Hengameh Yaghoobifarah

Me, my selfie and I

  • 25.03.2015, 18:37

Viraler Netztrend und Kunstgenre: Selfies sind präsenter denn je. Und politischer als erwartet.

Viraler Netztrend und Kunstgenre: Selfies sind präsenter denn je. Und politischer als erwartet.

Das Selbstbildnis ist kein Phänomen des Internetzeitalters. Schon in der Antike dokumentierten Künstler_innen ihre eigene Existenz durch Zeichnungen, Skulpturen oder Fotografien. Sei es die feministische und kommunistische Malerin Frida Kahlo oder die bis nach ihrem Tod unentdeckte Straßenfotografin Vivian Maier: Weltweit reißen sich Museen um ihre anspruchsvollen und spannenden Werke. Von weißen Typen wie Vincent van Gogh möchte ich gar nicht erst anfangen. Subjekt und Objekt zugleich, ein Spiegel des Selbst. Das sind die künstlerischen Funktionen von Selbstportraits – oder wie sie heute genannt werden: Selfies.

POLITISCHES SELBSTPORTRAIT. Die Produktion von Selbstportraits ist eine politische Intervention, die häufig unverstanden bleibt. Wir leben in einer Gesellschaft, die von Gewalt gestützt wird: Das Patriarchat, Hetero- und Cisnormativität, rassistische und klassistische Strukturen und eine eurozentrische Erzählweise von Geschichte und Geschehen prägen sie. Was wiedergegeben wird, ist stark gefiltert, privilegierte Stimmen werden verstärkt. Die Lebensrealitäten marginalisierter Personen werden so schon seit Jahrtausenden unsichtbar gemacht, ihre Überbleibsel vernichtet. Klingt scheiße, ist aber so. Aber so muss es nicht weitergehen. Dank technischem Fortschritt sind Milliarden von Menschen mit Kameras und Internetzugang dafür ausgestattet, sich in die Geschichtsschreibung einzumischen. Selfies stellen eine Gefahr für dieses auf Lügen basierende System dar, denn sie dokumentieren die Lebensrealitäten von Personen, die sonst nur durch Fremdzuschreibungen repräsentiert werden. Sie sind der Beweis dafür, dass diese Personen existierten und existieren.

Selfies erzeugen in vielfacher Hinsicht Macht. Zum einen durch die selbstbestimmte Repräsentation, zum anderen auch auf fototheoretischer Ebene. Wenn Roland Barthes die Fotografie mit dem Tod vergleicht – nicht zuletzt auch aufgrund der Sprachmetaphorik des Schießens eines Bildes, aber auch aufgrund des Einfrierens eines Moments –, dann sind Selbstportraits mit Suizid vergleichbar. Das Gefühl, über das Wie, Wann und Wo Kontrolle zu erlangen, bringt die sich selbst abbildende Person in eine Machtposition. Sowohl beim Suizid als auch beim Selfie wird den Akteur_innen Egoismus vorgeworfen. Pluspunkt des Selfies: wenig Destruktivität, optional viele schöne Filter.

AUFMERKSAMKEITSSCHREI MY ASS. Auf der Popkultur-Plattform jezebel.com entfachte Erin Gloria Ryan Ende 2013 die Debatte, ob Selfies nicht eher Produkte aufmerksamkeitshungriger Jugendlicher als Empowermentstrategien seien. Solche Aussagen sind Ausdruck privilegierter Positionen – das merkte auch der_die Blogger_in Loan Tran an: „What a lot of these articles don’t talk about is the way desirability are defined. Many of these articles leave out what selfies do and have done for people of color, queer and trans people, fat folks, disabled folks and all of us living at the intersections of those identities.“ Das vermeintliche Gieren nach Aufmerksamkeit verwechsle Ryan mit dem Bedürfnis nach Bestätigung innerhalb einer Community, in der eben nicht oberflächlich-lookistische Bemerkungen, sondern ermächtigendes Anerkennen und Sehen vorherrschen. Davon abgesehen ist es völlig legitim, in Eitelkeit und Selbstgefälligkeit zu versinken. Die Abwertung dieser Eigenschaften ist häufig sexistisch, denn in der Regel sind es Frauen*, deren Äußeres zwar immer überragend sein soll, aber bloß mit Bescheidenheit zur Schau zu stellen ist. Ganz nach dem Motto: „I’m sexy and I kind of know it but I’m just going to pretend that I don’t, otherwise everyone is going to mistake me for a shallow bitch.“ Das Tabu ist hier die Darstellung selbstbewusster Frauen* und entlarvt, dass diese Geisteshaltung scheitert, sobald Frauen*, queere Personen, People of Color, Schwarze Personen, disableisierte und dicke_fette Personen sich selbst lieben.

Klassisch sind auch klassistische Diskreditierungen von Selfies. Auf Twitter begegnete mir neulich ein Foto von einem T-Shirt mit der Aufschrift „Less selfies, more books“. Hä? Die Journalistin Ella Morton kommentierte ganz korrekt: „I think you mean ‚fewer selfies‘ there, champ. If you’re going to be a snob, do it properly.“

Woher die Dichotomie von Selfies vs. Büchern kommt, kann ich mir nicht erklären. Lesen Menschen, die gerne Selfies machen, etwa keine Bücher? Wer „book selfies“ googelt, wird unter den ersten Treffern auf eine ganz gewiefte Kandidatin stoßen: Kim Kardashian. Die schlägt nämlich beide Fliegen mit einer Klappe und veröffentlicht dieses Jahr ihr Buch „Selfish“, gefüllt mit nichts anderem als Selfies. Auf 352 Seiten. Und jetzt, Hater?

MACHT UND ERMÄCHTIGUNG. Nicht alle Menschen haben das Privileg, visuell auf eine positive und empowernde Art repräsentiert zu werden. Gerade marginalisierte Gruppen werden, wenn überhaupt, sehr stereotyp dargestellt. Vorbilder aus den Medien sind so vielfältig wie 356 Tage im Jahr Toastbrot: ziemlich weiß.

Die Devise heißt also: Do it yourselfie. Fotografiere dich selbst, verbreite dein Material über alle Kanäle, zeige der Welt, dass du existierst. Zeige deiner Community, dass du existierst. Zeige den beschissenen Reklamen, die dich immer wieder unsichtbar machen, dass du existierst. Auf diese Art können Menschen selbst bestimmen, auf welche Art sie repräsentiert sein möchten und entfliehen den diktierenden Blicken Privilegierter, zum Beispiel dem „Male Gaze“. Selfies können brechen, was Schönheitsnormen propagieren: Einerseits können sie zeigen, dass Menschen nicht normschön sein müssen, um schön zu sein. Andererseits illustrieren sie auch, dass Schönheit an sich nicht erstrebenswert ist. Nicht alles muss schön sein, um existieren zu dürfen oder um Akzeptanz und Respekt zu ernten. Wenn die Selbstliebe so groß ist, dass alle Hater beleidigt sind und sich bedroht fühlen, wurde alles richtig gemacht.

 

Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft an der Uni Freiburg und arbeitet als Online-Redakteurin beim Missy Magazine.

Not your Manic Pixie Dream Girl

  • 20.08.2014, 09:46

Was auf den ersten Blick nach einer starken Frauenfigur aussieht, entpuppt sich schnell als sexistische Fantasie männlicher Filmemacher. Seit Jahren füllen Manic Pixie Dream Girls ganze Kinosäle.

Was auf den ersten Blick nach einer starken Frauenfigur aussieht, entpuppt sich schnell als sexistische Fantasie männlicher Filmemacher. Seit Jahren füllen Manic Pixie Dream Girls ganze Kinosäle.

Kaum ein Indie-Film mit männlichem Protagonisten und romantischen Plot-Lines kommt ohne diese Trope aus. Sei es Natalie Portman in „Garden State“ oder Zooey Deschanel in so gut wie jeder ihrer Rollen: Dem Manic Pixie Dream Girl zu entkommen, wird zur Herausforderung.

Indie-Chicks wie aus dem Bilderbuch. Der Begriff „Manic Pixie Dream Girl“ (MPDG) stammt vom US-amerikanischen Journalisten Nathan Rabin und kam zum ersten Mal 2007 in seiner Rezension von Cameron Crowes Indie-Klassiker „Elizabethtown“ vor. Das MPDG hat im Film die Funktion, dem verbitterten, desillusionierten Protagonisten die schönen Seiten des Lebens zu zeigen. Sie weckt in ihm den Hunger auf Abenteuer, Sorglosigkeit und gleichzeitig hilft sie ihm bei der Suche nach einem Lebenssinn. Stets tritt sie als attraktive, frappante, künstlerisch angehauchte Twenty-Something mit einem Hang zur Impulsivität und Verträumtheit auf. Ihre Garderobe ist Vintage, ihre Haare trägt sie in unkonventionellen Farben oder mit schickem Pony, ihr Musikgeschmack ist etwas off-beat – so außergewöhnlich, wie The Shins oder The Smiths eben sein können. Im Prinzip verkörpert sie das Gegenteil von Spießigkeit, gerne spielt sie mitten im mit Familien gefüllten Park das „Penis-Spiel“ oder „Mutter-Vater-Kind“ bei Ikea. Selbst labelt sie sich häufig als Feministin.

Sie kann sehr vieles sein, was sie aber definitiv nicht ist, ist ein mehrdimensionaler, durchdachter Charakter, dessen Funktion über den Bruch der Alltagsmonotonie des Protagonisten hinausgeht. Außerdem wird die Figur in der Regel von weißen Schauspielerinnen gespielt, was die stereotype Verknüpfung von Hipness mit Weißsein reproduziert. Während tätowierte, flamboyante Weiße als edgy und alternativ gelesen werden, werden People of Colour in selbiger Montur als „ghetto“ beschimpft.

Wrong on so many levels. Dabei wirkt das MPDG zunächst einmal autonom, selbstbestimmt und stark – sie verkörpert damit all jene Eigenschaften, die Frauen in Hollywoodstreifen oft abgesprochen werden. Doch das Einzige, was sie tatsächlich tut, ist Männern die Augen zu öffnen. Von ihren eigenen Erfolgen, Zielen oder ihrem Hintergrund erfahren wir wenig bis nichts. Stattdessen wird sie zum „Missing Piece“ idealisiert, ihre Makel und Macken werden romantisiert und eventuelle Hinweise auf Mental Health Issues werden banalisiert. Die unkritische Rezeption macht es schwer, die Problematik offenzulegen.

In Michel Gondrys „Eternal Sunshine Of The Spotless Mind“ geht es hoch auf die Meta-Ebene. Auch hier gibt es ein MPDG. Clementine, die von Kate Winslet gespielt wird, passt in die typische Schablone der Trope, klärt den Protagonisten aber auch darüber auf, dass sie keine Lust hat, Typen aus ihrer Trübsal zu retten. Sie sagt im Film: „Too many guys think I'm a concept, or I complete them, or I'm gonna make them alive. But I'm just a fucked-up girl who's lookin' for my own peace of mind; don't assign me yours.“

Dass die Figur des MPDG eine Illusion ist, wird selten verstanden. So überträgt sich die Sehnsucht nach einer solchen Person von der Leinwand ins Leben. Die einen versuchen, in das Muster der MPDGs zu passen und sie zu imitieren, die anderen suchen nach ihrem MPDG – oder vielmehr ihrer Manic Pixie Dream Person.

Anspruch und Realität. Die britische Journalistin Laurie Penny schreibt in ihrer Kolumne „I was a Manic Pixie Dream Girl“ für New Statesman darüber, auf eine sexuelle Fantasie reduziert und wie eine seltene Pokémon-Karte gejagt zu werden. In der Vergangenheit passte sie selbst in das Klischee des MPDG. Es war keine Ausnahme, dass sie im Supermarkt oder auf Partys von wildfremden Typen angesprochen wurde. Spannenderweise verloren diese das Interesse, sobald sich herausstellte, dass sie eine erfolgreiche Autorin mit Ambitionen ist und kein planloses Mädchen, das gerne Joy Division-Lieder auf der Gitarre covert. Es ist nichts Schlimmes daran, eine solche Person zu sein. Aber Laurie Pennys Erfahrungen machen sexistische Ansprüche sichtbar: Solange der Typ erfolgreicher als sein MPDG ist, läuft alles nach seinen Vorstellungen. Sie bleibt ein hübsches Anhängsel, ein Prestige-Objekt zur Vervollständigung seines artsy Lifestyles. Könnte sie mit ihrer Karriere die seinige überschatten, ist sie allerdings instantly dismissed.

Diese Verhaltensmuster zeigten sich jahrelang in den Romanzen der Autorin, sodass sie es in Erwägung zog, ihren Intellekt und ihren Erfolg vor Typen nicht vollständig zu enthüllen, aus Angst, ihr würden ihre Weiblichkeit und ihre Attraktivität abgesprochen. Die Technik, „sich dumm zu stellen“, ist nichts Neues. Genau jene, die ein MPDG suchen, verachten sie gerne. Emanzipation schreiben sie sich dick auf die Fahnen, in der Praxis taucht sie nicht auf. Von Selbstreflexion keine Spur.

Durch die Reproduktion dieses Klischees verfestigt sich das Bild, Frauen seien stets zweitrangig und niemals mehr als eine Vervollständigung von Männern. Wie die Autorin Chimamanda Ngozi Adichies das in jenem Zitat formuliert, das auch Beyoncé aufgegriffen hat: „We say to girls: ‚You can have ambition, but not too much. You should aim to be successful, but not too successful. Otherwise, you will threaten the man.“

Kekse für den Typen, Knäckebrot für das Girl. Außerdem ist die Fantasie vom MPDG sehr heterosexuell geprägt. Obwohl einige MPDGs in der Vergangenheit auch lesbische Beziehungen geführt haben – sei es die College-Flamme Charlie von Zooey Deschanel in „(500) Days of Summer“ oder Ramona Flowers Exfreundin Roxie, die eine der sieben bösen Exe in „Scott Pilgrim vs. The World“ ist – werden diese nur als Phasen abgestempelt, der Begriff der Bisexualität fällt nie. Vielmehr sind diese „Eskapaden“ Ausdruck der Abenteuerlichkeit des MPDG und regen die männliche Fantasie weiter an.

Ein MPDG erscheint oft in Begleitung eines Nice Guys, eines leicht nerdigen Typen, der ein Frauenversteher™ ist und im Gegensatz zu Bad Boys stets in der Dauerschleife von Friendzones hängt – einfach, weil er zu „nett“ ist. „(500) Days of Summer“ ist ein Paradebeispiel dafür. Summer ist an keiner festen Beziehung interessiert und lässt trotzdem ein sexuelles Verhältnis zu. Für den Protagonisten ist das unlogisch, scheinbar kennt er nur die Dichotomie zwischen platonischer und romantischer_sexueller Beziehung. Als Summer letztlich einen anderen Mann heiratet, wird sie automatisch als kaltherzige „Bitch“ abgestempelt. Das typische Nice Guy-Denkmuster, in dem alle, die nicht an ihm interessiert sind, „Schlampen“ sind. Ihm wird von vielen Seiten applaudiert, das MPDG geht hingegen, dank tief verankerter Misogynie, leer aus. Offensichtlich muss noch viel getan werden, bis alle verstehen, dass Frauen nicht dafür da sind, die Schlüppis irgendwelcher Nerds nasswerden zu lassen.

Hengameh Yaghoobifarah studiert Medienkulturwissenschaft an der Universität Freiburg.

Raus aus der Indie-Blase

  • 29.06.2014, 19:38

Böser Hip Hop vs. idealisierter Indie-Rock: Solche Dichotomien bieten die Bühne für internalisierte Kackscheisze. Das Verlernen dieser Vorurteile ist mühsam und dauert – ein Erfahrungsbericht.

Böser Hip Hop vs. idealisierter Indie-Rock: Solche Dichotomien bieten die Bühne für internalisierte Kackscheisze. Das Verlernen dieser Vorurteile ist mühsam und dauert – ein Erfahrungsbericht.

Mit 15 wusste ich das Übel aller Musikgenres genau zu benennen. Eigentlich waren es mehrere Übel. Unter dem Eindruck von trashigem Billigtechno aus den Handys halbstarker Typen an der Bushaltestelle und dem zu sehr nach Plastik klingenden Versuch David Guettas, House zu produzieren, kam es mir wie eine Beschimpfung vor, diese beiden Genres als Musik zu bezeichnen. Die Zeit und der Berliner Clubkosmos lehrten mich, dass sowohl Techno als auch House tatsächlich sehr magische Genres sind. Und Gitarrenrocktypen, die mir erzählen, dass komplett digital produzierte Musik keine „echte Musik“ sei, denken vermutlich auch, lesbischer Sex sei kein „richtiger Sex“. Just saying.

Problematische Genres? Vorurteile hegte ich allerdings auch gegenüber dem Hip Hop. Deutschsprachiger Hip Hop – mit oder ohne Migrationshintergrund – war explizit gewaltverherrlichend, materialistisch, rassistisch, antisemitisch, heterosexistisch und misogyn besetzt. Die Kollegen aus den USA hinterließen bei mir keinen besseren Eindruck, zumal sie in ihren Musikvideos mit Waffen, Geld, Autos und auf Objekte männlichheterosexuellen Begehrens reduzierten Frauen um sich warfen. Hip Hop war nicht mein Genre. Hip Hop war das Genre des Pöbels. Klassismus-Alarm hoch zwanzig.

Wenn Hip Hop gut war, dann war er in der Regel von weißen Interpreten wie Fettes Brot, Deichkind oder den Beastie Boys. Ein Paradebeispiel erfolgreicher Kulturaneignung: Erst klauen sie People of Color ihr Genre, eigentlich für von Rassismus Unterdrückte als Empowerment erdacht, dann werden sie auch noch als diejenigen vermarktet, die es endlich richtig machen. Genannt werden muss an dieser Stelle auch Casper, der keinen sonderlich nennenswerten Flow zu bieten hat und es textlich nicht über Kalendersprüche und Zitat-Collagen hinausschafft.

Die Annahme, dass ein Genre pauschal problematisch sei, macht all die ohnehin schon marginalisierten Subgenres wie Queer Rap oder Conscious Rap sowie Rapperinnen* unsichtbar. Die Annahme, dass People of Color grundsätzlich nicht in der Lage seien, politisch korrekte Musik zu machen, ist dazu noch rassistisch. Die Entstehungsgeschichte und Subversion des Hip Hops werden durch solche Vorurteile gänzlich ausradiert.

R’n’B warf ich seinerzeit in den gleichen Topf und dachte, er sei Hip Hop mit einem Hauch Kitsch. Auf Partys waren wir Indiekids uns darüber einig, dass Hip-Hop und R’n’B schon allein aus politischen Gründen uncool seien. Dass ich mit 13 eine sehr intensive Hip Hop- und R’n’B-Phase hatte, verschwieg ich und machte dies zu einem weiteren Anlass für pubertären Selbsthass. Dass ich manchmal heimlich die Pussycat Dolls hörte, erzählte ich natürlich auch nicht.

Ignorante Indiekids. Und das war nicht mal der Gipfel meiner Ignoranz als Indiekid. Das Nonplusultra stellte für mich das scheinbar perfekte Genre Indie-Rock dar. Die Videos waren artsy, ironisch und gaben einem_r beim Rezipieren die Illusion des Intellekts. Ich bildete mir ein, dass Indie-Rock ein Safe Space sei. Gar nicht so überraschend platzte auch diese Blase. Konstruierte Dichotomien, wie sie zwischen Indie-Rock und Hip Hop vorherrschen, blockierten jahrelang meinen eignen Spaß. Nach und nach grub ich die Kackscheisze der Indiewelt aus oder wurde Zeugin des Grabens anderer Leute.

Misogyne Texte zum Beispiel gibt es in der Rockmusik eine Menge. Einen kleinen Einblick verschaffen Blogs wie MisogynicLyricsThatArentRap.tumblr.com. Mit dabei sind zum Beispiel Alt-J, Pink Floyd, Interpol, The Kooks und The Offspring. Viele sind Indie-Darlings, darunter auch weibliche. Kate Nash ist zwar als Feministin sehr populär, hat aber auf bisher allen ihrer drei Alben sexistische Songs vorzuweisen. Ihr Problem heißt Girl Hate und ist auch als internalisierte Misogynie bekannt. In „We Get On“ („Made of bricks“, 2007) betreibt sie Slut Shaming und feindet eine Frau an, weil die sich ihren Schwarm schnappt. Von ihrer sonst so angepriesenen Sisterhood bleibt nicht viel übrig.

Mittlerweile habe ich meine Musiksammlung um viele tolle Female Artists unterschiedlicher Genres erweitert. Dazu musste ich in erster Linie feststellen, dass meine alte Musik sehr typendominiert war. Dann bewies ich mir selbst, dass es unglaublich viele Künstlerinnen gibt, die mir entgangen waren. Auch in diesem Punkt könnte ich noch viel weiter graben, soviel ist gewiss.

Immer nur Typenmusik. Auf einer Indie-Party rief ich neulich zum Beispiel nach dem fünften Song über The Killers hinweg einer Freundin zu: „Ey, die spielen ja nur Typenmusik hier!“ Zwischendurch schallten zwar auch weibliche Gesänge durch den Raum – wäre auch ziemlich peinlich für die DJDudes, wenn sie die Größen The Knife oder M.I.A. geleugnet hätten – aber nicht-weiße, nicht-männliche Künstler_innen machten insgesamt nur einen Bruchteil der Playlist aus. Je mehr ich mich mit Problematiken des Indie-Rocks beschäftige, desto mehr frage ich mich, woher ich als Jugendliche Anhaltspunkte nahm, mich als nicht-weiße, dicke Frau in dieser Szene repräsentiert zu fühlen.

All das hätte ich gerne schon mit 15 gewusst. Das tat ich aber nicht, weil Musikzeitschriften nicht gerade die richtigen Vermittler sind. Wie wenig (sichtbaren) Raum für Frauen* es im Rock gab und gibt, ist großteils in Vergessenheit geraten. Schaue ich mir die Popkulturzeitschrift Spex an, so sind in der Regel Typen auf dem Cover – und sind es doch mal Frauen (ohne Sternchen, sic!), dann nur normierte Schönheiten wie eine weiße Lana del Rey. Coole Blätter wie das Missy Magazine gab es damals noch nicht. Damals, damals.

Dem Irrglauben, dass weiße Typen die Pioniere für alles – Musik, Kunst, Literatur, alles eben – waren, folgte ich lange. Und mit der Erkenntnis, dass dies nicht so ist, bin ich, so traurig es ist, immer noch in der Unterzahl. Die Cover-Landschaft der Kulturzeitschriften hat sich nicht geändert. Musik bekommt erst dann den Stempel „gute Musik“, wenn sie viele Typen in der Fangemeinde hat – „Mädchenmusik“ ist nach wie vor ein sehr stark negativ konnotierter Begriff. Und mit dem Begriff Riot Grrrl können immer noch zu wenige etwas anfangen.

 

Hengameh Yaghoobifarah studiert Medienkulturwissenschaft an der Universität Freiburg. Sie bloggt unter teariffic.de und twittert als @sassyheng.
Foto: Serge Melki