Eva Hoffmann

Der Überwachungsstaat, das Gras und das Internet

  • 05.07.2016, 14:12
Technologien subtiler Überwachung sind im Drogengeschäft genauso omnipräsent wie aggressive Razzien. Ein Dealer erzählt, wie diese Formen der Kontrolle jenseits offensiver Repressionen seinen Alltag beeinflussen.

Technologien subtiler Überwachung sind im Drogengeschäft genauso omnipräsent wie aggressive Razzien. Ein Dealer erzählt, wie diese Formen der Kontrolle jenseits offensiver Repressionen seinen Alltag beeinflussen.

Wie in einem schlechten Film reagiert Alex,* als plötzlich die Polizei vor seiner Tür steht. Nein, die Beamten dürften nicht reinkommen. Er weiß, dass ihm vermutlich nur wenige Minuten bleiben, Beweise zu vernichten. Hektisch stopft der Student mehrere Kilo Gras in den Spülkasten der Toilette und verbrennt das Verpackungsmaterial, Anbaustation und sämtliche Pflanzen auf der Dachterrasse – 2000 Euro hätte Alex mit der zerstörten Ware noch verdienen können, die schuldet er jetzt Mo,* seinem Lieferant.

„Alex tauchte für mehrere Tage ab, da wusste ich, dass etwas nicht stimmt“, erzählt Mo, der sich selber durch das Dealen seit vier Jahren sein Studium in Wien finanziert. Um die fünfzig feste Kund*innen beliefert er, Alex hat er sich ins Team geholt, weil die Nachfrage so groß wurde. „In diesen drei Tagen hatte ich richtig Schiss, schließlich führen seine Spuren eindeutig zu mir.“ Mit Spuren meint Mo Telefonate, SMS, Besuche mit großen Rucksäcken. Bewegungs- und Kommunikationsabläufe, bei denen mittlerweile nicht nur Dealer*innen davon ausgehen, dass sie permanent aufgezeichnet, überwacht und ausgewertet werden.

BIG BROTHER IST TOT. Durch das Narrativ einer Gesellschaft, die nach Sicherheit verlange, rechtfertigen Firmen und staatliche Institutionen die allumfassende Datenakkumulation vom Einkaufsverhalten über die Urlaubspräferenzen bis hin zum Versicherungsstatus. Jede*r ist Teil der Massenüberwachung und damit a priori verdächtig. Nur durch völlige Transparenz können sich die Individuen von diesem Verdacht befreien: „Ich hab ja nichts zu verbergen“ heißt es oft, wenn Menschen breitwillig Informationen in sozialen Netzwerken preisgeben. Einstellungen wie diese begünstigen eine subtilere Form der massenhaften Datenerhebung, - Auswertung und –Kontrolle, die wesentlich auf der Teilhabe der Individuen selbst beruht.

„Big Brother“ als beobachtende und im Ernstfall strafende Instanz wird damit obsolet. Stattdessen treten Kontrollmechanismen in Kraft, die der Soziologe Zygmund Bauman als „Liquid surveillance“ bezeichnet. „Flüssige Überwachung“, deren Techniken nicht mehr auf das Verhalten Einzelner abzielen, sondern Abweichungen mithilfe von Rastern und Algorithmen aus einem Strom von Daten errechnen. Im Alltag kann sich das im Vergleich zu disziplinarischen Formen der Überwachung freiheitlicher anfühlen, als es eigentlich ist. Für das Drogengeschäft stellt diese subtile Überwachung ein spezielles Risiko dar.

Zwar habe er sich in sieben Jahren Dealen kein einziges Mal observiert gefühlt, „trotzdem wächst mit jedem Tag das Paket aus Spuren, das ich hinterlasse und damit die Wahrscheinlichkeit, morgen hochgenommen zu werden“, sagt Mo. Er ist deshalb sehr vorsichtig geworden: Ein Kurzzeit-Handyvertrag unter falschem Namen, kein Kontakt mit Kund*innen online und ganz bestimmte Codes, wie vor einem Deal am Telefon kommuniziert wird. Unter fünf Gramm lohnt sich für Mo der Verkauf nicht. Sich „auf einen Kaffee treffen“, bedeutet also „bring mir fünf Gramm mit“, zwei Kaffee sind zehn Gramm und so weiter. „Am Anfang ist die Kommunikation immer mit Schwierigkeiten verbunden, wenn die Terminologien noch nicht geklärt sind. Menschen passieren Fehler. So etwas wie Nachzahlen, Vorstrecken oder nur die Hälfte an Gras kaufen wollen ist mit der Bier-Metapher schwer auszudrücken.“ Die Codes variieren auch je nach Klientel: Student*innen bestellten häufig eher zwei Bücher statt Bier oder Kaffee.

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Er wirkt entspannt, während er über seinen Job redet. Auf die Frage, ob seine technischen Geräte verschlüsselt seien, zuckt er mit den Schultern und erwidert: „Welchen Unterschied würde das machen?“ Das tägliche Risiko gehöre zu den Arbeitsbedingungen seines Jobs. Sobald er das Gefühl hat, ein*e Kund*in sei nicht mehr vertrauenswürdig, täuscht er Probleme mit der Lieferung vor und löscht die Person aus seinem Telefonbuch.

ES LEBE BIG BROTHER. Im Gegensatz zum Dealen auf der Straße, wo autoritäre Überwachung à la Big Brother noch in Form von Razzien und Polizeigewalt funktioniert, wird für Dealer*innen wie Mo erst die Schnittstelle von Massen- und Individualüberwachung zur Gefahr. Da, wo nach einem vagen Verdacht plötzlich Datenpakete als umfassende Beweise abgerufen werden können, weil jemand aus dem Netzwerk ihn verraten hat oder selber hochgenommen wurde. Schneller als nach langwierigen Prozessen der Individualüberwachung kann Big Brother dann plötzlich vor der Tür stehen, begünstigt durch mangelnde Restriktionen der Vorratsdatenspeicherung oder die bereitwillige Weitergabe von Metadaten aus sozialen Netzwerken. Auch begünstigt durch partizipative Kommunikationsformate, die permanent dazu anregen, den digitalen Fingerabdruck zu vergrößern und einer vermeintlichen Norm anzupassen, die auf teilen, liken und posten beruht. Eine Überwachung, die so lange unsichtbar bleibt, bis Abweichungen von dieser vermeintlichen Norm erkennbar werden.

Was genau diese Abweichung in Alex Fall gewesen sein könnte, wusste Mo zum Zeitpunkt der drohenden Hausdurchsuchung bei seinem Kollegen nicht. Das Gefühl, selbst vielleicht schon mehrere Monate beobachtet worden zu sein, sei jedoch beklemmender, als jede Körperdurchsuchung, die er bis jetzt über sich ergehen lassen musste. „In diesem Moment kannst du nicht mehr klar denken. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist alles nachweisbar. Ich hatte schon im Kopf, wie ich das meinen Eltern erzählen soll“, erinnert er sich.

Nach vier Tagen dann die Entwarnung: Alex Nachbarn erzählen ihm, dass im Haus eine Straftat begangen worden sei, die Polizei hätte deshalb mit allen Nachbar*innen sprechen wollen. Zu dem Zeitpunkt hat Alex bereits sein gesamtes Gras vernichtet. Für den Schaden wird er mehrere Monate weiter dealen müssen. Ob er danach damit aufhört, bezweifelt Mo: „So wie ich arbeite, in Cafés und von zu Hause aus, habe ich den entspanntesten Job der Welt. Ich habe mir die besten sieben Jahre meine Lebens damit finanziert, wenn ich jetzt ein paar Monate ins Gefängnis müsste, wäre das fast schon ein fairer Deal“, dann überlegt er kurz und fügt hinzu „obwohl, scheiße wäre es trotzdem.“

Eva Hoffmann studiert Theater-, Film- und Medientheorie an der Uni Wien.

* Die Protagonist*innen dieses Textes möchten anonym bleiben.

Wenn Kapitalismus Liebe macht

  • 10.03.2016, 18:04
Die romantische Liebe gilt als letztes Refugium vor der Konsumgesellschaft. Dabei sind marktorientierte Strukturen längst in unsere Intimbeziehungen eingezogen.

Die romantische Liebe gilt als letztes Refugium vor der Konsumgesellschaft. Dabei sind marktorientierte Strukturen längst in unsere Intimbeziehungen eingezogen.

Man hatte halt Sex“, sagt meine Oma. „Nach der Hochzeit, natürlich“, ergänzt mein Opa. Ein Thema, über das meine Großeltern nicht gerne sprechen, weil es nie ein großes Thema war. Die gleiche Unterhaltung mit Freund_innen: „Leidenschaft, Liebe, Emotionalität, Freiheit, …“. Eine endlose Kette aufgeladener Begriffe, die noch ewig so weitergehen könnte. Kapitalismus passt in diese Aufzählung zunächst nicht hinein.

Dabei wurde schon das eheliche Ideal der Großeltern maßgeblich von kapitalistischen Strukturen geprägt. Ihre Beziehung formte sich in den Kinos, den Tanzlokalen und Bars der vierziger Jahre. Mit der neuen Ausgehkultur verlagerten sich die Intimbeziehungen in die Öffentlichkeit, so dass auch die Werbung zunehmend auf ein romantisches Ideal ausgerichtet wurde. Bis heute hat sich diese gemeinsame Logik von kapitalistischen Strukturen und der Idee der romantischen Liebe in heteronormativen Paarbeziehungen hartnäckig gehalten: Materielle Investitionen wie Geschenke oder gemeinsames Reisen sind genauso wichtig wie die Anerkennung des Selbst durch den/die Andere_n. Für die spätkapitalistische Selbstoptimierung ist diese Reproduktion von Individualität unabdingbar.

WAHRE LIEBE? Wie die Soziologin Eva Illouz in ihrer Studie beschreibt, wurde die romantische Liebe mit dem Aufkommen des Kapitalismus zum sicheren Hafen stilisiert und der Geschlechtsverkehr in dieser Semantik zur Quelle der Selbstfindung erklärt. Dass ausgerechnet der Sex Angriffspunkt kapitalistischer Verwertungsinteressen sein soll, läuft der romantischen Vorstellung von Intimität zuwider. Doch genau weil er in Paarbeziehungen so emotional aufgeladen ist, eignet er sich dort besonders gut, um über ökonomische Ungleichheiten hinwegzutäuschen. Besonders bei heterosexuellen Paaren.

Mit der steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen verändert sich auch die Ökonomie der Paarbeziehungen: „Geld wird in heterosexuellen Beziehungen ganz neu verhandelt“, sagt die Soziologin Sarah Speck, „dabei werden tradierte Rollenverhältnisse aber nicht unbedingt aufgebrochen.“ Im Gegenteil. In einer großangelegten Studie untersuchte sie gemeinsam mit Cornelia Koppetsch die Dynamik von heterosexuellen Paarbeziehungen, in denen die Frau das Haupteinkommen verdient. „Geld spielt keine Rolle, egal wer es verdient“, versuchten besonders Paare aus dem akademischen Milieu zu suggerieren, so Speck. „Die zentralen Werte von Autonomie und Selbstverwirklichung sind in diesen Beziehungen oft so aufgeladen, dass sie eine faire Aushandlung der Arbeitsverhältnisse verunmöglichen.“ Oft trage die Frau die doppelte Last von Einkommen und Haushalt, ohne dass die Situation als ungerecht empfunden werde. Klassische Geschlechterverhältnisse werden abgelehnt und Ungleichheiten gemeinsam kaschiert. Dafür finde sich der Rollenkonflikt häufig in der Sexualität wieder. Dort scheinen tradierte Rollen legitim zu sein.

„Im aufgeklärten individualisierten Milieu darf Geschlechterdifferenz keine Rolle mehr spielen. Deshalb wird die Aushandlung von Männlichkeit und Weiblichkeit in den Bereich des Schlafzimmers verlagert“, so Speck: „Nach dem Motto: Wenn der Mann schon kein Einkommen reinbringt, muss er wenigstens im Bett die führende Rolle übernehmen.“ Speck sieht darin widersprüchliche Tendenzen: „Die Omnipräsenz von Sexualität konfrontiert uns mit einer massiven Bedeutsamkeit von Geschlecht und gleichzeitig würden viele das abstreiten. Unsere Studie lässt vermuten, dass gerade diejenigen, die besonders sensibel für Ungleichheiten sind, in der gelebten Sexualität in klassische Rollenverteilungen zurückfallen.“

WARE LIEBE. Beratungsforen, Werbe- und Pornoindustrie suggerieren, dass jede_r ein erfülltes Liebesleben haben kann, sofern sie_er nur darin investiert. Kann man sich dieser Ökonomisierung verweigern? Paul lebt seit sechs Jahren in einer Beziehung. Und seit drei Jahren in einer weiteren. Mit beiden Frauen schläft er und die wiederum mit anderen Menschen. Sex ist für ihn wichtig, aber keine Notwendigkeit für emotionale Nähe. „Ich behaupte nicht, dass polyamore Beziehungen frei von Machtstrukturen sind“, sagt er, „aber die werden weniger in der Sexualität verhandelt.“ Sex sei kein wesentlicher Teil der Beziehungsarbeit und entziehe sich so kapitalistischer Optimierungsansprüche: „Es gibt mehr Freiraum, unterschiedliche Bedürfnisse mit verschiedenen Menschen zu befriedigen, ohne dass die Idee der romantischen Liebe dafür instrumentalisiert wird“, erklärt Paul. Damit schwindet auch der Druck, seinen Wert durch sexuelle Kompetenz dauerhaft unter Beweis stellen zu müssen.

In der Populärkultur dominiert ein Ideal der romantischen heteronormativen Zweierbeziehung. Klar, wir verhandeln heute andere Dinge als meine Großeltern. Damals war es die Ehe, heute sind es die Liebe und insbesondere der Sex, auf die ein gesamter Markt von „romantischen Waren“ abzielt. Und diese „Ware Liebe“ brauchte schon immer das Ideal der wahren Liebe. Bevor wir also die große sexuelle Befreiung anstreben, könnten wir es dabei belassen, uns zunächst von einer Idee von Sex als autonomem Lebensbereich zu verabschieden, so unromantisch das auch klingt. Und wahrscheinlich geht der Spaß daran nicht verloren, wenn wir ihn einfach ein bisschen weniger wichtig nehmen.

Eva Hoffmann studiert Theater-, Film- und Medientheorie an der Uni Wien.