Was vom Jasminduft geblieben ist

  • 17.12.2013, 16:07

Fast drei Jahre nach dem Sturz des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali lechzt Tunesien nach Stabilität und die tunesische Jugend nach Perspektiven. Die Revolution ist festgefahren, radikale Kräfte agieren immer offener.

Fast drei Jahre nach dem Sturz des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali lechzt Tunesien nach Stabilität und die tunesische Jugend nach Perspektiven. Die Revolution ist festgefahren, radikale Kräfte agieren immer offener.

Fast drei Jahre sind vergangen, seit sich der damals 26-jährige tunesische Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in Sidi Bouzid selbst im Brand steckte. Drei Wochen später erlag er den Verletzungen, während seine Heimatstadt zur „Wiege der Jasminrevolution“ wurde.
Ein Akt, der zu Protesten und Umstürzen, Bürgerkriegen und letztendlich auch Reformen führte. In Tunis hat sich der Großteil der Hoffnungen der revolutionären Bewegungen jedoch noch nicht erfüllt, am wenigsten jene der jungen Generation. Das tief gespaltene Land ringt um seine Zukunft. Maßgeblich dafür verantwortlich sind die ideologischen und programmatischen Gräben, die die politischen Lager trennen. Hinzu kommen außerparlamentarische Kräfte, in erster Linie radikale Salafist_innen, die mächtigen Gewerkschaften, aber auch jene Bevölkerungsschicht, die einst von Ben Alis Regime profitierte und jetzt zusätzlich Konflikte schürt.

Gespaltene Gesellschaft. Nach wie vor hat Tunesien keine neue Verfassung, sondern lediglich einen von der Verfassungsgebenden Versammlung erarbeiteten, nicht-akzeptierten Entwurf. Die Grundübel der Vergangenheit unter dem Ben-Ali-Clan – Vetternwirtschaft, Korruption, Armut, Arbeitslosigkeit – sind noch nicht beseitigt. Zwar existiert vor allem dank Online-Medien eine gewisse Pressefreiheit, doch was Blogger_innen und Neo-Newsportale aufdecken – beispielsweise das ministerielle Verprassen von Staatsgeldern für Luxushotels und teuren Champagner – lässt das Vertrauen in die neuen Strukturen schwinden.
Dennoch, die moderat-islamistische Ennahda-Partei, die eine quasi-permanente Übergangsregierung und den Premier Ali Larayedh stellt, klammert sich beharrlich an die Macht, wenngleich Larayedh seinen Rücktritt längst angeboten hat. Der Ennahda wird nicht nur ein ambivalentes Verhältnis zu militanten Salafist_innen unterstellt, zudem soll sie jene decken, die die tödlichen Mordanschläge auf Mohamed Brahmi und Chokri Belaid begangen haben – sofern die Mörder_innen nicht sogar aus ihren eigenen Reihen stammen. Brahmi war Parlamentsabgeordneter und Gründer der Partei Volksbewegung, Belaid Politiker der linken Bewegung Patriotischer Demokraten. Beide waren Teil der linksliberalen Volksfront zur Verwirklichung der Revolutionsziele. Auf ihrer Ermordung folgten schwere Unruhen; nach Belaids gewaltsamem Tod wurde der Dialog der verfeindeten politischen Lager in Tunesien abgebrochen.
Während dieser Dialog bis heute nie so recht in Gang gekommen ist, pochen die Salafist_innen immer offener auf einen Gottesstaat. Ein solcher wird in Tunesien aber auch auf lange Sicht wohl nicht errichtet werden. Zu groß ist die Zahl derjenigen, die eine funktionierende, mit Freiheiten ausgestattete Demokratie fordern. Immerhin sind die oppositionellen Kräfte, darunter Linke, Sozialist_ innen und Liberale, fast so stark wie die Ennahda, die viele ihrer einstigen Wähler_innen vergrault hat.

Blockade-Spiel. Größtes Hindernis für die Umsetzung der dringend anstehenden Reformen in Tunesien ist, wie Analyst_innen betonen, der Kommunikationsboykott von Regierung und Opposition, der den wichtigen „nationalen Dialog“ verhindert. Man bezichtigt sich gegenseitig der Blockade und schiebt einander die Schuld am Stillstand zu. Das machen sich vor allem die gemeinsamen Feinde beider Seiten, die einstigen Nutznießer_innen des Ben-Ali-Regimes, zu Nutze und gießen noch Öl ins Feuer.
Auch die Terrorgruppe Al Qaida des Islamischen Maghreb erstarkte in den Revolutionswirren und bewaffnete sich während des Bürgerkriegs im benachbarten Libyen. Die Zahl der Anschläge – auch in Tourismusorten – steigt. Gerade der Tourismus ist jedoch wirtschaftlich die größte Hoffnung der jungen Demokratie, die kaum über Rohstoffe verfügt.
Wiederholt kam es auch zu Gewaltakten und Ausschreitungen rund um Kunstausstellungen und Filmpremieren, wenn gezeigte Inhalte nicht den rigiden Moralvorstellungen von selbsternannten Glaubenshüter_innen entsprachen. Von Moralhüter_innen in den Reihen der Justiz werden exemplarisch Prozesse gegen Jugendliche geführt, die Kuss-Fotos auf Facebook posten. Auch Musiker, wie die Rapstars Alaa Yaacoub und Ahmed Ben Ahmed aka Weld El 15 und Klay BBJ mussten untertauchen – wegen kritischer Songs, die der Revolutionsjugend aus der Seele sprechen, etwa ihrem Track „Polizisten sind Hunde“ (arab. „Boulicia Kleb“). In Abwesenheit hat man sie zu 21 Monaten Haft verurteilt.
Einer, der maßgeblich zum Umsturz Ben Alis beigetragen hat, ist Hamadi Kaloutcha – ein Alias des einstigen Cyberdissidenten Sofiène Ben Haj M’Hamed, der nach seinem Politikwissenschaftsstudium in Brüssel noch zu Diktaturzeiten nach Tunesien heimkehrte. Sein Pseudonym bot allerdings nur bedingt Schutz: Drei Tage war er nach einer Polizeirazzia unter Schlafentzug verhört worden. „Sie haben zwar nicht meinen Laptop, jedoch den meiner Ehefrau beschlagnahmt“, wie Ben Haj M’Hamed sagt. Er übersetzte unter anderem pikante Wikileaks-Dokumente, in denen es um Ben Ali geht, ins Französische und Arabische.
 

Trotz allem Optimist. Ben Haj M’Hamed ist nach wie vor Cyberaktivist. Gilt es doch das Erreichte zu verteidigen, und das Erhoffte zu erlangen. Ungefährlich ist das freilich nicht. Im Oktober wurde er, wie er selbst twitterte, aufgrund eines Facebook-Posts von islamistischen Schlägern physisch attackiert. Zudem ist Ben Haj M’Hamed als Filmemacher aktiv und verdient den Lebensunterhalt für sich und seine Familie mit Gelegenheitsjobs für ausländische Nachrichtenteams. Doch auch wie internationale Medien über die Situation in Tunesien berichten, kritisiert er: „Sie kommen mit vorgefertigten Meinungen. Manche Reportagen sind fertig, bevor die Teams zu drehen beginnen. Auch Journalist_innen von staatlichen TV-Sendern sind oft manipulativ und vorurteilsbehaftet.“ So würden mitunter etwa fälschlicherweise Salafist_innen als die dominante Kraft im Land dargestellt.
Auf die Frage, was sich verbessert habe, antwortet er: „Vieles“ und scherzt: „Nun muss ich nicht mehr mehrere Proxy-Server hintereinander schalten, um die Ortung meines Standortes zu erschweren, oder über fremde WLAN-Netze einsteigen. Ich war, bin und bleibe Optimist“, sagt Ben Haj M’Hamed und hofft auf einen baldigen Urnengang, eine Aufklärung der Morde an Belaid und Brahmi und eine Mehrheit der Linksliberalen bei den nächsten Wahlen. Eine echte Verfassung müsse her, und das rasch. Doch dafür sei ein ehrlicher und zielorientierter Dialog der Zerstrittenen in der Verfassungsgebenden Versammlung unabdingbar. Die dringend geforderten Wahlen wurden bereits mehrmals verschoben. So auch der im Juli angekündigte Termin für den 17. Dezember. „Die Geduld der Tunesier_innen wird weiter auf die Probe gestellt.“

Der Autor lebt als freier Journalist in Granada und schreibt regelmäßig über Spanien, Portugal und Nordafrika.

AutorInnen: Jan Marot