Clara Porak

Kann Schule soziale Ungleichheit verringern?

  • 20.06.2017, 20:40
Stefan Hopmann ist international anerkannter Professor für Vergleichende Bildungswissenschaften an der Universität Wien. Mit progress spricht er über Schulkultur, Standardisierung und die Flucht des Mittelstandes.

Stefan Hopmann ist international anerkannter Professor für Vergleichende Bildungswissenschaften an der Universität Wien. Mit progress spricht er über Schulkultur, Standardisierung und die Flucht des Mittelstandes.

progress: Unser Schulsystem ist in vielen Dingen gut, aber schlecht darin, soziale Ungerechtigkeit zu verringern, stimmen Sie zu?
Stefan Hopmann: Ja, da stimme ich zu. Allerdings mit einem Nachsatz: Wieso nehmen wir eigentlich an, dass Schule Ungleichheit verringern kann oder soll? Meiner Meinung nach ist diese Ansicht Teil des großen Kompromisses, auf dem unsere Gesellschaft aufgebaut ist: Wir tauschen Steuern gegen Beteiligung am Risiko geboren zu sein, also Alter, Krankheit, Bildung.

In bürgerlichen Institutionen werden deshalb formal alle gleich behandelt. So auch im österreichischen Schulsystem: Alle sollen gleich behandelt werden, obwohl sie eigentlich verschieden sind. Das bedeutet, dass formal Chancengleichheit besteht, weil ja allen die gleichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Leider geht diese Rechnung in der Praxis aber nicht auf, da die SchülerInnen wie gesagt aus unterschiedlichen Kontexten kommen. Schwächere SchülerInnen bräuchten gezielte Förderungen, um die gleichen Chancen zu haben wie ihre KollegInnen. Reformen wie die Ganztagsschule sind diesem Gedanken widersprüchlich, weil sie eben diese Unterschiede nicht ausgleichen. Wir sprechen deshalb von einem kontrafaktischen Gleichheitsverständnis.

Wer kann Ungleichheit vermindern, wenn nicht die Schule?
Aktuell sind alle westlichen Gesellschaften von einem Anstieg an Ungleichheit gekennzeichnet, die Bildung alleine ist überfordert, wenn die Gesellschaft nicht ebenfalls versucht, Gleichheit zu schaffen. Dass Schule alleine überfordert ist, zeigt sich zum Beispiel an Leistungstests, also an Überprüfungen von SchülerInnenleistung wie PISA: Oft ist hier das Problem, dass sozial schwächere SchülerInnen auch schlechter abschneiden. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was die Ursache dafür ist: Liegt das schlechtere Ergebnis vor allem an LehrerInnen, SchülerInnen, didaktischen Methoden oder der Schulstruktur? Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur 10 bis 15 Prozent der Unterschiede lassen sich überhaupt auf Strukturen in der Schule zurückführen. Viel prägender sind Faktoren wie Herkunft, Muttersprache oder finanzielle Situation und Bildungsgrad der Familie. Wenn man also wirklich weniger Ungleichheit in der Gesellschaft schaffen will, muss man beginnen, auch Vermögen radikaler umzuverteilen.

Was ist das Problem am österreichischen Bildungssystem? Braucht es mehr Budget?
Nein, es braucht sicher kein größeres Budget. Wir haben bereits eines der teuersten Schulsysteme der Welt und geben mehr Geld aus als Länder wie Finnland oder Norwegen. Das Problem in Österreich ist also nicht die Größe, sondern die „gießkannenartige“ Verteilung der finanziellen Mittel. Man versucht, ganz im Sinne des oben beschriebenen Prinzips, allen möglichst gleich viele finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Viel effektiver wäre es meiner Meinung nach, statt großflächigen Reformen wie dem Pflichtkindergarten bedürftige Kinder und Einrichtungen gezielt zu unterstützen.

Sie sind Professor für Vergleichende Bildungsforschung – gibt es ein Land, das es richtig macht?
Ja und nein. Einerseits ist natürlich kein Schulsystem perfekt, andererseits gibt es schon Länder, von denen wir einiges lernen können. So werden zum Beispiel in manchen skandinavischen Ländern die Eltern viel stärker in den Schulbetrieb miteinbezogen. Zudem sind die Gestaltungsspielräume für Schulen viel größer. Oft ist die Schule Mittelpunkt einer Gemeinde und wird als sehr wichtig angesehen – da ist es dann selbstverständlich, dass sich der BürgermeisterInnen um den Sportplatz kümmern.

Natürlich leiden aber alle westlichen Gesellschaften unter dem Problem, dass es zu wenig soziale Durchmischung an Schulen gibt. Wir bezeichnen dies auch als „Flucht des Mittelstandes“. In allen westlichen Gesellschaften, also auch in Österreich, ist zu beobachten, dass Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder privat einschulen. Gesellschaftspolitisch ist das problematisch, man kann es aber nur durch mehr Qualität in den öffentlichen Schulen verhindern.

Wie kann man diesem Phänomen entgegenwirken?
Gezielte Förderungen schwächerer Schulen könnten der „Flucht des Mittelstandes“ entgegenwirken. Weil Bildung sehr wichtig ist, wird darin investiert. In vielen Ländern ist es nicht ungewöhnlich, einen Kredit aufs Haus aufzunehmen, um den Privatschulbesuch des Nachwuchses zu finanzieren. Eltern sind bereit, an allen Rädchen zu drehen, die sie nur irgendwie finden können, damit ihre Kinder auf die „richtige“ Schule kommen – und die ist eben oft privat. Die einzige Art, das zu unterbinden, ist an öffentlichen Schulen eine Qualität zu schaffen, die die „Flucht ins Private“ unnötig macht. Denn letztendlich sind es die Eltern, die die Schulentscheidung treffen und auf jeden Fall das Beste für ihr Kind wollen.

Welche Rolle spielen die LehrerInnen in der Umsetzung neuer Konzepte?
Eine Schlüsselrolle. Das Problem dabei ist, dass LehrerInnen nicht so sehr durch die Universität oder Ausbildung geformt werden wie durch den ersten Arbeitsplatz. Dort werden die neu Dazugekommenen nach dem Motto „Hier machen wir das so“ eingewiesen. Dadurch ändert sich sehr wenig an der Unterrichtsart an Schulen.

Dennoch gibt es auch Positivbeispiele und neue Konzepte wurden angenommen – zum Beispiel in Norwegen. Hier wird nun nicht länger in Klassen unterrichtet, sondern viel freier. Für die LehrerInnen hat das natürlich eine große Umstellung bedeutet: Sie wussten am Anfang eines Tages nicht mehr, was sie erwarten würde, mussten plötzlich viel spontaner sein und sich an neue Situationen anpassen. Anfangs hat das großes Misstrauen erweckt, doch nach einiger Zeit lernten sie die Vorteile schätzen. Allerdings brauchen solche Implementierungsprozesse immer Zeit, um die LehrerInnen von der Umstellung zu überzeugen. Dazwischen liegt ein „Jammertal“, eine Phase der Umgewöhnung und Ablehnung, die zu überwinden man den LehrerInnen helfen muss. Man sollte ihnen also vor Augen führen, warum sich die Umstellungen lohnen könnten und Engagement belohnen.

Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: Als beispielsweise die Neue Mittelschule (NMS) eingeführt wurde, gab es viele LehrerInnen, die Initiative ergriffen haben und tolle, neue Konzepte ausgearbeitet haben. Als die NMS dann zur Regelschule erklärt wurde, wurden viele dieser Konzepte verboten. Natürlich ist so etwas sehr frustrierend und hemmt den Willen der LehrerInnen, sich auf Neues einzulassen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Standardisierung und Chancengleichheit?
Ja, aber einen kontrafaktischen: Die Begründung von Standardisierung ist eigentlich, dass die Besten durchkommen, wenn man allen die gleichen Ressourcen gibt. Wenn also alle einen Standard erfüllen müssen und das gleiche Maß an Unterstützung bekommen, sollte Herkunft kein ausschlaggebender Faktor zum Schulerfolg sein. In der Realität ist das aber oft anders herum.

Grund dafür ist einerseits, dass diejenigen mit mehr Ressourcen auch mehr Ressourcen haben, um auf neue Standards zu reagieren. So können sich SchülerInnen aus reicheren Familien beispielsweise Zusatzmaterialien zu neuen Standards wie der Zentralmatura leisten, die für finanziell weniger starke KollegInnen schwerer zugänglich sind. Außerdem profitieren Kinder aus bildungsnäheren Familien von der längeren Schulerfahrung der Eltern.

Hinzu kommt noch, dass im Zuge der zunehmenden Standardisierung SchülerInnenleistungen immer öfter überprüft werden. Das bedeutet auch, dass von dem, was die SchülerInnen leisten, auf die Leistung von Schule und Lehrenden geschlossen wird. Dass so ein linearer Schluss nicht treffend ist, mag logisch erscheinen, in der Praxis wird aber genau auf diese Weise argumentiert. So stehen Lehrende und Schulen unter Druck – plötzlich müssen sie sich rechtfertigen, wieso ihre Klasse oder ihr Jahrgang etwas kann oder nicht kann. LehrerInnen neigen deshalb dazu, sich auf das mittlere Leistungsfeld zu konzentrieren, denn hier ist es am einfachsten, Zugewinne zu generieren. Dabei geht das Augenmerk auf SchülerInnen, die über- oder unterdurchschnittliche Leistungen erbringen, verloren. VerliererInnen der Standardisierung sind also die sozial Schwachen.

Sie stellen dem das Konzept der starken Schule entgegen.
So ist es. In der Schule gibt es zwei wichtige Pole, zwischen denen den SchülerInnen Wissen vermittelt wird: Einerseits ist das Qualifizieren, also das Erlernen bestimmter Fähigkeiten bzw. Kompetenzen, ein wichtiger Aspekt. Andererseits von großer Bedeutung ist das Kultivieren, also das Sozialisieren, das dazu führt, dass Kinder Teil einer Gemeinschaft und letztlich Mitglieder unserer Gesellschaft werden.

Ich reise aktuell mit einer Vortragsreihe zum Thema „starke Schule“ durchs Land, da ich überzeugt bin, dass der Fehler, der gerade gemacht wird, ist, dass zu viel Fokus auf Qualifizierung gelegt wird. Dabei geht die Schulkultur verloren.

Eine Schule ist stark, wenn sie eine starke Schulkultur hat. Das bedeutet, dass klar ist, warum die SchülerInnen da sind, was sie machen sollen und wie. Meiner Ansicht nach ist das einer der Hauptgründe, warum SchülerInnen an Privatschulen meist gute Ergebnisse erzielen. Solche Schulen haben eine klare Identität, mit der man sich identifizieren kann. Allen Kindern ist klar, was die Schule, die sie besuchen, ausmacht.

Wie profitieren sozial schwächere Kinder von dem Konzept der starken Schule?
So eine starke Schulkultur macht es neuen oder sozial schwächeren SchülerInnen einfacher, sich in die Gemeinschaft einzufügen. Untersuchungen haben ergeben, dass durch starke Schulkultur langfristig alle SchülerInnen bessere Ergebnisse in Leistungstests erzielen. Kinder, die an Schulen wie „die Schotten“ gehen, fühlen sich als Teil eines Ganzen und sind stolz auf ihre Schule. Darum helfen sie sich gegenseitig und sind motivierter, weil man das so macht hier. Solche sozialen Dynamiken sind extrem wirkungsvoll.

Clara Porak studiert Deutsche Philologie und Bildungswissenschaften an der Universität Wien.

Was du über die ÖH wissen solltest

  • 12.05.2017, 22:19
Von Bürokratieverwirrung, demokratischen Systemen und Soziologiefesten. Eine Anleitung, um die ÖH in ihren Grundzügen zu verstehen. Für AnfängerInnen, von einer (fast) Anfängerin.

Von Bürokratieverwirrung, demokratischen Systemen und Soziologiefesten. Eine Anleitung, um die ÖH in ihren Grundzügen zu verstehen. Für AnfängerInnen, von einer (fast) Anfängerin.

Das Studium ist verwirrend. „Die“ Uni ist gar nicht eine Uni, sondern befindet sich in ungefähr 400 Gebäuden, ProfessorInnen sind auch nur Menschen und wenn man sich nicht rechtzeitig für etwas anmeldet, hilft auch nicht lieb bitte sagen. Kurzum: Studienbeginn ist so ziemlich die Hölle und anfangs ist man vor allem damit beschäftigt, sich durch einen Bürokratie-Dschungel zu schlagen und dabei nicht aufs Lernen, Essen und Atmen zu vergessen. Aber spätestens, wenn du im zweiten Semester bist, weißt du, dass die Getränke im Automaten überraschend billig sind, und musst nicht mehr halbfreundliche Begegnungen um Wegbeschreibungen bitten. Dann hast du Zeit, dich zu fragen, wie die wirklich wichtigen Dinge funktionieren. Die ÖH zum Beispiel. Die ist nämlich verdammt kompliziert. Aber keine Panik, dieser Artikel bietet dir den ultimativen Guide.

ALLGEMEINES. Die Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (kurz ÖH) wurde 1945 gegründet und versteht sich als Sprachrohr der Studierenden gegenüber den Hochschulen und der Politik. Außerdem vertritt sie die österreichischen StudentInnen im internationalen Bereich. Alle zwei Jahre wird sie von allen Studierenden neu gewählt. Von 16. bis 18. Mai steht die nächste Wahl an und deshalb solltest du spätestens dann wirklich Bescheid wissen. Die Mitgliedschaft in der ÖH ist Pflicht, das bedeutet, dass alle Studierenden automatisch ab der Zulassung zum Studium Mitglied sind. Das schließt mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit auch dich ein, du hast also die dementsprechenden Rechte und Pfl ichten. In dem Fall sind es vor allem Rechte – Wählen gehen zum Beispiel (subtile Aufforderung, hust hust).

Derzeit Vorsitzende der ÖH ist Lucia Grabetz vom VSStÖ (Verband Sozialistischer StudentInnen in Österreich), also sozusagen die Arbeiterkammer- Präsidentin der Uni-Welt. Ihre Hauptaufgabe ist gemeinsam mit den anderen drei Vorsitzenden die Vertretung der ÖH nach außen.

STUDIENVERTRETUNG. Organisiert ist die ÖH in mehreren Ebenen. Vermutlich hast du schon von der Studienvertretung (StV) gehört oder ihr ein verzweifeltes Mail geschrieben, weil dir das jemand in einer x-beliebigen Facebook-Gruppe geraten hat. Und das ist auch okay, denn die StV ist die erste Ansprechpartnerin für (verzweifelte) Studierende.

Auf FHs sieht das ein bisschen anders aus. Hier ist die ÖH in drei Ebenen organisiert: Es gibt eine Hochschulvertretung (siehe unten), eine Jahrgangsvertretung, die speziell für die Betreuung eines Jahrgangs zuständig ist, und – wie an den Universitäten – Studienvertretungen.

Jede Studienrichtung hat ihre eigene Studienvertretung mit je nach Studiengröße drei bis fünf Personen, die sich aktiv darum kümmern, den Studienalltag möglichst angenehm zu gestalten, und dir bei Problemen helfen – das Anmeldesystem zu verstehen zum Beispiel. „Den Großteil unserer Zeit investieren wir in Tutorien und Beratung“, meint Timo von der StV BaGru Soziologie an der Universität Wien. „Jeden Tag hat jemand Journaldienst und steht sowohl per Mail als auch persönlich für Fragen bereit – besonders Erstsemestrige holen sich oft Rat“, so Timo im Interview. Außerdem beschicken die Studienvertretungen verschiedene Gremien, in denen sie für die Rechte der Studierenden eintreten. Und auch der Spaß kommt nicht zu kurz: „Wir veranstalten aber auch ein bis zwei Mal im Semester ein Soziologiefest“, betont Timo.

Gewählt werden die VertreterInnen durch Personenwahl. Das bedeutet, dass die StudienvertreterInnen nicht in Zusammenhang mit einer der Fraktionen (dazu später mehr) stehen, sondern als neutrale AnsprechpartnerInnen agieren sollen. Aber auch Freiwillige, die nicht gewählt sind, wirken in manchen Studienvertretungen mit. So zum Beispiel Timo, der sich seit seinem ersten Semester engagiert: „Bei uns werden alle Entscheidungen basisdemokratisch getroff en, was bedeutet, dass alle, die zu unserem wöchentlichen Plenum kommen, mitbestimmen dürfen. Es sind also nicht nur die gewählten VertreterInnen an Entscheidungen beteiligt.“ Dieses Prinzip ist bei Basisgruppen besonders wichtig. Sie wollen niemanden überstimmen, sondern nach einer gemeinsamen Lösung suchen, bis ein Konsens gefunden ist.

FAKULTÄTSVERTRETUNG. Zwischen Studienvertretung und Hochschulvertretung Hochschulvertretung agieren Fakultäts- und Zentrumsvertretungen auf der Ebene der Fakultäten bzw. Zentren. Falls du (wie ich) auch nicht weißt, was eine Fakultät ist und bis jetzt immer nur gelächelt und genickt hast, wenn jemand das Wort erwähnt hat, kommt hier die lang ersehnte Antwort:

Alle zwei Jahre, immer vor einer anstehenden ÖH-Wahl, beschließt die Universitätsvertretung die Zusammenfassung verschiedener Studienrichtungen zu Studienvertretungen und die Zuordnung der Studienvertretungen zu Fakultäts- bzw. Zentrumsvertretungen. Das bedeutet, es handelt sich de facto einfach nur um ein Bündel von Studienvertretungen, die zusammengefasst werden.

Um beim Beispiel Soziologie zu bleiben: Aktuell gehört dieses Fach gemeinsam mit Kultur- und Sozialanthropologie, Publizistik, Gender Studies, Pfl egewissenschaft und Politikwissenschaft zur Fakultät für Sozialwissenschaften. „Wir arbeiten eng mit den anderen Studienvertretungen unserer Fakultät zusammen und sind gut vernetzt“, erklärt Timo.

Insgesamt gibt es zum Beispiel an der Uni Wien 15 Fakultäten. Diese Zahl ändert sich aber von ÖH-Wahl zu ÖH-Wahl und von Universität zu Universität. Manche Universitäten bzw. Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen haben gar keine Fakultäten, sondern „Departments“, die keine eigenen Vertretungen haben. Ob es und zu welcher Fakultät das Studium deines Herzens gehört, erfährst du auf der Webseite deiner lokalen ÖH bzw. Studienvertretung.

Die Fakultätsvertretungen vertreten dich gegenüber dem Dekanat (sozusagen die Frau oder der Herr Direktor, nur mit weniger Klischee und mehr wissenschaftlichem Background) und arbeiten in verschiedenen Unigremien. Diese Ebene der ÖH wird nicht gewählt, sondern die MandatarInnen werden von den je zugeordneten Studienvertretungen entsandt.

HOCHSCHULVERTRETUNG. Die Hochschulvertretung ist die nächsthöhere Ebene. Man kann sie sich als Studierendenparlament jeder einzelnen Hochschule vorstellen. In diesem Organ der ÖH sitzen verschiedene Fraktionen, die ähnlich wie die Parteien im Parlament verschiedene Interessen vertreten. An den einzelnen Hochschulen kandidieren zum Teil andere Fraktionen als auf Bundesebene.

Alle Hochschulvertretungen müssen verpfl ichtend je ein Referat für Bildungspolitik, Sozialpolitik und wirtschaftliche Angelegenheiten (Wirtschaftsreferat) einrichten, können aber bei Bedarf auch andere initiieren. Ein Referat ist eine Organisationseinheit, die eine bestimmte Aufgabe innerhalb der ÖH erfüllen soll.

Eine weitere Aufgabe der Universitätsvertretung ist es, VertreterInnen in den Senat zu schicken. Der Senat ist ein Entscheidungsorgan der Universität, in dem Lehrende, allgemeines Personal und eben Studierende sitzen. Hier werden unter anderem Curricula beschlossen.

BUNDESVERTRETUNG. Die ÖHBundesvertretung ist die Vertretung aller Studierenden an Universitäten, Privatuniversitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen in Österreich. Die Bundesvertretung besteht aus 55 VertreterInnen.

Seit 2015 wird die ÖH-Bundesvertretung wieder direkt durch Listenwahl gewählt. 2017 kandidieren folgende Fraktionen, die zum Teil Parteien nahestehen:
AG – AktionsGemeinschaft (Studentenforum), Vorfeldorganisation der ÖVP
FLÖ – Unabhängige Fachschaftslisten Österreichs, parteiunabhängig
GRAS – Grüne & alternative StudentInnen, Vorfeldorganisation der Grünen
JUNOS – Junge liberale Studierende, Vorfeldorganisation der NEOS
KSV-LILI – Vorfeldorganisation der Bundes-KPÖ
KSV-KJÖ – Vorfeldorganisation der steirischen KPÖ
NO MA'AM – Spaßfraktion
RFS – Ring Freiheitlicher Studenten, Vorfeldorganisation der FPÖ
VSStÖ – Verband Sozialistischer StudentInnen in Österreich, Vorfeldorganisation der SPÖ

Diese Fraktionen sind es, die du per Listenwahl wählen kannst, um ihnen Sitze im ÖH-Bundesrat zu verschaff en. Yay, Demokratie!

Die Bundesvertretung vertritt die Interessen aller Studierenden österreichweit, berät in verschiedenen Referaten und gibt zusätzlich Broschüren zu studienrelevanten Themenstellungen heraus. Zu einer wichtigen Aufgabe gehört das Bilden der Ausschüsse für Bildungspolitik, Gleichstellungsfragen, Internationale Angelegenheiten, Sonderprojekte, Sozialpolitik und jenem für wirtschaftliche Angelegenheiten. Diese werden je nach Stärke der Fraktionen in der Bundesvertretung beschickt. Zweimal pro Semester fi nden Sitzungen statt, die öff entlich zugänglich sind.

Außerdem besetzt auch die ÖH-Bundesvertretung Referate. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Referaten existieren momentan noch folgende andere: das Referat für Studien- und MaturantInnenberatung, das Referat für ausländische Studierende, das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten, das Referat für pädagogische Angelegenheiten, das Referat für Internationale Angelegenheiten, das Referat für Öff entlichkeitsarbeit, das Unabhängige Tutoriumsprojekt, das Referat für feministische Politik, das Referat für Menschenrechte und Gesellschaftspolitik, das Referat für Barrierefreiheit, das queer_referat und das Referat für Privatuniversität-Angelegenheiten.

Ein gutes Beispiel, um zu verstehen, was ein Referat macht, ist jenes für Öff entlichkeitsarbeit. Dieses Referat kümmert sich um die Webseite der ÖH und gibt Flyer und Broschüren heraus. Außerdem ist progress, also die Zeitung, die du gerade liest, Teil davon.

Seit 2015 ist auf Bundesebene die AG mit 16 Mandaten vorherrschend, knapp dahinter die GRAS mit 12. Wenn nicht eine Fraktion die absolute Mandatsmehrheit erreicht, bilden mehrere eine Koalition, um die Exekutive zu übernehmen (wir sind ja schließlich in Österreich …). Derzeit sind das FEST (Fraktion engagierter Studierender, tritt 2017 nicht für die BV an), FLÖ, GRAS und VSStÖ. Die Exekutive setzt die Beschlüsse der Bundesvertretung um und sorgt dafür, dass in den Referaten und Arbeitsbereichen alles glatt läuft. Großteils sind hier ehrenamtliche MitarbeiterInnen am Werk, es gibt aber auch zahlreiche Angestellte, die in den Referaten tätig sind. Bei Fragen stehen die Referate und Arbeitsbereiche jederzeit zur Verfügung.

Das war also die ÖH im Schnelldurchlauf. Und genau deshalb zahlst du deine 19,20 Euro ÖH-Beitrag. Schon irgendwie das Geld wert, oder?

Clara Porak studiert Deutsche Philologie und Bildungswissenschaften an der Uni Wien.

Von Zukunftsmusik, falscher Urlaubsidylle und Wiener Humor

  • 16.03.2017, 11:20
Wir haben uns das Festival „ Neues Wiener Volkstheater“ angesehen.

Wir haben uns das Festival „ Neues Wiener Volkstheater“ angesehen.

„Ich bin nicht harmlos. Einmal nicht!“ ruft der junge Mann in den kanariengelben Hosen und zieht eine Pistole aus seinem Mantel. Stille droht den Raum zu zerreißen. „Oida jez sei einmal leiwand“, kontert Melli und wie ein Echo folgen Lacher.

Wir befinden uns in einem der vier Theaterstücke, die im Rahmen des Festivals „Neues Wiener Volkstheater“ als szenische Lesungen inszeniert wurden. Das Festival fand von 9. bis 12. März 2017 als Kooperation des Volkstheaters und des Max Reinhardt-Seminars statt. KünstlerInnen aus beiden Institutionen gingen in enger Zusammenarbeit der Frage nach, wie zeitgemäßes Volkstheater aussehen kann.

papier.waren.pospischil“ von der burgenländischen Autorin Theodora Bauer fand sich unter den gelesenen Stücken. Das skurril- humorvolle Werk spielt mit Alter, Schein, Missverstehen und bringt mit viel Humor alternde Drogendealer und eine verwirrte und leidenschaftliche Jugend auf die Bühne. Inszeniert wurde es von Anna Marboe, die am Reinhardt Seminar studiert. SchauspielerInnen waren sowohl Studierende, als auch am Volkstheater Wirkende. In humorvoller und mitreißender Atmosphäre prallen Menschen und Welten aufeinander: Die Auszubildende Melli kommt hinter das Dunkle Geheimnis ihrer Chefin, die im Hinterzimmer der Papierhandlung heimlich mit Drogen dealt. Als die Frau Aussteigen will, kommt sie in Konflikt mit ihrem Kollegen. Zufällig platzt ein junger Mann, der einem Selbstmordversuch unternehmen will, in die Situation.

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Die fantasievolle und doch minimalistische Inszenierung des Stückes „Kalami Beach“ von Akin E. Şipal überzeugte mit schlichtem Bühnenbild, herausragenden schauspielerischen Leistungen und der außergewöhnlichen Regie Maria Sendlhofers. Die szenische Skizze des neuen Textes behandelt das Treffen einer Türkin und eines Deutschen auf Korfu. Nach ihrem Selbstmordversuch fischt er sie aus dem Meer, worauf die beiden eine halbherzige Affäre beginnen. Als die vermeintlich unfruchtbare Türkin schwanger wird, stellt sich die Frage nach einer gemeinsamen Zukunft, in der die Frage nach der eigenen Identität widerhallt.

Außerdem aufgeführt wurde „Zwillingssterne“ von Florence Read (Übersetzung von Michael Sommer). Das mehrfach ausgezeichnete Stück erzählt in verschiedenen kurzen Szenen von Begegnungen zweier Menschen.

In eine versunkene Stadt, in der die Menschen leben ohne zu leben, entführte das 1937 entstandene „Vineta“ von Jura Soyfer seine ZuschauerInnen. Durch die Erzählung des Matrosen Johnny lernt das Publikum diesen Ort ohne Zeit und Erinnerungen kennen.

Interessant war das Konzept der szenischen Lesung: Einerseits war das Ablesen der SchauspielerInnen für die ZuschauerInnen ungewohnt und teilweise irritierend, da es eine Art Distanz zwischen SchauspielerIn und Rolle herstellte. Dennoch hatte es einen Vorteil: Unwillkürlich kam man ins Grübeln, wie sich das Stück weiterentwickeln könnte. Insgesamt machte die Veranstaltung Lust auf Neues und Hoffnung auf eine rosige Zukunft des Wiener Theaters.

Weitere Infos unter auf der Webseite des Volkstheaters und des Max Reinhardt Seminars.


Clara Porak studiert Deutsch Philologie und Bildungswissenschaften an der Uni Wien.