Katja Krüger

Liebe ist ein Säurebad

  • 02.09.2016, 19:44
Wir haben uns Suicide Squad angesehen, damit ihr es nicht müsst. Ganz so schlimm wie erwartet war es dann eh nicht.

Wir haben uns Suicide Squad angesehen, damit ihr es nicht müsst. Ganz so schlimm wie erwartet war es dann eh nicht.

Liebe Freund*innen des umstrittenen DC-cinematic universe: nach scheinbar endlosen fünf Monaten seit „Batman v Superman – Dawn of Justice“ kommt „Suicide Squad“ in die Kinos und erlöst uns vom langem Warten auf einige unserer Lieblingscharaktere. Wer Bat- und Superman schon nicht mehr sehen kann, erwartet sich von diesem Film nicht nur lässige Hau-drauf-Action, Sex und Humor, sondern auch ein Wiedersehen mit dem Joker bzw. die Einführung von Harley Quinn, seiner On-Off-Hassliebe.

Kurz zur Story: Eine toughe FBI-lerin hat den kecken Plan, Superbösewichte zusammenzutrommeln und aus ihnen einen unzerstörbaren Militärtrupp zu basteln, der dann auf diverse Himmelfahrtskommandos geschickt wird. Im Hintergrund steht der potentielle Terror von gesetzlosen Flattermännern, aber auch nicht ganz unwichtig sind die Machtspielchen des FBI und die Frage: Kann man diese Typen kontrollieren?

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Die Bösewichte sind bei Leuten, die nicht so oft Comics lesen, eventuell nicht bekannt. Da gibt es z.B. Deadshot (Auftragskiller mit Herz, aber ohne Sorgerecht), Diablo (siehe Pyro, Human Torch, Match – hier als die Latin Bad Boy Version), Captain Boomerang (Stichwort: Down Under), Killer Croc (Reptil) und eben Harley Quinn (verrückt). Captain Boomerang und Killer Croc werden höchstens für ein oder zwei Gags gebraucht, sonst spielen sie keine weitere Rolle. Dem Truppenführer Flag wird Katana zur Seite gestellt, eine schwertschwingende Asiatin. Damit hat man alle Klischees auf einem Haufen.

Gegenspielerin der Bösewichte ist Enchantress, eine Mischung aus Göttin und Hexe, geschlüpft aus einer ausgegrabenen Tonfigur. Sie möchte gerne eine Maschine bauen, die alle Menschen tötet. Dies erinnert sehr an den letzten Film von Marvel: „X-Men: Apocalypse“. Die Parallele ist in beiden Filmen, dass Mutanten bzw. paranormale Wesen aus längst vergangener Zeit erwachen und sich darüber echauffieren, dass sie nicht mehr angebetet werden. Ob das große Geister wirklich stören würde?

Um es kurz zu machen: Mit mächtig viel Feuerkraft ballert sich die Suicide Squad bis zur Hexe durch und es gibt einen Showdown. Ende.

Was am Schluss von Suicide Squad übrig bleibt ist ein extrem bemühter, aber insgesamt eher qualmender als feuriger Blockbuster. Zu Gute halten kann man dem Film aber, dass hier zumindest ansatzweise auf grundlegende Diversität geachtet wurde. Es gibt mehr als nur eine „Schlumpfine“, die wohl Harley Quinn wäre. Neben ihr sind noch drei andere Frauencharaktere handlungsmächtig. Aber bleiben wir kurz bei Harley Quinn. Ohne sie wäre der Film absolut gar nichts. Sie bringt jeglichen Humor, jegliche Farbe und (natürlich) auch jeglichen sex appeal ins Suicide Squad-Team. Sie sollte einen oder gleich mehrere Spin-Offs bekommen.

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Zum blutleeren Rest muss man leider sagen, dass solcherlei millionenschwere Bemühung nicht immer zum Erfolg führt. Man merkt genau, welche Makel der allgemeinen Superman-Schiene von DC versucht wurden auszubügeln. An der Musikliste kann man ungefähr erkennen, in welche Kerbe man schlagen wollte. Bei den Neuverfilmungen der Star Trek Reihe wird z.B. „Sabotage“ von den Beastie Boys eingesetzt, um popkulturelle Relevanz und einen Wiedererkennungswert zu schaffen. Bei Suicide Squad sind es Megahits wie “Seven Nation Army” (White Stripes) oder „Without Me“ (Eminem) – sie werden im 10-Minuten-Takt eingestreut, so dass genau der gewünschte Knalleffekt nicht mehr spürbar ist.

So fühlt es sich von Anfang bis Ende auch an: überladen, lieblos und chaotisch – wie eine Collage aus dem Kunstunterricht einer Projektwoche im Jahre 1995. Aber trotzdem macht der Film soliden Spaß und ist nicht allzu ärgerlich für alle, die die Comicvorlage nicht kennen.

Katja Krüger-Schöller ist Studentin der Gender Studies an der Universität Wien.

Die Serie zum Pferdestehlen

  • 02.09.2016, 19:17
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

[Dieser Text enthält im dritten Absatz unzählige Spoiler]
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

Ihr Held ist ein Pferd, BoJack Horseman, der in den 90ern eine erfolgreiche Sitcom hatte und nun, 20 Jahre später, immer noch verklärt nostalgisch auf diese Zeit zurückblickt. So begann BoJack Horseman 2014 –seit Ende Juni gibt es die mittlerweile dritte Staffel auf Netflix zu sehen und auch wenn es unwahrscheinlich klingt: Es ist die beste Serie der Welt.

Schon lange zeichnet sich ein Comeback der Zeichentrickserien für Erwachsene ab. Lange gab es nur die Simpsons, aber mit South Park, Bob’s Burgers und Family Guy wurden die Möglichkeiten dieses Unterhaltungssektors nach und nach ausgeforscht. Der Humor dieser Serien wurde im Laufe der Zeit aber bald platt und teilweise sogar ärgerlich, als hätten die Macher*innen versucht, so politically incorrect wie möglich zu sein. Auch BoJack Horseman enthält am Anfang nur wenig jugendfreie Szenen, denn BoJacks Leben in Hollywoo (so heißt Hollywood in der Serie) dreht sich vor allem ’Drogen, Alkohol und Sex. Er möchte seine Karriere wieder in Schwung bringen, scheitert aber regelmäßig daran, für sein eigenes Frühstück verantwortlich zu sein. Durch seine Biografie, geschrieben von Ghostwriterin Diane Nguyen, ist sein Name in Staffel 1 wieder etwas wert. Durch eine ernste Rolle in einem ernsten Film wird in Staffel 2 auch sein Gesicht wieder in die kollektive Erinnerung Hollywoos gerufen. Nun geht es in der dritten Staffel vorrangig um einen möglichen Oscar für ihn.

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Nebenbei passieren die wirklich wichtigen, tagesaktuellen, schmerzhaft ehrlichen und herzzerfetzenden Stories. BoJacks Mitbewohner Todd muss sich gegenüber seinem Highschool Crush Emily als asexuell outen, seine Agentin Princess Carolyn scheint endlich emotional in einer Beziehung angekommen zu sein, bevor sie erkennt, dass sie sich doch wieder in die Arbeit stürzen sollte und eine Karriere als Managerin angeht. Besagte Ghostwriterin Diane und ihr Mann Mister Peanutbutter (ein sehr friedfertiger und lebensfroher Labrador) begegnen in ihrer Ehe immer neuen Problemen und entscheiden sich mitten in der Staffel sogar für eine Abtreibung. Alle Nebencharaktere durchleben ihre kleinen und großen Krisen in einer enormen Geschwindigkeit, denn jede Episode dauert weniger als eine halbe Stunde. Jede Szene ist gespickt mit Hintergrund- und Vordergrundwitz, intertextuellen Zitaten, bildlichen und metaphorischen Vorahnungen oder Rückblenden. Die Serie ist eine einzige vielschichtige Medienkritik, die dennoch an Humor und Emotionen absolut nichts vermissen lässt.

Kritiker*innen bemerken immer wieder, dass BoJack Horseman als Serie und Charakter eine sehr akkurate Darstellung von Depression auszeichnet. Direkt thematisiert wird dies aber nie. BoJack trinkt sehr viel und ist oft erzürnt über alles Mögliche, aber am ehesten ist er doch antriebslos, unmotiviert und desillusioniert. Warum man sich so sehr mit einem Pferd verbunden fühlt, das in den 90ern eine erfolgreiche Fernsehserie hatte und bis heute davon zehren könnte, aber von Grund auf unzufrieden mit sich ist? Vielleicht weil wir alle manchmal denken, dass der Höhepunkt unseres Lebens und Schaffens schon hinter uns liegt und wir deswegen ein bisschen sauer sind? Weil man beim Anschauen der Nachrichten eigentlich merkt, wie unwichtig das eigene Leben ist und dass sich alles im Kreis dreht?

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BoJack muss am Ende einsehen, dass ein potentieller Oscar ihn auch nicht glücklich machen würde. Er hangelt sich von Strohhalm zu Strohhalm und wird immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Seine Suche nach einer einfachen Lösung für einfach Alles verpufft durch ein simples „Then what?“ – er weiß es nicht. Man weiß beim Zusehen auch nicht, ob man Bojack lieber umarmen oder ohrfeigen möchte. Aber das weiß man bei sich selbst ja meistens auch nicht.

Die dritte Staffel streamt seit 22. Juli 2016 auf Netflix. Die erste und zweite Staffel ebenso.

 

Katja Krüger-Schöller reitet gern und studiert Gender Studies.

Who you gonna call?

  • 03.08.2016, 21:30
Als Regisseur Paul Feig ankündigte, einen Reboot des beliebten 80er Jahre Kultklassikers Ghostbusters mit vier weiblichen Geisterjägerinnen filmen zu wollen, war die Empörung bei allen Männerbabies im Internet groß.

Als Regisseur Paul Feig ankündigte, einen Reboot des beliebten 80er Jahre Kultklassikers Ghostbusters mit vier weiblichen Geisterjägerinnen filmen zu wollen, war die Empörung bei allen Männerbabies im Internet groß: „bitches can’t catch no ghosts“ war einer von vielen aufgebrachten Kommentaren.

Wir wollen aber nicht allzu viel Zeit darauf verwenden, von der 1984er-Version zu reden. Nur so viel: Trotz 32 vergangener Jahre wurde beim CGI nicht zu sehr übertrieben. Geister suchen die Stadt New York heim, doch stattGrusel steht der Spaß im Vordergrund. Dementsprechend ist die Handlung auch zu vernachlässigen: Wie und warum sich die Geister auf einmal formieren, wie der (etwas blasse) Bösewicht zu seiner Macht kommt und was das Ziel der Geisterinvasion ist, bleibt großteils ungeklärt.

Im Zentrum des Geschehens stehen Abby und Erin – beide sind Wissenschaftlerinnen, die das Paranormale untersuchen. Nach anfänglichen beruflichen (!) Differenzen schließen sie sich mit Abbys Kollegin Holtzmann und der U-Bahn-Aufseherin Patty zusammen und bekämpfen, nun ja, Geister eben. Dass der einzigen Woman of Color im Team – Patty – nur der Part der street-smarten Powerfrau zugeteilt wird, ist mehr als ärgerlich, und die Punchline aus dem Trailer (sie setzt zum Stage Diving an und wird nicht vom Publikum aufgefangen) „I don’t know if this is a race thing or a women thing but I’m mad as hell“ macht das Ganze nicht unbedingt besser. Leslie Jones ist am Startwochenende des Films in den USA sofort Opfer von sexistischer und rassistischer Social Media Hetze auf Twitter geworden – einfach weil sie eine schwarze Frau ist, die im Remake des Lieblingsfilms vieler Männer mitspielt. Das ist Gleichberechtigung im Jahre 2016.

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Die Selbstironie der Charaktere ist jedoch zentraler Ausgangspunkt des Humors in Ghostbusters: Ihre Arbeit nehmen alle Vier sehr ernst, sich selbst aber nicht unbedingt. Und nicht selten werden Klischees über Frauen dadurch aufs Korn genommen, aber eben nicht so platt oder übertrieben wie sonst in billigen Komödien über die witzige Absurdität der Geschlechterrollen, wo Frauen Bier trinken und Männer Sekt, höhö. Die vier Frauen können über sich selbst lachen, über andere, stehen für sich und ihre Arbeit ein und retten halt am Ende New York. Ein erfrischendes Detail ist, dass die Zuseher*innen nichts über ihr Privatleben erfahren, sondern ihnen lediglich im öffentlichen Raum begegnen: in Erins Büro an der Universität, in Abbys Labor, ihrem gemeinsamen Ghostbustershauptquartier und im Kampf auf offener Straße. Es gibt keine Liebes- oder Familiengeschichte drumherum.

Ein verstörender Aspekt von Nebendarsteller Chris Hemsworth als Rezeptionist Kevin ist der Running Gag, dass er enorm inkompetent ist, aber unheimlich gut aussieht. Als „Eye Candy“ bedient er das Telefon der Ghostbusters und zeigt damit erstens die sexistischen Stereotypen von Sekretärinnenrollen auf, und wird letztlich am Ende sogar zur „Damsel in Distress“ – also zur schwachen Figur, die gerettet werden muss – also die selbe Rolle, die Janine Melnitz (Annie Potts) im Original übernahm. Für einen ordentlich feministischen Film ist das Reproduzieren dieser Rollen nicht ausreichend, aber faszinierenderweise kommt Ghostbusters ohne sämtliche Holzhammermoral bezüglich Gleichberechtigung aus. Es wird überhaupt nur sehr wenig darauf Bezug genommen, dass hier Frauen am Werk sind. Vermutlich auch deswegen wurde jegliche inhaltliche Verbindung mit dem „Original“ von 1984 weggelassen. Alle `84-Ghostbuster (außer dem verstorbenen Harold Ramis) und Sigourney Weaver durften aber durch Cameo-Auftritte auf der Leinwand erscheinen.

Jetzt stellt sich eventuell doch noch die Frage, ob so eine Neuauflage notwendig ist oder nicht. Andererseits stellt sich bei Blockbustern auch sonst nicht die Frage nach der Notwendigkeit, sondern eher nach Qualität und Unterhaltungsfaktor. Und so viel möchte ich verraten: so viel gelacht habe ich im Kino das letzte Mal bei „Guardians of the Galaxy“, also vor zwei ganzen Jahren.

Katja Krüger-Schöller ist Studentin der Gender Studies in Wien.

Fiktion …

  • 22.06.2016, 12:32
Zur Darstellung von Drogendealer_innen in Filmen und Serien ...

Zur Darstellung von Drogendealer_innen in Filmen und Serien ...

Die uneindeutige Weiblichkeit von Snoop
Felicia „Snoop“ Pearson in der HBO-Serie The Wire wird von Felicia Pearson gespielt. Neben professionellen Schauspieler*innen wurden auch viele Lai_innen gecastet. Unter anderem Pearson, die selbst Drogendealerin war und mit 14 zu acht Jahren Gefängnis wegen Mordes verurteilt wurde. Zu Beginn nur Statistin wird ihre Rolle in weiterer Folge ausgebaut. Sie dealt nicht direkt mit Drogen, sondern ist dafür zuständig, Leute aus dem Weg zu räumen, bringt deshalb im Laufe der Serie dutzende Menschen um und scheint dabei nie von irgendwelchen Skrupeln geplagt zu sein. Sie steht symbolisch und am treffendsten für den Typus „Men with Tits“, da sie durch nichts als Frau zu erkennen ist. Nur am Ende, bevor sie von einem früheren Verbündeten hingerichtet wird, fragt sie diesen noch: „Does my hair look good?“, woraufhin ihr entgegnet wird: „You look good Felicia.“ Es ist das erste und einzige Mal, dass sie von einem der ihren mit Felicia angesprochen wird. Erst im Tod wird sie zur Frau.
[Anm. d. A.: Ich danke Laura Söllner für ihre Mithilfe.] Anne Marie Faisst arbeitet als Buchhändlerin und studiert nebenbei Internationale Entwicklung an der Uni Wien.

Das undynamische Duo
Ein Verkaufsort, eine Droge: Jay und Silent Bob vertreiben in zahlreichen Filmen des Regisseurs Kevin Smith Marihuana vor dem „Quick Stop“-Laden in Leonardo, New Jersey. Als Kinder haben sie sich dort kennengelernt und so ihren Platz im Leben gefunden. Sie sind die liebenswerte Version lästiger Dealer_innen an der Straßenecke: Zwar machen sie Radau und belästigen Passant_innen, doch erweisen sie sich immer wieder als Menschen mit gutem Herz. Wenn es die Handlung erfordert, begehen sie ihre kleinkriminellen Taten im nächstgelegenen Einkaufszentrum oder reisen auch quer durchs Land. Die beiden sind nicht eindimensional auf das Dealen reduziert. Ihr Erwerbsleben bleibt aber eine nicht näher ausgestaltete Facette wie auch ihre anderen Charakteristika – etwa der Kunstgriff, dass Silent Bob, wenn er denn mal redet, meist etwas Bedeutungsvolles zu sagen hat. Die beiden sind also nicht mehr (und sollen auch nicht mehr sein) als Cartoon- Figuren, quasi die straffälligen Enkel der Marx Brothers.
Markus Grundtner hat Rechtswissenschaften sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert. Er arbeitet als Konzipient in Wien.

Grace Saves Herself
Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes erbt Grace Trevethyn einen Schuldenberg. Ihrem Haus, das sich unweit eines west-englischen Fischerdorfes befindet, droht die Zwangsversteigerung. Die Hauptfigur des Films Saving Grace ist eine begnadete Gärtnerin. Als ihr Hausangestellter Matthew sie darum bittet, seine angeschlagenen Hanfpflanzen aufzupeppeln und ihre Bemühungen binnen kürzester Zeit Wirkung zeigen, haben beide die rettende Idee: Grace und Matthew pflanzen hochpotentes Marihuana an. Bald wissen alle im Dorf – inklusive des örtlichen Polizisten – vom groß dimensionierten Drogenanbau. Aus Verständnis für die von finanziellen Nöten geplagte Grace unternehmen sie nichts. Größere Polizeirepression droht erst, als Grace und Matthew versuchen, ihre Ernte in London zu verkaufen. Auf dem Anwesen von Grace kommt es zum Showdown zwischen Polizei, einem hippieesken Kleindealer und dem Handlanger des potentiellen Großabnehmers. Dank eines Hanffeuers löst sich alles im kollektiven Rausch auf. Die Verarbeitung des Erlebten in Form eines Bestseller- Romans wirft schlussendlich das nötige Kleingeld für Grace ab.
Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Ein Schneemann in Kolumbien
Robin Hood, Familienmensch und Serienmörder: Die Serie Narcos nimmt sich dem Leben und Wirken Pablo Escobars an. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln all jener Lebenswelten und behördlichen Schutzbereiche, welche von Escobar berührt, beeinflusst oder gar eingerissen wurden. Die Hauptperspektive bleibt jedoch jene eines US-Drogenpolizisten. Die erste Staffel folgt dem Aufstieg vom kleinen Schmuggler zum internationalen Kokain- Großhändler. Gezeigt wird Escobar als Mann mit Ambitionen, dessen krimineller Hintergrund ihm aber den Eintritt in die Politik verwehrt. Eben diese Obrigkeit zwingt er mit Entführungen, Auftragsmorden und Terroranschlägen in die Knie. Er errichtet gar sein eigenes Gefängnis und sperrt sich dort selbst mit allen Annehmlichkeiten ein, um nicht an die USA ausgeliefert zu werden. Am Schluss der ersten Narcos-Staffel muss Escobar seine persönliche Festung verlassen, weil sich zwei Staatsgewalten (die US-amerikanische und die kolumbianische) nicht von einem einzelnen Mann die Stirn bieten lassen wollen.
Markus Grundtner hat Rechtswissenschaften sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert. Er arbeitet als Konzipient in Wien.

Mutter Oberin!
Er hat stets feinen Stoff. „Mutter Oberin“/„Mother Superior“, aus der Kultromanverfilmung „Trainspotting“. „Was darf’s denn sein?“, fragt der von Keith Allen personifizierte Dealer mit Stil. Heroin natürlich. Was sonst? Intravenös. Wie sonst? Fixbesteck vergessen? Kein Problem; der fürsorgliche Mitvierziger aus der Lebensrealität des schottischen Autors Irvine Welsh entsprungen, hilft gerne aus. Lou Reeds „Perfect Day“ ertönt in der Verfilmung von Danny Boyle, mit dem damals blutjungen Ewan McGregor in der Hauptrolle. Als heroinaffiner Renton versinkt er prompt im roten Teppich, einem Grabe gleich. Zu viel war es. Zu rein. So zerrt die Oberin seinen bewusstlosen Körper möglichst sanft aus dem Arbeiter_innensiedlungs-Wohnblock auf die Straße und ruft ein Taxi. Denn Taxler_innen stellen keine Fragen. Die Oberin steckt Renton ein paar Pfund in die Hemdtasche. Tätschelt liebevoll die Wange – Kundenpflege aus dem Bilderbuch.
Jan Marot studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien und Zürich.

Tarantinos Version eines Dealers
In „Pulp Fiction“ (1994) werden fast alle Formen von Kriminalität in irgendeiner Weise gezeigt. Der Lieblingsdealer von Vincent – dem Handlanger eines Gangsterbosses und Hauptfigur im Film – ist Lance. Er lebt mit seiner Frau in einem gemütlichen Vorstadthaus und muss zum Arbeiten dieses nicht mehr verlassen. Er begrüßt dort seine Stammkund_ innen und versorgt sie mit hochklassigem Stoff. Lance selbst ist den Drogen nicht abgeneigt, ist aber bei weitem kein Junkie. Er arbeitet also nicht, um sich seine Sucht zu finanzieren. Viel Platz bekommt er in Quentin Tarantinos Blockbuster nicht. Der Film lebt von der Vielzahl an coolen Typen und ihren Sprüchen. Die Welt der organisierten Kriminalität wird sehr stilisiert, voller Klischees und Verweisen auf Popkultur zelebriert. Sehr realitätsnah ist die Darstellung von Lance also nicht, der gern vor dem Fernseher hockt und um drei Uhr nachts genüsslich Frühstücksflocken verzehrt.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies in Wien.

Lest hier den begleitenden Artikel über die realen Drogendealer*innen

50 Cats, 1 App

  • 18.06.2016, 15:06
Das Spiel Neko Atsume, was übersetzt in etwa Hinterhofkatze heißt, gibt es schon längere Zeit für den japanischen Markt und wurde vor einiger Zeit auch auf Englisch veröffentlicht.

Das Spiel Neko Atsume, was übersetzt in etwa Hinterhofkatze heißt, gibt es schon längere Zeit für den japanischen Markt und wurde vor einiger Zeit auch auf Englisch veröffentlicht. Auf den ersten Blick ist es das langweiligste Spiel der Welt: Man sieht auf dem Screen einen wirklich schlecht gezeichneten Hinterhof, wie mit Paint erstellt, und hat nur eine Möglichkeit, das Spiel zu beginnen: Essen und Spielzeug für Katzen kaufen, die dadurch angelockt werden. Danach heißt es: Warten. Auch mich hat das Spieldesign zuerst sehr unterfordert. Ich dachte einen halben Tag lang, dass ich vielleicht das falsche Spiel runtergeladen hatte und nicht jenes, von dem all meine Freund*innen so schwärmen. Doch dann – endlich – kam nach dem dritten oder vierten Mal Schließen und Öffnen der App die erste Katze und spielte mit einem Wollknäuel. Es ist sehr schwer nachzuvollziehen, aber mein Herz hat einen kleinen Sprung gemacht. „Snowball“ spielte so verzückt mit der Wolle, lehnte sich nach links und nach rechts, sah so unglaublich putzig dabei aus und hatte noch dazu den Namen von Lisa Simpsons Katze. Ich war bis über beide Ohren verliebt.

Und so kamen nach und nach immer mehr Katzen und spielten mit den Dingen, die ich im Shop erstand. Nach dem Spielen hinterließen sie mir Silber- oder gar Goldfische zum Dank, von denen ich dann wieder Futter und neue Spielsachen kaufen konnte. So geht es seitdem tagein tagaus. Das Ziel des Spiels ist es, ähnlich einem Panini-Album, alle Katzen der Nachbarschaft zu Gast gehabt zu haben und von ihnen ein Foto zu machen. Bedauerlicherweise kann man mit den Katzen nicht interagieren. Zu Beginn versuchte ich, die Katzen durch Anklicken zu streicheln, landete jedoch nur immer wieder auf den Profilseiten der Katzen. Besonders meine Cousine (4) findet das Fehlen dieser Funktion extrem frustrierend. Dennoch erklärte sie mir, dass man in einem Hinterhof eben vorsichtig mit Katzen umgehen müsse, denn meistens würden sie lieber wegrennen als sich streicheln zu lassen. Und dass man mit Katzen sehr viel Geduld brauche. Sie hat das Spiel schneller verstanden als ich.

Neko Atsume
Gratis, für Android und iOS

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.

Die ultimative Sinnsuche

  • 25.03.2016, 16:35
Wir haben uns "Batman v Superman' angesehen und machen uns auf die beschwerliche Sinnsuche.

Der absurde Kampf zweier Comic-Franchises erreicht in den nächsten Jahren seinen Höhepunkt. Marvel und DC fetzen sich von einem Megablockbuster zum nächsten und nehmen schon lange keine Rücksicht auf die Story mehr.

Mit „Batman v Superman – Dawn of Justice“ wollte DC das Universum um Batman und die Justice League neu erzählen und musste dazu erst Superman (2013 mit Man of Steel) rebooten. Und tatsächlich ist die Erinnerung an Christopher Nolans „Dark Knight“-Trilogie beim ersten Anblick von Ben Affleck als Bruce Wayne / Batman vollkommen vergessen. Die Vision von Regisseur Zack Snyder war es, ein düsteres und apokalyptisches Metropolis im Stile von Gotham zu zeigen. Blöderweise hat genau das vor nicht einmal einem Jahrzehnt Nolan schon getan. Snyder ließ dann auch noch jeglichen Humor weg und Dawn of Justice war geboren. Unter welcher Prämisse man Batman gegen Superman kämpfen lässt, ist erstens egal und zweitens selbst mit größter Mühe aus dem Plot nicht ganz zu erfahren. Der Ursprung der Rivalität findet sich beim besorgten Bürger Bruce Wayne, der die Übermacht eines Superman gefährlich findet und deswegen Kryptonitwaffen baut. Dieselbe Idee hat Lex Luthor auch. Am Schluss rettet Wonder Woman den Tag.

Wenn der Film eine Sache gekonnt zeigt, dann die Ignoranz und Hilflosigkeit der Menschen angesichts eines Superman (sprich: Gott, Übermensch). Eine Ignoranz so grenzenlos, dass sie Superman im Endeffekt tötet. Eine Hilflosigkeit, die so egozentriert ist, dass nicht einmal Lex Luthors Bombenterror davon ablenken kann.


Wenn dieser Film eine Funktion haben sollte (und ich bemühe mich hier wirklich, einen kohärenten Faden in einem bombastischen Clusterfuck an Materialschlachtenfilm mit großen Plotholes zu finden), dann ist es die traurige Wahrheit aufzuzeigen, dass die Welt Superman nicht gebrauchen kann. Die Welt (= die USA) möchte Superman vor ein Gericht stellen und ihn anklagen, weil er Person XY aus einem brennenden Haus und nicht Person YZ aus einem anderen brennenden Haus gerettet hat. Das Gericht ist die weltliche Justice. Nebenher knallt Batman mit seinem Maschinengewehr alle nieder, die ihm im Weg stehen. Ihn klagt niemand an. Er ist ein Mensch. Lex Luthor sprengt den Gerichtssaal. Auch hier sehen wir keine Konsequenz, Menschen wie er und Bruce Wayne werden im Gegensatz zu einem Superman übersehen.

Am Ende kommt Wonder Woman zu den zwei bis drei Streithanseln dazu und wird tatsächlich mit den Worten „Is she with you?“ – „No, I thought she was with you.“ eingeführt. Das ist sehr ärgerlich. Insgesamt spricht sie nicht mehr als 100 Worte im ganzen Film und noch dazu in einem nicht näher einordendbarem Akzent, der „Exotik“ schreit. Dennoch begrüße ich ihre Ankunft: Sie zerlegt das Monster am Ende ordentlich, steht Bat- und Superman also in Kraft und Ausdauer in nichts nach und ist die einzige der drei Superheld*innen, die nicht auf der Nudelsuppe daher geschwommen ist, sondern schon seit mindestens den Weltkriegen aktiv die Erde bewohnt und beschützt, wie uns Archivmaterial zeigt.

Nebenher stellt Lois Lane eine inhaltliche Belastung für den Film dar. Sie macht nichts richtig, ist gefühlt alle fünf Minuten die Damsel in Distress und rettet nur einmal den Tag, in dem sie erwähnt, dass sowohl Bruce Waynes als auch Clark Kents Mutter Martha heißt.

Diese Szene ist so unverständlich geschrieben wie auch der Rest der Auseinandersetzung zwischen Superman und Batman (und eventuell diese Rezension). Dem Film gelingt jedoch durch seine verworrene Story und die unnachvollziehbaren Allianzen bzw. Rivalitäten eine moderne Metapher auf die Weltpolitik: staatliche Ohnmacht gegenüber einzelnen Terrorist*innen und großen Konzernen mit rücksichtslosen Manager*innen an der Spitze. Das ist die (unabsichtliche?) Stärke dieses Filmes.

Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Uni Wien.

Das Restl kommt zum Schluss

  • 10.03.2016, 17:02
Die möglichen Spielformen und Konstellationen von Sex sind vielfältig und unzählbar. Viele Techniken und Strategien von Aufriss bis Zeugung werden in Zeitschriften und Ratgebern besprochen, analysiert und kultiviert. An dieser Stelle soll es zur Abwechslung um eine weniger angesehene Art des Beischlafs gehen: das Restlbumsen.

Die möglichen Spielformen und Konstellationen von Sex sind vielfältig und unzählbar. Viele Techniken und Strategien von Aufriss bis Zeugung werden in Zeitschriften und Ratgebern besprochen, analysiert und kultiviert. An dieser Stelle soll es zur Abwechslung um eine weniger angesehene Art des Beischlafs gehen: das Restlbumsen.

Eine andere, eventuell bekanntere – weil standarddeutsche – Bezeichnung für das Restlbumsen ist Resteficken. Im Gegensatz zum Bumsen klingt die Zusammensetzung mit Ficken allerdings so tough und ungemütlich, dass der Kern des gesamten Vorganges nicht genügend beschrieben wird. Bumsen klingt nach zufälligem Ineinanderlaufen, nach einer tollpatschigen Begegnung – und das trifft es ganz gut.

Gehen wir? Das Restlbumsen ist ein Phänomen des (Post-)Nachtlebens. Sobald in der Disko die Musik aus ist und das Licht angeht, sucht man sich möglichst schnell ein geeignetes Gegenüber und macht sich gemeinsam auf den Weg in ein beliebiges Bett. Wer möchte denn schon gern allein schlafen nach einer durchtanzten Nacht? Oder die wichtigere Frage: Wer möchte eine schöne Nacht nicht noch mit Sex toppen? Eventuell die wichtigste Frage: Wer kann nach einer stark alkoholgetränkten Nacht überhaupt allein nach Hause gehen und nicht in sein Kissen weinen vor Einsamkeit?

In der Sekunde, in der der Club das Programm beendet, die letzte Runde an der Bar längst ausgeschenkt ist, die Anlage ab- und aus purer Böswilligkeit das Licht aufgedreht wird, sich alle Anwesenden zum vielleicht ersten Mal ins Gesicht sehen, endlich unterhalten können, ohne sich anzuschreien und man gemütlich ein letztes Mal die Toilette aufsucht, weiß man: Man ist selbst ein Restl. Die anderen sind Restln. Die Übriggebliebenen, die Verlassenen. Den Absprung vor dem Rausschmiss hat man verpasst, dies lässt sich nicht mehr nachholen.

In ganz seltenen Fällen ist die Party zu schnell vorbei gewesen und es gibt die reale Möglichkeit, an einem anderen Ort einfach weiterzufeiern. In dieser speziellen Situation gibt es keine Restln, sondern die Veranstalter*innen sind in die Verantwortung zu nehmen, viel zu früh und zu Unrecht die Feierei beendet zu haben.

Plötzlich auch ein Restl. In allen anderen Fällen gilt aber: Du und alle anderen seid Restln. Es besteht nun die Möglichkeit, es einfach gut sein zu lassen, den Club zu verlassen und allein schlafen zu gehen. Mit viel Glück ist sogar noch das eine oder andere bekannte Gesicht in der kleinen übriggebliebenen Menge und man teilt sich ein Taxi. Im Morgengrauen verabschiedet man sich, schmiert sich zuhause noch ein Brot und legt sich schlafen. Dies ist nicht immer eine Option.

Meistens ist das sogar die Horroralternative. Wie die Münchner Freiheit schon sang: Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein! Und manchmal ist es eben egal, wer die Person neben bzw. unter einem ist. Also heißt es schnell die Restlmenge im Club zu mustern und jemanden auszuwählen. Dies erscheint als der strategisch klügere Zug als zu warten und angesprochen zu werden, denn man hat noch die volle Auswahl und eine Abfuhr ist extrem unwahrscheinlich. Es kann behilflich sein, dass man sich die Diskoszene aus Trainspotting ins Gedächtnis ruft und sie bei Bedarf vor dem inneren Auge abspielen lässt: Renton spricht sehr verzweifelt, aber geschickt Diane an, sie serviert ihn ab, wartet aber im Taxi auf ihn, sie knutschen und bumsen im Anschluss. Perfekt.

So sollte es idealerweise immer laufen. Achtung bei zu betrunkenen Restln (Stichwort: 2 Drunk 2 Fuck). Das gilt auch für einen selbst. Zu betrunken zum Bumsen zu sein ist das Eine – in ein fremdes Klo kotzen zu müssen ist das Andere. Man muss sich zwischen Komplettabsturz und Restlbumsen rechtzeitig entscheiden. Ein kleiner Bonus bei Ersterem ist es, dass man im Superalkmodus ebenfalls gut schlafen kann, in dem Fall allein.

Beim Restlbumsen handelt es sich um eine sehr spezielle Art des Abschleppens. Der reguläre Vorgang des Ansprechens, anschließenden Kennenlernens und Interessezeigens wird auf ein Minimum reduziert. Dementsprechend ist das Gespräch nicht nur kürzer, sondern auch sehr viel entspannter. Im krassen Gegensatz zu einer vollen Tanzfläche mit lauter Musik, unendlich vielen Menschen und dazugehörigen Menschengruppen ist die kleine Gruppe an Übriggebliebenen am Ende einer Clubnacht genau zwischen todmüde und hellwach bzw. ausgepowert und voller Adrenalin. Diejenigen, die übermäßig schnell nach ihrer Jacke suchen und aus dem Raum flüchten, sind entweder absolut desinteressiert an diesem Zirkus, blutige Anfänger*innen, die sich in der Zeit verschätzt haben oder einfach „zu alt für den Scheiß“. Für die anderen gilt: nichts überstürzen, Lage checken, kurz überlegen, ob das eigene Zimmer oder die Wohnung überhaupt aufgeräumt ist, und dann drauflosquatschen. Eine Warnung sollte besonders an die lesenden Männer* ausgesprochen werden. Wie immer gilt: nicht übertreiben, jede Ablehnung akzeptieren, auf alle kleinen Zeichen achten, keine Gruppen ansprechen und so weiter.

Ende gut, alles gut. Alles Weitere ist weniger spektakulär und bekannt. Vermutlich wird es kein Knutschen im Taxi geben, denn dazu ist man zu müde. Im schlimmsten Fall gibt es nicht einmal ein Taxi. Irgendwo angekommen macht man einen Kommentar zur Wohnsituation („Pass bitte auf die Katze auf“, „Meine Mitbewohner schlafen schon“, „Weck bitte meine Eltern nicht auf“ etc.) – genau wie bei einem One Night Stand. Es schickt sich als Gast, möglichst unbemerkt zu verschwinden, so wie es sich für den*die Gastgeber*in schickt, am Morgen einen Kaffee zu machen.

Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.

Cage the Elephant – „Tell me I’m pretty“

  • 08.03.2016, 19:48
Katja und Marie Luise rezensieren „Tell me I’m pretty“ von Cage the Elephant.

Marie Luise: Kaum läuft bei mir zuhause die neue Platte von „Cage the Elephant“ habe ich das Gefühl, ich kann und will mitsingen, will ein bisschen tanzen. Über sympathischem Indierock liegt eine angenehme Frauenstimme. „Cage the Elephant“ haben sich mit ihrem neuen Produzenten Dan Auerbach (Frontmann der Black Keys), der an „Tell me I’m pretty“ mitgearbeitet hat, in der Qualität ihrer Aufnahmen eindeutig gesteigert. Auf dem Cover ist eine rothaarige dünne Frau zu sehen, die romantisch zum Himmel schaut und so aussieht, als habe sie ein wenig zu viel Sonne abbekommen. Die Lyrics sind gut, die Songs fließen ineinander und funktionieren. Keines der Lieder sticht besonders heraus, zu allem lässt sich mit dem Kopf wippen, zurück bleibt ein angenehmes Gefühl. Charakterisieren würde ich das als „Sag mir, dass ich schön bin, aber sonst ist alles, alles in Ordnung“-Gefühl. Diesen Sound würde ich gerne in der Früh nach ekstatisch durchgetanzten Nächten oder auf einem langen Roadtrip hören. Vor meinem inneren Auge entstehen Bilder von den Mädchen im Club, die verschwitzte Haare psychedelisch in ihre Gesichter hängen lassen.

Katja: Also, „Cage the Elephant“, „Tell Me I’m Pretty“, nun ja, … die Platte läuft schon zum dritten Mal bei mir durch und mir fällt einfach gar nichts ein, was diesen Sound gut beschreiben würde. Moment, das ist gelogen, ich muss es umformulieren: Mir fällt dazu nichts ein, was nicht schon eine Milliarde Mal aufgeschrieben wurde. Wie viele vierköpfige Gitarrenbands aus den Vereinigten Staaten wird es wohl geben, die Indierock spielen? Mir fallen auf Anhieb gerade einmal 43 ein, von denen ich mir bei dreien nicht ganz sicher bin, ob sie nicht vielleicht aus Skandinavien kommen. Anyway, die drei Adjektive, die mir spontan zur Musik einfallen: beliebig, langweilig, Arschgeweih. Ich würde den Platz auf diesem Blatt Papier in diesem Magazin gerne für etwas Sinnvolleres nutzen, ein Kochrezept vielleicht oder eine Strickanleitung. Passend dazu tönt im Hintergrund gerade Sänger Matthew Schultz die beispielhafte Zeile „du dudub du du, oh yeah“. Die Recherche über Band und Album hat überhaupt keinen interessanten, erwähnenswerten Fakt ans Licht gebracht, es tut mir leid. Die Band soll – wie jede andere auch – live eine unheimliche Energie versprühen. Sänger Matt und Gitarrist Brad sind Brüder. Die Namen reimen sich. Total crazy.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.
Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Universität Wien.

Annenmaykantereit – Wird schon irgendwie gehen

  • 05.12.2015, 18:14

KATJA: Einen kleinen Warnhinweis möchte ich vorwegschicken: Wer Probleme mit einer Reibeisenstimme à la Hafenarbeiter um fünf Uhr früh nach zehn Jägermeistern und mindestens drei Schachteln Zigaretten hat, wird sich wohl nie mit dem Sound von AnnenMayKantereit anfreunden können. Denn Henning May (ein Name wie eine Explosion!) dominiert mit seinem Gesang auf den Tracks genau genommen alles. Der Rest an Gitarre und Schlagzeug (Typ: direkt aus der Garage) kommt ebenso kantig daher, auch wenn May manchmal sein Klavier anstrengt und eine Ballade geschmettert wird. Ganz unerwartet kommt die Band aus Köln und nicht aus Hamburg, auch wenn alles nach Küste und schneidend kaltem Wind klingt. Nun darf man bei diesem Vergleich aber nicht an die Hamburger Schule denken, denn damit haben die drei nichts am Hut. Eigentlich schreit alles in einer Tour: Männlichkeit, Fäuste, Bier und Bartstoppeln. Inhaltlich ist es sehr rührselig, aber das geht im Sound total unter. Apropos Tour: Alle ihre Konzerte für 2016 sind ausverkauft, außer der Auftritt im republic in Salzburg. Liebe Salzburger*innen, das sieht komisch aus, besorgt euch schnell noch ein, zwei Karten!

MARIE LUISE: Nicht mehr ganz so neu, aber trotzdem noch in aller Munde, ist das Album dieser Band, die mit Straßenmusik angefangen hat. Ein bübisch aussehender junger Mann singt mit einer rauchigen tiefen Stimme, zu der schweißüberströmt getanzt werden kann. In der Zwischenzeit haben die drei Kölner schon mit KIZ zusammengearbeitet. Das Album „Wird schon irgendwie gehen“ läuft im Radio auf und ab, die Klickzahlen ihrer selbstgedrehten Videos vervielfachen sich und sie spielen nur noch in ausverkauften Clubs. Die deutschen Lyrics berühren hart, dazu Indie-Folk vom Feinsten. Der auf Konzerten beliebteste Titel der neuen Platte, „Oft Gefragt“, ist eine Liebeserklärung des Sängers Henning May an seinen Vater. Der reißt sich dabei musikalisch das Herz aus der Brust und reißt mich mit. Die ganze Platte macht Sinn und die Musik funktioniert durch und durch!

 

Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Adele – 25

  • 05.12.2015, 18:10

KATJA: Adele – der weibliche Star, der ausnahmsweise keine Diva ist, sondern eine grundsympathische, unglamouröse und talentierte Sängerin. Nicht so profillos wie andere britische Singer/SongwriterInnen wie zum Beispiel Ed Sheeran, der es auf dieselbe Art probiert. Es ist also nicht möglich, Adele nicht zu mögen. Aber was kann ihr drittes Album, 25? Von der stimmgewaltigen, pathetischen Eröffnungsnummer „Hello“ über sehr reduzierte Klaviernummern ist die komplette Bandbreite der Melancholie abgedeckt. Zwischendurch gibt es mal eine etwas temporeichere Nummer mit Akustikgitarre und Rhythmusgeräten. Egal auf welche Art und Weise ein Song daherkommt, inhaltlich geht es um die üblichen Verdächtigen: Herzschmerz („I miss you“), Herzschmerz („Hello“) oder Herzschmerz („All I ask“). Allerdings verschwimmt das alles nicht in einem Traurigkeitsbrei, sondern behält einen eindeutigen Wiedererkennungswert. Ob das nun an den eingängigen Texten liegt („You look like a movie, you sound like a song, my god this reminds me, of when we were young”) oder an der eigenwilligen Stimmung in jedem einzelnen Song, kann und soll hier nicht geklärt werden.

MARIE LUSIE: Eine der erfolgreichsten Musikerinnen des 21. Jahrhunderts bringt eine neue Platte heraus. Das neue Album wird melancholisch. Viel steht auf dem Spiel – der Albumrelease hat sich verzögert. Ihr Album „21“ wurde 30 Millionen Mal verkauft. Ein Erfolg, der schwierig zu wiederholen ist. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Frau, die sich gegen aus ihrer Sicht zu niedrige Streampreise wehrt, es schaffen wird. „25“ steht nur zahlenden Hörer*innen zur Verfügung und ist nicht bei Spotify abrufbar. Der Clip zur Single „Hello“ wurde vom kanadischen Regisseur Xavier Dolan produziert. In Sepiafarben ist Adele zu sehen, wie sie in ein verlassenes Haus zurückkehrt: Lange Einstiegssequenz, sie öffnet die Augen, die Musik setzt ein. Es geht um Neuanfänge. Bekannte ProduzentInnen und SongwriterInnen haben an dem Album mitgewirkt. Der Produzent von „Hello“ hat auch schon für Beyoncé und Sia gearbeitet. Resultat ist ein auf allen Ebenen sehr geschmackvolles Album.

 

Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

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