Claudia Aurednik

Zurückbleiben bitte!

  • 12.06.2013, 10:32

In Österreich erreichen nur fünf Prozent jener Kinder, deren Eltern einen Pflichtschulabschluss aufweisen, einen Hochschulabschluss. Claudia Aurednik hat mit dem Bildungssoziologen Ingolf Erler über die Probleme von Studierenden und AkademikerInnen aus der sogenannten „Workingclass“ sowie über die Fallstricke des österreichischen Bildungssystems gesprochen.

In Österreich erreichen nur fünf Prozent jener Kinder, deren Eltern einen Pflichtschulabschluss aufweisen, einen Hochschulabschluss. Claudia Aurednik hat mit dem Bildungssoziologen Ingolf Erler über die Probleme von Studierenden und AkademikerInnen aus der sogenannten „Workingclass“ sowie über die Fallstricke des österreichischen Bildungssystems gesprochen.

Ausschnitt aus dem Interview:

„Folgende Parameter sind für die Bildungslaufbahn entscheidend: der Geburtsort, der schulische Abschluss der Eltern und des sozialen Umfeldes, das Wohnviertel, die Lage der nächsten Schule, das Geschlecht des Kindes, das Einkommen der Eltern usw. Wenn man die Parameter weiß, so kann man relativ gut einschätzen wo das Kind einmal später landen wird. […]

Natürlich ist es ein Unterschied, ob man seine ganze Kindheit über AkademikerInnen am Sonntagstisch beim Essen gehabt hat, oder ob man AkademikerInnen nur als ÄrztInnen, ApothekerInnen und Lehrer in der Schule kennt. Kinder aus AkademikerInnenfamilien haben da einen ganz anderen Bezug. Sie merken, dass AkademikerInnen keine natürlichen Autoritäten sind, sondern Menschen mit denen man ganz normal reden kann. In Studien zeigt sich, dass gerade bei mündlichen Prüfungen dieser Unterschied ganz stark hervortritt. Denn bei in der Prüfungssituation ist die Inszenierung besonders wichtig. Zudem lassen sich Menschen aus unterprivilegierten Familien viel leichter einschüchtern und suchen die Fehler vor allem bei sich selbst. Auch die Autorität der Lehrenden wird von ihnen kaum hinterfragt. […]

Der universitätere Habitus wirkt auf „Workingclass Students" oft einschüchternd. Foto: Wolfgang Bankowski

Das Bildungssystem wird über Steuern finanziert und das ist auch sinnvoll. […] Aber da das Bildungssystem über Steuern finanziert wird, müssen die Universitäten und die höheren Schulen darauf achten, dass sie die öffentlichen Ausgaben auch wieder an die Gesellschaft zurückgeben. Eine der Grundvoraussetzungen dafür ist, dass sie halbwegs sozial und gleichberechtigt Leute aufnehmen und auch gleichberechtigt ihr Wissen an die Gesellschaft zurückgeben. Und das nicht nur einmal im Jahr bei einer ‚Langen nach der Forschung‘, sondern das ganze Jahr über. Das würde bedeuten, dass sich die Universitäten öffnen müssten, was wiederum dem Bild der Universität als elitäre Einrichtung widerspricht [...] Aber wenn Forschung und Lehre nur an wenige Gruppen in der Gesellschaft weitergegeben werden, dann darf man sich nicht wundern, dass die ÖsterreicherInnen so intellektuellen- und wissenschaftsfeindlich sind."

 

Ingolf Erler (Hg.): Keine Chance für Lisa Simpson? Soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Wien: Mandelbaum Verlag 2007.

Ingolf Erler: http://www.ingolferler.net/

Wenn Bildung vererbt wird

  • 13.05.2013, 15:05

Trotz des Anstiegs der Studierendenzahlen sind Personen aus nichtakademischem Milieu an den Universitäten stark unterrepräsentiert. Claudia Aurednik hat mit „working class academics“ über die Probleme von Kindern aus nicht privilegierten Elternhäusern im Bildungssystem gesprochen.

Trotz des Anstiegs der Studierendenzahlen sind Personen aus nichtakademischem Milieu an den Universitäten stark unterrepräsentiert. Claudia Aurednik hat mit „working class academics“ über die Probleme von Kindern aus nicht privilegierten Elternhäusern im Bildungssystem gesprochen.

„Einmal hat uns ein Student erzählt, dass er Germanistik studieren wollte und das Studienfach im Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien nicht gefunden hat. Daraufhin hat er ein anderes Studienfach inskribiert, weil ihm die Bezeichnung Deutsche Philologie unbekannt war“, erzählt der Bildungssoziologe Ingolf Erler (35). Erler hat während seines Studiums an der Universität Wien ein Referat für Kinder aus nicht privilegierten Elternhäusern gegründet, in dem er sich gemeinsam mit anderen theoretisch mit Ausschlussmechanismen des österreichischen Bildungssystems auseinandergesetzt hat. 2007 hat er das Buch Keine Chance für Lisa Simpson? Soziale Ungleichheit im Bildungssystem herausgegeben. Erler selbst ist in einem kleinen Industrieort in der Obersteiermark aufgewachsen. Sein Vater hatte einen Installateurbetrieb und seine Mutter war Bürokauffrau: „Zu Beginn waren sie angesichts meines Soziologiestudiums etwas irritiert, weil ich zuvor eine HTL gemacht hatte. Dennoch haben sie meine Entscheidung akzeptiert.“ Im Laufe seines Studiums wurde Ingolf Erler von den Schriften Pierre Bourdieus geprägt. „In unserer Gesellschaft zählt Bildung zu den Dingen, die Ungleichheit erzeugen, ohne dass dies gleich auffällt.“ Dieser Aspekt hat auch auf die Selbstwahrnehmung der Betroffenen enorme Auswirkungen, ergänzt Erler: „Denn diejenigen, die im Bildungssystem scheitern, suchen die Schuld bei sich selbst. Sie machen nicht die strukturellen Bedingungen dafür verantwortlich.“ Die Universität betrachtet Erler als Teil des gesamten österreichischen Bildungssystems: „Das Schulsystem funktioniert wie eine Pyramide. Unten kommen alle rein und oben an der Spitze befinden sich nur wenige. Denn Bildung hat die Funktion, Menschen zu selektieren und nur bestimmte in gewisse Positionen aufrücken zu lassen. Zudem geht die Universität immer davon aus, dass sie eine elitäre Ausbildung ist.“ Ingolf Erler erläutert, dass an der Hochschule auch subtile Mechanismen wirken: „Es gibt dort eine Unmenge an Abkürzungen und Hierarchien. Menschen aus einem nichtakademischen Milieu müssen erst lernen, mit ProfessorInnen auf Augenhöhe zu sprechen. Leute, die in einem akademischen Umfeld aufwachsen, fällt es viel leichter, sich vor ProfessorInnen zu inszenieren.“ Doch gerade die symbolische Ebene und die subtilen Mechanismen werden nach Erler oft übersehen und in Untersuchungen vernachlässigt. Eine Problematik stellt auch dar, dass im österreichischen Bildungssystem besonders früh selektiert wird. In Ländern mit hohem AkademikerInnenanteil ist das anders. „Im Bildungssystem der skandinavischen Länder steht die Förderung der einzelnen Personen viel stärker im Vordergrund. Dort lässt man die Leute in einem gemeinsamen Schulverband und fördert gerade jene, die Schwierigkeiten haben. Bei uns wird eher nach der Elitenförderung gefragt und so werden Leute, die bereits einen akademischen Background haben, gefördert.“ Erler betont dabei auch die unterschiedliche Verantwortung für Bildung: „In den skandinavischen Ländern ist die Gesellschaft für das einzelne Kind verantwortlich. Und die hat natürlich viel bessere Möglichkeiten Kinder zu fördern als die einzelnen Eltern.“

Für Personen aus nichtakademischen Familien werden in bildungspolitischen Debatten unterschiedliche Begriffe verwendet. Oft wird von „Personen aus bildungsfernen Schichten“, „kulturell und sozial benachteiligten Personen“ oder „Arbeiterkindern“ gesprochen. „Die Bezeichnung der Arbeiterklasse ist schwierig, weil Klasse in der Alltagssprache nicht als soziologischer, sondern als ideologischer Begriff verstanden wird. Gleichzeitig ist das oftmals dahinterstehende Bild des weißen, männlichen Fabrikarbeiters überholt“, erklärt Ingolf Erler: „Außerdem zählen häufig auch Kinder von LandwirtInnen zu dieser Gruppe, obwohl sie sich selbst dieser kaum zuordnen würden.“ Begriffe wie „bildungsferne Schicht“ oder „kulturell und sozial benachteiligte Person“ sind für ihn noch schwieriger fassbar: „Denn kein Mensch würde sich selbst so bezeichnen.“

Initiative Arbeiter-kind.at In Deutschland hat Katja Urbatsch 2008 die Initiative Arbeiterkind. de gegründet. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil von Kindern aus nichtakademischen Familien an den Hochschulen zu erhöhen und unterstützt betroffene Menschen auf ihrem Weg zu einem erfolgreichen Studienabschluss. Mittlerweile umfasst das Netzwerk 5000 ehrenamtliche MentorInnen und 70 lokalen Gruppen. Arbeiter-Kind.at ist der österreichische Ableger des sozialen Netzwerks, bei dem auch Natascha Miljkovic (34) aktiv ist. Sie hat mit dem Begriff Arbeiterkind keine Probleme und hat sich von der Initiative gleich angesprochen gefühlt: „Vor zwei Jahren habe ich in einem Magazin ein Interview mit Katja Urbatsch gelesen und darin meine eigene Lebensgeschichte wiedererkannt. Denn mein Vater war ein Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien, der in den 1970er Jahren nach Österreich gekommen ist und in Oberösterreich meine Mutter kennengelernt hat.“ Natascha Miljkovic hat vor einigen Monaten eine Firma gegründet und ist als Wissenschaftsberaterin an Universitäten tätig. 2007 hat sie ihre Dissertation am Institut für Zoologie abgeschlossen. Bei Arbeiter-Kind.at ist sie im Organisationsteam tätig. Dort kümmert sie sich primär um die Bekanntheit des Netzwerks an den Universitäten. Außerdem ist sie in Wien als Mentorin für Studierende der Naturwissenschaften aktiv. Eine höhere Ausbildung zu absolvieren war ainnert sich: „In der Volksschule wurde meinen Eltern noch gesagt, dass ein Kind aus einer Gastarbeiterfamilie nicht ins Gymnasium gehen muss. Doch meine Eltern haben sich trotzdem dafür entschieden, weil sie selbst nicht den Zugang zu höherer Bildung gehabt hatten.“

Während des Studiums an der Universität Wien hatte Natascha Miljkovic keine Probleme mit ihrer familiären Herkunft. Doch im Gymnasium hatte sie ihre soziale Stellung deutlich zu spüren bekommen: „Dort wurde mir vermittelt, ich wäre ein Nichts. MitschülerInnen aus Anwalts- oder Arztfamilien wurden viel besser behandelt als ich. Eine derart extreme, ungerechte Behandlung habe ich nachher nie wieder erlebt.“ Die negativen Erfahrungen aus der Schulzeit haben sich auch auf Miljkovics Verhalten zu Beginn ihres Studiums ausgewirkt: „Durch die permanente Demotivation in der Schule war ich in der ersten Zeit sehr schüchtern. Ich habe mich beispielsweise nicht getraut, jemanden nach dem Hörsaal zu fragen. Aber nachdem ich meine Zurückhaltung überwunden hatte, habe ich keine größeren Probleme während meines Studiums gehabt.“ Miljkovic erzählt, dass ihre Eltern sich nicht in ihre Studienwahl eingemischt hätten: „Meine Eltern wollten nur, dass ich die Matura mache. Und ich denke, dass ein Studium, das man sich selbst aussucht, für einen selbst viel mehr Wert hat.“ Natascha Miljkovic reflektiert über die gesellschaftliche Stellung von Menschen aus nichtakademischen Familien: „Bis heute ist es ein Stigma, aus einer Arbeiterfamilie zu kommen. Deshalb sind wir bei Arbeiter-Kind.at auch stolz darauf, dass die Nationalratspräsidentin Barbara Prammer unser erstes Testimonial war. Dass sie aus einer Bergarbeiterfamilie kommt, wissen nur wenige.“ Miljkovic merkt an, dass viele Studierende aus nichtakademischen Familien besondere Probleme haben: „Viele haben zu wenig Selbstbewusstsein und sehen ihre Möglichkeiten nicht. Das ist schade, denn dabei geht sehr viel Potenzial verloren.“

ArbeiterInnenmilieu „Meine Eltern haben sich gewünscht, dass ich einen polytechnischen Lehrgang und eine Lehre mache oder mich für eine HAK oder HTL entscheide“, erzählt Bernhard Bergler (22) und ergänzt: „Ich habe mich nach der Hauptschule bei meinen Eltern durchsetzen müssen, um aufs Gymnasium zu gehen. Nach der Matura war es dann für sie nachvollziehbar, dass ich ein Studium beginnen werde.“ Vor zwei Jahren war Bernhard Bergler Sprecher der Initiative Arbeiter-Kind.at. Das Engagement musste er dann aufgrund des Studiums ruhen lassen. Derzeit macht er seinen Bachelorabschluss am Institut für Politikwissenschaft und studiert Bildungswissenschaft an der Universität Wien. Bergler kommt aus dem Bezirk Liezen in der Obersteiermark. Sein Vater war Koch und Konditormeister und arbeitet derzeit als Hausmeister. Seine Mutter ist seit seiner Geburt Hausfrau. Unter dem Studium der Politikwissenschaft haben sich seine Eltern nichts vorstellen können: „Mit Medizin oder Jus können Menschen etwas anfangen. Aber es fällt ihnen schwer sich vorzustellen, was ein Studium der Politikwissenschaft ist und welche beruflichen Aussichten man mit diesem hat.“ Die Unterschiede zwischen ihm und Kindern aus akademischen Familien hat Bergler während seines Studiums rasch bemerkt: „Für Akademikerkinder ist es selbstverständlich, dass die Eltern helfen und die Arbeiten korrigieren. Oft habe ich in Gesprächen bemerkt, dass sie aus einer mir unbekannten Welt kommen.“ Bis heute hat er das Problem, dass er nicht genügend akademische FreundInnen hat, die seine Arbeiten Korrektur lesen und mit ihm über diese diskutieren. Außerdem hätten Studierende aus dem akademischen Milieu, nach Bergler, den Vorteil, während ihres Studiums auch mental unterstützt zu werden. „Bei anderen Eltern ist es selbstverständlich, dass das Kind auf eine höhere Schule geht und anschließend ein Studium beginnt. Von nichtakademischen Eltern werden Studierende oftmals entmutigt, während Kinder aus Akademikerfamilien ermutigt werden“, reflektiert Bergler.

Auch der akademische Habitus ist für ihn befremdend. Er erinnert sich an eine Episode während des Erstsemestrigen-Tutoriums an der Politikwissenschaft: „Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mit anderen Arbeiterkindern an der Wand gestanden bin und wir uns sehr unsicher verhalten haben. Da ist einer geradlinig zum Studiendekan gelaufen und hat mit ihm über handgemachte italienische Schuhe gesprochen. Damit hab ich überhaupt nichts anfangen können.“ Doch trotz der Probleme an der Universität lässt sich Bernhard Bergler nicht entmutigen. Für StudienanfängerInnen mit einer ähnlichen Ausgangsposition hat er folgende Ratschläge: „Man sollte niemals aufgeben und sich rechtzeitig Hilfe holen. Auch die Schwierigkeiten an der Universität sollte man nicht auf sich beziehen, denn oft krankt es an der Struktur des Hochschulsystems.“

Last Exit Frauenhaus

  • 01.04.2013, 13:52

Vor 35 Jahren wurde in Wien das erste österreichische Frauenhaus eröffnet. Claudia Aurednik hat mit der Leiterin des Vereins Autonome österreichische Frauenhäuser und zwei Frauen über die aktuelle Situation der Frauenhäuser sowie Partnergewalt gesprochen.

Vor 35 Jahren wurde in Wien das erste österreichische Frauenhaus eröffnet. Claudia Aurednik hat mit der Leiterin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser und zwei Frauen über die aktuelle Situation der Frauenhäuser sowie Partnergewalt gesprochen.

„Ich werde die schweren Schwellungen im Gesicht meiner Mutter und ihren Körper voll blauer Flecken wohl niemals vergessen“, erzählt Alice Maier* (42): „Mein Vater konnte mit Enttäuschungen sehr schlecht umgehen und war für seine cholerischen Wutanfälle und seinen Hang zur Gewalt in der Familie gefürchtet. Ein verlorener Gerichtsprozess, ein nicht auffindbarer Akt und manchmal  auch nur eine Kleinigkeit, wie kein Parkplatz für sein Auto, waren für ihn Anlass, die Beherrschung zu verlieren.“ Maier, die heute als  Ärztin in einem Krankenhaus arbeitet, beschreibt ihren Vater als Mann mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, der sich in der  Rechtsanwaltskanzlei und in der Öffentlichkeit beherrschen konnte und in der familiären Wohnung seinen Wutanfällen freien Lauf ließ. Am meisten hatte ihre mittlerweile verstorbene Mutter, die von ihrem Mann regelmäßig verprügelt wurde, darunter gelitten.

Maier und ihre jüngere Schwester hatten bereits als Kinder einen Spürsinn für die Launen ihres Vaters entwickelt: „Bereits an Vaters Gang und Blick haben wir erkannt, wann es besser wäre, sich im Kinderzimmer einzuschließen.“ Auch die NachbarInnen in dem großbürgerlichen Altbau hatten die Gewaltexzesse von Maiers Vater mitbekommen. Doch bis auf einige seltsame Blicke im Treppenhaus habe niemand je etwas gesagt: „Es gab so etwas wie einen stillen Konsens darüber, dass nach außen hin das Bild einer  intakten und glücklichen Anwaltsfamilie gewahrt wird. In der großbürgerlichen Schicht spricht man ja über solche Dinge nicht, denn  schließlich kommt Gewalt ja nur in den sogenannten unteren Schichten in Arbeiterfamilien vor.“

BÜRGERTUM. Als Alice Maier 14 Jahre alt war, hatte sie ihre Mutter dazu gedrängt, sich scheiden zu lassen: „Damals hatte ich den Eindruck, dass meine Mutter ernsthaft über eine Scheidung nachdenken würde. Doch bereits nach ein paar Tagen hat sie denGedanken wieder verworfen, weil sie Angst vor einem langwierigen Scheidungsprozess und den beruflichen Netzwerken meines Vaters hatte.“ Maier erzählt mit bitterer Stimme, dass natürlich auch die finanzielle Abhängigkeit und die Sorge, dass ihr Vater das  Sorgerecht für die beiden Mädchen erhalten könnte, eine Rolle spielte. „Meine Eltern hatten sich während ihres Studiums auf einem  Ball kennengelernt. Mutter hatte damals Kunstgeschichte studiert und das Studium nach meiner Geburt abgebrochen. Somit war sie  von Vater ökonomisch abhängig“, ergänzt sie.

Das erste Wiener Frauenhaus wurde 1978 eröffnet. Warum hat Maiers Mutter dort  nicht Zuflucht gesucht? „Meine Mutter hat sich  wohl aufgrund ihres sozialen Status nicht vorstellen können, in ein Frauenhaus zu gehen, weil das für sie auch den sozialen  Ausschluss aus dem Familienkreis und dem Umfeld bedeutet hätte“, merkt Maier an. Nachdenklich ergänzt sie: „Heute betrachte ich  es als einen großen Fehler, dass sie nicht insFrauenhaus gegangen ist und eine Scheidung durchgezogen hat. Denn bis zu ihrem  Tod hat sie unter der Tobsucht und der Gewalt meines Vaters gelitten.“ Seit dem Tod ihrer Mutter vor fünfzehn Jahren hat Maier den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen. Sie resümiert: „Gewalt an Frauen und Kindern kommt in allen Schichten vor. Aber ich  denke, dass die Scham, darüber öffentlich zu reden, in bürgerlichen Kreisen noch viel höher ist, weil Gewalt in der Familie als  verpönt gilt.“

FRAUENHAUS. „Alle Frauen, die Gewalt in der Familie, in der Partnerschaft oder durch nahe Angehörige erfahren, finden Zuflucht in  den Frauenhäusern. Ganz unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, ihrem Alter, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrem sozialen Status“, erklärt Maria Rösslhumer, die seit 1997 Mitarbeiterin und seit 2001 Geschäftsführerin des Vereins Autonome  Österreichische Frauenhäuser (AÖF)  ist. Von 1991 bis 2012 suchten insgesamt 52.863 Frauen und deren Kinder in den österreichischen Frauenhäusern Schutz. Heute gibt es landesweit 30 Frauenhäuser. „Die Bezeichnung autonom stammt aus der zweiten Frauenbewegung und bedeutet parteipolitisch und ideologisch unabhängig, im Sinne der Frauen und deren Kinder arbeiten zu können“, erläutert Rösslhumer, die in den 1990er-Jahren Politikwissenschaft und Frauenforschung an der Universität Wien   studierte und über den Katholizismus zum Feminismus fand. Jedes Frauenhaus ist außerdem auch eine eigene Einrichtung, die von   der jeweiligen Landesregierung finanziell unterstützt wird. „Die Finanzierung der Frauenhäuser ist daher unterschiedlich. Wir sind laufend mit finanziellen und personellen Einsparun gen und Kürzungen oder sogar mit der Schließung von Frauenhäusern seitens  der Politik konfrontiert“, merkt Maria Rösslhumer an. „Aber wir benötigen langfristige und ausreichende Finanzierungen sowie eine gesetzliche Verankerung der Finanzierung der Frauenhäuser, damit nicht jährlich der Kampf um die Existenz dieser gesellschaftspolitisch wichtigen Einrichtungen geführt werden muss.“

Doch obwohl die österreichischen Frauenhäuser mittlerweile anerkannte und nicht mehr wegzudenkende Opferschutzeinrichtungen darstellen, sind sie manchen PolitikerInnen ein Dorn im Auge. Im vergangenen Sommer lehnte die FPÖ in Amstetten eine Subvention für das lokale Frauenhaus ab. Die blaue Stadträtin Brigitte Kashofer warf der Einrichtung vor, maßgeblich an der Zerstörung von  Ehen und Partnerschaften beteiligt zu sein. „Die FPÖ will offensichtlich die Realität der Gewaltproblematik in unserer Gesellschaft nicht wahrnehmen und stellt die Wichtigkeit von Schutz und Sicherheit für Frauen und Kinder infrage“, sagt Rösslhumer. Sie erzählt,dass die Frauenhäuser zu Beginn von allen politischen Parteien und von der Kirche sehr skeptisch und ablehnend betrachtet wurden: „Auch die SPÖ- Politikerin Johanna Dohnal, die sich sehr stark für die Errichtung des ersten Frauenhauses in Wien 1978 eingesetzt hat, musste einen harten Kampf in ihrer eigenen Partei führen.“

Rösslhumer ist neben ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des Vereins der AÖF auch Leiterin der Frauenhelpline 0800/222 555 und  des europäischen Netzwerks WAVE (Women against Violence Europe). Außerdem ist sie Koordinatorin der Plattform gegen die Gewalt in der Familie. „Die Gewalt an Frauen ist meist Partnergewalt und kann viele Formen annehmen. Sie äußert sich in  psychischer, sexueller, physischer und finanzieller Form und kommt oft in Kombination vor. Sie kann auch tödlich sein, denn die  Mehrheit der orde an Frauen erfolgt im Familienkreis“, berichtet Rösslhumer: „Kinder sind von der Gewalt gegen ihre Mütter immer   mitbetroffen, entweder direkt oder indirekt ZeugInnen.“ Die Frauenhäuser bieten den Frauen und ihren Kindern umfangreiche Hilfe. diese beginnt bei Schutz und Sicherheit und reicht bis zu psychosozialer und juristischer Beratung und medizinischer Hilfe. Auch die Begleitung zu Ämtern, Behörden sowie die Prozessbegleitung und die Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssuche gehören zu den Aufgaben der Frauenhäuser. Aber auch die politische Arbeit ist ein wichtiger Bestandteil der Einrichtungen, betont Rösslhumer: „Die  Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser waren mit dem Verein AÖF maßgeblich an den Gewaltschutzgesetzen beteiligt, die seit mehr als  15 Jahren existieren und den Schutz und die Sicherheit von betroffenen Frauen und Kindern wesentlich verbessert haben.“

ARBEITERiNNENSCHICHT. „Die Zeit im Frauenhaus habe ich positiv in Erinnerung, denn endlich hatten meine Mutter und ich das  Gefühl, an einem sicheren Ort zu sein“, erinnert sich Sigrid Schneider* (25). Schneiders Mutter war mit ihrer damals sechsjährigen Tochter vor ihrem gewalttätigen Ehemann in einer Nacht- und Nebelaktion aus einem Dorf bei Linz ins Frauenhaus geflohen. Die  Entscheidung hatte die Mutter kurzfristig gefällt, nachdem ihr damaliger Mann sie brutal zusammengeschlagen hatte und dazu übergegangen war, auch die gemeinsame Tochter zu  schlagen. Zuvor hatte sie bei einem Kinderarztbesuch im Warteraum einen Artikel über die Frauenhäuser und deren Aufgaben gelesen, der ihr Mut gemacht hatte. „Mein Vater – den ich heute eigentlich nicht mehr als solchen bezeichne – war neun Jahre älter als meine Mutter. Er hat als Stahlarbeiter gearbeitet, war krankhaft eifersüchtig  und regelmäßig betrunken“, erzählt die heutige Kindergartenpädagogin, die nebenberuflich an der Universität Wien Pädagogik  studiert. „Nach meiner Geburt hat er meine Mutter sukzessiv von ihrer Familie und ihrem früheren Freundeskreis isoliert und   psychisch fertiggemacht. Auch das Ausüben ihres gelernten Berufs als Verkäuferin hat er ihr verboten“, erklärt Schneider. Als ihre Mutter mit ihr im Frauenhaus Zuflucht suchte, war sie genauso alt wie Sigrid Schneider heute. „Durch die Betreuung im Frauenhaus konnten meine Mutter und ich die Erlebnisse viel besser verarbeiten. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre und ob wir eine  Trennung von ihm – im wahrsten Sinne des Wortes – überlebt hätten“, sagt sie mit einem leichten Zittern in ihrer Stimme.

Das Frauenhaus hat ihrer Mutter auch bei der Scheidung geholfen und sie dabei unterstützt, ein neues Leben zu beginnen. „Durch  seine Hilfe haben wir eine Übergangswohnung in Wien bekommen und Linz rasch verlassen.“ Der Neustart in Wien war nicht einfach,  weil Schneiders Vater die Zahlungen der Alimente einstellte und ihre Mutter als Verkäuferin finanziell auf sich alleine  gestellt war. Als Schneider zehn Jahre alt war, kam ihr Vater schwerst alkoholisiert bei einem Verkehrsunfall in Oberösterreich ums Leben: „Das mag sich jetzt hart anhören, aber für meine Mutter und mich begann erst nach seinem Tod ein richtig sorgenfreies Leben. Denn selbst in Wien hatten wir Angst, dass er uns finden würde.“ Dass ein selbsternannter „Väterrechtler“ die Adressen der  vier Wiener Frauenhäuser auf einer Website veröffentlicht hat, macht sie wütend: „Ich möchte gar nicht daran denken, was mein  Vater damals in Linz getan hätte, wenn ihm die Adresse des Frauenhauses bekannt gewesen wäre. Aber ich kann mir gut vorstellen,  dass er meine Mutter und mich im besoffenen Zustand physisch attackiert hätte. Im schlimmsten Fall würde ich heute nicht hier  sitzen und von seiner Gewalt erzählen können.“

*Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewpartnerinnen geändert und sind der Redaktion bekannt.

Verleitung zum Aufstand

  • 12.03.2013, 18:48

Michael Genners Autobiografie „Verleitung zum Aufstand“ lässt tief in das Leben eines Antirassimus-Aktivisten in Österreich blicken. Eine Rezension.

Michael Genners Autobiografie „Verleitung zum Aufstand“ lässt tief in das Leben eines Antirassimus-Aktivisten in Österreich blicken. Eine Rezension.

Michael Genners Leben ist von politischem Engagement, dem Kampf für Menschenrechte und eine bessere Gesellschaft gekennzeichnet. Der heute 64-jährige Obmann des Vereins „Asyl in Not“ ist jedoch – im Gegensatz zu vielen ProtagonistInnen der 68er-Generation – seinen Grundsätzen stets treu geblieben. Dementsprechend trägt seine Autobiografie den politisch programmatischen Titel „Verleitung zum Aufstand. Ein Versuch über Widerstand und Antirassismus“.  Als Sohn des kommunistischen Widerstandskämpfers Laurenz Genner und der Halbjüdin und Ärztin Lily Genner hatte er von Kindesbeinen an einen kritischen Blick auf die postnazistische österreichische Gesellschaft entwickelt. Im ersten Drittel des Buchs beschreibt Michael Genner sein politisches Engagement in seiner Zeit als Student sowie seine Differenzen mit der SPÖ und Bruno Kreisky. Den Schwerpunkt bildet allerdings sein Engagement bei der Gruppe „Spartakus“, mit der er in den „Heimkampagnen“ gegen die Zustände in den damaligen Erziehungsheimen kämpfte. Seine Darstellungen verdeutlichen die damals praktizierten autoritären Erziehungsmethoden und den gewalttätigen Missbrauch Heimzöglingen. Eine Thematik, die 2011 und 2012 in den österreichischen Medien als „Missbrauchsskandal“ nochmals thematisiert wurde. Doch die Aktionen von „Spartakus“ führten zu einer Kriminalisierung der AktivistInnen durch die Behörden, die unter anderem eine Verbindung zur Roten Armee Fraktion in Deutschland konstruierten. 1972 verließen Genner und andere Mitglieder der Gruppe aus diesem Grund Österreich und schlossen sich in Schweiz der Longo-Mai-Bewegung an. Über diesen Lebensabschnitt reflektiert Michael Genner in seinem Buch überaus selbstkritisch, er bezeichnet ihn als verlorene Zeit. Er thematisiert die autoritäre Führung sowie die Frauenfeindlichkeit und den psychischen Druck der Bewegung. Leider geht er dabei nicht ins Detail, sondern verweist auf einen Aufsatz in einem Sammelband. Es wäre jedoch gerade für jüngere LeserInnen interessant gewesen, den Inhalt des Aufsatzes auch in der Autobiografie zu lesen, da die Longo-Mai-Bewegung vielen unbekannt ist. Sein politisches Leben bis zum Jahr 1989 beendet Genner mit dem Kapitel „Ganz unten“, in dem er auf einer halben Seite auf sein Privatleben eingeht und von seiner gescheiterten Ehe und seinem Kind berichtet.

Die anschließenden zwei Drittel von Genners Autobigrafie umfassen sein Engagement für Flüchtlinge, das er nicht als karikative, sondern politische Arbeit betrachtet. Dieses begann 1989 mit der Blockade einiger Flugzeuge voll mit kurdischen Flüchtlingen und bestimmt bis heute sein Leben. Detailliert beschreibt er die sukzessive über die Jahre sich verschärfende Asylpolitik, die 1992 mit der Beendigung des Grundrechts auf Asyl einsetzte. 1993 trat Michael Genner unter dem Innenminister Franz Löschnak und dessen Juristen Manfred Matzka seinen Dienst als Rechtsberater beim „Unterstützungskomitee für politisch verfolgte Ausländer“, dem jetzigen Verein „Asyl in Not“ an. Er beschreibt, wie die unter Löschnak beschlossenen Gesetze Tausende von GastarbeiterInnen zu Illegalen machten und Flüchtlinge im Zuge des gesellschaftlichen Rechtsrucks zu AsylantInnen wurden. Als Rechtsberater hat Michael Genner in den vergangenen Jahren Tausende von Flüchtlingen juristisch betreut und an deren Schicksal Anteil genommen. Einige stellt er in seiner Autobiografie dar, die den LeserInnen die Willkür der BeamtInnen und die unmenschliche Behandlung der AsylwerberInnen vor Augen führen. Auch das jahrelange Warten auf die Anerkennung als Flüchtling wird von ihm eindringlich thematisiert. Besonders berührend ist das Schicksal zweier AfrikanerInnen aus der Republik Kongo, deren Asylanträge trotz Vergewaltigung und Folter zunächst abgelehnt wurden. Auch die Zurückweisung des Asylstatus von afghanischen Frauen während des Taliban-Regimes dürfte den meisten LeserInnen unbekannt sein. Bei all diesen Darstellungen zeigt Genner den Zynismus der Behörden und die Unmenschlichkeit der Asylgesetzgebung auf. Auch die Missstände der letzten Jahre werden dabei nicht ausgeklammert. Genner thematisiert die unter den Innenminister Ernst Strasser eingeführte „Dublin-Verordnung“ ebenso wie die von dessen Nachfolgerin Liese Prokop beschlossene Schubhaft-Verordnung. Auch die Folterung des gambischen Flüchtlings Bakary J. durch Fremdenpolizisten und der Tod von Marcus Omofuma und Seibane Wague werden von ihm dargestellt. Am Ende seines nach eigenen Worten „autobiografischen Berichts“ hofft Michael Genner, mit seinem Buch gezeigt zu haben, dass sich der Widerstand lohnt. Dies ist ihm als politischen Aktivisten und profunden Kenner der Flüchtlingsthematik eindeutig gelungen. Fazit: Für alle Menschen, die sich für die Geschichte der Linken und der Flüchtlinge in Österreich interessieren, ist Michael Genners Autobiografie „Verleitung zum Aufstand“ eine Pflichtlektüre, die das politische Bewusstsein gegenüber den Widrigkeiten deutlich erweitert.

Michael Genner, Verleitung zum Aufstand. Ein Versuch über Widerstand und Antirassismus, Mandelbaum kritik & utopie, 2012, 255 S., 20,-- Euro (10 Euro gehen an Asyl in Not, 10 Euro an den Verlag)

Termin:

Buchpräsentation und Podiumsdiskussion mit Michael Genner und Susanne Scholl in der Hauptbücherei am Gürtel 1070 Wien, Urban-Loritz Platz 2a, 3. Stock am Freitag, den 22. März 2013, 19 Uhr.

Das Buch kann bei Asyl in Not bestellt werden: office@asyl-in-not.org Es kostet dann 20.- Euro plus 4.- Euro für den Versand. Selbstabholung um 20.- Euro (davon gehen 10.- an Asyl in Not, 10.-. an den Verlag) bei Asyl in Not im WUK (1090 Wien, Währingerstraße 59) oder im WUK-Infobüro.

Links:

www.asyl-in-not.org

Audiointerview mit Michael Genner zu seiner über sein Engagement.

Kampf für das Recht auf Asyl

  • 11.03.2013, 16:24

Michael Genner, Obmann von „Asyl in Not", hat stets die Missstände der Asylpolitik aufgezeigt und die BeamtInnenwillkür angeprangert. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über sein Engagement gesprochen.

Michael Genner, Obmann von „Asyl in Not", hat stets die Missstände der Asylpolitik aufgezeigt und die BeamtInnenwillkür angeprangert. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über sein Engagement gesprochen.

Der 64-jährige Michael Genner ist seit 1989 als Rechtsberater für Flüchtlinge tätig. Als Obmann des Vereins „Asyl in Not“ hat er Hunderten von Flüchtlingen in Österreich geholfen und politisch gegen die Verschärfung der Asylgesetze protestiert. Doch trotz seiner über jahrzehntelangen Tätigkeit, wird er weiterhin für das Menschenrecht auf Asyl kämpfen.

Links:

www.asyl-in-not.org

Eine Buchrezension zu Michael Genners Autobiografie Verleitung zum Aufstand.

„One Billion Rising“ vor dem Wiener Parlament

  • 16.02.2013, 18:42

Am 14. Februar - dem „V-Day“ - fanden in 206 Ländern Aktionen gegen die Gewalt an Frauen unter dem Motto „One Billion Rising“ statt. Die Kampagne wurde von der US-amerikanischen Autorin und Feministin Eve Ensler initiiert, die vor fünfzehn Jahren den V-Day als Aktionstag gegen Gewalt an Frauen gegründet hatte.

Am 14. Februar - dem „V-Day“ - fanden in 206 Ländern Aktionen gegen die Gewalt an Frauen unter dem Motto „One Billion Rising“ statt. Die Kampagne wurde von der US-amerikanischen Autorin und Feministin Eve Ensler initiiert, die vor fünfzehn Jahren den V-Day als Aktionstag gegen Gewalt an Frauen gegründet hatte.

„One Billion Rising“ wurde als Aktionsaufruf angesichts der statistischen Ergebnisse der Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Denn nach diesen wird eine von drei Frauen auf der Welt im Laufe ihres Lebens geschlagen oder vergewaltigt. Ausgehend von einer Weltbevölkerung von sieben Milliarden Menschen sind das mehr als eine Milliarde Frauen und Mädchen. Claudia Aurednik hat für progress die Aktion vor dem Wiener Parlament besucht und mit Teilnehmerinnen über die Gewalt an Frauen und die Kampagne gesprochen.

Daniela Hönig-Körbler. Fotos: Wolfgang V. Bankowski

Daniela Hönig-Körbler (Sozialarbeiterin, 32): „Zeigen, dass wir mehr sind, als jene, die sich das Recht herausnehmen Menschen wie Dinge zu behandeln.“

Anja Bauer

Anja Bauer (Sozialarbeiterin beim Verein Sprungbrett, 27): „Rassismus fällt auch unter Gewalt. Denn Gewalt hat viele Gesichter.“

Hilde Grammel

Hilde Grammel (Lehrerin, Aktivistin der Plattform 20.000 Frauen, 54): „Das Wichtigste ist, dass Frauen Lebensverhältnisse vorfinden, in denen sie materiell abgesichert und nicht gezwungen sind mit Männern zusammenzubleiben.“

Martha Moser

Martha Moser (Energetikerin, 37): „Ich glaube, das Wichtigste ist es zu erkennen, dass wir nicht alleine dastehen, sondern eine Gemeinschaft sind. Und dass wir damit beginnen uns auszutauschen und miteinander zu kommunizieren.“

Veronika Reininger

Veronika Reininger (freiberufliche EDV-Trainerin, 42): „Es ist einfach wichtig patriarchale Strukturen abzuschaffen. Solange ein patriarchales System vorherrscht und Frauen nicht den Männern gleichgestellt sind, ist Gewalt vorherrschend.“

„Die Situation hat sich sehr verschlechtert“

  • 10.02.2013, 11:48

Bukasa Di-Tutu: "Die Situation hat sich sehr verschlechtert. Das Studium ist heute viel zu teuer, unsozial und es gibt fast keine Nebenjobs. Und es st auch eine Tatsache, dass afrikanische Menschen in Österreich respektlos behandelt werden."

progress: Wann sind Sie nach Österreich gekommen?

Di-Tutu Bukasa: 1971. Es gab damals mehrere Gründe, die Republik Kongo zu verlassen: Einerseits die politische Situation und andererseits  meinen Forschungs- und Entdeckungsdrang. Im Licht der Dynamik der 68er-Bewegung und nach einem fruchtbaren Sommer in Österreich entschied ich mich spontan zu bleiben. Die inspirierenden StudentInnen, Freundschaft und der Reiz einer neuen Kulturwelt durch die deutsche Sprache zogen mich an.

Welches Studium haben Sie absolviert?

Drei Jahre lang besuchte ich gemeinsam mit anderen ausländischen Studierenden einen Vorstudienlehrgang in Mödling. Ab 1975 absolvierte ich ein interdisziplinäres Studium aus Politikwissenschaft und Völkerrecht an der Universität Wien. Parallel dazu studierte ich aus rein akademischem Interesse Jus. Denn eine Laufbahn als schwarzer Anwalt in Österreich wäre damals nicht denkbar gewesen. Nach dem Studienabschluss habe ich 1981 den postgradualen Universitätslehrgang „Internationale Beziehungen“ besucht.

Wie haben Sie sich Ihr Studium finanziert?

Abgesehen von den ermäßigten Studiengebühren während des Vorstudienlehrgangs habe ich keine Unterstützung vom  österreichischen Staat erhalten. Während meiner Studienzeit musste ich bei verschiedenen Firmen schuften. Ich habe unter anderem jahrelang in einer Tischlerei und als Taxilenker gearbeitet.

Denken Sie, dass sich die Situation für Studierende aus Afrika verschlechtert hat?

Die Situation hat sich sehr verschlechtert. Das Studium ist heute viel zu teuer, unsozial und es gibt fast keine Nebenjobs. Und es ist auch eine Tatsache, dass afrikanische Menschen in Österreich respektlos behandelt werden. Aber ich denke, dass sich global die  öffentliche Wahrnehmung von schwarzen Menschen verändert hat. Durch Menschen wie Nelson Mandela, Colin Powell, Condoleezza Rice, Kofi Annan und Barack Obama sind schwarze Menschen heutzutage in europäischen Großstädten sehr präsent. Und der Glaube, dass Weiße von Natur aus das Privileg haben, Schwarzen gegenüber rassistisch aufzutreten, ist im Wandel.

Di-Tutu Bukasa ist Herausgeber von The Global Player und Menschenrechtsaktivist.

Zum dazugehörigen Artikel "Unter Generalverdacht?"
Über den Kampf Baraka Kimambos aus Tansania zum Studium an der Uni Wien und die bürokratischen Hürden für rumänische Studierende in Österreich.

„In rechtlicher Hinsicht drastisch prekarisiert“

  • 10.02.2013, 11:16

Juristin Petra Sußner im Kurzinterview zur rechtlichen Situation ausländischer Studierender an Österreichs Unis.

Juristin Petra Sußner im Kurzinterview zur rechtlichen Situation ausländischer Studierender an Österreichs Unis.

progress: Mit welchen Hürden haben ausländische Studierende in Österreich zu kämpfen?

Petra Sußner: Studierende ohne EUPass sind mit Hürden konfrontiert, die sich in einem verschachtelten legistischen Sammelsurium verbergen und sogar die damit befassten BeamtInnen oft überfordern. Das ist auf die konstant restriktiv gestaltete Fremden- und Asylgesetzgebung der letzten 20 Jahre zurückzuführen. Ein wenig zugänglicher gestaltet sich die Rechtslage für Personen mit einer StaatsbürgerInnenschaft aus dem EU-Raum. Für drittstaatsangehörige Studierende sind der Nachweis eines monatlichen Unterhalts in der Höhe von 837,63 Euro zuzüglich Mietkosten ab dem 25. Lebensjahr und der Nachweis eines Studienerfolgs im Ausmaß von 16 ECTSPunkten eine relevante Zugangshürde. Jüngere müssen 450 Euro nachweisen. Sie müssen jährlich im Rahmen des Antrags auf Verlängerung des Aufenthaltstitels vorgezeigt werden. Auch das Nostrifikationssystem ist kostenintensiv und kaum  überschaubar.

progress: Seit wann werden die Gesetze für Studierende aus dem Nicht-EU-Raum verschärft?

Eine drastische Rolle kommt dem parteipolitisch breit befürworteten Fremdenrechtspaket 2005 zu: Seither gibt es etwa  Auslandsantragstellungen nach absolvierten Aufnahmeprüfungen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei Fristversäumungen oder  Verschärfungen der Unterhaltsanforderungen.

progress: Wann droht ausländischen Studierenden die Abschiebung?

Drittstaatsangehörige sind wesentlich schneller einer Abschiebungssituation ausgesetzt als EU-BürgerInnen. Gefährlich wird es für ausländische StaatsbürgerInnen, wenn ihre Aufenthaltstitel nicht verlängert werden, sie strafrechtlich verfolgt werden oder auch ohne die entsprechenden Bewilligungen erwerbstätig sind. Rechtlich vorgegangen werden kann vor allem gegen die Rückkehrentscheidungen, Ausweisungen und Aufenthaltsverbote. Sie bilden die bescheidmäßige Grundlage der Abschiebungen. Private und familiäre Interessen im Sinn des Artikels acht der Europäischen Menschenrechtskonvention können hier  dagegengehalten werden.

progress: Was sind die Bedingungen, um nach Studienende in Österreich bleiben zu dürfen?

Man kann die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ für AkademikerInnen beantragen. Dann steht ein halbes Jahr zur Arbeitssuche zur Verfügung. Wer in diesem halben Jahr keine Erwerbsarbeit gefunden hat, die den gesetzlichen Anforderungen entspricht, ist von Abschiebung bedroht. Eine der Anforderungen ist etwa ein monatlicher Entgeltanspruch in der Höhe von mindestens 45 Prozent der Höchstbeitragsgrundlage. Im Jahr 2012 handelte es sich dabei um 1.903,50 Euro. Außerdem muss es sich um eine den Qualifikationen entsprechende Erwerbstätigkeit handeln.

Petra Sußner verfasst derzeit ihre Dissertation, in der sie sich juristisch mit dem asylrechtlichen Verfolgungsgrund der sexuellen Orientierung auseinandersetzt. Sie hat jahrelang als Rechtsberaterin bei verschiedenen NGOs sowie als Rechtsanwaltsanwärterin für und mit MigrantInnen gearbeitet.

Zum dazugehörigen Artikel "Unter Generalverdacht?" über den Kampf Baraka Kimambos aus Tansania zum Studium an der Uni Wien und die bürokratischen Hürden für rumänische Studierende in Österreich.

Unter Generalverdacht?

  • 09.02.2013, 17:21

Die österreichischen Universitäten werben damit, international vernetzt zu sein und ausländischen Studierenden eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Doch die meisten ausländischen Studierenden sind mit immensen Problemen konfrontiert. Claudia Aurednik gibt Einblick in ihre Schwierigkeiten und Herausforderungen.

Die österreichischen Universitäten werben damit, international vernetzt zu sein und ausländischen Studierenden eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Doch die meisten ausländischen Studierenden sind mit immensen Problemen konfrontiert. Claudia Aurednik gibt Einblick in ihre Schwierigkeiten und Herausforderungen.

„Ich habe wegen der Bürokratie an der Universität Wien drei Semester meines Studiums verloren“, erzählt Baraka Kimambo*: „Zuvor hatte zwar die Universität für Bodenkultur bereits alle Zertifikate der Republik Tansania anerkannt, aber die Uni Wien verweigerte die Zulassung. Sie forderte Bestätigungen, die es in Tansania gar nicht gibt.“ Nach einem langen Briefwechsel mit den Behörden in Tansania und zahlreichen erfolglosen Gesprächen mit der Zulassungsstelle war noch immer keine Lösung absehbar. Kimambo hatte jedoch das Glück, in einem Ministerium an einen Juristen zu geraten, der großes Interesse an Afrika hat. „Ohne Glück geht es nicht. Bei der Zulassungsstelle war das aber leider nicht so“, resümiert Kimambo. Von Tansania aus hatte er sich nach der Highschool an verschiedenen europäischen und amerikanischen Universitäten beworben. Als er nach einem Jahr aus Österreich eine positive Antwort erhalten hatte, beschloss er, in Wien zu studieren. Den Kampf mit der österreichischen Bürokratie konnte er letztlich  gewinnen. Seit dem Wintersemester 2011/12 studiert der mittlerweile 25Jährige an der Universität Wien Afrikawissenschaften.

Baraka Kimambo.

BARAKA KIMAMBO. Der Studienbeginn an der Universität für Bodenkultur war jedoch überaus schwierig: „Ich habe Umwelt- und Bioressourcenmanagement studiert. Der Stoff wurde sehr schnell durchgenommen und Kontakt mit den ProfessorInnen war nicht möglich“, sagt Kimambo. Ein Tutorium für ausländische Studierende habe es nicht gegeben. „Am Institut für Afrikawissenschaften ist das anders, denn es ist ein kleines Institut mit netten ProfessorInnen. Und auch die StudienkollegInnen sind dort netter und viel aufgeschlossener.“ Probleme hatte Kimambo aber mit den an der Universität Wien angebotenen Deutschkursen, weil in diesen nur Alltagssprache und nicht wissenschaftliche Sprache unterrichtet wurde. „Die meisten können sich gar nicht vorstellen, was ein Studierender, der nicht aus einem EU-Land kommt, innerhalb eines Jahres alles schaffen muss. Neben der bürokratisch aufwendigen  Inskription an der Universität musste ich eine Wohnung finden und Deutsch lernen. Und neben dem Studium musste ich auch arbeiten“, erzählt Kimambo.

Gerade am Arbeitsmarkt spürt er die Diskriminierung. Immer wieder hat er Jobs nicht bekommen, weil ArbeitgeberInnen für ihn beim Arbeitsmarktservice (AMS) eine Arbeitsgenehmigung beantragen müssen. Diese Prozedur und die Unsicherheit, ob das Visum  für Kimambo verlängert wird, führen dazu, dass viele kein Interesse an seiner Arbeitskraft haben. Hinzu kommen rassistische Vorurteile gegenüber AfrikanerInnen. Gleichzeitig verlangen die MitarbeiterInnen der Wiener Magistratsabteilung 35 von Kimambo  den Nachweis einer Arbeitsstelle. „Die Probleme bedingen sich also gegenseitig“, resümiert Kimambo. Studierende, die nicht aus einem EU-Land kommen, dürfen erst seit Sommer 2011 auf Basis einer geringfügigen Tätigkeit ohne vorhergehende  Arbeitsmarktprüfung etwas dazuverdienen. „Ab dem 26. Lebensjahr muss ich für das Visum aber rund 7334 Euro pro Jahr als  Guthaben oder ein monatliches Plus von rund 815 Euro nachweisen können. Monatlich darf ich jedoch nur bis zur  Geringfügigkeitsgrenze etwas dazuverdienen – beides ist natürlich lächerlich und schier unmöglich“, erläutert Kimambo. Derzeit hat  er aus diesen Gründen Probleme mit seinem Visum. Seine Eltern können ihn finanziell kaum unterstützen. In Tansania beträgt  das Einkommen für Büroangestellte durchschnittlich 150 Euro im Monat und selbst ÄrztInnen verdienen maximal zwischen 300 und 400 Euro. Zumindest muss Kimambo aufgrund eines Abkommens zwischen der Republik Tansania und Österreich keine  Studiengebühren zahlen. „Ich habe aber viele kenianische FreundInnen, die ab dem Sommersemester 2013 380,86 Euro pro Semester zahlen müssen. Dabei zählt Kenia zu den ärmsten Ländern der Welt.“

ÖH-BERATUNG. Im „Referat für ausländische Studierende“ der ÖH-Bundesvertretung findet neben einer juristischen Beratung auch eine allgemeine Beratung in verschiedenen Fremdsprachen statt. Das Team berät auf Spanisch, Persisch, Türkisch, Kurdisch, Serbisch, Kroatisch, Bosnisch sowie Englisch und Deutsch. Tamiss Khorzad arbeitet hier als Sachbearbeiterin. „In letzter Zeit fragen viele KollegInnen verzweifelt bei mir in der persischen Beratung nach finanziellen Unterstützungen“, sagt sie.Aufgrund ihres Aufenthaltstitels dürfen auch Studierende aus dem Iran nur sehr beschränkt arbeiten. Die Problemlage ist bei ihnen dieselbe wie bei Kimambo: Die ArbeitgeberInnen müssten einen Antrag beim AMS stellen, das verursacht zusätzliche Kosten, weshalb viele lieber verzichten. „Neben den iranischen StudentInnen, die zum Studium nach Österreich gekommen sind, gibt es aber auch viele AsylwerberInnen aus dem Iran, die hier weiterstudieren möchten“, erzählt Khorzad. Am häufigsten erkundigen sich ausländische Studierende nach Stipendien, nach der Zulassung zu Studien, dem Arbeitsmarkt und Visafragen.

„Das Visum bereitet vielen Studierenden aus dem Nicht-EU-Raum große Probleme, die Erteilung des Aufenthaltstitels kann bis zu sechs Monate dauern“, berichtet der zuständige Referent Jens Marxen. Für eine Verlängerung müssen jährlich 16 ECTS-Punkte nachgewiesen werden. „Doch das ist gerade für Studierende, die eben erst Deutsch gelernt haben, besonders schwer“, sagt er. Studierende dürften bei einmaliger Nichterreichung der Punktezahl zwar noch auf die Nachsicht der Behörden hoffen. Beim zweiten Mal gäbe es hingegen keine Toleranz mehr. „Jeder Einzelfall müsste aber genau geprüft werden, denn wer den Aufenthaltstitel nicht erhält, muss das Studium abbrechen“, sagt Marxen: „Wenn jemand eine große Prüfung nicht besteht, so darf dies doch nicht das Ende des Studiums in Österreich bedeuten.“ Das Referat für ausländische Studierende bestätigt die von Kimambo angesprochene Problematik des Nachweises von Geldmitteln. Für die Erteilung eines Visums müssen Studierende aus dem Nicht-EU-Raum ein regelmäßiges Einkommen und ein Vermögen nachweisen, das den Lebensunterhalt für ein Jahr garantiert. Je nach Alter müssen  dementsprechend bis zu 830 Euro im Monat oder bis zu 10.000 Euro jährlich auf einem Konto nachgewiesen werden. Aber auch die doppelten Studiengebühren für Nicht-EU-BürgerInnen müssten abgeschafft werden, meint Marxen. Studierende aus anderen Ländern sollten nicht abgeschreckt oder gar ausgeschlossen werden. Auch die gesamte Verwaltung müsste Marxen zufolge lernen, den Unterschied zwischen einer BittstellerIn, und einem Menschen, dem rechtmäßig etwas zusteht, zu erkennen. Er ergänzt: „Viele StudentInnen aus dem Ausland haben das Gefühl, unter Generalverdacht zu stehen: Denn eigentlich dürfen sie nicht hier sein und arbeiten dürfen sie auch nicht. Nur wenn es rechtlich nicht zu verhindern ist, bekommen sie eben die Arbeitsbewilligung.“

Victoria Lippan (3. v. l.) mit ihren StudienkollegInnen. Aufgrund ihrer rumänischen StaatsbürgerInnenschaft hatte sie bereits Barrieren zu Job und Studium hinnehmen müssen. Fotos: Luiza Puiu

SCHWARZARBEIT. Victoria Lippan* (23) kommt aus Rumänien und studiert seit 2009 Translationswissenschaften und Biologie an der Universität Wien. In Temeswar hatte sie eine deutschsprachige Schule besucht. Dadurch hatte sie während ihres Studiums keine sprachlichen Hürden zu bewältigen. Einen StudentInnen-Job zu finden, war aber wesentlich schwieriger. „In einem Lokal in Strasshof  habe ich der Chefin vorgeschlagen, für zwei bis drei Tage gratis zu arbeiten, da ich ja noch keine Erfahrungen als  Kellnerin hatte. Sie meinte aber, dass meine Kollegin – die an diesen Tagen nur mich alleine arbeiten ließ – mir das Trinkgeld  überlassen sollte. Als ich am nächsten Tag zur Arbeit kam, wurde mir vorgeworfen, dass ich das Trinkgeld geklaut hätte“, erinnert  sie sich. „Außerdem hat mir dort ein angetrunkener Gast erklärt, dass er sich einen zweiten Hitler für Leute wie mich wünschenwürde.“

Die Odyssee war damit aber noch nicht beendet. Während ihres ersten Studienjahrs hatte Victoria drei Anträge beim AMS für eine geringfügige Anstellung als Kellnerin abgegeben. Diese wurden jedoch nicht bewilligt, obwohl sie rechtlich darauf Anspruch gehabt  ätte. Lippan erzählt, dass sie vom AMS mit den Worten „Fräulein, eine Anstellung im Gastrobereich für RumänInnen gibt es bei uns nicht“, hinausgeschmissen wurde. „Das hat mich wirklich sehr geärgert, weil ich in einem tollen Lokal bei einem netten Chef hätte arbeiten können“, erinnert sie sich. Lippan arbeitete daraufhin unangemeldet zwei Jahre lang als Kellnerin für fünf bis sechs Euro in  der Stunde. Das Trinkgeld durfte sie sich nicht behalten. „Es ist wirklich schwierig, schwarz zu arbeiten. Ich habe fast ein Jahr meines Studiums verloren, weil ich auf Abruf im Lokal bereitstehen musste“, erzählt sie. Erst seit dem letzten Sommer werden vom AMS geringfügige Anstellungen für RumänInnen bewilligt. Ab dem 1. Jänner 2014 soll der Arbeitsmarkt für RumänInnen und BulgarInnen geöffnet werden. Victoria betont aber auch, dass sie neben den Problemen am Arbeitsmarkt in ihren Jobs als Kellnerin ständig mit dem negativen Bild, das viele ÖsterreicherInnen von Menschen aus Rumänien haben, konfrontiert worden sei.

Auch Luiza Puiu, selbst Fotografin der Fotostrecke dieser Seiten, ist aus Rumänien nach Wien gekommen. Besonders mit dem AMS hatte Puiu zu Studienbeginn Probleme: „Als ich mich nach den Papieren für einen Nebenjob erkundigte, wurde mir entgegnet, ich könne machen was ich wolle – sie geben mir nichts.“ Puius Forderung wäre, dass interkulturelle Erfahrungen ausländischer Studierender nicht als Grund für Schlechterstellungen betrachtet werden. Und: „Ausländische Studierende sollten am Arbeitsmarktdie gleichen Rechte wie ÖsterreicherInnen haben.“

* Die Namen wurden auf Wunsch der InterviewpartnerInnen geändert und sind der Redaktion bekannt.

Das „Referat für ausländische Studierende“ der ÖHBundesvertretung bietet ein vielseitiges Beratungsangebot in mehreren Fremdsprachen an. Nähere Infos: www.oeh.ac.at

Die Autorin studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften und verfasst derzeit am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien ihre Diplomarbeit.

Selbstbestimmte Bewegungskultur

  • 14.01.2013, 07:20

Der Verein „Comot* – Bewegungskulturen & soziale Arbeit“ verfolgt mit seinem queer-feministischen Konzept einen außergewöhnlichen Ansatz. Claudia Aurednik hat für progress mit den Betreiber*innen, Trainer*innen und Trainierenden gesprochen.

Der Verein „Comot* – Bewegungskulturen & soziale Arbeit“ verfolgt mit seinem queer-feministischen Konzept einen außergewöhnlichen Ansatz. Claudia Aurednik hat für progress mit den Betreiber*innen, Trainer*innen und Trainierenden gesprochen.

Die beiden Sozialarbeiter*innen Sepideh Hassani und Mel Brugger haben 2012 den Verein „Comot*-Bewegungskulturen & soziale Arbeit“ gegründet. Comot ist die Abkürzung für „cultures of motion“ und soll auch auf das Wort „kommod“ im Sinne von gemütlich verweisen. Dies mag für viele Menschen irritierend klingen, da der Verein neben Yoga auch zweimal pro Woche Boxen und Thaiboxen anbietet. Doch für die Gründer*innen des Vereins sind diese Sportarten Teil ihres Konzepts, das Momente schaffen soll, in denen Bewegungen bewusst erlebt werden können. Bei Comot* stehen keine bestimmten sportlichen Ziele im Vordergrund, sondern die Beschäftigung mit dem Körper als Gesamtheit. Im Rahmen des Trainings sollen die Selbstwahrnehmung, Erweiterung und Entwicklung von Handlungskompetenzen gefördert werden.

Eine Besonderheit von Comot* ist dessen queer-feministischer Ansatz. Denn alle Angebote des Vereins finden finden innerhalb eines queer-feministischen Rahmens statt. Die meisten der Trainings sind für alle Geschlechter geöffnet. Comot* möchte mit diesem Ansatz insbesondere Menschen mit individuellen Identitätsentwürfen Raum bieten, die sich in hetero-normativen Zusammenhängen diskriminiert sehen. Ein einzigartiges und ehrgeiziges Konzept, das es in dieser Form in Österreich kein zweites Mal gibt. Seid Ihr neugierig geworden? Dann hört was die Gründer*innen Sepideh Hassani und Mel Brugger, die Yoga-Lehrer*in Silke Graf und die beiden Trainierenden Shiva und Julia in unserem progress-Podcast über den Verein Comot* erzählen!

Mel Brugger wird getragen von Sepideh Hassani und Silke Graf

Achtung: Comot* sucht bis 1. Februar dringend neue Trainingsräume. Falls Ihr dem Verein weiterhelfen könnt, so wendet euch an Mel Brugger und Sepideh Hassani: office@comot.at

Link zu den Trainingsräumlichkeiten

Infos über den Verein

 

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