Spieglein, Spieglein im TV

  • 17.04.2018, 13:13
Die Serie „Black Mirror“ gibt in ihren vielfältigen Folgen einen düsteren Ausblick auf die Zukunft der Technik. Manchmal ist sie näher an der Realität, als wir glauben.

Eine kurze, spoilerfreie Einführung in die Serie „Black Mirror“ für alle diejenigen, die sie noch nicht kennen: Die britische Serie verhandelt in ihren eigenständigen Episoden jeweils eine mögliche Zukunft der Menschheit und behält dabei die Nutzung und den potentiellen Missbrauch ihrer technologischen Errungenschaften genau im Blick. Die kritische Perspektive bleibt stets auf dem Menschen und stellt die Technik so gut und oft wie möglich als neutrale Alltags- und Nutzgegenstände dar. „Black Mirror“ ist daher nicht an sich als technikfeindlich einzuordnen, verpasst jedoch keine Gelegenheit, um auf potentielle Missbrauchsmöglichkeiten sehr explizit einzugehen und den Menschen als das ‚weak link‘ in der Verwendung zu outen. Die Serie will mit ihren Folgen keine ultimative Wahrheit präsentieren und keine allumfassende, zusammenhängende Erzählung bilden, sondern versteht sich eher als bunte Aneinanderreihung von vielen verschiedenen Szenarien und Technologien oder unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten einer speziellen Erfindung.

Schwarzer Spiegel.

Konkrete Themen, die „Black Mirror“ in seinen 19 Episoden bereits behandelt hat, sind z. B. humanoide Roboter, Gehirnimplantate als Erinnerungsspeicher und -löscher, Social Media als Social Ranking Medium, die Zukunft von Computerspielen, den Upload des Bewusstseins in eine virtuelle Realität nach dem Tod, Online Dating und viele weitere. So gut wie alle angerissenen Themen sind nicht weit von der jetzigen Realität und dem Stand der Technik entfernt. In einigen Fällen handelt es sich sogar lediglich um nichttechnische Fiktionen, die auf die Spitze getrieben werden, wie z. B. in der allerersten Folge. Darin wird der Premierminister von Großbritannien erpresst und soll zur Freilassung einer Geisel Sex mit einem Schwein haben. Es wird dabei die Rolle der Medien und der Bevölkerung untersucht, während das Thema Technik in den Hintergrund tritt. Ironischerweise gibt es für die Pilotfolge aus 2011 eine erstaunliche Parallele in der Realität, die aber erst 2015 ans Licht der Öffentlichkeit kam und bis heute nicht bestätigt ist. Der ehemalige Premierminister David Cameron soll in seiner Studienzeit in Oxford als Aufnahmeritual für eine Studentenverbindung seinen Penis in das Maul eines toten Schweines gesteckt haben. Ob es sich hier um eine zufällig akkurate fiktionale Geschichte oder eine Nacherzählung der Serien-Story in der Presse handelt, ist nicht bekannt. Der Schreiber der Serie, Charlie Brooker, staunte aber nicht schlecht, als er die Geschichte in der „Daily Mail“ las. Sei es, weil er eine Vorahnung hatte, oder weil seine Idee Einzug in die reale Welt genommen hat. Beides ist absurd.

Big mother is watching.

Mit auffallender Häufigkeit findet der Themenkomplex Überwachung einen Platz in den Black Mirror Folgen. Manchmal ist die Freiwilligkeit, mit der sich die Akteur_innen dieser Überwachung aussetzen, nicht festzustellen. Die Folge „Arkangel“ der aktuellen vierten Staffel zeigt die Welt eines kleinen Mädchens, das von seiner Mutter einen Chip implantiert bekommt, der potentiell verstörende oder nicht jugendfreie Bilder so verpixelt, dass sie nicht erkennbar wahrgenommen werden können. Gleichzeitig dient der Chip der Überwachung aller erdenklichen Körperfunktionen des Kindes (Atemfrequenz, Herzschlag, …) und verfügt über das Ortungstool GPS. Durch die Elterneinheit (eine Art Tablet) kann die besorgte Mutter also jederzeit den Aufenthaltsort und die Befindlichkeit ihres Kindes überprüfen und sogar einfach ein Fenster aufrufen, in dem die optischen Daten der Augen übertragen werden. Kurz: sie sieht, was ihre Tochter gerade sieht. Es gehört wohl zu den größten Wünschen der meisten Eltern, ihr Kind immer beschützen zu können und zu den größten Sorgen eines Kindes, immer gesehen und kontrolliert zu werden. Dass totale, lückenlose Überwachung aber keine heilbringende Lösung für elterliche Sorgen ist, wird schnell klar. Die Mutter legt das Tablet zwar relativ schnell zur Seite und vertraut ihrer Tochter genug, um es auf den Dachboden zu verstauen. Schließlich ging es ihr anfangs nur darum, den Schulweg und ähnlich unschuldige Alltäglichkeiten nachvollziehbar zu machen und beruhigten Gewissens selbst zur Arbeit zu fahren. Als die Tochter aber ins Teenageralter kommt, verkompliziert sich die Sache zunehmend. Als sie zum ersten Mal nicht zur vereinbarten Zeit zuhause und auch nicht am Handy erreichbar ist, wird das Tablet in Windeseile reaktiviert. Auf dem Bildschirm sieht die besorgte Mutter nun ihre Tochter bei einer Sex- und Drogenparty – oder zumindest erscheint es ihr so. In diesem Moment eskalieren alle Szenarien, beide Seiten sind durch die Überwachung absolut überfordert und reagieren unbeholfen, voreilig und übertrieben, was in einer Katastrophe endet. Diese Episode zeigt die Auswirkungen von totaler Kontrolle und Überwachung einer Einzelnen im familiären Rahmen.

Soziale Überwachung.

Sehr viel umfassender und vielleicht sogar ein Stück weit näher an der Realität angesiedelt behandelt „Nosedive“ (Folge 1 Staffel 3) die Auswirkungen von Social Media Bewertungen (Rankings) auf das Leben der User_innen. Die Episode handelt von Lacie, die versucht, ihr Social Media Ranking auf 4,5 von 5 möglichen Sternen zu pushen. Mit 4,5 Sternen bekommt man in dieser alternativen Realität sehr viel mehr Möglichkeiten, wie z. B. im Falle von Lacie die Chance auf den Einzug in eine Luxusgegend, in der alle Bewohner_innen ein solch hohes Rating aufweisen. Viele Likes für ihre Fotos von Kaffees und ihrem Mittagessen helfen ihr nur bedingt weiter, da Likes von verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Rankings unterschiedlich viel wert sind und ihr Rating dadurch unterschiedlich schnell nach oben bringen. Vor einigen Monaten ist diese Idee dann zumindest für einige Menschen in China schon zur Realität geworden. Das Social Credit System, das reale Auswirkungen auf den sozioökonomischen Status der Menschen hat, ist in einigen Städten in China schon eingeführt, teilweise auf freiwilliger Basis. Bis 2020 soll es flächendeckend Daten in riesigen Datenbanken sammeln und Informationen über jeden Menschen beinhalten, wie z. B. Kreditwürdigkeit, Strafregisterauszug und das soziale und politische Verhalten. Jede_r startet mit 1000 Punkten. Man gewinnt oder verliert durch verschiedenstes Verhalten Punkte. Mögliche Auswirkungen des Rankings sind Einschränkungen der Reisefreiheit, Einfluss auf die Karriere oder auch eine höhere Steuerlast. Der Youtube-Kanal „Extra Credits“ hat bereits 2015, also kurz nach Bekanntgabe der Pläne für dieses Bewertungssystem, einen sehr interessanten Beitrag über die Gamifizierung dieses Überwachungswerkzeuges produziert. Dadurch, dass auch der Freund_innen- und Bekanntenkreis in den eigenen Score eingerechnet wird, sehen die Macher_ innen von „Extra Credits“ einen starken Anstieg von sozialer Kontrolle durch Familienmitglieder, Kolleg_innen und so weiter voraus. Im schlimmsten Fall kommt es zu sozialer Isolation einer Person, die ein sehr geringes Ranking hat. Ähnlich wie diese Parallele hat auch „Arkangel“ eine inhaltliche Verbindung nach China. Auch, wenn es in der „Black Mirror“ Episode um einen (noch) nicht existierenden Chip geht, der in den Kopf des Individuums eingepflanzt wird, hat die chinesische Regierung ihre eigenen Ideen gehabt, um diverse Minderheiten zu überwachen. Im Falle der Uigur_innen (eine ca. acht Millionen Menschen umfassende turksprachige, islamische Minderheit in China) werden schon jetzt sehr viele Daten gesammelt und gespeichert wie z. B. Fingerabdrücke, Irisscans und DNA-Profile. Offiziell heißt es, dass diese Daten für das Gesundheitsprogramm benötigt werden – die restliche Bevölkerung muss in diesem Umfang aber keine Blutproben etc. abgeben. Um ein neues Auto kaufen zu können, müssen Uigur_innen zustimmen, Ortungsgeräte im Wagen installieren zu lassen. Ebenso benötigen sie eine App auf ihrem Smartphone, die jederzeit ein GPS-Signal sendet. Falls man mit Smartphone aber ohne App erwischt wird, können Geldstrafen folgen. Kleiner Einschub: bei Infos und Gruselgeschichten aus China sollte man immer etwas vorsichtig sein, aber diese Beispiele sind zusammengesetzt aus offiziellen chinesischen Statements und Berichten von Human Rights Watch. Eine sehr eindrucksvolle Episode ist „Fifteen Million Merits“, die auch sehr viel von Überwachung handelt und dabei eine der besten Kapitalismuskritiken der Fernsehgeschichte abliefert. Ein junger Mann namens Bing lebt in dieser dystopischen Zukunft neben vielen anderen in einer fensterlosen, von Bildschirmen geprägten Umgebung mit kleinsten Zimmern, die eher an Zellen erinnern. Tagsüber fährt er auf einem Fahrradergometer und verdient damit bedeutungslose Einheiten, die er dann z. B. gegen Essen eintauschen oder für das Überspringen von Werbung auf einem Bildschirm ausgeben kann. Seine Welt scheint keinen Ausweg aus dem Zyklus Aufstehen – Radfahren – Schlafen gehen zu kennen, außer der Möglichkeit, sich ein Ticket für die Talentshow Hot Shot – siehe Starmania et al – zu kaufen. In einer sehr aufwühlenden Szene stellt ein Jurymitglied von Hot Shot die Frage, woher wohl die aktuelle Kandidatin glaubt, dass die Elektrizität für die Scheinwerfer kommt. Der Kreislauf zwischen Unterhaltung, Zwangsbespaßung und eintöniger körperlicher Schwerstarbeit wird offensichtlich. Es gibt kein wirkliches Entkommen aus dieser Einöde des Ewiggleichen. Diese Adorno’sche Erkenntnis lässt Bing fast verzweifeln. Sein Geduldsfaden reißt schließlich, als er eine Werbeeinblendung für einen Porno nicht überspringen kann, weil er zu wenige Einheiten auf seinem Konto hat. Er versucht seine Augen zu schließen und seine Ohren zuzuhalten, doch der Bildschirm färbt sich Rot und gibt einen hohen, unaushaltbaren Ton ab, um ihn zum Zusehen zu zwingen. Jedes Mal, wenn ich Youtube öffne und ein Werbespot gezeigt wird, muss ich an Bing denken. Der Zwang zum Werbung schauen ist technisch noch nicht so weit fortgeschritten, dass der private Fernseher ein Augenzudrücken bemerken würde, aber er kann auf die fünf Sekunden Spielzeit am Beginn bestehen. Für jedes Mal, dass ich zufrieden mit der derzeitigen Situation im Vergleich bin, fallen mir aber immer auch Gegenbeispiele dafür ein: Nacktscanner, Staatstrojaner, Kund_innenkarten, Facebook, Vermummungsverbot, Klarnamenpflicht etc pp. Diese Zukunft ist nahe.

AutorInnen: Katja Krüger