Ferdinand Ferroli

Inseln der Seligen

  • 17.12.2013, 15:50

Pakistan zählt zu den gefährlichsten Ländern der Welt. An seinen Hochschulen leben Studierende jedoch ein Leben jenseits des Klischees vom Land des Terrors. Sind Pakistans Universitäten Inseln der Seligen?

Pakistan zählt zu den gefährlichsten Ländern der Welt. An seinen Hochschulen leben Studierende jedoch ein Leben jenseits des Klischees vom Land des Terrors. Sind Pakistans Universitäten Inseln der Seligen?

„Leg dich auf den Boden und bleib liegen bis ich sage, dass du wieder aufstehen darfst!“, befiehlt die 20-jährige Ammasa dem zwei Jahre jüngeren Taha. Widerwillig legt der Architekturstudent sein Lineal und seine Mappe auf den heißen, staubigen Beton, bevor er seufzend dem Befehl Folge leistet. „Erstsemestrige müssen hier alles machen, was ihnen von den höheren Semestern befohlen wird. Das ist so etwas wie Tradition“, erklärt die junge Kunststudentin am National College of Arts in der pakistanischen Großstadt Lahore. Es ist ihr anzusehen, dass sie diese Machtposition genießt, kommt es doch im patriarchal geprägten Pakistan selten vor, dass eine Frau über das Schaffen der Männer bestimmt. Ammasa grinst zufrieden, macht eine Kehrtwende und lässt Taha im Schmutz liegen. Als sie außer Sichtweite ist, springt er auf, klopft sich den Hosenboden seiner dreckigen Jeans wieder sauber und quert den Arkadenhof mit schnellen Schritten, um weiteren Schikanen zu entkommen.

Insgesamt zwölf Studenten sind in einem Raum untergebracht. Geschlafen wird am Boden. Foto: Dwin Mardigian

An pakistanischen Universitäten lässt sich eine andere Seite dieses Landes beobachten, das sonst allzu oft mit Terrorismus, radikalem Islamismus und Gewalt gegen Frauen assoziiert wird: eine liberale, offene Gesellschaft, die westlicher Einflüsse zum Trotz versucht, ihren Wurzeln treu zu bleiben. Die Liebe zum eigenen Land ist bei den Jungen stark. Wer wohlhabend ist, studiert dennoch oft im Ausland, vornehmlich in Großbritannien, Australien oder den USA. Und viele kehren nach dem Studium nicht in ihre Heimat zurück, weshalb der sogenannte Brain-Drain ein großes Problem für die islamische Republik darstellt. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,50 Euro pro Tag auskommen. Junge Pakistani, die im Ausland studieren und arbeiten, schicken zwar oft Geld nach Hause, fehlen dort aber als Fachkräfte. Vom Ausbau des akademischen Bildungssystems erhofft sich der pakistanische Staat neuen Auftrieb. Die Weltbank unterstützt das Land dabei seit 2011 mit Krediten, bis 2015 soll so der Anteil der 17- bis 23-Jährigen, die eine inländische Universität besuchen, auf zehn Prozent anwachsen.

Eine andere Welt. „In westlichen Medien wird Pakistan sehr einseitig dargestellt. Es gibt hier nicht nur religiöse FanatikerInnen. Ich fühle mich in meiner Heimatstadt nirgendwo unsicher. Trotzdem ist der Campus eine andere Welt, isoliert vom Rest Pakistans“, sagt Ammasa. Das National College of Arts, wo sie seit zwei Jahren Bildende Kunst studiert, hat den Ruf, die liberalste Universität des Landes zu sein. In der Werkhalle aus Backstein schlägt sie mit einem schweren Hammer einen Spiegel in kleine Stücke, die sie später für eine Skulptur verwenden will. Am Tischbein der hölzernen Werkbank lehnt ein Gemälde eines Pissoirs, das geschmückt mit Bart und Turban verblüffende Ähnlichkeit mit Osama Bin Laden hat. Der Gebetsbereich, der durch ein Fenster in der Werkhalle sichtbar ist, besteht aus einem schlampig hingeworfenen Teppich auf einem Plateau. Studierende erzählen gerne von Feiern am Campus, bei denen Alkohol in rauen Mengen fließt, obwohl das gesetzlich verboten ist. „Ich glaube an Gott, aber ich muss nicht fünf Mal täglich beten, um das jedem zu beweisen“, so Ammasa.

Muhammad, Jahrgangsbester an der Jamia Naeemia-Universität. Foto: Dwin Mardigian

Studiengebühren in Pakistan fallen sehr unterschiedlich aus, viele staatliche Universitäten sind jedoch mit 30.000 bis 80.000 Pakistanischen Rupien (200–500 Euro) im Jahr auch für die Mittelschicht leistbar. Dennoch waren im Jahr 2011 lediglich fünf Prozent der 17- bis 23-Jährigen an Universitäten eingeschrieben. Das liegt auch an der mangelnden Verfügbarkeit von Studienplätzen. An Universitäten mit erschwinglichen Studiengebühren sind die Plätze heiß umkämpft. Zur Vergabe der Studienplätze werden Auswahlverfahren nach Leistung durchgeführt. Dabei werden unterschiedliche Einstufungstests nach dem Schulabschluss herangezogen. Eine der prestigeträchtigsten Hochschulen des Landes ist die Government College University Lahore (GCU), die Alma Mater des bisher einzigen pakistanischen Nobelpreisträgers, Abdus Salam. Dementsprechend umkämpft sind die Studienplätze: Nur die besten 1.500 der 30.000 BewerberInnen werden jährlich aufgenommen.

Der Campus der Government College University erinnert an ein subtropisches Hogwarts. Die Gänge mit ihren Schaukästen, die Gartenanlagen und die Studierenden in Schuluniform verstärken den elitären Eindruck. Hassan ist 17 Jahre alt und studiert englische Literatur. Er trägt eine Brille von Armani, sein weißes Hemd ist ihm ein wenig zu groß. Im Debattierclub diskutiert Hassan weltbewegende Fragen: Er ist derartig eloquent, dass es schon fast gezwungen wirkt. Er will, wie einige andere im Debattierclub, später Politiker werden und sein Land in bessere Zeiten führen. „In Österreich sprecht ihr Französisch, nicht wahr?”, fragt er. Hassan gesteht beschämt, er wisse nicht viel über Österreich, aber über den berühmten Wiener Kongress, darüber habe er einmal referiert.

„Seit einigen Jahren haben auch sehbehinderte Menschen wie Moaz die Chance zu studieren.“ Foto: Dwin Mardigian

Studieren ohne Armani. Viele Studierende der staatlichen Eliteuniversität kommen wie Hassan aus wohlhabenden Familien, aber auch einige wenige junge Menschen aus armen Verhältnissen haben eine Chance, die sozialen Barrieren zu durchbrechen. Quoten stellen sicher, dass auch Studierende aus den ärmsten Regionen Pakistans, wie dem von den Taliban kontrollierten Swat-Tal, zugelassen werden. Vollwaisen sind von Studiengebühren befreit und insgesamt 20 Millionen Pakistanische Rupien (140.000 Euro) stehen jährlich in Form von Stipendien zur Verfügung. Ein Allheilmittel gegen die Probleme im Land ist ein Ausbau des universitären Systems jedoch nicht. Immer noch fehlt es vor allem an grundlegender Bildung bei der breiten Bevölkerung. Fast die Hälfte der Pakistanis kann weder Lesen noch Schreiben.

Nichtsdestotrotz hat die verstärkte Investition in höhere Bildung mehr als lediglich ökonomischen Aufschwung zur Folge, sondern beispielsweise auch positive Effekte auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft: Mehr als die Hälfte der Chemiestudierenden der GCU sind weiblich. „Es stimmt nicht, dass Frauen in Pakistan nicht gebildet sind. Zweifellos gibt es Regionen, in denen es anders ist, aber uns stehen hier alle Wege offen“, sagt die 22-jährige Chemiestudentin Amna, die selbst aus dem ländlichen Grenzgebiet zu Afghanistan stammt, aus dem auch die junge Menschenrechtsaktivistin Malala Yousafzai kommt, die sich für Mädchenschulen engagiert und ein Attentat der Taliban im Oktober 2012 nur knapp überlebte. Eine gesellschaftliche Weiterentwicklung ist auch die Schaffung von Studienplätzen für Studierende mit besonderen Bedürfnissen, einer von ihnen ist Moaz. Der 24-Jährige ist von Geburt an blind. Blinde Menschen erhalten vom Staat sehr wenig Unterstützung. Es ist ihnen nicht einmal erlaubt, ein eigenes Bankkonto zu führen. An der GCU stehen Moaz und seinen drei ebenfalls blinden Brüdern aber spezielle Computer mit Braille- Tastatur zur Verfügung. „Es war ein harter Weg bis hierher, doch das Wichtigste ist, dass man sich nicht mit seiner Situation zufrieden gibt. Man darf nicht aufhören zu kämpfen“, sagt Moaz. Er steht kurz vor dem Abschluss seines Politikwissenschafts- und Englischstudiums. Sein Traum ist es, Lehrer zu werden – „einer der ehrvollsten Berufe, den es auf der Welt gibt“, wie Moaz meint.

Chemiestudentin Amna: Es stimmt nicht, dass Frauen in Pakistan nicht gebildet sind. Foto: Dwin Mardigian

Religion vs. moderne Bildung? Im krassen Gegensatz zu den elitären Universitäten, die zu einem großen Teil noch aus der britischen Kolonialzeit stammen, stehen alternative Formen der akademischen Bildung, wie an der Jamia Naeemia-Universität. Ursprünglich eine Moschee und Koranschule, in der vor allem Kinder die heilige islamische Schrift auswendig lernen, hat die Jamia Naeemia seit einigen Jahren versuchsweise zusätzlich einen akademischen Bildungszweig eingerichtet. In einem Zeitraum von acht Jahren kann dort ein Masterabschluss in Theologie erlangt werden. Neben dem ausgiebigen Studium des Korans beinhaltet das Studienprogramm auch Englisch-, Geschichte- und Computerkurse. Muhammad ist der beste Student seines Jahrgangs. Sein Tag beginnt um 4.30 Uhr und endet selten vor 21.00 Uhr. Er wohnt mit zwölf Mitstudenten in einem 40 Quadratmeter großen Zimmer. Jeder Student hat eine Kiste für seine persönlichen Dinge, geschlafen wird am Boden. „Die Sonntage haben wir frei, da wasche ich meine Wäsche. Manchmal gehe ich auch mit Freunden in den Park“, erzählt Muhammad. Seine Familie wohnt in Peshawar, nahe der afghanischen Grenze. Via Skype hält er Kontakt, alle paar Monate hat er auch Zeit, nach Hause zu fahren. Er sagt, er liebe den Islam, man dürfe seine Traditionen nicht vergessen, aber Bildung sei ebenso wichtig.

„Wir wollen eine Brücke zwischen Religion und moderner Bildung schlagen“, sagt der Leiter der Jamia Naeemia-Moschee und -Universität, Raghib Hussain Naeemi. Den radikalen Taliban ist dieser Zugang zu profan und deshalb ein Dorn im Auge. Naeemis Vater, der die Moschee früher leitete, kritisierte die Taliban öffentlich als unmuslimisch und bezahlte das mit seinem Leben: 2009 stürmte ein Selbstmordattentäter sein Büro und tötete ihn und vier seiner Angestellten. Auch Raghib Naeemi, der das Werk seines Vaters fortführt, bekommt regelmäßig Drohungen. Der Eingang der Moschee wird deshalb von drei bewaffneten Soldaten bewacht.

An vielen Universitäten gibt es ähnliche Vorkehrungen: Wachpersonal mit Maschinengewehren, Bombenkontrollen und Metalldetektoren. Universitätsfremde Personen haben meist gar keinen Zutritt. Das ist die Schattenseite der liberalen Entwicklungen in Pakistan: Sie passieren hinter verschlossenen Türen. Konservative KritikerInnen sehen in den Universitäten ein Einfallstor westlicher Einflüsse. Dabei findet gerade hinter den schützenden Mauern der Hochschulen ein stetiges Verhandeln zwischen moderner Bildung, freiem Denken und der Wahrung von Traditionen statt.

Hassan ist 17 Jahre alt, er will als Politiker seinem Land helfen. Foto: Dwin Mardigian

Der Autor studiert Politikwissenschaften, Lukas Klingan Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Die Recherche zu diesem Artikel wurde durch die Mittel des Egon-Erwin Kisch-Recherchestipendiums des Presseclubs Concordia ermöglicht.

Wer zufrieden ist, ist tot

  • 17.12.2012, 12:55

Regisseur Richard Wilhelmer und Hauptdarsteller Robert Stadlober erklären, warum ihr Film „Adams Ende“ ein guter Anfang ist.

Regisseur Richard Wilhelmer und Hauptdarsteller Robert Stadlober erklären, warum ihr Film „Adams Ende“ ein guter Anfang ist.

Robert Stadlober ist die große Bühne gewöhnt: Berlinale, Burgtheater und Auftritte mit seiner Band Gary. Aber nicht die Bühne macht den Star – sogar in der alten Sparkasse in Wels steht er im Rampenlicht. An der Seite seines Freundes und Regisseurs Richard Wilhelmer plaudert und scherzt er in einem kleinen Vorführsaal am International Youth Media Festival (YOUKI) vor jungem Welser Publikum über Wilhelmers Debutfilm „Adams Ende“. Den beiden macht das sichtlich Spaß.

progress: Viele junge Leute hier am Festival kennen die Probleme, die Adam und die anderen Protagonisten in eurem Film erleben: Ein Job, der einen nicht ausfüllt und eine Beziehung, die ein wenig eingeschlafen ist. Spiegelt der Film eigene Erlebnisse wider, Richard?

Wilhelmer: Der Grund, aus dem ich mich in meinem ersten Spielfilm gerade dieses Themas angenommen habe, war, dass die Recherche im Grunde genommen schon gemacht war. Es ist kein autobiographischer Film, aber er beinhaltet natürlich autobiographische Versatzstücke, an denen ich mich orientiert habe. Das ist ja das Schöne: Guerillaartig wohin zu gehen und etwas zu drehen, was man dort ähnlich im wirklichen Leben erlebt hat. Der Lebenssituation der Protagonisten bin ich aber durchaus schon entwachsen…

progress: Sind das nicht ziemliche Luxusprobleme, die im Film beschrieben werden?

Wilhelmer: Klar. Der Film spielt in Berlin. Die Stadt ist irgendwie symbolisch für diese Schwierigkeiten: Man kann sich hier entweder zu Tode feiern und an der Vielzahl seiner Möglichkeiten scheitern oder etwas draus machen. Adams Ende beschreibt die zweite Variante, wo der Protagonist nicht fähig ist, Entscheidungen zu treffen und zufrieden zu sein, mit dem was er hat. Am Ende zerstört er alles – gewollt oder ungewollt.

progress: Seid ihr denn zufrieden?

Stadlober: (lacht) Wenn man zufrieden ist mit dem, was man hat, dann hat man seinen Sarg…

Wilhelmer: (lacht auch) Dann ist man Jesus!

Stadlober: Im Ernst: Zufriedenheit hat zumindest für mich etwas mit Tod zu tun. Wer zufrieden ist, ist angekommen – in irgendeinem Loch. Nie zufrieden sein ist glaube ich eine sehr gute Lebenshaltung. Aber sagen wir mal so: Die relativ irrationalen Verwirrungen der Adoleszenz haben ein wenig nachgelassen, und es sind zumindest bestimmte Entscheidungen nicht mehr so schwierig, weil man sie schon öfter falsch getroffen hat.

progress: Macht das Alter weiser?

Stadlober: Ja wahnsinnig, es macht unglaublich weise – ich mit meinen 30 Jahren. Vorher dachte ich immer, ich muss alles ausprobieren. Jetzt bin ich 30 und sogar die Leute am Amt sprechen mich mit „Sie“ an.

Wilhelmer: Ich bin noch nicht mal 30. Zu mir kann man noch „Du“ sagen!

progress: Adams Ende streift einige Genres: Zuerst ist es ein klassisches Beziehungsdrama, dann artet es in einen Psychothriller aus. Ist das massentauglich?

Wilhelmer: Einige Sponsoren hätten sicher von Beginn an gesagt, dass das komplett wahnsinnig ist. Wir hatten halt keine.

Stadlober: Ich glaube, es ist im deutschsprachigen Film nicht gerade Usus, so etwas zu machen: In der Regel muss alles sehr nachvollziehbar sein, was bei Adams Ende nicht immer der Fall ist. Bei einer Publikumsdiskussion hat uns mal jemand drauf festgenagelt, ob sich der Protagonist das Ende nur eingebildet hat oder ob das so wirklich so passiert ist. Da kann man echt nur antworten: „Denken Sie sich´s doch selbst aus!“

progress: In „Adams Ende“ gibt es einige Stellen, in denen mitschwingt, dass Homosexualität immer noch ein Tabuthema ist.

Wilhelmer: Im Film bleibt das eher unausgesprochen. Der Protagonist Adam fühlt sich zu seinem Freund Conrad vielleicht ein wenig hingezogen, hat aber starke Berührungsängste. Und das ist tatsächlich etwas, was oft Homophobie beschreibt – auch in vielen anderen Filmen.

Stadlober: Homophobie gibt es immer noch sehr stark. Gerade in der linksliberalen Szene, in der ich mich auch bewege, finde ich es erschreckend, wie sehr Männer Angst vor Nähe zu anderen Männern haben. Und auch wie sehr Homophobie als komische Form von Humor benutzt wird. Das Schimpfwort „Schwuchtel“ oder „Homo“ ist heute glaube ich noch salonfähiger als vor 15 Jahren. Ich weiß nicht, wie oft ich in Berlin von irgendwelchen Leuten im Hipster-Outfit als Schwuchtel beschimpft werde.

progress: Wenn das im offenen Berlin so ist, wie ist es dann im konservativeren Wien?

Stadlober: Man merkt das in Österreich auf jeden Fall schlimmer als in Deutschland. Die Schwulenszene in Wien ist so versteckt. In Berlin ist alles viel offener. Ich habe in Wien auch Bekannte, die dezidiert homophob sind, obwohl sie wissen, dass es falsch ist. Aber das ist vielleicht irgendein katholischer Schwachsinn, die Angst vor dem eigenen Glied.

progress: Ihr seid auch beide hauptsächlich in Berlin tätig. Gefällt es euch in Wien nicht?

Wilhelmer: Naja, Berlin ist ein guter Nährboden für kreative Projekte, weil es – zumindest früher – sehr billig war. Deshalb sind sehr viele Leute zugereist: Weil sie sich die Mieten leisten konnten, weil sie sich das Essen leisten konnten. Es war ein Sammelort für Leute, die willig waren, allen möglichen Blödsinn mitzumachen. Von diesem Ruf lebt die Stadt noch immer. Und aus allem möglichen Blödsinn entstehen irgendwann ernsthafte Projekte.

Stadlober: Als junger Mensch aus der österreichischen Provinz gibt es nur zwei Möglichkeiten: Eine ist die sehr mutige und wahrscheinlich auch die richtigere: Nämlich das Land zu verlassen. Die andere, halbseidene ist, dass man nach Wien geht. Das kann auch super sein, nur dass man meistens in den gleichen Strukturen hängen bleibt wie zu Hause. Da sitzt man dann halt zwischen Autos und Straßenbahnen, statt zwischen Feldern und Ställen.

progress: Wie habt ihr beide euch eigentlich kennengelernt?

Stadlober: Über Alec Empire [Anm.Red.: von der Band Atari Teenage Riot], einen gemeinsamen Freund von uns. Er hat ein Treffen organisiert und da haben wir festgestellt, dass wir beide aus der Obersteiermark kommen. Auch dass ich drei Jahre in Wien über Richards Freundin gewohnt habe. Und dass er in Berlin eine Wohnung gehabt hat, die Wand an Wand mit meiner alten Wohnung dort lag. Getroffen haben wir uns nie.

Wilhelmer: Wir sind fast unser ganzes Leben aneinander vorbeigelaufen. In einer sehr rotweinlastigen Nacht haben wir dann Pläne geschmiedet für mögliche zukünftige Projekte.

progress: Der Film ist also im Rausch entstanden?

Wilhelmer: Nein „Adams Ende“ ist nicht im Rausch entstanden. Da kannten wir uns schon.

Stadlober: Die Freundschaft ist im Rausch entstanden, aber hat sich nüchtern bewährt.
Vor drei Jahren haben wir den Kurzfilm „The Golden Foretaste of Heaven“ gemacht. Vor dem Screening bei der Diagonale sind wir in einem Beisl gesessen und Richard hat gesagt, er würde gerne einen Langspielfilm drehen. Dann hat er in sehr kurzer Zeit ein Drehbuch geschrieben und wir haben das ganze relativ schnell auf die Beine gestellt.

Progress: Auch finanziell? Wie sah das Budget aus?

Stadlober: Grandios…

Wilhelmer: Ich wollte sehr bewusst keine Fördermittel für den Film, um Narrenfreiheit zu genießen. Dadurch hatten wir halt auch kein Geld: Robert und ich haben unser Taschengeld zusammengelegt; jeder hat 1000 Euro zum Budget gegeben. Eine kleine Förderung von 3000 Euro haben wir dann doch noch bekommen und verbraten. Das heißt wir hatten ein Gesamtbudget von 5000 Euro. Dadurch waren wir auf den „Goodwill“ der Beteiligten angewiesen: Leute, die uns Kameras geben, die ohne Bezahlung mitarbeiten. Das soll aber durchaus kein Konzept für die Zukunft sein, weil diese Art von Selbstausbeutung auf lange Sicht nicht produktiv ist.

Stadlober: In Deutschland ist es so, dass du große Förderungen bekommst, sobald du einen Fernsehsender mit im Boot hast. Hast du einen Sender im Boot, dann hast du definitiv jemanden, der dir in alles reinreden darf. Ohne Fördermittel kann man also viel freier arbeiten.