Tobias Neuburger

„This is modern slavery“

  • 10.03.2015, 11:33

Rosarno ist ein kleines Provinzstädtchen im Süden Italiens und taucht in der Berichterstattung internationaler Medien selten auf. Wenn, dann muss etwas Spektakuläres vorgefallen sein. Zuletzt war dies 2010 der Fall. Die meist afrikanischen Erntehelfer, die in der Stadt arbeiteten, probten den Aufstand als Reaktion auf einen gewalttätigen Übergriff. Der Alltag und die Lebenssituation dieser modernen Sklaven ist kaum eine Schlagzeile wert. Die Ausstellung „Bitter Oranges” widemt sich genau diesen Themen.

Rosarno ist ein kleines Provinzstädtchen im Süden Italiens und taucht in der Berichterstattung internationaler Medien selten auf. Wenn, dann muss etwas Spektakuläres vorgefallen sein. Zuletzt war dies 2010 der Fall. Die meist afrikanischen Erntehelfer, die in der Stadt arbeiteten, probten den Aufstand  als Reaktion auf einen gewalttätigen Übergriff. Der Alltag und die Lebenssituation dieser modernen Sklaven ist kaum eine Schlagzeile wert. Die Ausstellung „Bitter Oranges” widmet sich genau diesen Themen.

Der Weltmarktpreis für Zitrusfrüchte ist seit den 1990ern extrem niedrig. Dieser Preisverfall hat zu einem – in jeglicher Hinsicht – enormen ökonomischen Druck geführt. Für das wenige Geld, das man mit der Ernte von Orangen in Rosarno verdienen kann, will in Kalabrien niemand arbeiten.  Fast niemand. Ungefähr 50 Cent pro 22-Kilo-Kiste beträgt der Sold. „If you work all the day,“ berichtet einer der Saisonarbeiter in Rosarno, „you cannot get more than 25 Euro“. Die Ausstellung „Bitter Oranges. African Migrant Workers in Calabria“ rückt jene Menschen in den Fokus, die diese unter- und oft auch  unbezahlte Arbeit verrichten. Sie erzählt vom Alltag und den Arbeitsbedingungen junger Männer aus Nord- und Äquatorialfrika in den Containerstädten und blauen Zeltlagern an den Rändern Rosarnos.

„MENTAL SLAVERY“. Es ist eine neue Art der Sklaverei, die nicht mehr wie in vergangenen Jahrhunderten auf direkter körperlicher Gewalt, sondern auf psychischen und Marktzwängen beruht. Die darauf beruht, dass eine landwirtschaftliche Reservearmee gezwungen ist, sich zu jeden Bedingungen ausbeuten zu lassen. Denn keine, noch so schlecht bezahlte Arbeit zu haben, bedeutet letztlich elementare Grundbedürfnisse nicht befriedigen zu können, nichts zu essen zu haben.

Arbeit gibt es in der Regel ohnehin nur in den Wintermonaten – und auch dann nur tageweise. Außerhalb der Erntesaison sind die Ausgebeuteten, sofern sie es sich überhaupt leisten können, unterwegs auf der Suche nach anderen Arbeitsgelegenheiten. Dabei sind die Lebensbedingungen der in Süditalien Gestrandeten mitunter noch schlechter als ihr Leben zuvor. „Ich werde noch verrückt“, berichtet beispielsweise M. aus Nigeria. „Ich sitze hier und kann nichts machen.“ In den Lagern außerhalb Rosarnos gibt es eine kaum funktionierende Infrastruktur – keine Müllabfuhr und keine Gesundheitsversorgung. Und die, die es gibt, haben sich die BewohnerInnen meist selbst geschaffen: dieFahrradwerkstätte, das Kino, die Handyladestation oder den Lebensmittelladen.

DIE ROLLE DER FORSCHERiNNEN. Wie kann über den Alltag, der an die Ränder der Gesellschaft Gedrängten, berichtet werden? Auf welche Weise kann ihnen eine hör- und vernehmbare Stimme verliehen werden? Diese bedeutenden forschungsethischen Fragen versucht das Ausstellungsprojekt zu beantworten. Der neugierige Blick auf Leben und Alltag der „Anderen“ und Entrechteten läuft stets Gefahr in  Zurschau- und Bloßstellung abzugleiten. Die Ausstellung „Bitter Oranges“, ist das Ergebnis einer langjährigen ethnographischen Forschung, und folgt in ihren Leitlinien einem partizipativen Ansatz. Sie berichtet nicht einfach über Menschen, sondern lässt sie ihre Geschichten auch selbst erzählen. So sind die in der Ausstellung präsentierten Fotografien, Filme und Audiomitschnitte nicht nur Dokumente von Forschenden, sondern aus dem Alltag gegriffene Aufzeichnungen. Viele der Dokumente stammen von den Saisonarbeitern selbst. Sie erzählen von ihrem Alltag, von ihren Nöten, Zukunftsängsten und Träumen.

„Bitter Oranges. African Migrant Workers in Calabria“
KuratorInnen: Carole Reckinger, Diana Reiners, Gilles Reckinger
Künstlerhaus Büchsenhauen, Innsbruck
Bis 20. März 2015

Podiumsdiskussion: „Wer erntet auf Europas Feldern? Migration und prekäre Arbeit am Beispiel der Landwirtschaft“
17. März, 19:00 – 20:30
Künstlerhaus Büchsenhausen, Weiherburggasse 13, Innsbruck

Die Ausstellung wird im Herbst 2015 im Österreichischen Museum für Volkskunde in Wien gezeigt.

 

Tobias Neuburger ist Doktorand an der Universität Innsbruck und promoviert mit einer Arbeit über Aufführungen des Antiziganismus um 1900.

Geschichten von Verfolgung und Romantisierung

  • 24.02.2015, 18:44

Mit Antiziganismus lässt sich in Europa gut Politik betreiben – das illustrieren zahlreiche historische und zeitgenössische Beispiele. Aktuell beleuchten zwei Ausstellungen die ambivalente Geschichte einer Minderheit, die mit einer eigenartigen Mischung aus Verachtung und Faszination konfrontiert wird.

Mit Antiziganismus lässt sich in Europa gut Politik betreiben – das illustrieren zahlreiche historische und zeitgenössische Beispiele. Aktuell beleuchten zwei  Ausstellungen die ambivalente Geschichte einer Minderheit, die mit einer eigenartigen Mischung aus Verachtung und Faszination konfrontiert wird.

„Es ist eine Ausstellung über meine eigene Familiengeschichte, anhand der exemplarisch die Geschichte einer gesamten Minderheit vermittelt werden kann“, schildert die Künstlerin und Filmemacherin Marika Schmiedt das Anliegen der Ausstellung „Was bleibt. Fragmente einer fortwährenden Vergangenheit“, die aktuell im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zu sehen ist. Sie thematisiert die Verfolgung und Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus und beleuchtet deren Nachwirkungen auf die sogenannte zweite Generation.

Jahrelang hat Schmiedt die Geschichte ihrer Familie aufgearbeitet. Der Großteil ihrer Verwandten wurde, wie nahezu 90 Prozent aller österreichsichen Roma und Sinti, in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. Aus unzähligen Archiven hat sie Fragmente zusammengetragen – Strafverfügungen, Häftlingskarten, Todesmeldungen und Sterbeurkunden, pseudowissenschaftliche Rassegutachten und Fotografien – und so die Biografien der Familien Berger, Horvath und Schmiedt, ihrer Ur- und Großeltern, Eltern und deren Geschwister rekonstruiert.

Die Ausstellung rückt die Geschichten einzelner Menschen in den Mittelpunkt und verleiht auf diese Weise der Verfolgungsgeschichte der Roma und Sinti, die in planmäßiger Vernichtung gipfelte, Gesichter und Namen. Ihr Untertitel weist jedoch unzweideutig darauf hin, dass die Feindschaft gegen Roma und Sinti mit der militärischen Niederlage des Nationalsozialismus keineswegs ein Ende fand. Schmiedts Familiengeschichte dokumentiert, mittels mitunter sehr persönlichen Zeugnissen, die Auswirkungen und Spätfolgen der Nazi-Verfolgung sowie die nach 1945 anhaltende Ausgrenzung der Überlebenden.

(c) DÖW

Gegen die Ortlosigkeit. Ein ganz ähnliches Anliegen verfolgt die Ausstellung „Romane Thana. Orte der Roma und Sinti“ im Wien Museum. „Die Ausstellung“, erläutert Andrea Härle, Geschäftsführerin des Romano Centro in ihrer Rede zur Ausstellungseröffnung, „ist ein wichtiger Schritt, um Roma und deren Geschichte den angemessenen Ort im kulturellen Gedächtnis zu verschaffen.“ Auch Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums, betont, dass die Ausstellung wichtig und eigentlich schon lange überfällig gewesen ist.

Im Fokus steht die Betrachtung alltäglicher Orte, gerade weil das antiziganistische Zerrbild Roma und Sinti als eine heimatlose Gruppe imaginiert. Die Ortlosigkeit ist eines der zentralen, seit Jahrhunderten überlieferten Stereotype. Um gegen solche Klischees anzugehen, wurde das Ausstellungsprojekt in Kooperation mit dem Romano Centro, der Initiative Minderheiten und dem Landesmuseum Burgenland realisiert.
„Wie viel wir mit der Ausstellung verändern“, erzählt der in Floridsdorf aufgewachsene Musiker und Mitgestalter Willi Horvath, „ist mir noch nicht klar.“ So viel kann jedoch jetzt schon gesagt werden: Die Ausstellung zeichnet mit ihren vielfältigen Einblicken in die Lebenssituationen von Roma und Sinti in Österreich ein differenziertes Bild. Zusätzlich zur Präsentation historischer Dokumente aus dem 18. bis 20. Jahrhundert setzen elf Personen aus den Roma- und Sinti-Communities den klischeebeladenen Außenbildern notwendige andere Perspektiven entgegen. In dieser Ausstellung kommen Roma und Sinti selbst zu Wort. Es ist ein Ort, an dem sie ihre eigene Geschichte erzählen und einen Prozess der Aushandlung über die Geschichte durch Roma und Nicht-Roma in Gang setzen.

„Was bleibt. Fragmente einer fortwährenden Vergangenheit“
Kuratorin: Marika Schmiedt
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien
bis 12. März 2015

„Romane Thana. Orte der Roma und Sinti“
Kurator_innen: Andrea Härle (Romano Centro), Cornelia Kogoj (Initiative Minderheiten), Werner Michael Schwarz (Wien Museum), Susanne Winkler (Wien Museum) und Michael Weese (Landesmuseum Burgenland)
Wien Museum, Wien
bis 17. Mai 2015

 

Tobias Neuburger ist Doktorand an der Universität Innsbruck und promoviert mit einer Arbeit über Aufführungen des Antiziganismus um 1900.