Alltag

Politische Alltagsdiskussionen

  • 11.05.2017, 20:07
Wer Leute dazu animieren will, über den eigenen Tellerrand zu blicken, ist gut beraten, das selbst auch zu tun.

Wer Leute dazu animieren will, über den eigenen Tellerrand zu blicken, ist gut beraten, das selbst auch zu tun.

Ich weiß nicht, ob ihr das auch kennt, aber ich finde mich relativ häufig in politischen Diskussionen wieder, in denen sich alles in mir zusammenkrampft, wenn ich meinem Gegenüber so zuhöre. Und da ist es egal, ob es um Grenzzäune, Frauenquoten oder Mindestsicherung geht. Ärgerlich finde ich eigentlich immer dasselbe: Die verkürzte Art, wie über soziale Probleme nachgedacht wird, wo sie uns doch eigentlich alle betreffen und genug Anstoß zum kritischen Denken existiert.

Die akademische und politische Linke generiert seit jeher kritisches Wissen, um ungerechte Gesellschaftsverhältnisse zu bekämpfen, nicht zuletzt, indem sie Bewusstsein darüber schafft. Nun lässt sich natürlich einwenden, dass es seit jeher auch gesellschaftliche Kräfte gibt, die sich tatkräftig gegen eine entsprechende Modernisierung wehren. Verständlicherweise – von sozialer Ungleichheit profitieren ja auch die einen oder anderen. Aber diese Profiteur_innen sitzen mir in meinem Alltag eigentlich kaum gegenüber. Zumindest strukturiert sich die Argumentation meiner Gesprächspartner_innen meist nicht danach, ob sie profitieren oder nicht. Viel eher scheint es egal zu sein, wie relevant ein politisches Thema ist. Dass alle Menschen ein differenziertes Wissen dazu haben, ist ganz offensichtlich zu viel verlangt. Irgendwie eh klar. Alltagswissen entsteht eben unter bestimmten Voraussetzungen, die das zunächst kaum anders ermöglichen.

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WISSEN UND HANDELN. Eine der wohl bemerkenswertesten Einsichten aus der Wissenssoziologie ist, dass Wissen immer in Zusammenhang mit Handeln gefasst werden muss, das heißt, dass jedes Wissen auf den Handlungsrahmen bezogen ist, in dem es nützlich sein soll und in dem es bestehen muss. In der akademischen Auseinandersetzung mit Geschlecht können theoretische Überlegungen und empirische Befunde zu einer umfassenden Analyse des Geschlechterverhältnisses zusammengetragen werden, die Aufschluss über die hierarchische Positionierung von Männern und Frauen in der Gesellschaft gibt. Für den Alltag dieser Männer und Frauen ist es zunächst aber völlig ausreichend zu wissen, wie man sich dem eigenen Geschlecht entsprechend kleidet und verhält (und auch für die Genderforscherin ist diese Kompetenz abseits ihrer akademischen Metaposition unverzichtbar). Alltagswissen beschränkt sich also zunächst auf das, was im Handlungsrahmen des eigenen Alltags so auftaucht und relevant wird. Dazu gehören auch Inhalte des öffentlichen Diskurses über politische Themen, die mehr oder weniger bewusst aufgenommen werden.

Nun sind Inhalte des öffentlichen Diskurses, zum Beispiel die Berichterstattung in Mainstreammedien, nicht immer darauf ausgelegt, Sachverhalte adäquat darzustellen, egal wie wichtig das Thema sein mag. Nebst der Tatsache, dass Medien einem starken Verwertungszwang unterliegen und daher zunehmend auf Unterhaltung und Skandalisierung setzen, sind sie freilich auch Schauplätze politischer Kämpfe, in denen unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen, die Ausdruck politischer Kräfteverhältnisse sind. Und diese Stimmen tauchen auch in Alltagsdiskussionen wieder auf.

Das macht Alltagsdiskussionen zu Räumen der politischen Auseinandersetzung. Und zwar zu welchen, auf die wir direkten Einfluss haben. Wir sind also gut beraten, uns Kommunikationsstrategien zu überlegen, bei denen wir am Ende nicht selbst völlig verzweifeln. Weil nervenaufreibend ist das schon, immer wieder erklären zu müssen, dass an der Prekarisierung der Arbeitswelt nicht wirklich „die Ausländer“ schuld sind und die Feministinnen nicht an der „Verweichlichung des Mannes“.

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RAUM DER REFLEXION. Aber wie lässt sich eine Diskussion so gestalten, dass Reflexion möglich ist und sie nicht in Ärger und Frustration endet? Raphaela Weiss vom Verein „Sapere Aude“ zur Förderung politischer Bildung beschreibt für ihre Arbeit in Workshops, dass es zunächst wichtig sei, sich einer belehrenden Haltung à la „Ich sag euch jetzt wie’s funktioniert!“ zu entledigen. Ähnlich argumentiert der Geschlechterforscher Paul Scheibelhofer von der Uni Innsbruck, dass es in der Vermittlung von kritischem Wissen nicht darum gehen soll, Leute zu erleuchten. Anstatt also krampfhaft zu versuchen, das eigene Wissen in die Köpfe anderer zu füllen, ist es viel sinnvoller sich anzusehen, was sie selbst aus kritischen Überlegungen an Wissen generieren. Ein wichtiger Punkt dabei ist laut Scheibelhofer, einen Bezug zu eigenen Erfahrungen herstellen zu können. Gerade bei gesellschaftspolitischen Themen ist das oft gut möglich. So können ganz im Sinne guter alter Soziologie persönliche Probleme als soziale Themen erkannt werden. Dieser Zugang bietet auch die Chance, selbst etwas aus einem Gespräch mitzunehmen und Wissenskoalitionen zu bilden.

Ganz in diesem Sinne ist es weiters hilfreich, sich nicht über Aussagen zu empören, auch wenn das mitunter eine der schwersten Aufgaben in Diskussionen ist. Ein genialer Trick, um auch die eigenen Emotionen hier abzufangen, ist es, wie Weiss vorschlägt, Fragen zu stellen, wenn einem eine Aussage nicht einleuchtet: „Es bringt tausendmal mehr, Leute selbst auf Zusammenhänge bzw. auf die Komplexität mancher Dinge draufkommen zu lassen, als ihnen eine fremde Meinung aufzuzwingen.“ Fragenstellen zeigt Interesse an der Sichtweise der anderen, ist respektvoll, schafft Vertrauen und kann damit zu einer guten Gesprächsbasis beitragen, auf der es dann, wie Weiss argumentiert, viel leichter wird, Aussagen zu überdenken. Durch Fragenstellen lässt sich weiters, wie die Sozialwissenschaftlerin Katharina Debus betont, die „Beweislast“ umkehren, so dass nicht nur meine Perspektive „erklärungsbedürftig“ ist, sondern auch die andere. Fragen kommen weniger aufdringlich daher als Gegenreden und eignen sich dadurch gut als Input zum Weiterdenken. Durch Zuhören erfährt man aber auch selbst mehr, bekommt einen tieferen Einblick in Gedankengänge und Argumentationslinien des Gegenübers und kann damit Verständnis für dessen Positionierung erzeugen. Verständnis, das nicht nur das Gegenüber beruhigen kann, sondern auch einen selbst. Es ermöglicht, die eigene Einstellung gegenüber anderen zu verändern. Zu verstehen, warum sich eine Person so positioniert, wie sie es tut, kann es deutlich leichter machen, mit dieser Positionierung zurechtzukommen und bietet vielleicht sogar Anlass, sich mit eigenen Erwartungen auseinanderzusetzen, die an andere Personen gestellt werden. Und nicht zuletzt ist Verständnis aufzubringen ebenfalls ein wertvoller Beitrag auf der Beziehungsebene, weil es der anderen Person vermittelt, ernstgenommen zu werden. Die Beziehungsebene beschreibt Debus als ganz zentral für einen Raum der Reflexion, denn Vertrauen macht in der Vermittlung von Problematiken vieles leichter. Dazu, meint sie, ist es auch förderlich, Missverständnisse von vornherein aus dem Weg zu räumen. Böse Absichten, die einem unterstellt werden könnten, sind ja relativ schnell verneint: „Ich bin keine Männerhasserin, aber ich bin dafür, dass Frauen und Männer die gleichen Möglichkeiten im Leben haben. Und du?“ Denn das funktioniert auch in die andere Richtung. Auch einem selbst kann es ein beruhigendes Gefühl geben, zu wissen, dass das Gegenüber nicht prinzipiell ein sexistisches oder rassistisches Arschloch ist. Hier lässt sich an einen weiteren Punkt anknüpfen, auf den die Sozialwissenschaftlerin aufmerksam macht: Hinter einer diskriminierenden Aussage steht nicht unbedingt die Absicht, zu diskriminieren. Es ist daher sinnvoll, zwischen Absichten und Effekten zu unterscheiden.

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Letztendlich, so meint auch Debus, können wir nicht den Anspruch haben, von unserem Gegenüber ein sofortiges „Ach ja, stimmt!“ zu bekommen. Sie sieht Widerstand als zentralen Teil des Lern- und Reflexionsprozesses, in den wir viel emotionale Energie hineinstecken.

AUSZUCKEN? Welche Rolle Emotionen in Räumen der Reflexion spielen können, ist wohl relativ offen. Das Spektrum an Diskussionsgefühlen ist riesig: Aggression, Empathie, Angst, Dankbarkeit und so weiter. Auch die Arten der Gefühlsäußerungen sind vielfältig und wirken situationsabhängig unterschiedlich. Das macht viele Wege des Umgangs mit eigenen und fremden Emotionen in Diskussionen plausibel. So ist Weiss in Workshop-Situationen darum bemüht, Diskussionen um politische Themen auf einer sachlichen Ebene zu halten. Wobei sie meint, dass es auch hier manchmal legitim ist, Emotionen einzubringen, gerade bei sozialpolitischen Themen, wo ein emotionaler Bezug zum eigenen Leben besteht. Ihr geht es darum, Wege zu vermitteln, konstruktiv über Politik zu sprechen. Einen anderen Aspekt hat mir unlängst ein Fundraiser auf der Straße in Bezug auf seine Arbeit beschrieben. Beim Spendeneintreiben für Amnesty International ist es eine wesentliche Aufgabe, Bewusstsein über politische Missstände zu schaffen. Sympathie aufzubauen und eine emotionale Verbindung zu Problemen herzustellen ist dabei das Um und Auf. Und warum auch nicht? Emotionale Energie ist ein zentraler Antrieb, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Oder auch für etwas Anderes. Gerade für rechte Politiken werden Emotionen gekonnt instrumentalisiert. Nicht umsonst setzt der Rechtspopulismus darauf, Wut oder Ängste in den Menschen zu schüren. Und auch wenn rechte Erzählungen von sozialen Problemen und Lösungen die Realität nicht adäquat abbilden, sind die entstandenen Emotionen dennoch real und verlangen politisch danach, ernstgenommen zu werden. Insofern ist die klassische Forderung „Man muss die Leute halt auch verstehen“ nicht ganz abwegig. Das muss allerdings mit Bedacht erledigt werden und darf, wie Debus betont, nicht dazu führen, dass diskriminierende Diskurse Raum bekommen und legitimiert werden: „Vielmehr kann es hilfreich sein, einerseits diskriminierenden Aussagen klare Grenzen zu setzen und andererseits gemeinsame nicht-diskriminierende Anliegen zu finden, die ernst genommen werden, wie zum Beispiel die Sorge vor ökonomischer Prekarisierung, das Gefühl mangelnder Mitbestimmung oder der Wunsch nach Orientierung und Handlungsfähigkeit“. Es geht freilich nicht darum, in jeder Situation für jede Person Verständnis und Mitgefühl aufzubringen, oder immer ruhig zu bleiben. Sondern diese Möglichkeiten neben vielen anderen wahrzunehmen und zu nutzen.

PÄDAGOGISCHER AUFTRAG? Vermittlung von kritischem Wissen kann keineswegs nur auf individueller Ebene passieren. Freilich muss es immer darum gehen, Strukturen mitzudenken. Die individuelle Ebene ist aber nicht unwesentlich, weil sie unseren unmittelbaren Einflussbereich darstellt. Unsere Nerven sind es, die es uns danken, wenn politisch relevante Inhalte in geeigneter Weise diskutiert werden. Es geht nicht zuletzt auch darum, Wege zu finden, solche Diskussionen für sich selbst erträglich oder sogar fruchtbar zu machen.

Carina Brestian studiert Soziologie an der Universität Wien.

Alle unter einem Dach

  • 17.04.2014, 18:02

 

PensionistInnen, Studierende und Kleinkinder – alle zusammen in einer WG. Klingt ungewöhnlich, könnte aber die Zukunft des Wohnens sein, denn immer mehr Menschen lassen sich auf dieses Experiment ein.

Willi steht in der Küche und packt Flaschen aus ihrem Einkaufstrolley. „Patrick hat mich gebeten, Bier mitzunehmen“, erklärt sie. Daneben steht Mohsen und blickt kritisch auf die beachtliche Sammlung leerer Flaschen neben der Abwasch. „Wir sollten das mit dem Müll anders organisieren. Vielleicht sollte jede Woche jemand fix für den Müll zuständig sein“, schlägt er vor. „Ich versteh nicht, warum nicht einfach jeder seinen Dreck wegräumen kann“, entgegnet Willi. „Wenn jemand einkaufen geht, kann er ja wohl einfach ein paar Flaschen mitnehmen.“

Alkohol kaufen für die MitbewohnerInnen, Diskussionen um die Müllentsorgung: Es sind Szenen, wie sie jede Studi-WG kennt. Auch die Möbel sind wie in den meisten Wohngemeinschaften bunt zusammengewürfelt. Willi hat bei ihrem Einzug ihr Klavier mitgebracht, das jetzt im Wohnzimmer steht. Daneben stehen Sofas in unterschiedlichen Farben und Regale vollgestopft mit Büchern. Auch die Zimmerpreise entsprechen mit 300 bis 500 Euro jenen in Studierenden-WGs. Was auf den ersten Blick wie eine normale Wohngemeinschaft aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen aber als etwas Außergewöhnliches: In der Generationen-WG der ÖJAB (Österreichische Jungarbeiterbewegung) leben 24 Menschen aller Altersgruppen – darunter SeniorInnen, Studierende und junge Familien – aus acht verschiedenen Nationen zusammen. Willi ist mit ihren 75 Jahren die älteste Bewohnerin; die jüngste ist gerade einmal zwei Monate alt. Student Mohsen liegt mit seinen 29 Lebensjahren in der Mitte.

Ein Konzept Mit Zukunft. 2030 wird es in Österreich mehr über 65-Jährige als unter 19-Jährige geben und die Überalterung schafft neue Probleme. Eine Frage ist etwa die der Pflege und Versorgung im Alter. Zwar kommen viele SeniorInnen gut alleine zurecht, die Angst vor der Einsamkeit ist jedoch groß. Ab einem gewissen Alter brauchen die meisten dann doch Hilfe im Alltag, sei es beim Hausputz, der Gartenarbeit oder auch dem Stiegensteigen – ins Altersheim wollen aber dennoch nur die wenigsten. Generationenverbindendes Wohnen kann in solchen Fällen eine zufriedenstellende Lösung sein. Denn, wie Christine Leopold, Präsidentin von Kolping Österreich, betont: „Alte wollen nicht nur Alte sehen.“

Der Arbeiterverein Kolping Österreich hat bereits 2003 ein SeniorInnenheim im 10. Wiener Gemeindebezirk mit seiner Unterstützungseinrichtung für alleinerziehende Mütter zusammengelegt. Neben den 200 älteren BewohnerInnen, die rund um die Uhr auf der Pflegestation betreut werden, und 45 RentnerInnen, die ihren Alltag noch weitgehend selbstständig bestreiten, leben hier heute 18 Mütter mit etwa 30 Kindern, die von SozialarbeiterInnen unterstützt werden. Beim Faschingsumzug auf der Pflegestation, Oster- und Weihnachtsfeiern und bei jedem runden Geburtstag sind die Kinder mit dabei. Und die SeniorInnen haben für solche Gelegenheiten natürlich auch den einen oder anderen Schokoriegel für ihre jungen MitbewohnerInnen parat.

Im Gegensatz zum Kolpinghaus ist unter den SeniorInnen in der Generationen-WG (GWG) niemand pflegebedürftig. „Höchstens vergesslich!“, merkt Willi an und erzählt schmunzelnd, dass ein älterer Mitbewohner ab und zu die Koteletts in der Pfanne vergisst. Konflikte zwischen den Generationen sind aber an beiden Orten selten. In der GWG zankt man sich nur manchmal über die leeren Glasflaschen. Und auch im Kolpinghaus hat es nur einmal einen größeren Krach gegeben, als die Kinder die Fische im Aquarium der SeniorInnen mit Waschmittel waschen wollten: „Die sind dann mit dem Bauch nach oben an der Wasseroberfläche geschwommen“, erzählt Frau Leopold, „ein wenig Aufregung schadet aber grundsätzlich auch im Alter nicht.“

Auch Willi hat sich für einen abwechslungsreichen Alltag entschieden, als sie vor fünf Jahren in die Generationen-WG einzog. Ein Altersheim war damals keine Option und ist es auch heute nicht. Schließlich ist sie nicht pflegebedürftig und mit ihren 75 Jahren noch gut auf den Beinen. 41 Jahre lang hatte die Bibliothekarin ihre Wohnung im obersten Stock eines Wiener Zinshauses. „147 Stufen! Das schaffe ich auch heute noch!“ Aber sie muss es nicht mehr schaffen. Die Generationen-WG liegt im Erdgeschoss: praktisch für Rollstühle, Kinderwägen und Willis Einkaufstrolley.

Die BewohnerInnen der Generationen-WG haben die gleichen Freunden und Sorgen wie eine „normale“ Studi-WG. Foto: Eva Engelbert

Eine Frage der Planung. „Planung und Architektur sind beim generationenverbindenden Wohnen sehr wichtig, sowohl für Alt als auch für Jung muss es Begegnungs- und Rückzugszonen geben“, erklärt Leopold. Im Haus des Kolping-Vereins soll der Eingangsbereich mit Rezeption und Spielecke für Begegnungen zwischen Alt und Jung sorgen. Die BewohnerInnen der GenerationenWG treffen sich in der Küche und im Wohnzimmer. „Wir sitzen hier am Abend zusammen und reden. Das ist besser als in meinem letzten Studentenheim“, lacht die 21-jährige Studentin Maryam. Alle möglichen Feste aus den Herkunftsländern der BewohnerInnen wurden in der Küche schon gefeiert. Damit sich auch alle verstehen, gilt die Regel, dass im Gemeinschaftsbereich Deutsch oder Englisch gesprochen wird. Willi schüttelt amüsiert den Kopf: „Das ist dann ein arges Gemisch aus Englisch in allen Abstufungen.“

Trotz der guten Gemeinschaft sind die eigenen Zimmer wichtige Rückzugsorte – gerade für die älteren BewohnerInnen, wenn die jüngeren einmal länger in der Küche feiern. „Es stört mich nicht, wenn’s laut ist. Wenn ich nimmer will, dann geh’ ich halt“, beantwortet Willi die Frage nach abendlichen Parties. Auch im Kolpinghaus wird darauf geachtet, dass sich die BewohnerInnen jederzeit zurückziehen können, wenn es ihnen zu viel wird. „Gerade viele ältere Menschen, die zu uns kommen, haben vorher sehr lange alleine gelebt und müssen sich erst daran gewöhnen, wieder ständig unter Leuten zu sein“, erzählt Leopold.

Nicht nur Vereine wie Kolping oder die ÖJAB versuchen sich an solch neuen Wohnformen. In Salzburg sind im Dezember die ersten BewohnerInnen in ein privates Generationen-Projekt eingezogen. Dort gibt es ebenfalls Gemeinschaftsräume, aber jeder hat seine eigene Mietwohnung. Ob die Gemeinschaftsflächen so stark genutzt werden wie in der Generationen-WG, wird sich noch herausstellen. „Zurzeit gibt's noch ein bisschen Umzugschaos“, sagt Koordinator Erwin Oberbramberger. Irgendwann soll das Projekt die älteren BewohnerInnen vor der Alterseinsamkeit bewahren und die SeniorInnen könnten den gestressten Eltern mit Vorlesestunden für die Kinder unter die Arme greifen. In der Einzugsphase in der Vorweihnachtszeit gab es bereits gemeinsame Aktivitäten: Während die Eltern Umzugskisten schleppten, backten ihre Sprösslinge im Gemeinschaftsraum Kekse mit einer Betreuerin.

Betreuung muss sein. Ganz ohne Betreuung funktionieren auch die am besten geplanten Projekte nicht – darüber sind sich die InitiatorInnen aller drei Generationen-Projekte einig. „Von ganz alleine passiert gar nichts“, weiß Leopold aus Erfahrung. Für das Kolpinghaus steht deshalb die Abteilung „Lebensqualität“ des Vereins als Ansprechpartnerin zur Verfügung und ist für die Organisation von Festen zuständig. Auch im Salzburger Projekt wird eine ständige Betreuerin dafür sorgen, dass die BewohnerInnen die Gemeinschaftsräume nutzen. „Jemand muss gemeinsame Aktivitäten initiieren, Ideen einbringen, sozusagen das Handwerkszeug liefern. Sonst wird es schwierig“, meint Oberbramberger. Für die Generationen-WG de ÖJAB ist Veronika Stegbauer zuständig. Sie kümmert sich um alles Organisatorische – angefangen von HandwerkerInnen, über die Behebung von Internetproblemen, bis hin zum Müllentsorgungsplan. Zusätzlich kommt zwei Mal in der Woche eine Putzfrau. JedeR, der/die einmal in einem Studentenheim gewohnt hat, kann erahnen wie eine Küche aussehen kann, die von 24 BewohnerInnen benutzt wird. Des Weiteren leitet Stegbauer einmal im Monat eine BewohnerInnenversammlung, bei der Probleme besprochen und Aufgaben verteilt werden: Eine BewohnerIn holt in der Früh die Post und verteilt sie, ein anderer ist für Computer und Technik zuständig.

Die Gemeinschaft muss passen. Eine weitere Voraussetzung dafür, dass Generationen-Wohnprojekte funktionieren, ist, wie in jeder WG, dass die MitbewohnerInnen zusammenpassen müssen. Oberbramberger hat zunächst mit allen InteressentInnen für die Wohnungen in Salzburg telefoniert, um herauszufinden, ob eine generationenverbindende Wohnform überhaupt das Richtige für sie ist. „Wenn alte Leute sagen ‚Ich möchte meine Ruhe haben‘ oder junge Eltern 'Wir haben zwar keine Großeltern mehr, aber das wollen wir auch gar nicht', dann macht Generationen-Wohnen nicht viel Sinn.“ Wegen eines schwierigen Mitbewohners hat auch Stegbauer von der ÖJAB die letzten Wochen damit verbracht jemand neuen für die GenerationenWG zu suchen. „Der vorige Bewohner hat die Gemeinschaft doch ziemlich strapaziert.“ Nun zieht eine russische Studentin mit ihrer achtjährigen Tochter in die WG ein und stellt das Generationen-Projekt vor neue Herausforderungen. „Wir werden sehen, wie das mit der Tochter wird“, sagt Stegbauer. „Vielleicht organisieren wir Kinderbetreuungsdienste.“

Trotz – oder gerade wegen – der kleinen Herausforderungen im Alltag wird Generationen-Wohnen immer beliebter. Seit Kurzem gibt es neben dem Kolpinghaus in Favoriten auch eines im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Die ÖJAB will neben der Generationen-WG bald ein ganzes Generationen-Haus eröffnen. Und auch in Salzburg sind schon zwei weitere Projekte in Planung. Denn viele SeniorInnen brauchen keine Pflege, sondern einen Ausweg aus ihrer Einsamkeit. Für sie könnte generationenverbindendes Wohnen in Zukunft eine Alternative zum Altersheim sein.

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik, Julia Prummer Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

Stecken geblieben

  • 25.02.2013, 17:32

Plötzlich macht es einen Ruck und man steckt fest. Ein Albtraum für viele. Alltag für LiftbefreierInnen.

Plötzlich macht es einen Ruck und man steckt fest. Ein Albtraum für viele. Alltag für LiftbefreierInnen.

Der Aufzug muss genau in Parkposition stehen. Tut er das nicht, genügen oft schon ein paar Zentimeter, damit er stecken bleibt. „Das ist eigentlich die häufigste Ursache“, sagt Leopold Miklos. Er ist seit knapp 21 Jahren Hausbesorger der Stadt Wien, betreut mehrere Stiegen eines Wohnhauses im 22. Wiener Gemeindebezirk und wird von den meisten „Herr Miklos“ genannt. Bei zwei bis fünf Notbefreiungen im Jahr hat er im Zuge seiner 21jährigen Laufbahn rund 200 Menschen aus dem Lift befreit. „Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist das schon einiges“, lacht Herr Miklos. „Ich hab 124 Wohnungen. Da hab ich jeden schon mal rausgeholt – theoretisch.“

Notruf. Das Wiener Aufzugsgesetz von 2007 stellt sicher, dass man eine halbe Stunde nach dem Notruf aus dem Lift befreit werden muss. Dazu sind neben den HausbesorgerInnen nun auch die Aufzugunternehmen selbst verpflichtet. Eines dieser Unternehmen ist die Firma Otis. „Wien hat eines der strengsten Aufzugsgesetze Europas“, erklärt Mario Zistler, Abteilungsleiter im Service Support und Chef der OtisLine. Hier geht im Durchschnitt zwei bis drei  Mal am Tag ein Notruf für eine der 23.000 von Otis betreuten Liftanlagen in ganz Österreich ein. Seit 2007 wurde in allen Aufzügen eine Sprechanlage eingebaut. Wer in die unangenehme Situation gerät, im Aufzug gefangen zu sein, kann so problemlos mit der Zentrale kommunizieren. Man ist also nicht ganz allein im Lift. „Manche reagieren in dieser Situation erst mal etwas panisch“, sagt Mario Zistler: „Aber in der Regel können wir sie schnell wieder beruhigen.“

In der OtisLine sieht man außerdem die genaue Position des Lifts, ob die Lifttüren offen oder geschlossen sind und die Adresse des Gebäudes. So kann oft schon reagiert werden, bevor noch irgendjemandem im Haus aufgefallen ist, dass der Lift steht. Das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass eine eingesperrte Person im Aufzug klaustrophobisch wird. „Dann kann es passieren, dass sich die Person versucht selbst zu befreien und sich dabei verletzt. Oder dass sie eine Panikattacke bekommt“, sagt Zistler: „Deswegen rufen wir in solchen Fällen auch gleich Rettung und Feuerwehr dazu. So etwas kommt aber ganz selten vor.“

Sprechanlage. Die Verbindung zur Sprechanlage wird alle drei Tage von der OtisLine kontrolliert. Dadurch kann ein Ausfall fast ganz ausgeschlossen werden. „Es kann nur vorkommen, dass der Hausbesitzer die Telefonrechnung nicht bezahlt hat. Auch die Sprechanlage in den Aufzügen läuft über einen Telekom- Anschluss“, sagt Mario Zistler. Stellt die OtisLine fest, dass die Leitung tot ist, verständigt sie sofort den oder die HausbesitzerIn. Funktioniert eine Sprechanlage nicht, wird der Aufzug von der Wiener Baupolizei gesperrt. Kann ein Aufzug denn auch abstürzen, wie man es in den Filmen sieht? „Ein Aufzug kann nicht abstürzen“, versichert Mario Zistler. Schon 1853 entwickelte Elisha  Graves Otis eine Sicherheitsbremse, die mittels einer Fangvorrichtung den Absturz der Kabine verhindert. „Da bräuchte man schon mehrere Sprengladungen“, sagt Mario Zistler: „Es ist einfacher, das Gebäude umzureißen, als den  Lift zum abstürzen zu bringen.“

Eine weitere Neuerung des Aufzuggesetzes 2007 war der Einbau von automatischen Schiebetüren. Dadurch sind vor allem die schweren Unfälle mit Aufzügen stark zurückgegangen.  „Vielen Leuten ist der Schlüssel in den Spalt  wischen Aufzug und Tür runtergefallen“, erinnert sich Herr Miklos. „Die haben nachgegriffen und sind dann mit der Hand in den Aufzug gekommen. Da sind schwere Unfälle passiert, Wien-weit.“ Besonders ärgern Herrn Miklos die „Einkaufswagerlpartien“. „Die Mieter wollen unbedingt ihre Einkaufswagerl mit in den Aufzug nehmen. Das ist sowas von gefährlich!“ Er erzählt von einem Vorfall vor Einbau der Schiebetüren. Eine ältere Frau nahm den Einkaufswagen  mit in den Aufzug und ein Rad verfing sich in dem Spalt zwischen Türe und Fahrkorb. „Das Wagerl hat sich drinnen verdreht und die Frau hat sich schwer verletzt. Sie hat sich die Rippen gebrochen. Bei kleineren Aufzügen hat man ja  keinen Platz, wenn man mit dem Wagerl drinnen steht und fährt.“

Glöckerlpartie. Neben den manchmal unbelehrbaren MieterInnen machen Herrn Miklos auch die Kinder zu schaffen. Der Aufzug übt auf sie nach wie vor eine große Anziehungskraft aus. „Sie brauchen nur einen Kaugummi beim Kontakt reinpicken, und der Aufzug steht. Da sucht man dann erst mal eineinhalb Stunden nach dem Fehler. Aber wenn man das 21 Jahre lang macht, kennt man schon alle Schmähs der Kinder“, lacht Herr Miklos. „Sie fahren auch gern hin und her spazieren, drücken überall – eine Glöckerlpartie. Das gehört auch ab und zu gemacht, das ist eh klar“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Selbst ist Herr Miklos noch nie im Lift stecken geblieben. „Weder in meinen eigenen, noch  irgendwo anders.“

Verkehrte Welt

  • 25.02.2013, 17:25

Die meisten männlichen Attitüden nerven gewaltig. Wir drehen den Spieß mal um.

Breitmachmacker
Öffentlicher Verkehr ist ja eigentlich nicht nur aus stadtplanerischer Sicht unterstützenswert, sondern auch ganz praktisch: Ist man kein Bobo Rich Kid und lässt sich per Taxi durch die Gegend kutschieren, kommt man ja auch nicht drum rum. Abhängig von der Tages- oder Nachtzeit kann das aber mühsam werden: Während der Rush Hour begegnen einer im Gang stehende Kasten, die offensichtlich von den Wiener* Linien persönlich angeheuert wurden, um Türsteher zu spielen und die Sitzplätze hinter sich zu bewachen. Hat man’s an denen mal vorbeigeschafft und einen der begehrten Sitzplätze ergattert, trifft man häufig auf den Typ Breitmachmacker, der nicht nur den eigenen Sitzplatz einnimmt, sondern auch noch die Hälfte des benachbarten. Ob die schon im Kindergarten lernen, ihre Füße in eine Gretsch-Position zu bringen, die man sonst eigentlich nur im Turnunterricht beim Bockspringen braucht? Jedenfalls, ihr Macker: Ihr seid alle nicht so groß, wie ihr glaubt. In Zukunft also bitte normal sitzen, unfreiwilliges Kuscheln in Öffis ist keine so gute Idee. Sonst sitzen wir in Zukunft im Sumoringer-Style.

* insert your city.

Put your hands up!

Illustration: Christina Uhl

Wenn ihr glaubt, wir sehen das nicht: falsch gedacht. Die Hoffnung auf einen unbeobachteten Moment in der FußgängerInnenzone, im Club, im Einkaufszentrum oder an anderen dicht-bevölkerten Örtlichkeiten muss leider enttäuscht  erden. Verlieren kann man das Handy oder die Geldtasche, deswegen zur Beruhigung: Ihr müsst euch nicht die ganze Zeit versichern, dass zwischen euren Beinen noch alles hängt (oder liegt). Wir lümmeln ja auch nicht beim Fußballschauen rum und präsentieren euch unsere Kratzkünste im Intimbereich. Außerdem, ganz ehrlich: Wenn’s da wirklich die ganze Zeit juckt oder falsch liegt, solltet ihr es mal mit einer anderen Unterhose oder einer Dusche probieren.

Pissoirs für alle
Illustration: Christina Uhl

Erstmal: Die Fähigkeit, mal so nebenbei im Freien oder sonstwo stehend zu pinkeln, ist euch nicht angeboren, sondern anerzogen. Grundsätzlich ist das ja auch okay, Pissoirs auf Frauenklos sollten sowieso zur Grundausstattung jeder vernünftigen Lokalität zählen. (Für alle, die sich jetzt fragen, wie das geht: Das Werkzeug heißt Urinella und wirkt Wunder. Es gibt Frauen, die können das auch ohne. Ja wirklich. Das mit dem Anstehen hätte sich dann auch endlich erledigt.) Was das Urinieren im Freien angeht, muss trotzdem gesagt werden: Da gibt’s Grenzen der Zwangsbeglückung. Auf Autobahnraststätten zum Beispiel: Keine gute Idee. In der Innenstadt: njet. Hausmauern müssen nicht gegossen werden. Im Stadtpark: Genau – bitte verschont uns. Also, trotz Weitpinkel-Superchamp-Status: Kein Grund, überall Revier zu markieren, das macht nur die Hunde nervös.

Der Weg zum Bier

Illustration: Christina Uhl
Es gibt ja so ganz harte Typen, bei denen der Gedanke, ihr Bier mit einem Flaschenöffner aufzumachen, unter ihrer Würde liegt. Da müssen dann schon mal das Kiefer oder die hoffentlich schon gewachsenen Weisheitszähne herhalten. Oder die sogenannte Augenhöhle, die bei der Öffnungstechnik mindestens so strapaziert wird, wie das Oberkiefer und die Beißerchen. Weil das Ganze nicht wirklich als erstrebenswert, sondern eher als strunzdumm zu bewerten ist, erklären wir hier lieber die Bier-mit-dem-Feuerzeug-Öffnungstechnik. Die ist nämlich wirklich praktisch, und wer möchte schon immer zum nächststehenden Typ rennen, nur um in den Genuss eines Biers zu kommen? Und zwar geht das so: Man umschließe mit einer Hand den Flaschenhals knapp unter dem Verschluss, und zwar so, dass man zwischen Zeigefinger (oder wahlweise Daumen) und Verschluss noch ein Feuerzeug dazwischenkriegt. Dann mit dem  Zeigefinger (oder Daumen) das Feuerzeug gegen den Deckel drücken und das andere Ende des Feuerzeuges Richtung Boden drücken. Wichtig: Fest zudrücken, die Hand darf nicht verrutschen – den Rest erledigt die Hebelwirkung. Prost!

Take that!

Illustration: Christina Uhl

Wer kennt das nicht: Im Uni-Seminar, abends bei einer netten Party oder in der linken Politgruppe der eigenen Wahl – den Besserwissern kommt man nirgends aus. Die existieren zwar beiderlei Geschlechts, die Ausprägung bei den Männern dürfte aber um einiges schwerwiegender sein. Wer genug hat von ewigen Monologen, die ohnehin keinen Sinn ergeben, der seien hier Standardwortklötze empfohlen. Einfach drüberstreuen, und schon wirkt alles tiefsinniger: Ökonomie, vulgär, destruktiv, androzentristisch, progressiv, Proletariat, klassenlose Gesellschaft, Implikation, Diskurs, Bourgoisie. Und wer euch immer noch nicht glauben will, ein super Totschlagargument ist immer: „Politik ist feministisch, oder sie ist nicht links.“ (F. Haug) Nämlich.