz“, erklärt Michael. „Das Ministerium agiert nur symptombekämpfend. Die FHs wissen also selbst oft gar nicht, was sie dürfen und was nicht, weshalb es teilweise unnötig restriktive Regelungen gibt.“ Ebenso sei es schwer, sich an der Schnittstelle zwischen den Bedürfnissen der Wirtschaft und den Studierenden anzusiedeln: „Das ist ein ewiger Widerspruch an den Fachhochschulen: Die Leute werden zur Unternehmensgründung, aber letztendlich doch als Arbeitnehmer_innen ausgebildet“, so Michael. Und schließlich handeln die FHs oft einfach in Angst vor schlechter Publicity. Damit könnten Bewerber_innen abgeschreckt werden und so deren Studiengebühren sowie die Finanzierung dieser Studienplätze durch den Bund für die betroffene FH verloren gehen.

Ein besonderes Problem ist die falsche Verteilung von Ressourcen und Rechten. Obwohl beispielsweise bei Studien im Gesundheitswesen wie Logopädie deutlich mehr Bedarf ist, gibt es nur eine sehr begrenzte Zahl an Studienplätzen. Die Studienanfänger_innen bewerben sich deshalb oft an mehreren Standorten und/oder für mehrere Studiengänge und suchen sich bei mehr als einer Zusage eine aus. Dadurch bleiben hier und da schlussendlich Plätze unbesetzt. Bekommen Personen hingegen gar keine Zusage, inskribieren sie sich oft vorübergehend an den Universitäten, wodurch diese überlastet sind. 

Stärkeres Hinterfragen

Mit Vorfällen wie jenem an der FH Wien, bei dem vor kurzem falsche Zu- und Absagen per Mail an die Bewerber_innen ausgesandt wurden, sieht Michael wichtige Diskurse angestoßen:  „Auch wenn das Ökonomisierungsdenken zunimmt, entwickeln FH-Studierende dennoch ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass auch sie Rechte haben. Beispielsweise fragen sie öfter nach, ob das wirklich so stimmt, was die FH sagt.“ Nur durch Feedback können Verbesserungen erzeugt werden. Auch die starren Curricula an den Fachhochschulen stoßen vor allem bei Berufstätigen, welche sich eher als „Bildungskonsument_innen“ sehen, zunehmend auf Widerstand. Es muss begründet werden, wieso gewisse Lehrveranstaltungen für das Studium wichtig sind.

Michael sieht das FH-Referat trotz aller Kompromisse als Anlaufstelle für (zukünftige) Student_innen: „Als ÖH sind wir auf der Seite der Studierenden. Wir können Probleme sichtbar machen und die Menschen dahinter anonymisieren. Dadurch tut sich auch was, aber leider oft ein bisschen zu spät“.

Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Mehr Informationen zum Referat

Pädagogische Einsteins

  • 28.09.2012, 10:43

LehrerInnen: Sie sind diejenigen, die uns das Leben zumindest neun Jahre lang entweder zur Hölle machen oder unsere Interessen fördern. Um ersteres zu verhindern, braucht es eine qualitativ hochwertige PädagogInnenbildung. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

LehrerInnen: Sie sind diejenigen, die uns das Leben zumindest neun Jahre lang entweder zur Hölle machen oder unsere Interessen fördern. Um ersteres zu verhindern, braucht es eine qualitativ hochwertige PädagogInnenbildung. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Es war 5.30 Uhr an einem Dienstag Morgen, als sich Laura M.* auf den Weg zu einer ihrer ersten Schulstunden seit drei Jahren machte. Der Unterschied zu früher war, dass sie dieses Mal auf keinen Fall zu spät kommen wollte. Die 21jährige Linzerin studiert Russisch und Geschichte auf Lehramt im vierten Semester an der Universität Wien. Als Lehramtsstudentin studiert sie noch im Diplom und muss zwei Unterrichtsfächer kombinieren, für jedes Fach müssen Schulpraktika im Ausmaß von elf ECTS abgelegt werden. Dafür sollen laut Studienplan BetreuungslehrerInnen zur Seite stehen, die bei der Vor- und Nachbereitung helfen sowie für Feedback und Supervision verantwortlich sind. „Ich hab’ das erste Praktikum lange vor mir hergeschoben, weil ich mich nicht drübergetraut hab“, erzählt sie. „Im Endeffekt war aber sowieso alles anders als gedacht.“

Laura wurde gemeinsam mit fünf KollegInnen, die ebenfalls slawische Sprachen studieren, zwei BetreuungslehrerInnen zugeteilt – eine davon unterrichtet in Amstetten Spanisch, einer in St. Pölten Russisch. Für Studierende, die seltene Fächer belegen, kein Einzelfall: „Da kann es schon einmal passieren, dass man sich in eine Spanischstunde setzen oder in die niederösterreichische Pampa fahren muss, um dort fünfzig Minuten Unterrichtserfahrung zu sammeln“, erzählt Laura. Mit einer Studienkollegin sollte sie ihre erste Russisch-Schulstunde in einem St. Pöltner Gymnasium halten. „Da meine Kollegin allerdings Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS) studiert, hat sich die Vorbereitung als etwas schwierig erwiesen.“ Was die Betreuungslehrer dazu sagten? „Lasst euch was einfallen.“

Lücken. Nicht nur die BetreuungslehrerInnen für Lehramtsstudierende an den Schulen sind oft Mangelware, Lehrkräfte schwinden generell aus Österreichs Schulen. 71.500 LehrerInnen arbeiten derzeit an allgemeinbildenden Pflichtschulen, rund 4.900 an Berufsschulen und 41.600 an Bundesschulen, also an Gymnasien oder berufsbildenden mittleren und höheren Schulen. Bis 2025 werden voraussichtlich 50 Prozent aller Lehrpersonen in Pension gehen – der LehrerInnenmangel ist bereits jetzt vorprogrammiert, Lösungen dafür sind jedoch nicht in Sicht. Bereits zum Schulstart diesen Herbst sind in vielen Bundesländern ErsatzlehrerInnen im Einsatz, viele LehrerInnen übernehmen Überstunden und JunglehrerInnen werden bereits im ersten Jahr mit einer vollen Lehrverpflichtung beauftragt.

In diese Richtung soll es laut der Bundesregierung weiter gehen: Die  Lehrverpflichtung im ersten Unterrichtspraktikumsjahr soll von bisher acht auf 22 Unterrichtsstunden erhöht werden. Das würde selbst eine volle Lehrverpflichtung mit einem normalen Dienstvertrag übersteigen. Regina Bösch, angehende Junglehrerin, kann den Plänen zur Erhöhung der Unterrichtszeit bereits am Anfang nicht viel abgewinnen und hat kurzerhand mit einer Kollegin die Initiative für ein faires LehrerInnendienstrecht ins Leben gerufen. „Das ist absurd und gefährlich. Im Unterrichtspraktikum braucht man sehr viel Zeit zur Reflexion, damit man auch wirklich hineinwachsen kann. Das wäre komplett weg“, sagt sie. Das jetzige Unterrichtspraktikumsmodell ist als einjährige Berufseinstiegsphase konzipiert und wird vom Großteil der Studierenden gut angenommen. „Das neue Modell würde bedeuten, dass man sich von Stunde zu Stunde hangelt, und Dienst nach Vorschrift macht – im besten Fall. So brennt man die Leute noch früher aus“, sagt Bösch.

Laura hat ihr erstes Schulpraktikum mit einem Sehr-Gut abgeschlossen, obwohl die vorbereitete Russischstunde mit ihrer BKS-Kollegin nie zustande kam: „Unser Betreuungslehrer hat uns einfach vergessen, und die betreffende Klasse war an dem Tag auf Exkursion.“ Eine volle Lehrverpflichtung bereits direkt nach Abschluss des Studiums oder vielleicht sogar schon davor kann sie sich nicht vorstellen: „Als Lehrerin fühl ich mich wirklich noch kein bisschen.“

Konflikt. Während die Lehramtsstudierenden auf der Universität in der Regel nur mittels zweier Schulpraktika während des Studiums in Berührung mit SchülerInnen kommen, stehen Studierende an Pädagogischen Hochschulen von Anfang an im Klassenzimmer. In Österreich findet die Ausbildung der PflichtschullehrerInnen und BerufsschullehrerInnen an den Pädagogischen Hochschulen statt, angehende LehrerInnen in höheren Schulen müssen die Uni mit einem Diplomstudium abschließen. Die Trennung der Ausbildungen in verschiedene Sektoren ist umstritten.

2008 hat Bildungsministerin Claudia Schmied gemeinsam mit dem damaligen Wissenschaftsminister Johannes Hahn erstmals die ExpertInnengruppe LehrerInnenbildung NEU eingesetzt, und damit beauftragt, Vorschläge für eine Reform der LehrerInnenbildung zu erarbeiten. Seitdem gibt es viele Vorschläge, aber die verschwinden großteils unter dem Tisch. Leidtragende des politischen Stillstands sind nicht nur die Studierenden, sondern auch die SchülerInnen.

Stefan B. studiert im siebten Semester Informatik auf Lehramt an der Linzer Johannes Keppler Universität und kann der Trennung der Lehramtsstudien nichts abgewinnen: „Gerade im Unterstufenbereich, bei den Kindern zwischen zehn und 14 Jahren, unterrichten die LehrerInnen später genau dasselbe.“ Anders als Laura hat er mit seinem Schulpraktikum im Linzer Georg-von-Peuerbach-Gymnasium gute Erfahrungen machen können, auch das Verhältnis zu den BetreuungslehrerInnen war gut. „Aber am Ende des Praktikums waren sich mein Betreuungslehrer und ich einig: Wir hätten viel mehr Zeit miteinander verbringen müssen.“

Pyramide. Umso jünger die Kinder, desto kürzer ist die Ausbildung und schlechter die Bezahlung. So lässt sich die umgedrehte „PädagogInnen-Pyramide“ beschreiben, die in Österreich System hat. Laut Stefan Hopmann, Professor am Institut für Bildungswissenschaften an der Uni Wien, gibt es im Pflichtschulbereich die größten Defizite, vor allem auch, weil es nicht die Möglichkeit gibt, fachliche Schwerpunkte zu setzen: „Wenn alle alles unterrichten können sollen, müssen wir lauter pädagogische Einsteins anstellen.“ Um dies zu ändern, bräuchte es allerdings grundlegende Reformen, und an die hat sich bis jetzt noch niemand herangewagt.

Hopmann, der auch ehemaliges Mitglied der Vorbereitungsgruppe zur Umsetzung der Vorschläge der jüngsten von Bildungsministerin Schmied und Wissenschaftsminister Töchterle eingesetzten ExpertInnengruppe ist, kritisiert den mangelnden politischen Gestaltungswillen: „Da war die Tinte am Papier noch nicht einmal trocken, da war schon klar, dass das Erarbeitete nicht mitgetragen wird.“ Der Bildungswissenschafter meint damit vor allem die Kernidee, dass es eine akademische Aufwertung der PflichtschulpädagogInnen brauche. „Das Problem ist, dass man Reformen haben will, die nichts an den Machtstrukturen verändern sollen, man wurschtelt vor sich hin. Ein bisschen Reform funktioniert aber genauso wenig wie ein bisschen schwanger sein.“ Klar ist, dass sich nach einer Aufwertung der Ausbildung auch das Gehaltsschema ändern müsste.

Beschränkung. Die besten für den Lehrberuf zu finden – das wird sowohl von SchülerInnen-, Eltern-, als auch DirektorInnenseite immer wieder gefordert. Wie man diesem Wunsch nachkommen kann, darüber gibt es jedoch verschiedene Ansichten. Seit dem Wintersemester 2011 wurde mit der Einführung der Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) auch eine Beschränkung für Lehramtsstudien beschlossen. Besonders an der Universität Wien waren die Folgen drastisch: Wer die – von vielen Studierenden als überdurchschnittlich schwierig definierte – Pädagogik-Prüfung nicht schafft, ist jetzt für den Lehrberuf gesperrt. Auf Lebenszeit. Keine versteckten, sondern offensichtliche Zugangsbeschränkungen für Lehramtsstudien gibt es im oft zum Vergleich zitierten Finnland: Dort wird durchschnittlich nur einE BewerberIn von zehn genommen. Hopmann bestreitet, dass dieses Modell zum gewünschten Ziel führt: „Wir könnten auch in Österreich die Studienplätze halbieren, dann hätten wir auch ein Gedränge. Aber nicht die besten LehrerInnen.“

Andere Ansätze  gehen in Richtung Beratung und Evaluierung vor und während des Studiums; Reflexionsgespräche mit den ProfessorInnen, regelmäßiges Feedback und mehr Praxis von Anfang an. Gerade durch die de facto nicht vorhandenen Umstiegsmöglichkeiten im LehrerInnenberuf ergibt sich der Zwang für viele LehrerInnen, in ihrem Beruf zu bleiben. Für den angehenden Lehrer Stefan stellt das ein großes Problem dar: „Ich habe ein Lehramtsstudium begonnen, weil ich gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeite, aber ich weiß nicht, wie das in dreißig Jahren sein wird. Nur wenn man hier Lösungen findet, kann man das Beste für die SchülerInnen rausholen.“

Ausblick. Sowohl die ExpertInnengruppe der Ministerien als auch die Österreichische HochschülerInnenschaft sprechen sich seit längerem für die Einführung einer gemeinsamen PädagogInnenbildung aus. Die  Grundüberlegungen gehen in dieselbe Richtung: Ein gemeinsamer Grundstock am Anfang, eine Spezialisierung mit Umstiegsmöglichkeiten im Anschluss. Ob die LehrerInnenausbildung an den Universitäten, an den Pädagogischen Hochschulen oder an neuen Schools of Education stattfinden soll, ist eigentlich nur ein Nebenschauplatz der Debatte, der allerdings ins Zentrum gerückt wird. Solange die bildungspolitischen Agenden jedoch auf zwei Ministerien geteilt sind, wird sich an dem Stillstand nicht viel ändern. Denn dumm wäre jene Partei,  die freiwillig Kompetenzen abgibt.

*Name von der Redaktion geändert.