@fernseherkaputt

Fallstudien zur Qualitätsfrage

  • 23.02.2017, 19:50
Ein Gespenst namens „Quality TV“ geht um in Fernsehwissenschaft und Feuilleton.

Ein Gespenst namens „Quality TV“ geht um in Fernsehwissenschaft und Feuilleton. Freudig aufgegriffen wurde dieser Begriff einst von TV-MarketingstrategInnen, um ihre seriellen Waren einem bildungsbürgerlichen Publikum schmackhaft zu machen. Der Plan ging auf und so stehen in den Bücherschränken der herrschenden Klasse neben repräsentativen Werken der Literatur nun immer öfter auch DVD-Boxen, die sämtliche Folgen von „The Wire“, „Mad Men“ oder „The Sopranos“ umfassen. Nach Theater und Kino, die beide lange Zeit als Medien des Pöbels galten, wurde nun auch das Fernsehen in den bürgerlichen Kulturkanon aufgenommen. Das gelang durch die formale Abgrenzung vom Trash- TV: Längere Erzählbögen, komplexere Handlung und ungewöhnliche Formen der Narration lassen unlogische Abläufe und reaktionäre Inhalte weniger schnell ins Auge springen.

Die Herausgeber von „Das andere Fernsehen?!“ lehnen den Begriff „Quality TV“ nicht ab, sondern stellen einmal mehr die Frage, was darunter zu fassen sei. Betrachtet man das Register behandelter Serien, finden sich neben den üblichen Verdächtigen wie „Six Feet Under“, „Breaking Bad“ und „Orange Is the New Black“ auch durchaus Überraschungen: Insbesondere britische Serien wie „Sherlock“ oder „Parade's End“ werden ausführlich behandelt. Nicht zuletzt der britischen Sitcom können einige AutorInnen viel abgewinnen. Aber eben primär den formal avancierten wie „The Office“, „The Thick of It“ oder „Extras“. Zwar scheint – gerade in der Auseinandersetzung mit Sitcoms – immer wieder durch, dass der Qualitätsbegriff eigentlich vollkommen unbrauchbar für einen Auseinandersetzung mit Fernsehen ist. Aber die Konsequenz daraus wird nicht gezogen, nämlich den Begriff „Quality TV“ als Affirmation jenes Sektors der Kulturindustrie, der bei Oberschichtsangehörigen gut ankommt, zu benennen und diesen als Analysekriterium für Fernsehen endlich zu verwerfen.

Dennoch bietet der Sammelband eine durchaus gelungene Darstellung dessen, was ist. Ideologiekritische Perspektiven und eine gesellschaftstheoretisch fundierte Analyse von Formsprachen kommen allerdings – wie so oft in der medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung – zu kurz. Für die LeserInnen sind zumindest ein paar Serienempfehlungen dabei und für die AutorInnen beginnt mit einer überteuerten Publikation in einem renommierten Verlag vielleicht eine wissenschaftliche Karriere.

Text: @fernseherkaputt
fernseherkaputt.blogspot.com

Jonas Nesselhauf/Markus Schleich [Hg.]: Das andere Fernsehen?! Eine Bestandsaufnahme des „Quality Television“, Bielefeld: transcript 2016, 298 Seiten, 39,99 Euro