Katja Krüger

Animationsfilme als Nischenprogramm? Von wegen!

  • 09.03.2015, 19:27

Seit fast 15 Jahren gibt es das Tricky Women Filmfestival in Wien. Es konzentriert sich auf Animationsfilme von Frauen. Auch heuer werden wieder Lang- und Kurzfilme gezeigt, ein Wettbewerb, Workshops, zwei Ausstellungen und ein Konzert veranstaltet. Das Tricky Women bietet vier Tage vollstes Festivalprogramm mit internationalen Animationsfilmen.

Seit fast 15 Jahren gibt es das Tricky Women Filmfestival in Wien. Es konzentriert sich auf Animationsfilme von Frauen. Auch heuer werden wieder Lang- und Kurzfilme gezeigt, ein Wettbewerb, Workshops, zwei Ausstellungen und ein Konzert veranstaltet. Das Tricky Women bietet vier Tage vollstes Festivalprogramm mit internationalen Animationsfilmen.

Das Festival wirft mit „Tough Cookies“ einen Blick auf die kroatische Animationsszene und mit „The Czech and Slovak Animated Heroines“ einen auf die östlichen Nachbarinnen Österreichs gleich dazu. Die Reihe „Vom Innen und Außen“ gibt Einblicke in die menschliche Psyche. Die Organisatorinnen fungieren ganzjährig als Expertinnen für Animationsfilme, kuratieren regelmäßig andere Veranstaltungen und publizieren zum Thema Animationsfilmforschung.

Zwischen den FrauenFilmTagen, der Diagonale und den VIS (Vienna Independent Shorts) widmet sich  das Tricky Women einer ganz besondere Nische des Filmbereichs, die groß genug für ein eigenes Festival ist. Wir haben uns mit der tricky woman Petra unterhalten und sie nicht nur über das aktuelle Standing des Festivals gefragt sondern auch einen kleinen Rückblick auf die bisherige beeindruckende Organisation gewagt.

 

Tricky Women 2015 Trailer from Tricky Women on Vimeo.

progress: Das Tricky Women gibt es jetzt schon fast 15 Jahre in Wien. Was sind die größten Veränderungen, die das Festival durchlebt hat?

Petra Forstner: Rein technisch hat sich die letzten 15 Jahre schon einiges verändert, allein was die Vorführformate betrifft. Vom Film(streifen), VHS-Tape bis hin zum jetzt meist digitalem File. Die Digitalisierung des Kinos haben wir natürlich auch mitbekommen. Das fällt uns vermutlich jetzt als erstes ein, weil wir die letzten Wochen damit beschäftigt waren, die Vorführkopien für die ca. 150 Filme, die am Festival laufen werden, anzufordern.

Auch das Festivalprogramm selbst hat sich verändert. War es zu Beginn ein reines Filmprogramm haben wir das Angebot mit Workshops für Einsteiger*innen und Fortgeschrittene, Ausstellungen, Partys, Diskussionen und Lectures stark erweitert.  Auch dieses Jahr erwartet die Besucher*innen ein umfangreiches Rahmenprogramm.

Ihr habt mit „Animationsfilme von Frauen“ ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal. Ist diese enge Nische ein großer Vor- oder Nachteil (oder beides)?

Wir sehen Animationsfilm nicht als Nischenprogramm. Ob im Web, im Broadcast Design, in der Werbung oder im Spielfilm – der Animationsfilm ist überall präsent. In jedem Land gibt es mittlerweile Animationsfilmfestivals, der Frauenfokus ist aber auch nach 15 Jahren immer noch einzigartig. Und es gibt genug Material. Jedes Jahr erreichen uns so viele starke Arbeiten von Frauen, dass wir gar nicht alles zeigen können. Unser Fokus liegt auf dem künstlerischen Animationsfilm. Auch die kommerzielle Werbung greift übrigens wieder vermehrt auf klassische Animationsfilmtechniken zurück. Der „Handmade-Look“ ist angesagt.

Was genau war eure ursprüngliche Idee hinter der Etablierung des Festivals und was sind eure größten Erfolge?

Wir wollten den künstlerischen Animationsfilm bekannter machen und den Filmemacherinnen eine Bühne und ein Forum zum Austausch und zur Vernetzung bieten. Außerdem wollten wir mit dem Frauenfokus ein Bewusstsein für die Situation von Frauen im Filmgeschäft schaffen. Die Unterrepräsentanz von Frauen im Filmbusiness oder auf Filmfestivals, sowie die ungleiche Verteilung der Budgets und Ressourcen ist nach wie vor ein brandaktuelles Thema.

Es freut uns sehr, dass Tricky Women mittlerweile ein Begriff ist. Regelmäßig im März reisen Gäste – Filmemacherinnen und Expertinnen – aus der ganzen Welt an, um am Festival teilzunehmen. Es ist uns gelungen ein Netzwerk aufzubauen, das nicht nur ganz Europa bis nach Moskau umspannt, sondern auch nach Peking, Montreal, Japan und Sydney reicht. Wir begleiten die Filmemacherinnen auch übers Festival hinaus und bieten eine Plattform, eine Möglichkeit zur Vernetzung. Außerdem stellen wir das ganze Jahr über Animationsfilmprogramme für nationale und internationale Veranstaltungen zusammen.

Workshops für Anfänger*innen und Fortgeschrittene, die auch heuer stattfinden, machen den Animationsfilm direkt erfahrbar.

Was darf man beim Tricky Women 2015 nicht verpassen?

Auf keinen Fall verpassen sollte man dieses Jahr die Festivalparty im Elektro Gönner am 14. März. Mit Live-Auftritt von Ana Threat! Auf die Exotica Garage Punk von Margarethen freuen wir uns schon sehr.


Tricky Women 2015
Internationales Animationsfilmfestival
11.-15.03.2015 im Metro Kinokulturhaus
Eröffnung am 11. März 2015, 19 Uhr im Gartenbaukino

 

Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.

Listen to Leena – White Elephants

  • 28.10.2014, 02:07

Zwei Mal hingehört.

Zwei Mal hingehört

Kati: Weiße Elefanten gibt´s ja bekanntlich nicht. Und falls doch, dann nur als vage Erinnerung. Mit diesen Worten – „I am a vague memory“ – beginnt das Debütalbum der fünf jungen Musiker*innen. Sängerin Lucia gibt den weißen Elefanten – mit dem wesentlichen Unterschied, dass am Ende ein klarer Eindruck statt bloß vager Erinnerung bleibt: ruhiges, jazziges Singer-Songwriting mit gelegentlichem Popeinschlag. Meist wird auf Deutsch, manchmal auf Englisch, Gedankenfetzen aneinanderreihend vor sich hin assoziiert. Über allem die klare Stimme der Frontfrau. In den experimentellen Momenten erinnert das an den guten Willi Landl, in den feministischen an Mika Vember. Listen to Leena schreibt aber durchaus seinen eigenen Beitrag zur österreichischen Musikgeschichte. Hörens- und sehenswert. Zweiteres ist bei einem der Konzerte der aktuellen Tour möglich.

Katja: Achtung, Jazz! Die österreichische Formation mit dem interessanten Namen Listen to Leena hat ein Debutalbum aufgenommen und zeigt uns, dass Jazz nicht unbedingt ein angestaubtes Altherren-Genre sein muss. Frontfrau Lucia Leena, ihre vier Begleiter und ihre Musik sind mal fragil-lyrisch und mal kraftvoll-instrumental, manchmal auch beides in einem Stück. Die Songs sind zu fast gleichen Teilen auf Deutsch und auf Englisch. Modernes Singing-Songwriting trifft auf technische Raffinesse der Musiker und –in, die so alteingesessene Instrumente wie das Flügelhorn oder die Posaune spielen, aber auch Melodica, Toy Piano und Klingelings verwenden.

Katja Krüger und Kati Hellwagner studieren Gender Studies und Politikwissenschaften an der Uni Wien.

Alt-J This is all yours

  • 28.10.2014, 02:01

Zwei Mal hingehört

Zwei Mal hingehört

Kati: Stilistisch und thematisch schließen die drei Briten von . „This Is All Yours“ nahtlos an ihren Erstling an – Intros und Interludes, Kombination aus Gitarren, Synthies und schwarzem Chorbubenhumor. Mit „Love is the warmest colour“ (in „Nara“) oder einer Begehrenserklärung klärung der brachialen Art („Every Other Freckle“) zwischenmenschelt es auch hier. Vielleicht nicht unbedingt innovativ – aber ein verdammt guter Herbst-Soundtrack: als Begleitung auf Spaziergängen durch sonnenbeschienenes, leicht vermodertes Herbstlaub oder im Duett mit Regentropfen, die gegen die Straßenbahnscheiben schlagen. Ein Album, das abwechselnd Melancholie und Glückseligkeit produziert und schließlich wie ein heißer Kakao mit viel Rum wirkt. Und für Leute, die das Herbstgedöns nicht mehr hören können: „Left Hand Free“ sage ich eine Zukunft in der Sommerhandywerbung voraus.

Katja: Die schwierige zweite Platte: Viele Bands sind schon an dieser Aufgabe gescheitert. Je erfolgreicher das Debüt, desto tiefer kann der Fall des Nachfolgers werden. alt-J stellten sich dieser Herausforderung und verloren zwischendurch zwar einen Drummer aus dem Bandgefüge, hatten sich aber gut genug im Griff, um nach der Welttour zu „An Awesome Wave“ bald genug neue Songs zu schreiben. Auf „This is All Yours“ kann man sich nun davon überzeigen, dass alt-J gekommen sind, um zu bleiben. Wer sich nach einer Tastenkombination auf dem Mac benennt, handelt sich schnell einen Ruf als One-Hit-Hipster-Wonder ein, doch sind Fans und KritikerInnen längst davon überzeugt, dass in den Engländern Talent steckt. Ein wenig gebrochen und experimentell können die Tracks sein, aber auch straighte Nummern sind dabei. Hier ein einminütiges Panflötenstück, da ein Miley-Cyrus-Sample. Es empfiehlt sich, weniger mit dem Kopf und eher mit dem Herzen hinzuhören.

Holzfällen – jetzt auch für Mädchen!

  • 28.10.2014, 01:35

Lumberjanes. Eine Comic-Rezension.

Lumberjanes. Eine Comic-Rezension.

Den Herbstbeginn haben Leseratten lang erwartet: Endlich wieder Tee trinken und Geschichten über die Sommerabenteuer anderer Leute lesen! Im Falle von „Lumberjanes“ spielen sich diese rund um ein Pfadfinderinnenlager ab. Der Comic, geschrieben von Grace Ellis und Noelle Stevenson und gezeichnet von Brooke Ellen, hat bereits sechs Teile und erscheint monatlich.

Die fünf Freundinnen Mal, Jo, Molly, Ripley und April erleben in „Lumberjanes“ eine atemberaubende Episode nach der anderen. Das Camp verlangt ihnen tagsüber Einiges ab, Nachtwanderungen planen sie selbst. Die dreiäugigen, gruseligen Flug-, See- und Landmonster, denen sie bei ihren Trips begegnen, spielen allerdings nur eine Nebenrolle in der Welt der Mädchenpartie. Ein genauer Blick auf die Namen verrät Einiges: Ripley ist eindeutig eine Hommage an Ellen Ripley aus „Alien“ und April sieht April O’Neil aus den „Teenage Mutant Ninja Turtles“ sogar etwas ähnlich. Bunt zusammengewürfelt sind die Looks der jungen Frauen – Sidecuts, Hotpants, Flanellhemden, alles geht! Garantiert Spaß gibt es, wenn sie mit Autoritäten wie der Campaufseherin Jen darüber verhandeln müssen, ob nach einem Regelverstoß die Eltern angerufen werden oder nicht. Diese Strafe wäre nämlich – im Gegensatz zur Begegnung mit den Seemonstern – der absolute Horror.

Der Zusammenhalt zwischen den Mädchen sowie die individuellen Einstellungen zu Autoritäten und Regeln machen jede Seite spannend und lassen die Sympathien des Publikums immer wieder zwischen den Charakteren wechseln. Außerdem wird die Coming- of-Age-Geschichte mit sehr viel Wortwitz und Situationshumor erzählt: An einem Tag bekommt man ein Abzeichen für Aufmüpfigkeit, am anderen ertrinkt man fast in einem Fluss; zur Kampfausrüstung zählen Haargummigeschosse und Netze aus Freundschaftsbändern. So etwas hätte es bei „Indiana Jones“ oder im „Jurassic Park“ nicht gegeben! Aber zum Glück haben wir jetzt „Lumberjanes“. Ideal auch als Geschenk – etwa für heranwachsende Familienmitglieder, die statt zu den Lumberjanes nur jedes Jahr ins vergleichsweise langweilige Ferienlager geschickt werden.

 

Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.

www.comixology.eu/Lumberjanes/comics-series/16309

Leave Miley alone!

  • 25.10.2013, 22:30

Die Welt des Pop hat ein neues Hassobjekt: Miley Cyrus. Ist die Sängerin Opfer der übersexualisierten Musikindustrie oder gar eine Feministin? Ein Kommentar von Katja Krüger.

Die Welt des Pop hat ein neues Hassobjekt: Miley Cyrus. Ist die Sängerin Opfer der übersexualisierten Musikindustrie oder gar eine Feministin? Ein Kommentar von Katja Krüger.
 

Die Geschichte der Emanzipation ist eine Geschichte voller Brüche. Während es zur Zeit der Sklaverei als Emanzipation bezeichnet wurde, wenn Sklaven in die Freiheit entlassen wurden, verstanden Bürger darunter die Freiheit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Mit Aufkommen der Frauenbewegung reklamierte diese den Begriff für sich und forderte damit die Gleichstellung der Frau als Bürgerin. Eine Mischung unterschiedlicher Abhängigkeiten erfuhr Miley Cyrus (geb. Destiny Hope Cyrus) in ihrem bisherigen Leben – als minderjährige Hannah Montana in der Musikindustrie, angetrieben durch ihren Vater Billy Ray Cyrus. Davon hat sie sich nun emanzipiert. Aber wie kam es eigentlich dazu?

Nach einigen Jahren im Griff von Disney und immensem Erfolg hatte Miley es satt, Hannah Montana zu spielen. Ebenso wie das Schauspiel an sich. Damit fiel ein Standbein ihrer Karriere komplett weg. Nun stand die Frage im Raum, ob ihre Musik auch ohne die Hintergrundstory und den Namen der TV-Serie Erfolg haben würde. Nach einer Übergangsphase, die immerhin drei Studioalben und auch einige interessante Kollaborationen, etwa mit Snoop Dogg, hervorbrachte, produzierte sie endlich etwas, das ihr wahrhaftig entspricht: das am 4. Oktober erschienene Album „Bangerz“. Vorläufer ist die Single „We can’t stop“, deren Lyrics keinen Zweifel aufkommen lassen, dass es sich hier um ihr Manifest handelt: „We run things, things don’t run we – we don’t take nothing from nobody.“ Eine klare Ansage gegen alle KritikerInnen und Bevormundung, die es in einem Leben als Kinderstar zu Hauf gegeben haben muss. So war das nicht geplant: Nach der TV-Serie war eine fast lückenlos anschließende Karriere als Musikerin für sie nicht geplant. Schon gar nicht so: sich in extrem eindeutigen Posen auf dem Bett räkelnd, mit einem Sidecut und Goldzähnen, Wifebeater-Oberteil und ständig rausgestreckter Zunge. Das verwirrt.

Teddybären und Latexunterwäsche. Doch diese Single wäre nur eine Randnotiz in der Popwelt, hätte es nicht den Auftritt von Miley bei den Video Music Awards (VMA) gegeben, bei welchem der Song und ikonische Fragmente des Videos – etwa gigantische Teddybären auf den Rücken der Tänzerinnen – in ein Duett mit Robin Thicke eingebaut wurden. Dessen Sommerhit „Blurred Lines“ ist ein sexistisches und misogynes, jedenfalls aber gut produziertes Stück rape culture, das sogar Zeilen über anale Vergewaltigung beinhaltet, jedoch ohne dass die breite Masse das erkennen könnte. Robin Thicke betritt die Bühne, Miley reißt sich die Klamotten vom Leibe und steht in hautfarbener Latexunterwäsche da. Vor einigen Jahren war Britney Spears’ hautfarbene Stoffhose bei der gleichen Veranstaltung noch Grund für Geläster. Das im Original von drei Männern gesungene „Blurred Lines“ wird zu einem Duett zwischen Miley und Robin, bei dem nicht ganz klar ist, wer hier wem auf die Pelle rückt. Der absolute Höhepunkt dieser Farce ist erreicht, als sich Miley zu ihren Fans hinunterbeugt, mit dem hochgestreckten Arsch wackelt, die Zunge  rausstreckt und Robin mit dem Schritt ihr zugewandt … der Rest ist Geschichte. Sie wurde zum Witz der Woche. Das kleine Mädchen mit den blonden Stirnfransen war zu einer lächerlichen Gummipuppe mutiert.

Die einzige Kritik, die dabei verhandelbar ist und die lediglich ein paar Blogs aufgriffen: ihr Hang zur unkritischen Aneignung von Symbolen der Black Community und ihr Ghettochic. Stattdessen wird eine junge Frau von Anfang  Zwanzig für eine sexuelle Konnotation auf der Bühne medial auf den Scheiterhaufen geworfen. Wäre sie nicht schon jahrelang Teil des öffentlichen Interesses, wäre so ein Auftritt auch nicht weiter aufgefallen. Doch an Miley lässt sich die Verwandlung von Unschuld in Hormone, von Nicken in Kopfschütteln, von Brett zu Busen so wunderbar erkennen und – ja – verurteilen. Ein ohnehin sexualisiertes Objekt wie eine weibliche Popsängerin sollte sich seiner eigenen Sexualisierung nie und nimmer bewusst sein, sonst stößt das dem Publikum extrem böse auf.

Einstürzende Emotionen. Im Video zu „Wrecking Ball“, der zweiten Single des neuen Albums, sitzt Miley mit dem nackten Popo auf einer Abrissbirne und leckt genüsslich einen Hammer ab. Die Ballade handelt vom Einstürzen emotionaler Mauern und von Vertrauen, das dann hintergangen und verspielt wird. Die visuelle Umsetzung symbolisiert das Ausnutzen sexueller Unerfahrenheit bei jungen Frauen und die Überredungskünste der Partner. Für die meisten ZuseherInnen ist das Video aber eine plumpe Zurschaustellung von nackter Haut und sinnlosen Gesten.

Zum Höhepunkt der Dreistigkeit kam es Anfang Oktober, als Sinead O’Connor einen offenen Brief an Miley schrieb, da sie öfter zu einer speziellen Szene befragt wurde, die offensichtlich von ihrem Video zu „Nothing compares 2 U“ inspiriert wurde. Darin sieht man eine Nahaufnahme von Mileys Gesicht und eine Träne, die ihr die Wange herunterkullert. Der Brief von Sinead O’Connor ist im Ton mütterlicher Fürsorge geschrieben, was in Wahrheit nichts anderes als
Bevormundung ist. Miley wird hier die Zurechnungsfähigkeit gänzlich abgesprochen. Durch die Vorwürfe, sie lasse sich von der Musikindustrie manipulieren, wird ihr jeder künstlerischer Anspruch abgesprochen.

Für all die Mädchen und Frauen, die auf gleiche oder ähnliche Art und Weise zurechtgestutzt werden, die sich ständig beurteilt und bevormundet fühlen, die sich wieder und wieder verunsichern lassen durch Kommentare und Ratschläge, ein weiterer Ratschlag: Bei sich selbst beginnt die Arbeit damit, andere Frauen nicht zu beurteilen, auch wenn es Miley Cyrus ist. Je weniger man andere Frauen mit jenen Kriterien konfrontiert, die einem selbst zuwider sind, desto besser gelingt die eigene Akzeptanz.

Die Autorin Katja Krüger studiert Gender Studies in Wien.
 

Beyoncé – „Lemonade“

  • 21.06.2016, 19:30

Marie Luise: Beyoncés neues Album, zu dem es einen abendfüllenden Begleitfilm gibt, handelt von Wut. Unter anderem lassen sich Anspielungen auf Jay Zs außereheliche Affären herauslesen. Worum es aber viel stärker geht, ist eine hochpolitische Wut. Das Video zu „Formation“ wurde am Vorabend der Super Bowl in den U.S.-amerikanischen Medien heiß diskutiert. Es geht um rassistische Polizeigewalt und zeigt Beyoncé, wie sie auf einem Streifenwagen sitzt, der langsam untergeht. Die Polizei zeigte sich weitgehend empört, viele Polizist*innen weigerten sich, bei Beyoncés Konzerten den Security Service zu übernehmen. Weiße Republikaner*innen gaben öffentlich kund, dass eine Musikerin, die sich so polizeikritisch äußert, keinen Platz bei der Super Bowl haben sollte. In ihrer Performance auf dem Mega-Event bezog sich die Künstlerin dann mittels Kleidung auf die Black Panthers und durch die Choreographie (die Tänzerinnen waren in Form eines X aufgestellt) auf den Schwarzen Bürgerrechtskämpfer Malcolm X. In ihrem neuen Album thematisiert Beyoncé darüber hinaus Themen wie Feminismus und #Blacklivesmatter. In einer Szene zitiert sie Pipilotti Rists Videoperformance „Ever is over all“, in der die Künstlerin mit einem Stock die Fensterscheiben parkender Autos zerschlägt. Ein großartig notwendiges Gesamtkunstwerk!

Katja: Beyoncés neues Album hat mich kalt erwischt. Es kam so plötzlich und so heftig wie selten etwas in der Musikbranche. Nach ihrem Video zu „Formation“ konnte doch unmöglich etwas nachgeschoben werden, das noch krasser einschlägt? Doch. Es klingt absolut unglaubwürdig, dass ein Konzeptalbum über Ehebruch das politischste Statement des Jahres hervorbringt, aber „Lemonade“ ist genau das. Bei Beyoncé ist das Politische privat und das Private politisch, mit Leib und Seele. Wäre es ein Album ohne dazugehörigen einstündigen Film gewesen, wäre die ganze Sache ein bisschen fad geworden, aber deswegen heißt es ja „eine Vision haben“. Als Musikerin und Künstlerin hat sich Beyoncé etwas dabei gedacht, beides gemeinsam über HBO zu zeigen und dann online zu stellen. Schließlich spielt die ökonomische Komponente der sinkenden Plattenverkäufe eine gigantische Rolle in allen Entscheidungen der Frau, die sich „black Bill Gates in the making“ auf die Fahnen schreibt. Für mich ist dies ein absoluter Meilenstein der Musikgeschichte, der besser ausgedacht, realisiert und perfektioniert gar nicht sein könnte.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.

Sia – „This is acting“

  • 21.06.2016, 19:10

Marie Luise: Die Hit-Produzentin und Sängerin Sia komponiert nicht nur für sich selbst, sondern auch für viele andere große Stars. Aus ihrer Feder stammen unter anderem „Pretty Hurts“, das Beyoncé, und „Diamonds“, das Rihanna singt. Sia wurde in letzter Zeit aber auch an vielen Türen abgewiesen. Songs, die eigentlich für andere geschrieben worden sind, holt Sia jetzt aus dem Papierkorb und macht daraus ein Album. Sie selbst sagt, dass die Platte „This is acting“ heißt, weil sie für die Songs in andere Rollen schlüpft. Für sich hätte sie solche Songs nie geschrieben, sagt sie. Zur schon erschienenen Single „Alive“, die auf diesem Album vertreten sein wird, gibt es ein Video, in dem das kleine Mädchen mit Pagenkopfperücke, wie wir es schon aus anderen Videos kennen, zu sehen ist und in einer leeren Lagerhalle Karate macht. Für diesen Song hat Sia mit FKA Twigs zusammengearbeitet. So heterogen wie die Sänger*innen, für die Sia geschrieben hat, ist auch das neue Album. Entstanden ist eine wilde Mischung, in der ab und zu „das ist für Rihanna“ oder „das ist für Beyoncé“ herauszuhören ist. Sia selbst sagt gegenüber dem Rolling Stone, frühere Erfolge wie „Titanum“ und „Wild ones“ fände sie „incredibly, incredibly cheesy“. Persönlich kann ich auch mit dem glattpolierten Hochglanzpop von Sia nicht so viel anfangen. Umso länger ich Sia allerdings zuhöre, um so mehr freunde ich mich mit dem Schauspielen an. Ist da nicht irgendwo ein Augenzwinkern zwischen uns, jetzt wo wir beide wissen, dass wir nur so tun als ob?

Katja: Sia ist die derzeit interessanteste Künstlerin auf dem Markt des Mainstreampops. Ihre Performances und Videos mit Maddie Ziegler – der 14-jähigen Tänzerin – sind jetzt schon legendär. Sia ist keine 08/15-Singer- Songwriterin, die an der Gitarre oder am Klavier sitzt und uns von ihrem Leben erzählt. Alles an ihr schreit POP – oder schreit der Pop aus ihr? Das Markenzeichen ihrer Songs ist eine bombastische Fragilität. Thematisch wendet sie sich gerne mental healthissues zu und hat mit „Elastic Heart“ eine beeindruckende Depressionshymne geschaffen.

Ein Popstar möchte sie aber nicht sein, deshalb schreibt sie auch lieber Songs für andere stimmgewaltige Sänger*innen. Dass manches Material abgelehnt wird, kann passieren, dafür gibt es B-Seiten-Alben wie dieses hier. Wer jetzt aber glaubt, dass hier mindere Qualität geboten wird, irrt. Ein Jahrtausendsong wie „Chandelier“ ist auf dem Album nicht zu finden, zugegeben. Jeder halbfertige Song von Sia ist jedoch besser als 90 Prozent aller Sounds, die sonst auf CD gepresst werden.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.

Plattenkiste: Madame Baheux

  • 05.02.2015, 12:36

Plattenrezension / Zweimal hingehört

Plattenrezension / Zweimal hingehört

Kati: Madame Baheux waren bisher als unmerkbare Aneinanderreihung der Nachnamen der vier Musikerinnen unterwegs – Popržan/Jokić/Neuner/Petrova. Nun haben sie sich zum Glück endlich einen Bandnamen überlegt, den ich nicht sofort wieder vergesse und dazu gleich ein selbstbetiteltes Album herausgebracht. Gute Idee. Bosnien, Serbien, Bulgarien und Wien finden sich zusammen in einer Kombination aus Jazz, Balkan-Sound, Brecht und Wienerlied. Die Coverversionvon Georg Kreislers antikapitalistischem Spottgesang „Meine Freiheit, deine Freiheit“ bekommt, von Jelena Popržan gesungen, noch eine zusätzliche Ebene. Und die langen, rein instrumentalen Teile der Nummern sind live nochmal schöner als zuhause. Seeräuber-Jenny meets Balkan.

Katja: Wir sind ein bisschen late to the party mit dieser Besprechung, da die Platte bereits im September letzten Jahres erschienen ist. Aber besser spät als nie bieten wir dieser Band eine Plattform. Aufmerksam wurden wir auf sie, als sie den Austria World Music Award gewonnen hat. Obwohl wir„Weltmusik“ für eine unsäglich furchtbare Bezeichnung halten, nicht nur in Bezug auf Madame Baheux. Wahr ist, dass die fünf Musikerinnen in irgendeiner Form Verbindungen zum Balkan haben – außer Lina Neuner, die aus Klosterneuburg stammt und intern liebevoll Gastarbajterka genannt wird. Musik und Texte klingen tatsächlichstark nach Balkan, was an den typischen Streichinstrumenten und den teilweise auf Serbisch gesungenen Lyrics liegt. Das leicht zugängliche Highlight des Albums ist aber wohl die Coverversion von Georg Kreislers „Meine Freiheit, deine Freiheit“, welche zu einer „Frechheit“ wird. Die musikalische Energie und die Geschwindigkeit der Songs springen eine_n an und lassen so schnell nicht mehr los. Ein beeindruckendes und abwechslungsreiches Debutalbum.

 

Katja Krüger und Kati Hellwagner studieren Gender Studies an der Universität Wien.

Plattenkiste: Lime Crush - 7’’

  • 05.02.2015, 12:22

Plattenrezension / Zweimal hingehört

Plattenrezension / Zweimal hingehört

Katja: Die erste Veröffentlichung 2015 aus dem traditionsreichen Hause fettkakao legt die Latte für Wiener Bands mal wieder sehr hoch. In knapp fünf Minuten ist die Platte durchgehört– drei Songs mit je eineinhalb Minuten Spielzeit, DAS ist Punkrock. Die vier Bandmitglieder sind allesamt bekannte Gesichter. Für wen Aivery, Tirana oder Plaided keine Fremdwörter sind, der oder die hat die eine oder andere Musikerin schon einmal gehört oder gesehen. Zusammen sind sie also eine Art Supergroup und bringen mitwitzigen, lockerleichten Punksongs frischen Wind in die Konzertszene. Hier ist nichts verklemmt oder Kunstpunk, sondern alles original DIY. Punkfans, die eine Back-To-The-Wurzelbehandlung des Genres ersehnen, dürften mitdieser Platte extrem glücklich werden.

Kati: „I know the rules, but I don’t follow“ – diesmal sind wir mit beiden Rezensionen ganz regional und abseits des Mainstreams unterwegs. Lime Crush haben ihre erste 7-Inch Platte auf dem großartigen Wiener Label fettkakao veröffentlicht. Label-Betreiber Andi traut sich endlich selbst auf die Bühne, bleibt aber eher im Hintergrundund lässt die drei Musikerinnen Panini, Nicoletta und Veronika, die wir von anderen Projekten wie Plaided oder Tirana kennen, laut sein. Die beste Musik entsteht mitunter, wenn die Leute, die sie machen, sich selbst nichtzu ernst nehmen. „I went out to playping pong, but all I got was a honktonk!“ Ich mein, wer kennt das nicht? Das Ergebnis sind drei Nummern, die punkig sind und Spaß machen. Zeitgemäßer Riot-Grrrl Moshpit. Sowas kann wohl nur unterstützt werden – mehr davon!

 

Katja Krüger und Kati Hellwagnerstudieren Gender Studies an der Universität Wien.

Von Spar – Streetlife

  • 15.12.2014, 11:21

 

Plattenrezension

Katja: Genau zehn Jahre nach ihrem gefeierten, gehypten und untergegangenen Album „Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative“ (allein der Name!) haben sich Von Spar nach langem Irrweg zusammengerissen und eine echte Überraschung hingelegt. Nach zwei unanhörbaren Zwischenveröffentlichungen und dem damit in Zusammenhang stehenden Abgang von Sänger Thomas Mahmoud – sei es der Grund oder die Begründung – gibt es mit „Streetlife“ endlich die Versöhnung. Was 2004 noch sehr im Zeichen von Punk, Elektro, Kapitalismuskritik und Parolenpop stand, ist nun einem sehr sanften, unaufgeregten Klang gewichen. Gleich beim Opener „Chain of Command“ zieht es einer*m aber die Gänsehaut über den Körper, so ein kluger Diskodancer! Da ist endlich der Soul angekommen. Diese Band hat ein Happy End verdient.

Joël: Ätherische Männerstimmen mäandern fröhlich über leicht melancholischen Elektropop. Das hört sich – vor allem nach der vollen Dröhnung Haftbefehl – doch ganz gut an. Früher hätte man solche Musik sicher unter dem Label „prog rock“ eingeordnet, aber heute erfindet ja jede Band ihr eigenes Genre. Je länger das Album läuft, umso mehr geraten die Stimmen in den Hintergrund und die restlichen Instrumente kommen ins Zentrum. Das Ganze plätschert hübsch und würde sich hervorragend eignen, um Weltraumreisen in psychedelischen Science-Fiction-Filmen zu untermalen. Unverhofft singt dann nach längerer Pause in „Try Though We Might“ wieder jemand und dann klingen Von Spar wie eine bessere Popband, die man wahrscheinlich eher nicht im Radio hören wird. Dafür sind Tracks wie „Duvet Days“ die ideale Begleitung für lange, monotone Autobahnfahrten, wenn im Radio nur „Driving Home for Christmas“ läuft. Den Eltern kann man die Platte auch schenken. Vor allem wenn die öfters von ihren Drogenerfahrungen auf Pink Floyd-Konzerten erzählen, werden sie an „Streetlife“ sicher ihre Freude haben.

Katja Krüger studiert Gender Studies und Politikwissenschaften an der Uni Wien, Joël Adami studiert Umwelt- und Bio-Ressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

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