Sich dem Glück in den Weg stellen
Die feministische Theoretikerin Sara Ahmed spricht im Interview über die Dynamiken affektiver Ökonomien, die rassialisierte Figur des_der Fremden und das ermächtigende Potential feministischer killjoys.
Die feministische Theoretikerin Sara Ahmed spricht im Interview über die Dynamiken affektiver Ökonomien, die rassialisierte Figur des_der Fremden und das ermächtigende Potential feministischer killjoys.
Seit Mitte der 1990er-Jahre lässt sich ein steigendes Interesse an den Themen Emotion und Affekt innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften beobachten. Während Emotionen zuvor primär der Privatsphäre zugeordnet wurden, rückte nun die Wechselwirkung mit sozialen, politischen und ökonomischen Faktoren in den Vordergrund. Aber der sogenannte affective turn übersieht oft ein wichtiges Vermächtnis: die Arbeiten von queeren, feministischen, postkolonialen und Schwarzen Theoretiker_innen und Aktivist_innen. Sara Ahmed schließt diese Lücken und leistet gleichzeitig durch ihre eigenen Forschungen einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung dieses Themenbereichs. Zurzeit unterrichtet sie an der Goldsmith University (UK) und ist dort Direktorin des Centre for Feminist Research.
progress traf Ahmed während ihres Besuchs in Wien, wo sie im Rahmen des Workshops „Emotionen als Regierungstechnik“ und der „Gender Talks“-Reihe einen Vortrag zu „Diversity Work as Emotional Work“ hielt.
progress: Beschäftigt man sich mit Emotionen, zählen Ihre Publikationen zum Standardrepertoire. Was hat Sie an dem Thema gereizt?
Ahmed: Als ich angefangen habe über die Figur des Fremden – „the body out of place“ – nachzudenken, wollte ich auch meine eigenen Erfahrungen verarbeiten. Ich bin als Person of Colour in einer sehr weißen Nachbar_innenschaft in Australien aufgewachsen. Diese Umstände haben mich zu der Frage geführt, wie Emotionen in sozialen Interaktionen wirken und welche Rolle sie für die Konstruktion von einem „Wir“ spielen. Ein „Wir“, das begrenzt wird durch die Vorstellung, dass bestimmte Körper Quellen der Gefahr oder schlechter Gefühle seien. Meine Arbeit beschäftigt sich also mit der Frage, wie Emotionen auf bestimmte Objekte gerichtet werden. In meinen Untersuchungen zu Rassismus hat mich besonders die Beziehung zwischen der Figur des_der Asylwerber_ in und des_der potentiellen Terrorist_in interessiert. Und die Frage, wie diese Figuren „zusammengeklebt“ werden.
Sie verwenden den Begriff „affektive Ökonomien“, um diese Beziehungen und ihre Zirkulation in Gemeinschaften zu beschreiben.
Ja. Das ökonomische Vokabular erleichtert es, diese Bewegungen zu verstehen. Man kann sehen, wie verschiedene Emotionen als Technologien angewendet werden, um Menschen zu regieren. Im australischen Kontext ist das Gefühl der Scham sehr interessant, denn sich gegenüber der indigenen Bevölkerung für die Vergangenheit zu schämen, erzeugt ein neues nationales „Wir“. Diese Emotion wird so „performed“, als sei die Geschichte schon überwunden. Sie verdeckt eine Wunde, die aber bis heute präsent ist.
Eine von Europas Figuren des Fremden ist der Flüchtling. Wie beurteilen Sie die Diskussionen rund um den Tod so vieler Refugees im Mittelmeer, zum Beispiel im Kontext des tragischen Bootsunglücks vor Lampedusa im Oktober 2013?
Ich finde Judith Butlers Arbeiten hier sehr hilfreich. In ihrem Buch „Gefährdetes Leben“ fragt sie danach, was ein Leben „grievable“ – also betrauerbar – macht, welche menschlichen Verluste betrauert werden und welche vom politischen Horizont verschwinden. Das bleibt eine der dringendsten politischen Fragen. Aktivismus spielt hiereine wichtige Rolle, denn er macht diese Verluste sichtbar und stellt gleichzeitig die Art und Weise in Frage, wie der nationale Körper imaginiert wird. Im britischen Kontext steht das Thema Anti-Immigration momentan in engem Zusammenhang mit David Camerons „muscular liberalism“. Dieser Begriff geht von der Notwendigkeit körperlicher Stärke aus, um sich der Bedrohung durch die „Anderen“ entgegenstellen zu können. Und das hängt eindeutig mit der vermehrten Praxis der Inhaftierung von Flüchtlingen und der Ablehnung von Trauer zusammen.
Manche Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen argumentieren, es habe in Bezug auf Themen wie Armut und Flucht eine Verschiebung von einem Menschenrechtsdiskurs hin zu einem emotionaleren Diskurs gegeben, der von Konzepten der Wohltätigkeit und des Humanitarismus geprägt ist. Würden Sie dem zustimmen?
Es lässt sich sicher argumentieren, dass es eine solche Verschiebung gibt. Wir brauchen dringend postkoloniale Kritiken von Wohltätigkeit und Humanitarismus. Die Idee der Wohltätigkeit ist sehr komplex. Sie kann bestehende soziale und ökonomische Beziehungen reproduzieren, weil der Akt des Gebens auf Großzügigkeit beruht. Das verschleiert oft die Geschichte des Diebstahls, der es manchen Personen überhaupt erst ermöglicht zu geben. Aber es gibt auch sehr viele Probleme in Bezug auf den Menschenrechtsdiskurs. Man müsste sich die Geschichte der Gewalt anschauen, die seine spezifischen Konzepte der Freiheit und des Individuums geschaffen hat. Das müssen wir im Rahmen einer Kritik des globalen Kapitalismus denken. Wenn wir also eine Verschiebung zu einem humanitären oder wohltätigen Modell identifizieren, sollten wir den Menschenrechtsdiskurs nicht nostalgisch glorifizieren.
Seit August 2013 betreiben Sie den Blog „Feminist Killjoys – Killing joy as a world making project“. Wie lässt sich dieser Titel verstehen?
Als ich anfing mein Buch über Glück zu schreiben, fiel mir auf, dass Glück immer als etwas Gutes imaginiert wird. Wenn man aber auf die Geschich te des Feminismus zurückblickt, zum Beispiel auf die Arbeiten von Simone de Beauvoir, Shulamith Firestone oder Audre Lorde, findet sich oft eine sehr starke Kritik an dieser Idee. Das habe ich als die „unglücklichen Archive des Feminismus“ bezeichnet. Die Figur des feminist killjoy sehe ich als Teil davon. Ich trage sie schon mein Leben lang mit mir herum. Ich bin häufig mit meiner Familie um den Esstisch gesessen und war dabei immer diejenige, die auf problematische Aussagen hingewiesen hat und dadurch selbst zum Problem wurde. Das war sehr anstrengend. Aber ich habe verstanden, dass es in solchen Situationen darum geht, dass sich jemand scheinbar dem Glück in den Weg stellt, in diesem Fall in Bezug auf die Familie, die sich als glücklich imaginiert. Und diese Zuschreibung der Rolle als killjoy ist eine klare Zurückweisung. Es ist also meist eine recht schmerzvolle Erfahrung. Aber viele Personen haben sich zu dieser Figur hingezogen gefühlt. Alle schienen eine killjoy-Geschichte zu haben. Das hat mir gezeigt, wie eine Figur, in der sich so viel Verletzung verdichtet, auch ein Ort des Potentials sein kann.
Sie sprechen von einer allgemeinen Hinwendung zum Glück auf gesellschaftlicher Ebene – Therapien und der Selbsthilfediskurs sind im Aufstieg begriffen, die Feel-good-Industrie wächst und wächst. Nichtsdestotrotz treten Sie für das Recht ein, unglücklich zu sein. Was meinen Sie mit dieser provokanten Forderung?
Ich folge hier einer langen feministischen Tradition. Meine Lieblingskritik am Glück sind Audre Lordes autobiografische „Cancer Journals“, das ist ein sehr starkes Buch. Lorde kritisiert die Betonung des positiven Denkens, quasi die Pflicht des_der Kranken, auf die heitere Seite zu schauen. Sie sieht das als Technik, die Ungleichheiten verdeckt, weil die Menschen für ihre Lebensumstände selbst verantwortlich gemacht werden. Das ist ein sehr moralisierender Diskurs, der bestimmte soziale Normen als Voraussetzung für ein gutes Leben definiert. Ein Sprechakt, der mich immer sehr interessiert hat, war der Ausspruch: „Ich will ja nur, dass du glücklich bist.“ Früher hörte ich das oft, meist wenn ich etwas gemacht hatte, was meinen Eltern nicht gefallen hat. Diese Idee, dass man den Weg verlässt, der einen zum Glück führen würde, findet sich überall in der queeren Literatur. Die Figur der unglücklichen queeren Person wurde daher sehr wichtig für mich. Wenn ich also von der Freiheit zum Unglücklichsein spreche, meine ich die Freiheit, nicht den vorgeschrieben Weg zu gehen.
Allen Warnungen zum Trotz haben Sie den queerfeministischen Weg gewählt. Von einer emotionalen Perspektive aus betrachtet, welche Gefühle haben Sie zum Feminismus bewogen?
Was mich bewegt hat, war sicher ein Gefühl der Ungerechtigkeit und der Wut, aber eine Wut, die auch eine Richtung hatte – denn wenn Wut keine Richtung hat, wird sie oft zu Frustration und das kann sehr entmächtigend sein. Auch das habe ich vor allem aus Audre Lordes Arbeiten gelernt; sie ist meine größte Inspiration. Aber es gab auch ein Wundern, eine Neugier sowie die Hoffnung, dass es Alternativen gibt. Einen großen Teil meiner positiven feministischen Energie habe ich von der pakistanischen Seite meiner Familie. Meine Tanten, die während der Teilung Indiens aufwuchsen, haben mein Verständnis von Feminismus als Selbstbestimmung sehr geprägt. Damit verbinde ich sehr viele positive Gefühle.
Nächstes Jahr erscheinen einige Monographien von Ihnen. Welche Themen beschäftigen Sie in letzter Zeit?
Jedes Buch ist eine Art Sprungbrett zum nächsten. „Willful Subjects“, das gerade in Druck ist, ist aus „The Promise of Happiness“ entstanden. Mich hat hier die Frage beschäftigt, wie Weiblichkeit mit dem Aufgeben von Willen verbunden wird. Mich interessiert daran auch die Vorstellung von Eigensinn als Problem, als Ursache dafür unglücklich zu sein. Außerdem arbeite ich an einem weiteren Projekt über die Geschichte des Konzepts des Nutzens. Was bedeutet es, wenn Nutzen eine Anforderung wird, zum Beispiel im Kontext von citizenship? Vor allem in der britischen Geschichte von citizenship gibt es einen sehr starken Diskurs über Arbeitsfähigkeit. Bürger_innen sollen eine angemessene Beschäftigung haben. Mein drittes Projekt – „Living a feminist life“ – wird auf ein größeres Publikum ausgerichtet sein. Ich möchte dafür einige Texte zu Sexismus, lesbischem Feminismus, killjoys und Eigensinn überarbeiten und in diesem Buch primär auf Alltagssituationen und Erfahrungen aufbauen. Obwohl ich die Philosophie liebe, erkenne ich an, dass sich nicht alle in ihr zuhause fühlen. Es sind also einige Projekte im Entstehen, das Schreiben belebt mich – es gibt mir Kraft gegen die Reproduktion von Machtstrukturen anzukämpfen.
Veronika Siegl hat in Wien Kultur- und Sozialanthropologie sowie Internationale Entwicklung studiert und ist Redakteurin von „PARADIGMATA. Zeitschrift fürMenschen und Diskurse“.