UN-Frauenstatuskonferenz: Pluralität, Probleme und Popstars

  • 15.04.2016, 11:52
Die Wiener Arbeitspsychologin Daniela Reiter (39), ehrenamtliches Vorstandsmitglied der International Alliance of Women, war im März mit der Österreich-Delegation bei der 60. UN Frauenstatuskonferenz in New York.

Die Wiener Arbeitspsychologin Daniela Reiter (39), ehrenamtliches Vorstandsmitglied der International Alliance of Women, war im März mit der Österreich-Delegation bei der 60. UN Frauenstatuskonferenz in New York.

progress: Der Schwerpunkt der UN-Frauenstatuskonferenz CSW lautete heuer „Women's empowerment and its link to sustainable development“. Welchen Beitrag konnte die Österreich-Delegation dazu leisten?

Daniela Reiter: Natürlich gibt es auch in entwickelten Ländern noch genug Entwicklungspotenzial. Dazu gab es viele Verhandlungen und Side Events, an denen wir teilgenommen haben. Der Schwerpunkt für Österreich lag heuer aber sicherlich eher beim Review-Thema „Violence against Women and Girls“. Dabei wurde geschaut, was sich diesbezüglich in den einzelnen Staaten verbessert hat, seit das Thema 2013 Schwerpunkt der Konferenz war. Österreich hat mit seiner Gesetzgebung in dem Bereich eine internationale Vorreiter_innenrolle. Island zum Beispiel hat sich intensiv über unser Modell informiert und plant ein ähnliches umzusetzen.

Wo kann sich Österreich dennoch in Sachen Gleichberechtigung etwas von anderen Staaten abschauen?
Definitiv beim Gender Pay Gap. Leider wurde relativ wenig über die Repräsentation von Frauen im Parlament gesprochen. Auch da hat Österreich noch einen weiten Weg vor sich.

Laut UN-Zahlen leben 43 Prozent der Weltärmsten in Staaten, die aufgrund von Klimaänderung, Naturkatastrophen und Konflikten sehr fragil sind – 70 Prozent davon sind Frauen und Kinder, viele von ihnen müssen flüchten. War Europas Umgang mit Flüchtlingen Thema?
Kaum. Das ist der Punkt, wo ich ganz ambivalent dort gestanden bin. Es ist schön, dass Österreich ein gutes Gewaltschutzgesetz hat, aber ich bin fassungslos, wie hier Menschenrechte ignoriert werden. Dass Frauenrechte Menschenrechte sind, wurde hingegen oft thematisiert. Bei einem Nebenevent zur Nachhaltigkeits-Agenda 2030 hat eine mexikanische Rednerin gesagt: „Women are people. Not all governments know this.“ Da bekomme ich jetzt noch Gänsehaut. Das hat mich ganz stark berührt, dass sich schlussendlich alles auf so etwas Einfaches herunterkochen lässt.

Am Ende der Konferenz stand der Beschluss der „Agreed Conclusions“ zum Schwerpunkt-Thema. Das gelang nicht in allen Jahren. Was bringt Beschlüsse zum Scheitern?
Ja, das ist immer ein großer Misserfolg, wenn kein Konsens gefunden wird. Immerhin sind die beschlossenen „Agreed Conclusions“ die Grundlage für die Arbeit der nächsten Jahre. Es gibt derzeit starke Rückschrittsbestrebungen von Ländern und Länderbünden – Afrika zum Beispiel spricht als ein Länderbund und die Gesamttendenz war trotz einzelner progressiver Tendenzen konservativ. Das Hauptdokument der CSW ist die Beijing Platform for Action – die Beschlüsse der letzten Weltfrauenkonferenz in Peking. Es ist ganz schwierig, den Text von vor 21 Jahren zu halten und nicht dahinter zurückzufallen. Wegen des Backlashs scheiterte der Beschluss heuer trotz der „Agreed Language“ fast.

Inwiefern lässt sich Dissens in der Verhandlung um Sprache festmachen?
Es wird zum Beispiel darüber verhandelt, ob es heißen soll „... must provide“ oder – wie im Fall von Social Services von einem Land verlangt wurde – „...should provide“. Ein Text voller „shoulds“ bringt aber gar nichts. Das Problem war, dass es heuer auch innerhalb der EU ganz schwierig war, eine gemeinsame Position zu finden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das wegen Polen und Ungarn war.

Das Thema Abtreibung spaltet?
Unter anderem, ja. Grundsätzlich geht es immer um Rechte. Früher ging es mehr um die reproduktiven Rechte, sprich Abtreibung und Verhütungsmittel. Jetzt geht es immer mehr um sexuelle Rechte, also um andere als heterosexuelle Beziehungsformen. Die ganzen LGBTIQ-Themen sind international ganz schwierig zu platzieren. Ein anderer Punkt der Österreich sehr wichtig, aber auch innerhalb der EU sehr umstritten ist, ist die flächendeckende Sexualerziehung. Es gibt viele Kräfte, die wollen, dass das Thema in der Familie und nicht in den Schulen erledigt wird. Comprehensive sex education steht aber eng in Zusammenhang mit HIV und AIDS. Eine Befragung ergab, dass ein Viertel der jungen Frauen in den südlichen afrikanischen Ländern keine Ahnung hat, wie HIV übertragen werden kann. Das heißt, die am stärksten gefährdete Bevölkerungsgruppe in der am stärksten gefährdeten Region weiß nicht, wie sie sich schützen kann.

An den geschlossenen Verhandlungen können nur Delegationsmitglieder teilnehmen. Ist es überhaupt möglich, als einzelne NGO-Vertreterin Themen unterzubringen und etwas zu bewirken?
Es gibt auch viele öffentliche Teile der Hauptsitzung. Aber es ist natürlich ein großer Vorteil, wenn man so wie ich als NGO-Vertreterin Teil der Delegation ist. Das war nach sieben Konferenzen als „einfache“ NGO-Teilnehmerin auch für mich eine Premiere. Neben der Hauptsitzung gibt es Verhandlungen der einzelnen Ländergruppen und länderspezifische Treffen der NGOs, die so genannten Caucuses. Dort kann sich jede einbringen. Ein Beispiel: Bei einer früheren Konferenz habe ich im Girls’ Caucus erfahren, wie wichtig es ist, Mädchen in der Beschlusssprache zu berücksichtigen. Das habe ich dann in den European Caucus getragen, von dort aus ging es zur EU-Delegation und das wurde schließlich bei den „Agreed Conclusions“ umgesetzt.

Bei all den Differenzen: Ist die Vision von der großen globalen Frauenbewegung, wie sie Kanadas Premier Justin Trudeau und die Exekutivdirektorin von UN Women Phumzile Mlambo-Ngcuka gefordert haben, überhaupt denkbar?
Für mich ist die Konferenz selbst ein Ort, der verbindet. Auch wenn es Kritikpunkte gibt, ist meine Regierung doch eine, mit der ich frauenrechtlich das Gefühl habe, es geht in die richtige Richtung. Aus dieser Perspektive kann ich mir so eine Bewegung schon vorstellen – auch als grassroots movement. Aber die Sache mit Trudeau hat mich eigentlich total genervt.

Inwiefern?
Ich glaube, das braucht’s schon auch, so Popstars. Dieser Trudeau ist halt ein junger, fescher Politiker, der sagt, er sei Feminist und das werde er so lange wiederholen, bis das nichts Außergewöhnliches mehr ist. Das ist recht schön, aber das hat übermäßig viel Raum eingenommen und das ist das, was mich nervt. Wie sooft: Als Mann kann man auch in dem Kontext durch kleine Handlungen leicht zum Helden werden.

Cornelia Grobner ist freie Journalistin und Doktoratsstudentin im Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg.

AutorInnen: Cornelia Grobner