Georg Sattelberger

"Ich hätte gerne Zugangsregeln gehabt"

  • 09.05.2013, 14:26

Im zweiten Teil der progress-SpitzenkandidatInnendiskussion mit Florian Lerchbammer (AG), Anna Lena Bankel (FEST), Florian Kraushofer (FLÖ), Marie Fleischhacker (GRAS), Claudia Gamon (JuLis) und Julia Freidl (VSStÖ) werden Positionen zu Zugangsbeschränkungen, Studienorientierung und Frauenförderung abgeklopft. Oona Kroisleitner und Georg Sattelberger moderierten die Runde.

Im zweiten Teil der progress-SpitzenkandidatInnendiskussion mit Florian Lerchbammer (AG), Anna Lena Bankel (FEST), Florian Kraushofer (FLÖ), Marie Fleischhacker (GRAS), Claudia Gamon (JuLis) und Julia Freidl (VSStÖ) werden Positionen zu Zugangsbeschränkungen, Studienorientierung und Frauenförderung abgeklopft. Oona Kroisleitner und Georg Sattelberger moderierten die Runde.

pogress: Gerade wurden in fünf neuen Fächergruppen Zugangsregelungen eingeführt. Die derzeitigen Exekutiv-Fraktionen (bestehend aus FLÖ, VSStÖ, GRAS und FEST, Anmk.) treten gegen sämtliche Zugangsbeschränkungen auf, JuLis und AG sehen das anders…

Lerchbammer: Wir sind für faire und transparente Zugangsregeln, dort wo es mehr Bewerber als Kapazitäten gibt. Es ist eine Frage der Grundehrlichkeit, wenn man jemanden auf die Uni lässt, dass man ihn auch in den Hörsaal lässt. Das heißt, wenn man sich irgendwo inskribiert, muss auch ein Studienplatz garantiert sein, damit man in Mindeststudienzeit studieren kann und nicht bei Prüfungsanmeldungen zittern muss. Über faire und transparente Zugangsregeln kann das sichergestellt werden. Knock-Out Prüfungen werden somit obsolet, weil eine Studieneingangs- und Orientierungsphase dann auch wirklich zu einer solchen wird. Damit kann man sich wieder aufs Studieren konzentrieren.

Freidl: Die Frage ist, wer kann sich aufs Studieren konzentrieren, wer ist dann überhaupt noch auf der Hochschule? Man hat das bei der Aufnahmeprüfung für das Medizinstudium gesehen. Vor der Einführung dieses Tests war die Quote von Studierenden aus finanziell schlechter gestellten Schichten schon schlecht, bei etwa 16 Prozent. Nachdem die Aufnahmeprüfungen gekommen sind, lag sie nur mehr bei 8 Prozent.

progress: Was ist dann die Alternative?

Freidl: Wir setzen bei einer wirklichen Orientierungsphase an. Dabei muss schon bei der Information an den Schulen angesetzt werden. Andererseits wollen wir, dass Studierende sich im ersten Semester an drei verschiedenen Hochschulen verschiedene Studienrichtungen ansehen können.  Durch so eine Orientierungsphase kann man Studierendenströme viel studierendengerechter steuern als durch Zugangsbeschränkungen.

Lerchbammer: Bei einer Orientierungsphase sind wir auf jeden Fall dabei und wir fordern einen Ausbau der Studienplätze. Auf der anderen Seite brauchen wir aber Zugangsregeln dort, wo es mehr Bewerber als Kapazitäten gibt. Aktuell fallen jene Leute aus dem System, die nicht den finanziellen Atem haben über die Mindestzeit hinaus zu studieren. Ein Drittel ist mit Kapazitätsproblemen konfrontiert und wenn man mit 24 die Familienbeihilfe verliert und sich das Studium nicht mehr leisten kann, dann bleiben nur mehr diejenigen über, deren Eltern das dicke Geldbörsel haben. Was die soziale Durchmischung betrifft: Auf den Fachhochschulen ist die Durchmischung besser und da gibt es Zugangsregeln.

Bankel: Die soziale Durchmischung an Fachhochschulen ist aber auch deshalb besser, weil man dort zum Beispiel berufsbegleitend studieren kann. Das hat nichts mit Zugangsbeschränkungen zu tun, sondern mit einem klaren Bekenntnis des Staats zur Bildung.

Freidl: Bei der Psychologie gibt es auch Aufnahmeprüfungen und die Studierenden sitzen trotzdem am Boden. Das heißt, durch Zugangsbeschränkungen wirst du das Kapazitätsproblem nicht lösen können.

Lerchbammer: Mit einer echten Studienplatzfinanzierung schon.

Bankel: Und wer soll über diese Kapazitäten entscheiden?

Lerchbammer: Die Regierung entscheidet darüber. Wir können dann dort mehr Plätze fordern, wo es zu wenig gibt. Wenn du die bessere Vereinbarkeit von Studium und Beruf auf den Fachhochschulen ansprichst: Na bitte, dann machen wir das auch an den Unis.

Fleischhacker: Ja, aber dass es an den Unis Teilzeitstudien geben soll, bedingt nicht, dass es Zugangsbeschränkungen geben muss. Zugangsbeschränkungen sind eine ganz andere Geschichte. Was ist zum Beispiel, wenn man die Aufnahmeprüfung nicht schafft? Dann muss man ein Jahr warten, verliert die ganzen Beihilfen usw. Worum es gehen muss, ist eine sinnvolle Orientierung, wenn man an die Uni kommt, bei der man sich verschiedene Studienrichtungen anschauen kann. Natürlich soll jedeR einen Platz im Seminarraum bekommen, aber da sind Zugangsbeschränkungen nicht die Lösung. Das ist nur Symptombekämpfung.

Lerchbammer: Da lassen GRAS, VSStÖ, FEST und FLÖ mich als Student am Boden sitzen. Ich verliere die Zeit nicht, weil ich nicht auf die Uni komme, sondern weil ich auf der Uni nicht in den Hörsaal komme. 52 Prozent schätzen ihre Studienzeit so ein, dass sie aus der Regelzeit hinausfallen, die Mindeststudienzeit ist aktuell eine Illusion, die für viele nicht erreichbar ist. An Fachhochschulen wird die Zustimmung zum Studium mit sehr gut bewertet, das ist etwas, wovon wir auf den Universitäten nur träumen können.

Kraushofer: Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Systeme. Das Problem ist doch eigentlich, dass die Universitäten immer gerade so viel Geld bekommen, dass sie überleben können. Wenn du dieser Problematik mit Hilfe der für das Ministerium sehr angenehmen und einfachen Lösung „Zugangsbeschränkungen“ ausweichst, erreichst du, dass das eigentliche Problem der Unterfinanzierung langfristig nicht mehr diskutiert wird. Wir bleiben dann auf den Zugangsbeschränkungen sitzen, die sich über die Jahre wahrscheinlich noch verschärfen werden. Und die AkademikerInnenquote wird weiter sinken.

Lerchbammer: Ich hätte gerne Zugangsregeln gehabt. 65 Prozent geben an, dass eine STEOP in dieser Form, die für Knock-Out-Prüfungen missbraucht wird, zum Studienabbruch führt. Was hilft es, wenn wir darauf hoffen, dass sich in zehn Jahren etwas verbessert. Ich sitze jetzt am Boden, ich weiß nicht, wann ich mit meinem Studium fertig werden kann.

Fleischhacker: Ja, aber du sagst selbst, dass es jetzt schon Nock-Out-Prüfungen gibt. Und die sind Teil von Zugangsbeschränkungen. Das macht das System ja nicht besser.

Freidl: Flo, du kannst doch nicht irgendwelche Zahlen aneinander reihen und meinen, dass sie deswegen einen kausalen Zusammenhang haben. Wir wissen, dass es zu wenig Kapazitäten gibt, aber das werden wir nicht durch Zugangsbeschränkungen lösen können. Unzählige Beispiele zeigen, dass das nicht der Fall ist.

Lerchbammer: Du wirst mich nicht vom Boden wegbekommen, indem du Luftschlössern hinterherjagst.

Freidl: Ich jage keinem Luftschloss hinterher. Aber dem Wissenschaftsminister die Forderungen von den Lippen abzulesen, anstatt selber etwas zu fordern, was den Studierenden hilft, ist auch nicht die Lösung. Dass viele Studierende ihr Studium abbrechen, hat vor allem den Grund, dass sie finanziell schlecht abgesichert sind. 60 Prozent der Studierenden müssen nebenbei arbeiten, 11 Prozent sogar über 35 Stunden in der Woche. Das ist ein viel größeres Problem.

Lerchbammer: Wie willst du mich in mein Seminar hineinsetzen?

Bankel: Ich würde gern weg von diesem scheinbaren Zusammenhang von Kapazitäten und Zugangsbeschränkungen. Es gibt keine transparenten oder fairen Zugangsbeschränkungen. Ich habe bisher vier verschiedene Zulassungsprüfungen bestanden und kann aus dieser Erfahrung sagen, das Kriterium hätte genau so gut sein können, dass diejenigen mit grünen Augen aufgenommen werden. Eine Prüfung ist auch immer nur eine Momentaufnahme deines Zustands an einem bestimmten Tag.

Gamon: Ich bin derzeit in einem zugangsbeschränkten Master. Die Studierenden sind in Österreich aber mitunter auch falsch verteilt. Unglaublich viele beginnen z.B. ein BWL-Studium oder ein anderes Massenfach, für das sie sich eigentlich nicht interessieren und wechseln dann nach zwei drei Semestern. Dadurch haben sie aber, grob gesagt, anderen Studenten, die sich vielleicht wirklich dafür interessieren, ihren Platz weggenommen. Ich glaube, einem erwachsenen Menschen kann man abverlangen, dass er sich mit dem Angebot beschäftigt. Die Leute können immerhin auch schon wählen. Dann kann man auch verlangen, dass er sich auf Zugangsbeschränkungen vorbereitet. Die fehlende soziale Mischung hat noch andere Gründe.

progress: Welche Gründe sprichst du an?

Gamon: Dass sich Menschen bereits mit zehn Jahren für eine Bildungslaufbahn entscheiden müssen, ist hier meiner Meinung nach das größte Problem.

Freidl: Natürlich muss man beim Schulsystem ansetzen und natürlich soll es genug Zeit geben, um schauen zu können, welches Studium zu einem passt. Genau deswegen wollen wir bei einer Orientierungsphase ansetzen. Ich bin auch in einem zugangsbeschränkten Master auf der WU und in den ersten Lehrveranstaltungen haben sie uns bereits gesagt: Wenn wir nebenbei arbeiten müssen, wird das nicht funtktionieren. Wenn man dann noch dazu den Universitäten die Autonomie dazu gibt – also ich will nicht, dass Rektor Badelt alleine entscheidet, wie Zugangsbeschränkungen aussehen sollen.

Gamon: Bei meinem Master hatte ich das Gefühl, dass es ein relativ faires Verfahren war. Man hat sich die Lebensläufe angeschaut, es hat Interviews gegeben, das war alles sehr ausgewogen.

Fleischhacker: Da sind wir doch genau wieder bei dem, was Anna Lena vorhin schon angeschnitten hat: In welcher Tagesverfassung bin ich gerade oder wie passt der Prüfungsmodus zu meinen Typ? Das ist nicht fair. Es gibt Leute, die in einem Prüfungsmodus besser sind oder eben im anderen. Worum es geht, und das hast du eh auch schon angeschnitten, ist Orientierung und eine gescheite Überleitung von der Schule auf die Hochschule.

Kraushofer: Ich würde gerne noch auf den Aspekt eingehen, dass es zumutbar sein muss, dass Leute sich damit beschäftigen, was sie machen wollen und das würden sie tun, wenn es ein Aufnahmeverfahren gibt. Jetzt nehmen wir an, dass alle, die zu einem Aufnahmeverfahren kommen, sich bereits damit auseinandergesetzt und sich entschieden haben. Dann muss aber immer noch selektiert werden. Damit habe ich dann ein Problem. Ich stimme Claudia aber zu, dass sich Leute müssen damit auseinandersetzen müssen, was sie studieren wollen und da tut die ÖH auch gerade sehr viel.

progress: In beinahe allen Wahlprogrammen findet sich die Forderung nach Frauenförderung. Wie soll diese aus eurer Sicht aussehen und wie unterscheidet ihr euch diesbezüglich?

Freidl: Ein wichtiger Punkt sind für uns Praktika: Es sind vor allem Frauen, die niedriger bezahlt und oft nicht ihren Qualifikationen gemäß beschäftigt werden. Zweitens ist uns die Förderung von Frauen in technischen Berufen ein Anliegen: An der TU ist der Frauenanteil extrem gering. Hier muss schon in der Schule angesetzt werden, es benötigt aber auch Mentoring-Programme in den jeweiligen Studien – explizit für Frauen. Außerdem fordern wir die Offenlegung der Gehälter an den Universitäten. Frauen werden noch immer schlechter bezahlt als Männer. Das hört auch nicht an den Eingängen der Hochschulen auf. Frauen sollen durch die Offenlegung eine bessere Grundlage haben, um höhere Gehälter zu fordern und gleichzeitig wird Ungleichgewicht sichtbar gemacht.

Lerchbammer: Bei uns ist es leichter: Geschlecht soll in keinem Fall eine Rolle spielen, weder bei der Bezahlung noch sonstwo. Es muss die Leistung im Vordergrund stehen. Leistung ist ein faires Auswahlkriterium. Kein Geschlecht soll schlechter gestellt werden, es soll um die Person gehen. Deswegen lehnen wir auch jegliche Quotenregelungen ab: Sie diskriminieren immer das andere Geschlecht und sie widersprechen fairen Auswahlverfahren. Für uns als AG müssen Leistung und Person im Vordergrund stehen.

Fleischhacker: In unserer Gesellschaft spielt Geschlecht aber eine Rolle.

Lerchbammer: Deswegen muss ich bei den Rahmenbedingungen ansetzten, damit das keine Rolle spielen kann.

Bankel: Es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, dass das Geschlecht eine Rolle spielt. Es ist einfach die Realität, dass Frauen diskriminiert werden, wenn es beispielsweise um Jobs oder Gehälter geht.

Lerchbammer: Wo wirst du auf der Uni diskriminiert? Männer sind beispielsweise beim letzten EMS-Test diskriminiert worden.

Bankel: Ich wurde gegenüber meinen männlichen Mitstudenten die ganze Zeit diskriminiert. Zum Beispiel wurden nur Männer bei den Professoren in Ateliers aufgenommen. Sie haben nie eine Frau als Praktikantin beschäftigt. Auch hinter einer Quotenregelung stehen wir. Dafür sprechen wir uns aus, auch beim EMS-Test. Wenn es um uns selbst, innerhalb unserer Fraktion geht, ebenso. Die FEST hat einen starken Männerüberhang, weshalb bei uns speziell Frauen gefördert werden.

Gamon: Als Liberale bin ich gegen Quoten und ich pflichte Florian auch bei, dass die Leistung im Vordergrund stehen soll. Wir gehen hier aber von der österreichischen Realität aus und da geht es oft nicht um Leistung sondern um Netzwerke und Beziehungen. Gerade an der WU haben wir kaum Frauen in der Forschung und kaum Professorinnen. Wenige gehen den Weg der Forschung, weil sie nicht gefördert werden. Dabei würde die Uni letztendlich davon profitieren. Ich bin dafür, dass man Frauen aktiv fördert, weil sie aus verschiedenen Gründen nicht in die Forschung gehen: weil sie sich diskriminiert fühlen, weil sie es auch werden und weil sie nicht dazu aufgefordert werden. Wenn man anerkennt, dass viele Frauen in der Forschung und Lehre für eine Uni wichtig sind, muss man das fördern. Wir wurden lange diskriminiert und es gibt noch keine echte Gleichberechtigung in Österreich.

Lerchbammer: Förderprogramme sind gut und richtig. Da sind wir auch dabei, aber für beide Geschlechter und vor allem für Talente.

Fleischhacker: Man hat selbst im Jahr 2013 keine Gleichstellung. Frauen werden auf vielen Ebenen diskriminiert. Gerade wenn man sich ansieht, wie viele Studienanfängerinnen es gibt und wie die Zahl sich dann nach oben hin ausdünnt. Wir haben fünf Rektorinnen in Österreich, aber es gibt sicher nicht nur fünf fähige Frauen, sondern unglaublich viele Hindernisse, die Frauen davon abhalten in solche Positionen zu kommen. Die Quote ist dazu da, dass bei gleicher Leistung die Frau bevorzugt wird. Die Quote ist auch nur so einzusetzen bis man zu einer Gleichstellung kommt – also bis man bei 50 zu 50 Prozent steht.

Freidl: Es gibt jetzt schon inoffizielle 80 bis 90prozentige Männerquoten …

Kraushofer: …etwa unter den ProfessorInnen an der TU Wien. So sieht’s eben in der Realität aus. Wir können das Problem nicht einfach wegreden oder verleugnen. Es gibt ein Problem und es geht uns etwas an. Ich finde, dass sich die ÖH damit beschäftigen kann. Ich finde es polemisch zu sagen, es müssen alle gleich behandelt werden, ohne sich die Frage zu stellen, warum ist es so, dass eben nicht alle gleichberechtigt sind.

Lerchbammer: Dann sollten aber die Hindernisse abgebaut werden. Das heißt aber auch keine Hindernisse für Männer aufzubauen.

Bankel: Als Mann siehst du es dann vielleicht so, dass du diskriminiert wirst, aber es ist eine Art Umverteilung von Machtverhältnissen. Genauso wie Leute, die mehr verdienen auch höhere Steuern zahlen müssen, müssen auch Männer Abstriche machen.

„Die gesetzliche Grundlage muss für alle Hochschultypen einheitlich sein“

  • 08.05.2013, 12:14

In drei Teilen stellt progress euch die Positionen der bundesweiten SpitzenkandidatInnen aller Fraktionen mit Klubstatus in der ÖH-Bundesvertretung vor. Florian Lerchbammer (AG), Anna Lena Bankel (FEST), Florian Kraushofer (FLÖ), Marie Fleischhacker (GRAS), Claudia Gamon (JuLis) und Julia Freidl (VSStÖ) diskutierten im ersten Teil Fragen zur Bedeutung von Hochschulen, deren Finanzierung und Qualität im Studium. Oona Kroisleitner und Georg Sattelberger moderierten die Runde.

In drei Teilen stellt progress euch die Positionen der bundesweiten SpitzenkandidatInnen aller Fraktionen mit Klubstatus in der ÖH-Bundesvertretung vor. Florian Lerchbammer (AG), Anna Lena Bankel (FEST), Florian Kraushofer (FLÖ), Marie Fleischhacker (GRAS), Claudia Gamon (JuLis) und Julia Freidl (VSStÖ) diskutierten im ersten Teil Fragen zur Bedeutung von Hochschulen, deren Finanzierung und Qualität im Studium. Oona Kroisleitner und Georg Sattelberger moderierten die Runde.

progress: Wir haben euch gebeten einen Gegenstand mitzubringen, den ihr mit Hochschule verbindet. Welche Bedeutung haben Hochschulen für euch? 

Marie Fleischhacker: Ich habe einen Kompass mitgebracht. Der passt für mich perfekt, da Orientierung an den Hochschulen oft fehlt. Die STEOP soll durch ein „Studium-Generale“ ersetzt werden, bei dem man sich während der ersten beiden Semester orientieren kann und Lehrveranstaltungen aus verschiedensten Bereichen absolvieren kann, um so verschiedene Studienrichtungen kennenzulernen. So sollen StudienanfängerInnen tatsächliche Orientierung bekommen.

Julia Freidl: Für mich und für uns als VSStÖ bedeutet Hochschule Bildung und vor allem kritische Bildung. An der Wirtschaftsuniversität habe ich erlebt, dass die Neoklassik am Serviertablett angeboten wird, es aber keinen Platz für andere Strömungen und Sichtweisen gibt. In der Wirtschaftskrise hat man gesehen, dass die Neoklassik nicht die Lösung für alles ist. Genau deswegen ist kritische Bildung wichtig. Ich habe Bücher von verschiedenen heterodoxen ÖkonomInnen mitgebracht. Besonders aus Sicht der Wirtschaftsuni soll heterodoxe Ökonomie kein Nischenangebot bleiben.

Florian Kraushofer: Ich habe ein Universitätsgesetz (UG) mitgebracht. Das ist meine deutlichste Assoziation mit Hochschulen. Am UG wird gerne sofort herumgedoktort, wenn man auch nur denkt einen Bruchteil einer Lösung zu haben. Das UG ist natürlich auch das Gesetz, das festlegt, wie Hochschulen funktionieren, was sie formt und dort muss man auch ansetzen. Hochschule bedeutet natürlich kritisches Denken, selbstständiges Lernen und sich Gedanken über das zu machen, was einem vorher nicht serviert worden ist – wo man etwas ausprobieren kann.

Florian Lerchbammer: Universität ist ein Ort von Bildung und nicht von Ausbildung. Wir sind aufgefordert die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass wir sorgenfrei studieren können. Für die AG habe ich eine überdimensional große Taschenlampe mitgebracht, weil wir einen Schwerpunkt auf Transparenz legen möchten. Wir wollen die Einbindung der Universitäten in das Transparenzgesetz, um eine effizientere Mittelverwendung zu erreichen, damit am Ende des Tages mehr Geld überbleibt und wir somit mehr ausfinanzierte Studienplätze haben. In Zukunft soll bei einer Mittelerhöhung nicht das Prinzip der Gießkanne zum Tragen kommen, sondern das Geld in den Hörsaal fließen, wo es hin sollte.

Anna Lena Bankel: Derzeit symbolisiert Hochschule für mich und für uns als FEST ein mit Ketten verschlossenes Buch. Hochschulen definieren sich darüber, wer nicht hinein soll, wer dementsprechend von den Hochschulen ausgeschlossen sein soll. Dabei wird dauernd die Kapazitätenfrage vorgeschoben, anstatt kreative Lösungen zu suchen. Hochschulen müssen das kritische Denken fördern. Das kann aber bereits im Kindergarten beginnen. Auf jeder Ebene von Bildung kann kritisches Denken gefördert werden, nicht erst bei Master und PHD.

Claudia Gamon: Ich habe von John S. Mill „Über die Freiheit“ mitgenommen. Die Uni ist für mich eine Bildungsstätte. Für mich als Landpomeranze war es eine tolle Erfahrung, andere Menschen kennenzulernen, mit denen man leidenschaftlich über Ökonomie diskutieren kann. Wissen bedingt die Freiheit und umgekehrt. Das Buch hat auch eine besondere Bedeutung: Ein Kurs über Ethik und Ökonomie war die einzige Wahlfreiheit, die ich in meinem Bachelor hatte. Dort habe ich das Buch das erste Mal gelesen. Im Nachhinein hätte ich mir mehr Freiheit im Studium gewünscht.

progress: . Zumindest zwei von Euch fordern verstärkte Hochschulfinanzierung aus dem privaten Sektor. Was sind die Für und Wider zusätzlicher Drittmittelfinanzierung?

Lerchbammer: Neben der Forderung, dass es mehr Geld von der Regierung braucht, gehen wir einen Schritt weiter: Wir sollten wirklich darüber nachdenken mehr private – also Drittmittel – in das Hochschulbudget zu integrieren. Es macht keinen Unterschied, ob der Hörsaal den Namen eines Unternehmens trägt, es macht aber sehr wohl einen Unterschied, wie viel Platz in einem Hörsaal ist und welche Infrastruktur wir vorfinden. Natürlich muss sichergestellt werden, dass sogenannte Orchideenfächer von der Regierung finanziert werden und nicht unter die Räder von wirtschaftlichen Interessen kommen.

Gamon: Solange die Regeln klar sind und Lehre und Forschung unabhängig sind, habe ich kein Problem damit. Ich glaube, dass Angst davor besteht, in eine Abhängigkeit zu fallen. Viele Studien können von einer größeren Involvierung der Wirtschaft und einem größeren Praxisbezug profitieren. Gerade in technischen Studien gibt es viele Möglichkeiten, bereits während dem Studium mit Unternehmen zusammenzuarbeiten. Auf der TU gibt es ja Beispiele für tolle Kooperationen und ich glaube, das könnte man weiter unterstützen.

Kraushofer: Prinzipiell ist für uns Drittmittelfinanzierung nicht das Feindbild schlechthin. Wenn die Unabhängigkeit der Universitäten garantiert ist, dann darf das ruhig auch passieren. Garantiert ist das aber natürlich nur, wenn die Universitäten bereits vom Staat ausfinanziert sind, was wir auch fordern. Dass man einen Hörsaal nach jemandem benennt und dafür Geld über Jahre hinweg Geld bekommt, ist illusorisch.

Lerchbammer: Das war ja nur ein plakatives Beispiel.

Kraushofer: Ja, eines wo offensichtlich ist, dass es harmlos ist. Wenn man aber an Forschung gebundene Drittmittel lukriert, dann sind die Ergebnisse oft nicht öffentlich und dürfen nur von dem Unternehmen, das die Forschung gesponsert hat, verwendet werden. Forschungsergebnisse, die auf einer Universität gewonnen werden, sollen aber der Gesellschaft zugutekommen.

Gamon: Das stimmt. Aber der Grund dafür ist die fehlende Grundfinanzierung. Deswegen fühlen sich Universitäten bis zu einem gewissen Grad gezwungen, solche Verträge einzugehen. Das ist eher das Problem und nicht die Drittmittelfinanzierung an sich.

Freidl: Es ist aber auch eine berechtigte Angst, dass durch Auftragsforschung die Grundlagenforschung zur Seite gedrängt wird und nur mehr jene Forschung, bei der Gewinn für Unternehmen rausschaut, im Vordergrund steht. Deshalb sollten wir uns in erster Linie um eine Ausfinanzierung der Hochschulen bemühen, dann können wir über Drittmittel sprechen.

Fleischhacker: Das Problem bei Drittmitteln ist, dass die Studierenden ausgebeutet werden. Zum Beispiel auf Fachhochschulen erbringen Studierende über Ausbildungsverträge Leistungen, die an Konzerne gehen und nur von diesen verwendet werden dürfen. Die Studierenden haben dann bis zu zehn Jahre überhaupt kein Recht mehr etwas von dem, was sie in ein Projekt hineingesteckt haben, zu verwenden. So dürfen Hochschulen nicht finanziert werden.

Bankel: Das Problem liegt besonders dort, wo Unternehmen in Infrastruktur investieren wollen. Das sind eben keine Spenden sondern Investitionen, für die eine Gegenleistung erwartet wird. Studiengänge, die Unternehmen mehr interessieren als andere, werden so immer besser ausgestattet. Warum kann es nicht möglich sein, in einen Fond einzuzahlen, aus dem dann über alle Hochschultypen und Studiengänge verteilt wird? Dann wird plötzlich klar, dass Unternehmen ihren eignen Interessen nachgehen und dass das Hauptinteresse eben nicht Bildung ist, sondern gewisse Ausbildungsarten zu fördern.

progress: Wenn die Differenz auf die zwei Prozent des BIPs nicht aus Drittmittel kommen soll, woher dann?

Freidl (lacht): Vom Staat braucht es zunächst ein Einsehen, dass in Bildung investiert werden muss – 1,3 Prozent des BIPs für die Hochschulen sind zu wenig. Vermögensbezogene Steuern könnten etwa 3 Milliarden Euro zum Budget beitragen. Es gibt eine Berechnung der AK, die zeigt, dass durch die Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer zusätzliche 500 bis 700 Millionen Euro in das Budget fließen könnten. Die Anpassung der Grundwerte bei der Grundsteuer, die seit den 1970er Jahren nicht mehr verändert wurden, könnte weitere 500 Millionen Euro bringen. Und dann die allgemeinen Vermögenssteuern.

Lerchbammer: Anstatt zu überlegen, wie wir irgendwelchen Leuten Geld wegnehmen, wäre es ein besserer Ansatz darüber nachzudenken, wie wir das Budget verteilen. Wir als ÖH könnten uns ja auch dafür einsetzen, dass Geld weg von den Pensionisten und Pensionistinnen hin zu den Studierenden kommt. Aber dass wir uns Gedanken über Vermögenssteuern machen, geht zu weit.

Freidl: Es geht nicht ums Geldwegnehmen sondern um Umverteilung, also um Verteilungsgerechtigkeit.

Kraushofer: Es sollte nicht Aufgabe der ÖH sein, sich ein Opfer zu suchen – seien es die Reichen oder die PensionistInnen. Bildung ist eine Investition, auch für den Staat Österreich. Es ist total bescheuert zu sagen, wir investieren in diesen Bereich nicht. Das wird auch Österreich teuer zu stehen kommen – in 30 oder 40 Jahren. Es muss für den Staat möglich sein dieses Geld aufzutreiben.

Gamon: Es muss um ein Bekenntnis für Wissenschaft und Bildung gehen, weil das die einzige nachhaltige Ressource ist, die der österreichische Wohlstand hat. Ich würde es aber ablehnen, dass die ÖH dazu Stellung bezieht, wo man das Geld abziehen soll. Vermögenssteuern würde ich aber ablehnen.

Fleischhacker: Es braucht den politischen Willen, mehr Geld in Bildung zu investieren. Bei den Vermögenssteuern gibt es mehrere Modelle. Es ist wichtig, dass umverteilt wird und dass das Geld in die Bildung fließt. Man kann das ja auch schön sehen an Ländern, in denen es progressivere Steuersysteme gibt, wo dann tatsächlich auch mehr in Bildung investiert wird.

progress: In der Hochschulfinanzierungsdebatte werden immer wieder Studiengebühren ins Feld geführt. Die JuLis fordern Studiengebühren, während die Koalitionsfraktionen die ersatzlose Abschaffung der noch bestehenden fordern. Von der AG gab es heuer keine deutliche Position.

Lerchbammer: Die AG lehnt Studiengebühren ab, weil nicht sichergestellt ist, dass ich in Mindestzeit studieren kann. Außerdem ist nicht sichergestellt, dass die Studiengebühren Studienplatz, -ort und –zweckgebunden verteilt werden. Verkürzt gesagt: keine Vignette ohne Autobahn. Dementsprechend lehnen wir Studiengebühren ab.

Gamon: Ich will das nicht so verkürzt sehen. Die Unis müssen natürlich ausfinanziert werden. Deswegen würde ich das, was wir fordern, als Selbstbehalt beschreiben, weil es ja auch nicht die gesamten Studienkosten decken soll, sondern ein gewisser Beitrag von 10 bis 30 Prozent der Studienkosten. Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, ob z.B. jemand, der eine Lehre gemacht hat, unser Studium zur Gänze finanzieren muss – das ist auch der Grund für unser Plakat [„Deine Mutter finanziert mein Studium“ Anmk.]. Ich erachte Selbstbehalte als fair, weil ich auch überdurchschnittlich davon profitiere.

Freidl: Fair ist es nicht, wenn Kinder, deren Eltern nicht viel Geld haben, von den Hochschulen gedrängt werden. Oder ausländische Studierende, die über 700 Euro zahlen müssen. Das ist nicht fair. Was man auch sagen muss, ist das Studiengebühren keinen Beitrag zur Finanzierung der Hochschulen leisten können. Sie sind höchstens ein Tropfen auf dem heißen Stein. Außerdem zahlen AkademikerInnen später bis zum dreifachen wieder in den Steuertopf und damit an den Staat zurück.

progress: Stellen Studiengebühren eurer Meinung nach eine zusätzliche Barriere zum Hochschulzugang dar?

Gamon: Die Debatte darüber, dass Studiengebühren eine Hürde seien, ist ein wenig verkürzt, weil sie ignoriert, dass es genügend Studiengebühren- und Beihilfenkonzepte gibt. Diese stellen sicher, dass es trotzdem noch eine gute soziale Durchmischung an den Unis gibt. Ich kann grundsätzlich aber auch akzeptieren, dass die andere Seite sagt, dass Bildung gratis sein soll. Dann muss das aber auch konsequent gefordert werden und für alle Bildungswege gelten. Was ich aber nicht akzeptieren kann, ist, dass es verschiedene Hürden gibt, weil es doch genügend Evidenz dafür gibt, dass das eben nicht so ist, in den Ländern die das anwenden.

Kraushofer: Es ist unfair zu sagen, es gibt Länder, in denen funktioniert das, deswegen führen wir das auch bei uns ein. Wenn wir uns die Studierendensozialerhebung anschauen, dann sehen wir, anhand der Jahre, in denen die Studiengebühren eingeführt und abgeschafft wurden, dass es eben nicht funktioniert hat.

Gamon: In unserem Modell soll das Geld autonom eingehoben und direkt an die Unis ausgezahlt werden. Man kann sich Ideen von anderen Ländern hernehmen. Dass man diese dann aber für Österreich anpassen muss, steht außer Frage.

Fleischhacker: Skandinavische Länder zum Beispiel: Da gibt es ein progressives Steuersystem, keine Studiengebühren und fast keine Zugangsbeschränkungen. Also das funktioniert schon. Es ist kontraproduktiv zu sagen, man will Studiengebühren und trotzdem mehr Studierende. Es gibt Zahlen, die zeigen, dass Studiengebühren als Hürde gesehen werden. Und selbst wenn man von Studiengebühren befreit ist, muss man immer noch das Geld aufbringen, um sie zuerst einzubezahlen.

progress: Die FEST bekommt ihre Mandate vor allem von den FHs. Diese heben mehrheitlich Studiengebühren ein und haben alle Zugangsbeschränkungen. Wie steht ihr dazu?

Bankel:  Fachhochschulen fallen ins Privatrecht und sind keine öffentlichen Universitäten. Aber: Der Staat finanziert Fachhochschulen fast zur Gänze, die Beteiligung von Unternehmen liegt bei etwa 2 Prozent. Die Struktur einer Fachhochschule ist aber wie in einer Ausbildungsfirma. Die Rechtsform von Fachhochschulen ist extrem problematisch, wir fordern schon seit Jahren, dass es ein einheitliches Hochschulgesetz geben soll – darin kann es aber natürlich verschiedene Hochschultypen geben. Die Grundlage für alle Hochschultypen muss ein Gesetz sein und nicht drei.Aber grundsätzlich lehnen wir Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren ab. Bildung ist ein Menschenrecht und muss für jede und jeden frei zugänglich sein.

progress: Derzeit müssen, unter anderem, Drittstaatenangehörige doppelt so hohe Studiengebühren bezahlen. Wie steht ihr dazu?

Freidl: Das ist eine Katastrophe. Zu uns sind Studierende in die Sozialberatung gekommen und haben uns erzählt, dass sie nicht mehr wissen, wie sie ihr Studium finanzieren sollen. Wenn man schon von einem Hochschulraum und einer europäischen Hochschulpolitik redet, braucht es auch europäische Lösungen und da ist der Wissenschaftsminister ganz klar gefordert, sich für Ausgleichszahlungen zwischen jenen Ländern, zwischen denen es Studierendenströme gibt, einzusetzen. Es gibt ja beispielsweise bereits den nordischen Rat, wo das mit Ausgleichszahlungen ganz gut funktioniert. Da sollten wir ansetzen, anstatt Studierende, die sich ohnehin in einer sehr prekären Situation befinden, dann auch noch mit doppelten Studiengebühren zu belasten.

Kraushofer: Prinzipiell kann ich mich da anschließen. Was man vielleicht aber noch dazu sagen sollte ist, dass die doppelten Studiengebühren nicht das einzige Problem sind. Drittstaatsangehörige haben andere Aufnahmebedingungen. Sie dürfen zum größten Teil nur sehr wenig arbeiten. Oder etwa das passive Wahlrecht, das wäre nochmal ein eigenes Thema. Sie werden auf vielen Ebenen der österreichischen Hochschulen diskriminiert und das ist eine Frechheit.

Lerchbammer: Wir lehnen Studiengebühren unter diesen Studienbedingungen ab, auch die doppelten. Wir sollten uns nicht davor fürchten, dass jemand zu uns zum Studieren kommt, sondern die Rahmenbedingungen schaffen, dass er dann auch hier bleibt.

Bankel: Ergänzend muss man noch sagen, dass es nicht nur die rechtlichen Hürden, die doppelten Studiengebühren oder etwa Probleme bei Zulassungsprüfungen gibt. Drittstaatenangehörige müssen auch jedes Mal, wenn es darum geht, ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern, zittern, wem sie da jetzt am Amt gegenüber sitzen. Da wird oft mit reiner Willkür entschieden. Es braucht das Bekenntnis der ÖH sich gegen Rassismus zu engagieren, und zwar nicht nur auf legistischer Basis, sondern auf allen Gebieten – eben als gesellschaftspolitisches Programm.

Gamon: Die doppelten Studiengebühren gehen auf keinen Fall, das ist einfach diskriminierend. Es ist volkswirtschaftlich und menschlich ein Blödsinn jemanden hier studieren, aber später nicht in Österreich leben und arbeiten zu lassen.

Fleischhacker: Ich glaube, wir stimmen alle überein, dass die doppelten Studiengebühren eine große Diskriminierung darstellen. Wie auch schon gesagt, sind sie aber auch nur ein Faktor in einer Reihe von Diskriminierungen.

 

 

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  • 30.09.2012, 21:49

Das Transgender Equality Network Ireland (TENI) tritt für eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Transgender-Personen in Irland ein. progress sprach mit dem TENI-Aktivisten Broden Giambrone über die Herausforderungen einer Bewegung.

Das Transgender Equality Network Ireland (TENI) tritt für eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Transgender-Personen in Irland ein. progress sprach mit dem TENI-Aktivisten Broden Giambrone über die Herausforderungen einer Bewegung.

progress: Der Begriff Transgender wird sehr unterschiedlich verwendet. Was bedeutet Transgender für TENI?

Broden Giambrone: Alle Menschen, deren Geschlechtsidentität von jener abweicht, die ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen wurde fallen für uns unter den Begriff Transgender. Konkret: Crossdressing, Transsexualität, Travestie, Gender-Queer oderGender-Fluid  und viele mehr, aber auch Menschen, die sagen, dass sie gar keine Geschlechtsidentität haben.

Wie würdest du die Wahrnehmung von Transgender-Personen in Irland beschreiben?

Diskriminierung von Trans-Personen ist ein großes Problem. Viele Menschen realisieren überhaupt nicht, dass es Trans-Menschen gibt. Ein gutes Beispiel dafür war ein Interview, zu dem ich letztes Jahr von einem der großen Radiosender eingeladen wurde. Nachdem das Interview vorbei war, kam der Moderator zu mir und sagte: „Ich habe ja gar nicht realisiert, dass es mehr als eine Trans-Person in Irland gibt.“ (lacht) Wir kämpfen also in erster Linie mit dieser Unsichtbarkeit. Von dieser Unwissenheit leiten sich viele der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, wie etwa Transphobie, ab. Das Sereotyp ist eine Trans-Frau in ihren Fünfzigern.

Welche Unterstützung können sich Transgender-Personen erwarten, wenn sie zu TENI kommen?

Viele sind arbeitslos oder haben Probleme, das Haus zu verlassen, manche wollen sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen oder sie haben ganz einfach Probleme mit ihren Gefühlen in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität. Die Anfragen reichen vom Wunsch nach einem Kontakt zu Gleichgesinnten, etwa in einer Peer-Support-Group, über das Bedürfnis, anonym mit einem/einer TherapeutIn sprechen zu können, bis hin zu Fragen rund um intraspezifische Gesundheitsversorgung.

Ihr haltet Workshops an Schulen, für Gewerkschaften oder andere Interessierte. Was vermittelt ihr hier?

Wenn wir mit Gruppen aus dem Gewerkschaftsbereich arbeiten, reden wir vor allem über Diskriminierungen am Arbeitsplatz. Da die Gleichbehandlungsgesetze in Irland Trans-Menschen nicht explizit erwähnen, kommt es für sie am Arbeitsplatz immer wieder zu Problemen, wenn es etwa um Mobbing oder Kündigungen geht. Wir bekommen selten die Möglichkeit, in den Schulen Workshops zu  halten, weil das Schulsystem sehr katholisch geprägt ist.

Welche Reaktionen bekommt ihr auf die Workshops?

Die Reaktionen sind meist positiv, aber auch sehr unterschiedlich. Ich würde nicht sagen, dass die irische Gesellschaft inhärent  transphob ist. Oft ist es einfach Unwissenheit. Wenn wir mit Jüngeren sprechen, sind sie zwar meist recht schüchtern, dafür fehlen ihnen viele der Vorurteile die ältere Generationen haben.

Wie funktioniert eure Zusammenarbeit mit der Politik beziehungsweise der Gesetzgeberin als Interessensvertretung?

Wir versuchen in erster Linie Bewusstsein zu schaffen. Wir reden mit den PolitikerInnen über negative Erfahrungen, die Trans-Menschen in den verschiedenen Lebensbereichen machen müssen, wie etwa den schwierigen Zugang zur Gesundheitsversorgung, Diskriminierung am Arbeitsmarkt oder die hohe Selbstmordrate. Wir bemühen uns auch das Thema positiv zu besetzen. Aber die Politik agiert in diesem Bereich nicht proaktiv. Zum Beispiel ist Irland eines der letzten Länder, in dem man die eigene  Geburtsurkunde immer noch nicht ändern kann. Und das, obwohl ein Gericht bereits 2007 entschieden hat dass eine entsprechende  Änderung möglich sein muss. Wir arbeiten an einem entsprechenden Gesetz, aber der Prozess schreitet sehr langsam voran.

Wie sieht die Situation in Irland in Bezug auf den Zugang zum Gesundheitssystem für Transpersonen aus?

Um in Irland etwa eine Geschlechtsumwandlung oder einfach nur einzelne geschlechtsspezifische Operationen machen zu können, muss man zuerst mit einer sogenannten „Geschlechtsidentitätsstörung“ identifiziert werden. Im staatlichen Gesundheitssystem gibt  es aber nur sehr wenige PsychologInnen oder PsychiaterInnen, die sich damit auskennen oder Erfahrungen mit Trans-Menschen haben. Das führt dazu, dass Menschen in das teure private System wechseln, sofern sie sich das überhaupt leisten können. Es hängt also davon ab, ob man das Geld hat, um sich die entsprechende Gesundheitsversorgung leisten zu können.

Wie  gehen die Menschen damit um, dass sie mit einer Geschlechtsidentitätsstörung identifiziert werden müssen, um Anspruch auf gewisse Leistungen bekommen zu können?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt einige, die sich sehr stark damit identifizieren. Für sie bietet ein „Geschlechtsidentitätsstörung“ eine Erklärung für ihre Gefühle sowie eine Möglichkeit, zu ihren KollegInnen, FreundInnen oder ihrer Familie gehen und sagen zu  können: Schaut ich habe diese Störung, ich kann nichts dafür. Ich denke aber, dass wir uns langsam in eine Richtung entwickeln die diese Diagnose überflüssig macht.

Arbeitet ihr auch mit anderen europäischen oder internationalen Transgender-Organisationen zusammen?

Ja. Derzeit mit verschiedenen europäischen Organisationen gemeinsam an dem Projekt Page One, das sich mit der Sichtbarkeit und Repräsentation von Trans-Menschen in den Medien beschäftigt. Europaweit erleben wir einen sehr ähnlichen Umgang der Medien mit Trans-Themen, entweder sie finden gar keine Beachtung, oder es werden Sensations-Stories gebracht. Ziel des Projekts ist es, mehr Sichtbarkeit und eine positivere Berichterstattung in den Medien zu erreichen. Oft wird in Interviews danach gefragt, ob man  eine Operation hatte oder wie man früher geheißen hat. Unvorbereitet kann es in solchen Situationen passieren, dass man plötzlich  über Sachen spricht, die man gar nicht erzählen wollte. Wir wollen, dass sich Trans-Menschen dabei wohl fühlen, ihre eigene Geschichte so zu erzählen, wie sie es wollen und nicht, wie sie die JournalistInnen oftmals hören wollen.

Wie würdest du die Repräsentation von Trans-Menschen in den Medien generell beschreiben?

Wenn darüber überhaupt berichtet wird, dann fast ausschließlich in Form von Klatsch- und Tratsch- Geschichten. Themen, über die eigentlich berichtet werden sollte, wie Transphobie, Diskriminierungen, Gewaltverbrechen oder die rechtliche Situation, kommen praktisch nicht vor. Die Medien sind mehr daran interessiert, ob du operiert wurdest, oder an Vorher-nachher-Bildern. Unsere Vorsitzende bei TENI, die auch als Lektorin für die Trinity Universität in Dublin arbeitet, musste vor einiger Zeit eine besondersschlimme Erfahrung im Umgang mit den Medien machen. Die irische Sun, eine der größten Boulevard- Zeitungen, die von Millionen Menschen gelesen wird, hat ein Foto von ihr auf dem Cover abgedruckt und getitelt: „Trinity's sex swap proof. Greek Lecturer was a man“. Sie haben sie einfach so geoutet. Auf der Titelseite! Sie hat weder ihr Einverständnis zu einem Interview gegeben, noch dazu, dass ein Foto von ihr gemacht wird und schon gar nicht, dass es abgedruckt wird. Wir waren erschüttert.

Habt ihr geklagt?

Nein, aufgrund einer Reihe von persönlichen Gründen hat sie sich entschieden, keine rechtlichen Schritte einzuleiten.

Protest in progress

  • 29.09.2012, 17:16

Das Studium Internationale Entwicklung an der Uni Wien soll abgeschafft werden – die Studierenden und Lehrenden demonstrieren dagegen lautstark. Doch wie kritisch ist das Studium wirklich und wie unterstützenswert sind die Proteste? Im Pro und Contra gehen die Meinungen auseinander.

 

Das Studium Internationale Entwicklung an der Uni Wien soll abgeschafft werden – die Studierenden und Lehrenden demonstrieren dagegen lautstark. Doch wie kritisch ist das Studium wirklich und wie unterstützenswert sind die Proteste? Im Pro und Contra gehen die Meinungen auseinander.

Contra: Goodbye Bonokids

Die Universität Wien wird zum Wintersemester wohl auf einen neuen Bachelorjahrgang motivierter Internationale-Entwicklung-Studierender verzichten. Auch wenn dies leider einmal mehr Ausdruck von Sparmaßnahmen ist, und daher vor allem auf die gegenwärtige Krise des Kapitals verweist, kann der Einebnung des IE-Bachelorstudiums durchaus etwas abgewonnen werden. So steht doch gerade das IE-Studium für das menschliche Antlitz des grüngewaschenen Kapitalismus: Für einen hübschen Entschuldigungsbrief der Ersten Welt gen Süden, der im Endeffekt aber doch nichts anderes ist als die Freikarte für eine weitere Rundfahrt auf realkapitalistischer Safari.

Da derartige Freikarten aber schlechterdings von eingefleischten Liberalen auszustellen sind, sind es vor allem interventionistische Linke und jungschargestählte KatholikInnen, die sich der globalen Sozialarbeit verschreiben wollen. Geeint darin, im missionarischen Eifer auszuziehen, um für die unmündigen Menschen des Südens die Welt zur Gerechtigkeit zu reformieren. Eine Reformierung freilich, die ganz im Geiste der einstigen Missionare, die bekanntlich mit Glasperlen die Welt beglückten, mit dem schönen Schein die elenden Verhältnisse zum Glitzern bringen will. Eigentlich kann man dies noble Anliegen ja auch niemandem verübeln. Denkt man an die ursprüngliche Akkumulation in Übersee, die Ausrottung und Versklavung von Zigtausenden zu Gunsten der europäischen KolonisatorInnen, erscheint der Wunsch, heute nicht mehr ganz so grobmotorisch durch die Welt zu stampfen, durchaus nachvollziehbar. Aber es wäre schon etwas gemein, den Studierenden hier schlechtes Gewissen oder gar bösen Willen zu unterstellen. Vielmehr muss man wohl davon ausgehen, dass sie wirklich selber glauben, was sie in den Medien zum Besten geben: Dass man im IE-Bachelorstudium mal so richtig querdenken, entwicklungspolitische Diskurse beeinflussen und der neoliberalen Bestie eins auswischen könne. So etwas kommt dabei heraus, wenn JungschargruppenleiterInnen ihr entwicklungspolitisches Engagement im Rahmen von Sternsingeraktionen entdecken. Und genau zu solch einem moralinsauren Blödsinn hat Oscar Wilde in The Soul of Man under Socialism schon alles Nötige gesagt: „Daher tritt man mit bewundernswerten, jedoch irregeleiteten Absichten sehr ernsthaft und sehr sentimental an die Aufgabe heran, die sichtbaren Übel zu heilen. Aber diese Heilmittel heilen die Krankheit nicht: sie verlängern sie bloß. In der Tat sind sie ein Teil der Krankheit selbst.“

Pro: Kritikspektakel

Die hochschulpolitischen Proteste müssen mit laufender Kritik leben und diese verarbeiten. Das kann durchaus produktiv sein und Bewegungen vorantreiben. Dies gilt insbesondere, wenn Protestbewegungen einen lebendigen und emanzipatorischen Bildungsbegriff für sich in Anspruch nehmen. Wenn Kritik allerdings unbeteiligt von außen zugerufen und nicht in die Proteste getragen wird, bleibt sie meist unproduktiv. Nicht selten lauten die Zurufe: Die Forderungen seien zu partikular, die Analyse nicht tiefgehend genug, die zugrundeliegenden Austausch - und damit Ausbeutungsverhältnisse würden nicht berücksichtigt oder der Bildungsbegriff sei oberflächlich. Diese Kritiken können teilweise berechtigt sein oder auch nicht. Oft gehen sie an den unmittelbaren Lebensrealitäten der Beteiligten, die sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen, aber vorbei. Wenn etwa Beihilfen gekürzt, neue Zugangshürden zum Studium errichtet oder Studienrichtungen gestrichen werden, bedeutet das zunächst einen massiven Einschnitt in das Leben und Studieren der Betroffenen. Dass Protest dann direkt an diesen zündenden Themen entbrennt, ist wenig verwunderlich, ja sogar erforderlich. Auch aus strategischer Sicht ist es regelmäßig notwendig, einzelne Anliegen herauszugreifen, um eine Intervention stark machen zu können. Natürlich müssen die jeweiligen Forderungen laufend kritisch überprüft, kontextualisiert und die Wurzeln ihrer zugrundeliegenden Widersprüche freigelegt werden. Bildungsprotest ist eben auch ein Bildungsprozess. Die Kämpfe der Studierenden der Internationalen Entwicklung haben dies in den vergangenen Jahren recht eindrücklich bewiesen. Je nach Kalkül des Rektorats sollte das IE-Studium einmal ganz, dann wieder nur teilweise abgeschafft werden oder gar in ein Elitestudium umgewandelt werden. Um dagegen anzukämpfen, haben sich die Protestierenden der IE aber nicht nur auf Demonstrationen oder Besetzungen als Methoden beschränkt, sondern die Diskussion rund um den Protest in die eigenen Lehrveranstaltungen getragen und Workshops sowie Guest-Lectures organisiert.

Die Protestierenden selbst, das gilt nicht nur für jene der IE, gestalten den Widerstand oft entgegen der anhaltenden Tendenz der Verschulung universitärer Bildung. Die Proteste werden, ob der anhaltenden Debatten, weitergehen, so viel ist klar. Kritik, die sich dabei darauf beschränkt, von außen und unbeteiligt zuzurufen, wird weiterhin kaum dazu beitragen, die Proteste voranzutreiben. Aber sie wird eines bleiben: Spektakel.
 

Jugendarbeitslosigkeit am Arbeitsmarktkirtag

  • 28.09.2012, 01:48

Ohne Normbiographie kein Pardon. Das gilt am Arbeitsmarkt besonders dann, wenn es sich um arbeitslose Jugendliche handelt.

Ohne Normbiographie kein Pardon. Das gilt am Arbeitsmarkt besonders dann, wenn es sich um arbeitslose Jugendliche handelt.

„Ich will ja arbeiten gehen, aber es ist verdammt schwer, eine Arbeit zu finden.“ Der 19-jährige Sebastian Steiner hat sich in den vergangenen Jahren bei 112 der 164 vom AMS für ihn vorgeschlagenen Stellen beworben. Nur wenige Unternehmen haben ihm überhaupt geantwortet, gerade eine Handvoll hat ihn zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, ohne Ergebnis. Von der Backsteinwand hinter ihm hängen Broschüren, die vom richtigen Auftreten bei Bewerbungsgesprächen erzählen oder davon berichten, welche Biographie eine jeweilige Branche von ihm und anderen erwartet. Er ist einer von vielen arbeitslosen Jugendlichen, die regelmäßig hier in die Räume des Vereins Backbone - mobile Jugendarbeit, im 20. Wiener Gemeindebezirk, kommen, nicht nur um abzuhängen.

LEHRVERTRAG AUFGELÖST. Obwohl Sebastian gerade im letzten Semester einer Berufsschulklasse für Elektrotechnik ist, hat er keine Lehrstelle und damit auch keine Arbeit. Seine Ausbildung als Elektrotechniker hat er vor drei Jahren, nicht in einem Betrieb, sondern an einem Arbeitsplatz in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte begonnen. Sein Lehrvertrag wurde nach zwei Jahren einseitig von der Lehrwerkstatt aufgelöst. Ihm wurde ein körperlicher Übergriff auf einen anderen Jugendlichen vorgeworfen. Bis heute bestreitet er allerdings den Vorfall. Seither geht er einmal die Woche in die Berufsschule und muss von 120 Euro Arbeitslosengeld leben. Würde er nicht noch bei seinen Eltern wohnen, könnte er damit wohl kaum auskommen. Während er erzählt, klopft er hektisch mit seinen Fingern auf seiner Camouflage-Hose herum und unterbricht sich nur dann, wenn er sein Capi nach hinten zieht, um seine Haare zu richten. Sebastians Dilemma ist nicht nur, dass er arbeitslos ist, sondern auch, dass er zur anstehenden Lehrabschlussprüfung nur dann antreten darf, wenn er noch sechs Monate Praxis nachholt.

Wie Sebastian haben arbeitslose Jugendliche generell damit zu kämpfen, dass sie die vom Arbeitsmarkt gewünschten Vorstellungen einer Normbiographie nicht immer erfüllen können. Nach unzähligen Bewerbungsschreiben scheint er die Hoffnung aufgegeben zu haben. Mit einem Arbeitsplatz verbindet Sebastian zugleich aber den Wunsch nach einem Haus, oder zumindest einer tollen Wohnung, einem „bomben“ Computer sowie einer Familie. Mit der Zeit wird seine Stimme immer angespannter, schließlich meint er entnervt: „Es ist schwer, wirklich schwer. Es ist ja nicht so, dass wir Jugendlichen nicht arbeiten wollen. Wir dürfen nicht.“

JUGEND OHNE JOB. „Wir“, das heißt in kalten Zahlen: Die Jugendarbeitslosenquote in Österreich beträgt derzeit 7,3 Prozent. Alleine in Wien haben laut Angaben des Arbeitsmarktservice 12.800 Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahren keinen Job. Gut die Hälfte davon befindet sich in Schulungsmaßnahmen. Sie holen entweder einen Hauptschulabschluss nach, beginnen eine Lehre in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte oder besuchen einen anderen der zahlreichen Kurse. Wer an einer dieser Weiterbildungsmaßnahmen teilnimmt, bekommt eine Entschädigung zwischen 240 und 540 Euro im Monat zur „Deckung des Lebensunterhalts“. Jugendliche, die sich in keiner Fortbildungsmaßnahme befinden, aber beim AMS gemeldet sind, werden bei der Arbeitssuche unterstützt. In Wien werden arbeitslose Jugendliche bis 21 Jahren vom Jugend-AMS betreut, eine in Österreich einzigartige Einrichtung.
Auch Sebastian ist einmal im Monat beim Jugend-AMS, am Gumpendorfer-Gürtel, bisher allerdings ohne Erfolg: „Das AMS konnte mir bisher nicht helfen. Bei einem Termin bekomme ich drei Seiten ausgedruckt und wir vereinbaren einen neuen Termin, das war’s dann.“ Darauf angesprochen, verweist die Geschäftsstellenleiterin des Jugend-AMS, Gerda Challupner, darauf, dass es ihre Aufgabe sei, Arbeitssuchenden Stellen zu vermitteln und etwaige Weiterbildungen zu finanzieren. Mit den Jugendlichen intensiver auf einer Beziehungsebene zu arbeiten, sei schon allein aufgrund der großen Zahl an KlientInnen nicht möglich.

Gerade diese beziehungsorientierte Arbeit mit den Jugendlichen scheint es aber zu brauchen: „Die Jugendlichen machen zum großen Teil sich selbst dafür verantwortlich, dass sie keine Jobs finden. In einer individualisierten Gesellschaft wird das Versagen natürlich auf einen selbst zurückgeworfen“, erklärt Fabian Reicher, Sozialarbeiter beim Verein Backbone. Und er betont, dass eine intensive Arbeit mit diesen Jugendlichen dazu führen kann, dass sie wieder eine Perspektive aufbauen und wieder Vertrauen in sich gewinnen können. Kommen Jugendliche in die Räume von Backbone, können sie ihre Zeit dort partizipativ gestalten, die SozialarbeiterInnen geben in der Regel nichts vor. Im vereinseignen Aufnahmestudio können die Jugendlichen ihre eigenen Tracks aufnehmen und vervielfältigen, viele von ihnen rappen. Ein Hintergedanke dabei: Die Jugendlichen können so stückweise ihr Selbstvertrauen wieder zurückerlangen. Jugendlich erhalten bei Backbone aber genauso Unterstützung beim Schreiben von Bewerbungen, bei AMS-Besuchen oder dem Vorbereiten auf Bewerbungsgespräche.

ORTSWECHSEL: Eine gute dreiviertel Stunde dauert die Fahrt mit den Öffis von Backbone zu Spacelab im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Das Projekt bietet Jugendlichen die Möglichkeit, entweder in einer Kreativ- oder in einer Medienwerkstatt, tageweise oder in einem sechsmonatigen Trainingsprogramm, mitzuarbeiten. Gedacht ist es für jene Jugendlichen, die aus der Bildungs- und Arbeitswelt komplett herausfallen. In den Werkstätten können Filme, Zeitungen, Taschen oder Siebdruckwerke produziert werden. Über diese kreative und produktive Arbeit kommen die Jugendlichen nicht nur wieder mit regelmäßigen Tagesstrukturen in Kontakt, im Idealfall entwickeln sie auch wieder eine Vorstellung davon, was ihre Bedürfnisse und Wünsche im Hinblick auf ihr Leben und einen etwaigen Beruf sind.

Projekte wie Backbone oder Spacelab bieten Jugendlichen Möglichkeiten, einen Zugang zur Arbeitswelt zu entwickeln. Das Fundament, auf dem desillusionierte Jugendliche bauen, liegt hingegen anderswo. Die Bildungswissenschafterin Agnieszka Czejkowska hat sich eingehend mit dem Thema beschäftigt. Einerseits verortet sie, wenig überraschend, einen Großteil des Problems im differenzierten Schulsystem in Österreich. Auf der anderen Seite stellen für sie die zunehmenden Erwartungen des Arbeitsmarktes ein entscheidendes Problem dar: „Wir haben zum Beispiel untersucht, wie Lehrstellen ausgeschrieben werden. Dabei stellte sich heraus, dass sich diese Angebote mehr an fertig ausgebildete Jugendliche richten als an Lehrstellensuchende. Die Vorstellung davon, was Lehrlinge eigentlich sind, dass sie sich eben noch in einem Bildungsprozess befinden, scheint abhandengekommen zu sein.“ Diese Erfahrung musste Sebastian auch machen, nicht zuletzt nach seinem raschen Rauswurf aus der überbetrieblichen Lehrwerkstatt. Zur Lehrabschlussprüfung wird er nun vielleicht aber doch antreten dürfen. Eine Woche nach dem Gespräch mit ihm, hatte er wieder einen Termin beim Jugend-AMS. Dabei hat sich schließlich herausgestellt, dass er ein Arbeitstrainingsprogramm in Anspruch nehmen kann. Das heißt: Das AMS übernimmt für drei Monate die Lohn- und Versicherungskosten für die Arbeitgeberin. Das hat die Arbeitssuche für Sebastian erheblich erleichtert. Eine Stelle, die ihn unter diesen Bedingungen aufnimmt, hat er bereits gefunden. Nach drei Monaten muss er allerdings erneut um Unterstützung ansuchen. Werden ihm insgesamt sechs Monate bewilligt, dann darf er auch zur Lehrabschlussprüfung antreten. Warum ihm diese Möglichkeit vom Arbeitsmarktservice nicht schon früher angeboten wurde, bleibt fraglich.

Unbescholtenheit schützt nicht vor Haft

  • 20.09.2012, 16:39

Fehlurteile oder strittige Terrorismusparagraphen können für Unschuldige Gefängnis bedeuten. Auch Menschen, die in Österreich Schutz vor Verfolgung suchen, sind davon immer wieder betroffen: Schubhaft.

"In Tschetschenien wurde ich zwei Jahre lang im Gefängnis gefoltert. Nachdem ich mit Hilfe meiner Familie freigekommen bin, habe ich das Land verlassen“, erzählt der 32Jährige Lukas Kerimov*. Anfang 2007 hat er Österreich erreicht, um Schutz vor Verfolgung zu suchen. Sein erster Asylantrag wurde negativ beschieden, kurz darauf wurde er in Haft genommen ohne ein Verbrechen begangen zu haben.
Österreichweit befanden sich 2010 laut Angaben des Innenministeriums rund 6000 Personen in Schubhaft. Diese Form der Haft wird etwa dann verhängt, wenn die Republik Schutz vor Verfolgung verweigert. Kritik an der Schubhaft-Praxis ist vielschichtig und kommt nicht nur von (ehemaligen) Inhaftierten sondern auch von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen. Judith Ruderstaller vom Verein Asyl in Not stellt fest: „Das ist keine Strafhaft, diese Menschen haben nichts angestellt. Deswegen sollte man sie auch nicht wie Strafgefangene behandeln“.

Rudstaller weiß einiges über die Zustände in diesen Gefängnissen zu berichten: „KlientInnen beschweren sich zum Beispiel regelmäßig über die Gesundheitsversorgung. Einer hatte in der Haft einen Bandscheibenvorfall mit sehr starken Schmerzen. Von Woche zu Woche ist es ihm schlechter ergangen. Er hat mir gesagt: Die Amtsärztin macht nichts. Sie hilft mir nicht.“ Auch der österreichische Menschenrechtsbeirat kritisiert Mängel bei der medizinischen Versorgung von Schubhäftlingen und beklagt insbesondere, dass es immer noch zu wenig qualifiziertes ärztliches und psychologisches Personal gäbe.

„Freiwillige“ Rückkehr. Als ihn die Polizei abholte um ihn in das Schubhaftgefängnis am Hernalser Gürtel in Wien zu bringen, verstand Kerimov zunächst gar nicht, warum das geschah. „Ich wollte einfach nur raus, nicht abgeschoben werden“. Ruderstaller stand mit ihm eine Zeit lang in engem Kontakt und vermittelte für ihn bei Verfahrensangelegenheiten. Sie beklagt besonders die Betreuungssituation der Menschen in Schubhaft: „Bei der Betreuung ist der Verein Menschenrechte das größte Problem. Sie schreiben eigentlich kaum Schubhaftbeschwerden, sondern machen ausschließlich Rückkehrberatung. Das entspricht nicht der EU-Richtline. Nach dieser müsste es eine Rechtsberatung in den Anstalten geben. Das hat dieser Verein in der Vergangenheit aber kaum oder mangelhaft gemacht“. Der Verein Menschenrechte Österreich wird, unter anderem, vom Innenministerium finanziert und betreut in dessen Auftrag österreichweit rund 92 Prozent der Schubhäftlinge. Seit 1. Dezember gibt es auch in Österreich eine verpflichtende Rechtsberatung für Schubhäftlinge. Auf die Frage, ob sie sich von der Praxis des Vereins Besserung erwartet, da es nun eine verpflichtende rechtliche Beratung gebe, bekräftigt Ruderstaller ihre Kritik: „Ich befürchte, sie werden wahrscheinlich die gleichen Leute wie vorher nehmen, die zumeist keine juristische Ausbildung haben.“

Kritik des UNHCR. Die mangelhafte Rechtsberatung in den Schubhaftanstalten hat in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass die Interessen von AsylwerberInnen keine angemessene Vertretung bekommen haben. Auch Kerimov war damit konfrontiert: Im Schubhaftgefängnis wollte er eigentlich eine Beschwerde gegen seinen negativen Asylbescheid und seine Inhaftierung einlegen. Anstatt von den zuständigen BetreuerInnen Unterstützung zu bekommen, wurde ihm die freiwillige Rückkehr nach Tschetschenien nahegelegt. „Sie wollten, dass ich etwas unterschreibe. Ich habe nicht gewusst, was ich unterschreiben sollte. Sie sagten, ich muss unterschreiben. Später habe ich dann erfahren, dass sie wollten, dass ich freiwillig zurückkehre.“ Die Praxis der Rückkehr- und Rechtsberatung des Vereins Menschenrechte Österreich wird auch von der UNHCR (Hohes Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen) kritisiert: Für einen Bericht aus dem Jahr 2008 wurden österreichweit Einzelgespräche mit SchubhaftInsassInnen geführt. Es stellte sich heraus, dass sämtliche Befragten, die vom Verein betreut wurden, nicht wussten, warum sie in Schubhaft genommen worden waren.

Hungerstreik. Nicht nur Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen protestieren gegen Schubhaft und die Bedingungen in den Anstalten, vor allem die SchubhaftinsassInnen selbst greifen immer wieder zu drastischen Mitteln, um gegen ihre Inhaftierung zu kämpfen. Hungerstreiks sind keine Seltenheit. Manche Schubhaftgefängnisse haben eigene Räumlichkeiten für Hungerstreikende eingerichtet, die Anstalt am Hernsalser Gürtel sogar ein eigenes Stockwerk. Auch Kerimov ist kurz nach seiner Inhaftierung in Hungerstreik getreten. Er wurde aufgrund des bedrohlichen Verlusts an Körpergewicht für haftunfähig erklärt. Kurze Zeit nach seiner Entlassung hat er mit Hilfe von Judith Ruderstaller und dem Verein Asyl in Not Beschwerde gegen seinen negativen Asylbescheid eingelegt.
Als Alternativen zur Schubhaft haben die Behörden seit 2005 eine weitere Befugnis bekommen: das „Gelindere Mittel“. Dieses kann im Ermessen der Behörden anstatt einer Schubhaft verhängt werden und übergibt AsylwerberInnen, etwa wenn sie einen negativen Asylbescheid bekommen haben, in betreute Einrichtungen, in denen sie sich frei bewegen können. Sie können diese auch verlassen, müssen sich aber regelmäßig bei der Polizei oder einer Betreuungsperson melden. Laut Innenministerium wurde das Gelindere Mittel 2010 bereits in ca. 1400 Fällen angewandt. Den Menschen in diesen Einrichtungen droht aber nach wie vor die Abschiebung. Das „Gelindere Mittel“ ist kein Ersatz für ein faires Asylverfahren, das der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen würde.

Der Beschwerde von Lukas Kerimov wurde schließlich Recht gegeben. Seit 2009 hat er eine gültige Aufenthaltsbewilligung. In ungefähr sechs Jahren möchte er die österreichische StaatsbürgerInnenschaft beantragen.

Der Autor studiert Internationale Entwicklung.

* Die Angaben zur Person wurden auf Wunsch von der
Redaktion geändert.

Der Protest lebt

  • 13.07.2012, 18:18

Das Armutsbudget der Regierung bedroht die Existenz vieler Studierender. Der Protest dagegen ist kämpferisch.

Das Armutsbudget der Regierung bedroht die Existenz vieler Studierender. Der Protest dagegen ist kämpferisch.

Damit haben sie nicht gerechnet. Noch am Tag zuvor verkündeten sie in entspannter Übereinkunft ihre Einigung über das neue Budget. Tags darauf sollte der Bevölkerung der Weg in die budgetäre Zukunft gewiesen werden. Dann kam es doch anders. Am 24. Oktober hatten Vertreter von SPÖ und ÖVP eigentlich vor, den Entwurf zum kommenden Armutspaket im Haas-Haus vor laufenden ORF-Kameras zu zelebrieren. Nicht gerechnet haben sie allerdings mit den rund 2000 Studierenden, die bei strömenden Regen ein paar Stockwerke tiefer, auf dem Stephansplatz, ihrem Zorn Ausdruck verliehen. Sichtlich um Beherrschung bemüht versuchten die Frontmänner der Regierung ihre Pläne als Erfolg für Österreich zu vermarkten. Wer die Diskussion live mitverfolgte, merkte schnell, wie der lärmende Protest von der Straße die DiskutantInnen ins Wanken brachte. Zeitweise schienen ihre Argumente im Groll der Studierenden unterzugehen. Oben sozialpartnerInnenschaftlicher Konsens in österreichischer Tradition. Unten auf der Straße die Betroffenen, die nnicht gefragt wurden. Ein Sinnbild für die Politkultur in Österreich.

Armutszeugnis. Das Armutsbudget, gegen das nicht einmal 24 Stunden nach der Verkündung in Loipersdorf bereits heftig angekämpft wurde, schlägt tiefe Kerben in das Leben vieler Studierender. Noch im vergangen Jahr waren zentrale Forderungen der Audimax-Besetzung eine bessere finanzielle Absicherung der Studierenden sowie eine angemessene finanzielle Ausstattung der Hochschulen. Jetzt muss gegen herbe Einschnitte gekämpft werden. Die Bezugsdauer der Familienbeihilfe wird ab dem ersten Juli 2011 von 26 auf 24 Jahre herabgesetzt. 27.000 Studierende verlieren damit 2.700 Euro jährlich. Anders gesagt: Ab nächstem Jahr werden 27.000 neue Studijobs gebraucht. Viele, die auch jetzt schon gerade mal über die Runden kamen, werden sich nun ernsthaft mit der Frage eines Studienabbruchs beschäftigen müssen. Die Hochschulen und damit jene, die in ihnen forschen, lehren und lernen, werden missachtet. Schlimmer noch: als politischer Pokereinsatz missbraucht. Dies ist nun einmal mehr deutlich geworden. Der heftige Protest, nicht nur von Studierenden, bewegte die Regierung nun aber zumindest zu einer Medieninszenierung. Zur Beschwichtigung des Protests wurden am 27. November so genannte Nachbesserungen verkündet. Wesentliches wurde aber nicht geändert. Im Gegenteil, über weite Strecken verbergen sich hinter dieser Ankündigung eklatante Mogelpackungen. Eine dieser „Nachbesserungen“ sieht etwa vor, dass Studierende mit Kindern oder jene, die Präsenzdienst geleistet haben, auf Grund des verspäteten Studieneintritts die Familienbeihilfe ein Jahr länger beziehen können sollen. Nichts Neues, bereits zuvor war dies gesetzlich gesichert. An den drastischen Einschnitten hat sich jedenfalls gar nichts geändert. So auch bei der Förderung der studentischen Selbstversicherung. Wer bisher nicht die Möglichkeit hatte, sich bei den Eltern mitzuversichern, der/die konnte für gut 300 Euro im Jahr eine, vom Staat geförderte, Krankenversicherung abschließen. Diese Förderung soll nun ersatzlos gestrichen werden. Künftige Kosten für die Betroffenen: 600 Euro jährlich. In den Radius des finanziellen Kahlschlags gelangen auch die Studierendenheime. Für viele Studierende stellten diese bisher eine leistbare Alternative dar. In Zukunft werden Neuerrichtungen aber nicht mehr vom Wissenschaftsministerium gefördert. Dieses übernahm bisher rund ein Drittel der Gesamtkosten. Dass die Mietpreise in den Studiheimen folglich steigen werden, wird erwartet. Schließlich hat die Regierung auch Pläne für all jene, die vorhaben ein Studium ab dem Wintersemester 2011 zu beginnen: Zusätzliche Zugangsbeschränkungen. Wie diese konkret aussehen werden, ist bisher noch nicht geklärt.

Manöver. Die Strategie der Regierung ist nicht ganz ungeschickt. Auf der einen Seite schmücken sich die Verantwortlichen der Koalition mit schönklingenden wie holen Phrasen über die profunde Bedeutung von Bildung. Anderseits wird an den Zusammenhalt appelliert, wenn gespart werden soll. Zusammenhalt ist hier selbstverständlich ein trügerisches Wort. Es wird nicht etwa bei jenen Vermögenden gespart, die auch bisher kaum einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten, oder höhere Beiträge von diesen verlangt. Nein. Zur „Verantwortung“ gezogen werden jene, deren soziale und ökonomische Position ohnehin am prekärsten ist. Widerstand wird es von Seiten der Studierenden und der Zivilgesellschaft gegen diese Ungerechtigkeiten auch weiterhin geben. Am 27. November haben wieder mehrere Tausend Menschen gegen das Armutspaket demonstriert. Aufgerufen hatte eine Allianz von 113 Organisationen (www.zukunftsbudget.at). Die ÖH-Bundesvertretung plant, vor den Verfassungsgerichtshof zu ziehen, sollte das Budget in seiner jetzigen For m beschlossen werden. Einstweilen geht der Protest der Studierenden weiter, er ist lebendig und kämpferisch.
 

Drug Me Smart!

  • 13.07.2012, 18:18

Nur noch ein paar Stunden konzentriert arbeiten. Dafür eine Tasse grüner Tee oder doch lieber eine Ritalin Tablette? Länger munter bleiben, um das Referat noch fertig zu bekommen. Eine Modafinil? Nach Alltagsstress und reichlich Kaffee wieder runterkommen. Ein paar Bier, ein Ofen. Out of script oder zurück zum Skript? Können wir die Anforderungen unseres Studien- und Arbeitsalltags noch ohne Hilfssubstanzen bewältigen?

Nur noch ein paar Stunden konzentriert arbeiten. Dafür eine Tasse grüner Tee oder doch lieber eine Ritalin Tablette? Länger munter bleiben, um das Referat noch fertig zu bekommen. Eine Modafinil? Nach Alltagsstress und reichlich Kaffee wieder runterkommen. Ein paar Bier, ein Ofen. Out of script oder zurück zum Skript? Können wir die Anforderungen unseres Studien- und Arbeitsalltags noch ohne Hilfssubstanzen bewältigen?

Praktikum in Japan. Vor einem Monat begann er Japanisch zu lernen. Jetzt spricht er die Sprache fließend. Lea hat gerade ihren Master in Neurophysik abgeschlossen. Vor sechs Monaten erst hat sie ihr Studium begonnen. Klingt ungewohnt? Forschung und Pharmaindustrie könnten uns eine solch immens gesteigerte Lernfähigkeit bald ermöglichen. Sophie wiederum steht kurz vor einer wichtigen Prüfung. Ein paar Concerta Tabletten könnten helfen, den Stoff zu bewältigen, denkt sie sich. Auch Jan hat in Kürze eine Abschlussprüfung und bearbeitet seine Nervosität mit klassischen Entschleunigern wie Cannabis oder Alkohol.
Substanzen zur Verbesserung von Konzentration, Gedächtnis oder für eine bessere Laune sind vielfältig und werden ebenso zahlreich eingesetzt. Dabei entzünden sich gesellschaftliche Debatten über diese Substanzen oft nicht nur an unserer Fähigkeit, mit diesen umsichtig umzugehen, sondern auch an den Voraussetzungen, die uns zum Einsatz solcher Mittel bringen. Oder anders gesagt: Unsere Leistungsgesellschaft verlangt weit mehr als eine 40-Stunden-Woche, um am Ball zu bleiben. Um da noch den Ausgleich zwischen Privat, Beruf und Studium finden zu können, wird der Griff zur Tablette immer beliebter.

Am Anfang kam Ritalin. In den 1950ern kam dieses Medikament zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADHS) auf den Markt. Der darin enthaltene Wirkstoff Methylphenidat steigert die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsspanne. Heute werden Ritalin und ähnliche Medikamente wie Concerta oder Adderall  (ein Amphetamin) längst nicht mehr nur von Personen mit ADHS eingenommen – die Diagnose ADHS wird übrigens nicht von allen ExpertInnen anerkannt. Besonders bei Menschen, die sich unter hohem Leistungsdruck befinden, werden diese Präparate immer beliebter. In Österreich ist es zwar verschreibungspflichtig, es stellt aber kein Problem dar, sich das Präparat von ausländischen Apotheken liefern zu lassen. Online-Foren, die über Bestellmöglichkeiten informieren, gibt es zahlreiche.
Schätzungen aus dem Jahr 2007 ergaben, dass ungefähr 1,6 Millionen U.S. BürgerInnen eines dieser, auch als Smart Drugs bekannten, Medikamente regelmäßig gebrauchen. Eine 2009 publizierte Studie der deutschen Krankenkasse DAK hat ergeben, dass unter 3.000 befragten Angestellten rund ein Fünftel zu Stimulanzien (z.B. Adderall), Antidementiva (steigern die Gedächnisleistung, z.B. Arivept), oder Antidepressiva (z.B. Aponal) greifen, ohne eine Erkrankung zu haben. Darunter wurden am häufigsten Präparate, die Methylphenidat enthalten, konsumiert. Für Österreich sind vergleichbare Studien nicht verfügbar. Der nationale Drogenbericht erwähnt diese Substanzen und Präparate nicht einmal.

Risiken und (Neben-)Wirkungen? Viele der Langzeitwirkungen von etwa Ritalin sind immer noch nicht ausreichend erforscht. Als gesichert gilt, dass Langzeitfolgen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems beinhalten können. Die U.S. Gesundheitsbehörde FDA hat infolge 2006 verordnet, dass Medikamente, welche Methylphenidat enthalten, das sogenannte BlackBox-Label tragen müssen. Die gewichtigste Kennzeichnung, die dieser Behörde zur Verfügung steht.
Umstritten ist unter ExpertInnen auch,  wie sich die Substanz bei gesunden Menschen auswirkt. Zumindest eine quantitative Steigerung der Lernfähigkeit scheint möglich. Ob der Einsatz für Prüfungssituationen zum gewünschten Ergebnis führt, bleibt dennoch zweifelhaft. Eine Befragung an einer U.S. Universität unter den Studierenden ergab, dass jene 13 Prozent, die angaben, Ritalin für eine Prüfung genommen zu haben, im Durchschnitt schlechter abgeschnitten haben als die Vergleichsgruppe, die keines nahm.  Der Grund für ein solches Ergebnis könnte laut einem Artikel der Wissenschaftszeitschrift Spektrum aber daran liegen, dass die Einnahme von Ritalin eben auch das Selbstwertgefühl und die Impulsivität steigert. In einer Prüfungssituation kann dies dann in vorschnellen Antworten resultieren. Einigkeit scheint in der wissenschaftlichen Gemeinschaft darüber zu bestehen, dass derzeitige Präparate keine qualitative Steigerung unseres Lernens bringen. Das Erlernen von Musikinstrumenten, Sprachen oder der menschlichen Anatomie muss also auch mit diesen Hilfssubstanzen über ständiges Üben und Wiederholen geschehen.

Die neuen Menschen. Rund 600 neue Smart Drugs stehen weltweit vor der Zulassung und werden in absehbarer Zukunft auf den Markt kommen. Was dieser Trend für unsere Gesellschaft bedeutet und ob und wie wir darauf reagieren sollen, wird nicht nur in den USA, sondern seit kurzem auch wieder in Europa diskutiert. Anstoß der jüngsten Debatte war ein Memorandum („Das optimierte Gehirn“) einer Gruppe von WissenschafterInnen, welches eine Lanze für die Freiheit, das eigene Gehirn nach Belieben modellieren zu können, bricht. Die Implikationen dieser Forderung schlugen hohe Wellen. Nicht nur in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft, auch die deutsche Bundesregierung befasst sich nun mit diesem Thema. Die KritikerInnen führen zu Recht an, dass freier Zugang zu diesen Präparaten ohne Verschreibungspflicht eine neue Qualität in unsere Leistungsgesellschaft einführen würde. Die BefürworterInnen sehen dahinter wiederum Panikmache und versuchen, die Debatte auf eine Ebene mit Schönheitschirurgie und Anti-aging-Pillen zu bringen.
Dass sich mit der Ausbreitung dieser Präparate aber dringende Fragen nach der demokratischen Legitimation oder über die Auswirkungen auf soziale Scheren stellen, kann nur schwer weggeredet werden. Wird es die eingangs erwähnten Lea und Stefan also in absehbarer Zukunft geben? Die Meinungen hierzu gehen auch abseits der neuro-ethischen Debatte weit auseinander. Wichtiger als diese Frage scheint aber, dass unsere Leistungsgesellschaft die Voraussetzung für diese Entwicklung ist. Diese gilt es also eigentlich zu diskutieren.

Über den Tod hinaus

  • 13.07.2012, 18:18

Die Medien bedachten Johanna Dohnal nach ihrem Tod im Februar sowohl mit güldenen Worten als auch mit harscher Kritik. Das spiegelt ihr Leben wider. Dohnal war stets eine Kämpferin.

Die Medien bedachten Johanna Dohnal nach ihrem Tod im Februar sowohl mit güldenen Worten als auch mit harscher Kritik. Das spiegelt ihr Leben wider. Dohnal war stets eine Kämpferin.

Selten hat der Tod einer Politikerin in Österreich so viel Öffentlichkeit erregt. Kurz nachdem bekannt wurde, dass Johanna Dohnal nicht mehr lebt, überschlugen sich Würdigungen, Mitleidsbekundungen und Anteilnahmen. Das Spektrum reichte von tiefer Trauer bis hin zu gekränkter Abrechnung. Andreas Unterberger (ehemaliger Chefredakteur der Tageszeitung Die Presse und der Wiener Zeitung) schrieb in einem Blogeintrag, Dohnal hätte den „größtmöglichen Schaden in der zweiten Republik angerichtet“. Eine Frau, die über den Tod hinaus die Gemüter von FreundInnen und FeindInnen so heftig bewegt, muss in ihrem Leben etwas richtig gemacht haben.

Einzementierung der Ungerechtigkeit. Die österreichischen 1950er und 60er Jahre noch einmal vor Augen gehalten, ergibt sich ein Bild, das heute fern jeder Realität scheint. Die öffentliche Sphäre war Männern vorbehalten, Frauen wurden ins Private gezwungen. Jede und jeder wusste, wo ihr beziehungsweise sein Platz zu sein hatte. Während weite Teile der Öffentlichkeit von Politik, den Medien, den Universitäten, den Schulen oder der Gesundheitsversorgung Männern vorbehalten waren, hatte der Platz vieler Frauen im Privaten bei der Kinderversorgung, Altenpflege und Hausarbeit zu sein. Der gesetzliche Rahmen zementierte die gängigen Vorstellungen über eine Arbeitsteilung der Geschlechter auch ausdrücklich ein. So galt etwa „der Mann“ per Gesetz als Hauptmann der Familie. Es stand ihm etwa zu, den Wohnort der Familie zu bestimmen oder der Ehegattin die Ausübung eines Berufs zu verbieten. Ohne Erlaubnis des Ehemanns hatten Frauen nicht die Möglichkeit, für das eigene Kind einen Passantrag oder eine Schuleinschreibung zu unterzeichnen. Im Falle einer Scheidung fiel das gemeinsame Vermögen automatisch dem Ehegatten zu, da angenommen wurde, das familiäre Vermögen sei von diesem erwirtschaftet worden. Für den Fall einer Auflösung der familiären Einheit fiel die Obsorge, sofern sie nicht an den Vater ging, zuerst der öffentlichen Amtsvormundschaft und erst dann der Mutter zu.
Vor dem Hintergrund dieser Zeit begann Johanna Dohnal, geboren 1939 in Wien, ihre politische Laufbahn. Der Kampf um die Fristenlösung (die Möglichkeit eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs bis zur vierten Schwangerschaftswoche) verstärkte die Überzeugung von Dohnal, dass die österreichische Gesellschaft in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit eine Durchlüftung braucht. Es galt nicht nur die zahlreichen rechtlichen Diskriminierungen von Frauen zu beseitigen, sondern auch die Fülle der Ungleichbehandlungen aufzuzeigen und diese aufzubrechen. Dabei war Dohnal davon überzeugt, dass dieser Kampf sowohl innerhalb und außerhalb von politischen Organisationen und Institutionen wie auch über die Grenzen politischer Parteilichkeit hinweg geführt werden muss. Dies galt nicht nur, aber vor allem auch, angesichts der immensen Kräfte, die einer geschlechtergerechten Gesellschaft entgegenstanden.

Aufbruch im Morgenrot. Die allgemeine Aufbruchsstimmung der 1970er Jahre in Österreich begünstigte den Kampf von Dohnal und ihrer MitstreiterInnen. Dohnal wurde 1979 als erste Staatsekretärin für „allgemeine Frauenfragen“ angelobt. Ausgehend von dieser Institution wurden nun sämtliche Gesetzesmaterien auf Geschlechterfragen hin überprüft, notwendige Veränderungen angestoßen, nationale Frauenberichte erstellt sowie Aktionen zur kritischen Meinungsbildung in der Öffentlichkeit organisiert. „Werkelfrau und Schlossermädl“, „Gleiche Lehrpläne für Buben und Mädchen“ oder die Aktion „Medienbeobachtungen“ waren einige der bekannteren von ihnen. Mitte der siebziger bis Anfang der neunziger Jahre wurden die meisten gesetzlichen Ungleichstellung von Frauen beseitigt, das Koedukationsprinzip (geschlechterübergreifender Unterricht) fand Einzug in österreichische Schulen, außerdem wurden Frauenhäuser zum Schutz vor häuslicher Gewalt gegründet. Nachdem Dohnal 1990 schließlich als erste Frauenministerin angelobt wurde, schied sie 1995 nach einer Regierungsumbildung aus der aktiven Politik aus.

Strand finden unter dem Pflaster. Auch nach dem Tod von Johanna Dohnal ist der Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter nicht zu Ende. Die Verteilung der Arbeit ist nach wie vor stark geschlechtlich gefärbt. Die Entlohnung für gleiche Arbeit, wie branchen- und geschlechterspezifische Lohnquoten deutlich zeigen, geht weit auseinander. Politische und universitäre Entscheidungsgremien sind in der Regel einseitig besetzt. Gerade in Bereichen der Mitgestaltung und Machtverteilung wundern Standpunkte wie solche von Andreas Unterberger nur auf den ersten Blick. Denn wie die ehemalige Frauenministerin einmal pointiert feststellte, bedeuten mehr Frauen in der Politik dort eben auch weniger Männer. Umgekehrt bedeutet dies aber vor allem auch, dass das Vordringen von Männern in traditionelle Arbeitsfelder von Frauen absolut notwendig ist. Auch um daran zu erinnern, dass die Aufhebung von geschlechterbezogenen Diskriminierungen eben alles andere als ein Gegeneinander-Ausspielen sei, sagte Johanna Dohnal einmal 2004: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‘weibliche Zukunft’. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.”

Klagen auf Unterhalt

  • 13.07.2012, 18:18

Marode Unis, auseinanderfallende Hörsäle, kein Anspruch auf Studienbeihilfe, zu viele Jobs gleichzeitig? Das sind Probleme, mit denen sich die meisten Studierenden auseinandersetzen müssen. Was aber, wenn zusätzlich noch ein Elternteil keinen Unterhalt mehr bezahlt?

Marode Unis, auseinanderfallende Hörsäle, kein Anspruch auf Studienbeihilfe, zu viele Jobs gleichzeitig? Das sind Probleme, mit denen sich die meisten Studierenden auseinandersetzen müssen. Was aber, wenn zusätzlich noch ein Elternteil keinen Unterhalt mehr bezahlt?

Den eigenen Vater auf Unterhalt klagen? Für den 24-jährigen Florian Bergmaier, Student an der FH Wien, ein notwendiges Übel. Seit zwei Jahren versucht er seine Ansprüche auf Unterhalt vor Gericht durchzusetzen. Was aber, wenn es umgekehrt läuft und der eigene Vater die Einstellung der Unterhaltszahlungen beantragt? Angela Libal, Studentin an der Universität Wien, hat genau hiermit zu kämpfen. In Österreich sind das keine Einzelfälle und trotzdem sind sie exemplarisch dafür, was im österreichischen Unterhalts- und Beihilfensystem falsch läuft. Doch was genau läuft hier schief? Um sicher gehen zu können, dass auch das nächste Semester eine Lebensgrundlage findet, sind Fragen über das finanzielle Auslangen eine Voraussetzung für ein Studium. Was aber, wenn das volle Geldbörsl nicht einfach nur erarbeitet, sondern auch vor Gericht erstritten werden muss? Eines steht jedenfalls fest: Wer in Österreich keinen Unterhalt von den eigenen Eltern bekommt, hat es nicht besonders einfach.
Das österreichische Unterhalts- und Beihilfensystem geht davon aus, dass Eltern ihre Kinder, wenn diese sich für ein Studium entscheiden, auch materiell und finanziell unterstützen. So wird bei einem Antrag auf Studienbeihilfe etwa das Einkommen der Eltern herangezogen, um einen Anspruch festzustellen. Verdient ein Elternteil zu viel, so wird keine Beihilfe gewährt. Ob das bedeutet, dass beide Elternteile den Unterhalt auch wirklich leisten, ist damit noch nicht gesagt. Anderseits werden bei der Berechnung der Studienbeihilfe auch die Schulden oder andere finanzielle Verpflichtungen der Eltern nicht betrachtet. Auf eine Leistung haben aber alle Studierende bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres Anspruch: Die Familienbeihilfe. Die Beihilfen für Studierende sind in Österreich auf dem einen oder anderen Weg mit dem Elternhaus verknüpft. Was, wenn es hier zu Problemen mit den eigenen Eltern kommt? Was, wenn ein Elternteil seiner oder ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommt?

Florian ist genau das passiert. Er studiert an der FH Wien Bauingenieurswesen. 2008 begann er sein Bachelor-Studium, das er auch in Mindeststudienzeit absolviert hat, mittlerweile belegt er den Master- Studiengang. Ein Vollzeitstudium. Studienbeihilfe erhält Florian nicht wegen dem angeblich zu hohen Einkommen der Eltern. Für diesen Fall nimmt das Studienförderungsgesetz an, dass beide Eltern ihn ausreichend unterstützen werden, damit er sein Studium zielstrebig bestreiten kann. Die Realität sieht anders aus. Zwar wird der Student nach allen Kräften sowohl von der Mutter als auch von anderen Verwandten unterstützt, der Vater hingegen hat sich hier ausgeklinkt. Die Argumentation dahinter: Der Sohn hätte mit einem HTL-Abschluss eine ausreichende Ausbildung und müsse demnach für seinen Unterhalt selbst sorgen. Bei einem Vollzeit-Studium, noch dazu an einer FH, dürfte es wenig überraschen, dass ein zusätzlicher Nebenjob nur schwer bis nicht machbar ist. Damit er den Unterhalt von seinem Vater doch noch bekommt, hat sich Florian entschieden, vor Gericht sein Recht einzuklagen. In erster Instanz hat er vom Bezirksgericht auch Recht bekommen, der Vater hat dagegen aber Berufung eingelegt. Das Verfahren zieht sich nun schon seit zwei Jahren. „Das Recht bewegt sich in diesem Bereich in einer Mühle wo der Studierende in der Mitte durchfällt. Die einen (Stipendienstelle, Anm.) sagen, die Eltern verdienen zu gut, wir müssen uns an bestimmte Richtwerte halten. Die Eltern, wenn sie sich ausklinken wollen, sagen: ‚Na geh halt arbeiten’“, fasst Florian den gerichtlichen Streit mit seinem Vater im Kontext der staatlichen Studienförderung zusammen.

Familienidyll? Für Fälle, bei denen ein Elternteil seiner oder ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommt, gibt es zumindest für Minderjährige eine Zwischenlösung. Das Unterhaltsvorschussgesetz sieht hier eine Möglichkeit vor, in welcher der Staat den Unterhalt des Elternteils vorschießt und sich diesen zugleich von der unterhaltspflichtigen Person zurückholt, ganz ohne langwierige Gerichtsverfahren. Studierende haben diese Möglichkeit jedoch nicht.
Probleme mit dem Unterhalt eines Elternteils können aber auch unter umgekehrten Vorzeichen auftreten. „Das mit den Alimenten ist so eine unendliche Geschichte“, sagt Angela Libal (24). Sie weiß, wovon sie spricht. Die Kunstgeschichte-Studentin hat ebenfalls keinen Anspruch auf Studienbeihilfe, wieder mit der Begründung, die Eltern würden zu viel verdienen. Auch hier will der Vater das Studium der Tochter nicht unterstützten und hat die Aussetzung der Unterhaltspflicht beantragt, mit der Begründung, die Tochter würde ihr Studium nicht zielstrebig bestreiten. Der Antrag des Vaters läuft noch. Zwar bezahlt er den Unterhalt einstweilen noch, wie lange das so bleiben wird, ist jedoch fraglich. Angela ist neben ihrem Studium in der Studierendenvertretung aktiv. Um sich ihren Lebensunterhalt halbwegs leisten und ihr Studium finanzieren zu können, arbeitet sie nebenbei in der Gastronomie. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie ein Semester lang ihr Studium aussetzen und ist trotzdem gerade dabei, den ersten Abschnitt abzuschließen. „Das sind klassische Gummiparagraphen. Ein Studium zielstrebig zu betreiben, was genau bedeutet das? Schlussendlich bleibt die Interpretation von Zielstrebigkeit jenen überlassen, die über meinen Unterhaltsanspruch entscheiden“, sagt Angela. Sollte ihr Vater tatsächlich Recht bekommen, ist anzunehmen, dass sich ihr Studien- und Arbeitsalltag drastisch verändern wird.
Der gesetzliche Rahmen, der Fälle wie jene von Angela oder Florian möglich macht, scheint von einem idyllischen Familienbild geprägt zu sein. Ein zynisches ist es zugleich. Frei nach dem Prinzip „Mitgehangen mitgefangen“ werden die Voraussetzungen der Bildungsentscheidungen von jungen Menschen an die Bande der Familie gebunden.
Zwei Mühlen rädern hier gleichzeitig und gegeneinander. Einerseits sollen Studierende ihr Studium möglichst schnell mit einem möglichst guten Erfolg abschließen. Anderseits sind sie dabei auf die Unterstützung der Eltern angewiesen. Fällt diese weg, sind Nebenjobs unvermeidlich. Wer jedoch mehr arbeiten muss, kommt wahrscheinlich auch langsamer im Studium voran. Wer Prüfungsnachweise nicht rechtzeitig erbringen kann, dem droht ein Verlust von Beihilfen, was wiederum mehr Arbeit bedeutet. Vom Mühsal, sich dabei vielleicht auch noch mit einem Gerichtsverfahren beschäftigen zu müssen, ganz zu schweigen.

Was tun? An eine grundlegende Reform des Beihilfensystems in Österreich wird selten gedacht. Einen, wenn auch recht kleinen, Schritt will nun aber zumindest die Partei der Grünen gehen. Um bei Problemen mit Eltern, die der Unterhaltspflicht nicht nachkommen, entgegenzuwirken, ist ein Entschließungsantrag zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes geplant. Dieser soll womöglich in einen der nächsten Justizausschüsse des Parlaments eingebracht werden und die Regierung mit der Vorlage einer Änderung zum entsprechenden Gesetz beauftragen. Eine Änderungen, die es etwa ermöglichen könnte, dass der staatliche Unterhaltsvorschuss künftig auf Studierende ausgedehnt wird. Das könnte lange Verfahren vor Gericht für Studierende künftig abkürzen. Was aus diesem Vorstoß wird, bleibt abzuwarten.
Die Frage bleibt jedoch, wie das Problem im Kern gelöst werden kann. Zumindest am Rande wird immer wieder über eine Vereinheitlichung des Beihilfensystems, sowie dessen Entkopplung vom Elternhaushalt diskutiert. Eine Vorlage auf Grund derer diskutiert werden könnte, gäbe es ja bereits – die Grundsicherung.

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