Revolution in den Köpfen

  • 26.01.2015, 13:38

Spithari, wie sich das kleine Dorf nennt, liegt nordöstlich von Athen versteckt auf einem kleinen Berg. Photis, einer der Bewohner der ersten Stunde, holt mich auf seinem Motorrad ab und wir fahren auf einem steinigen Bergweg durch eine karge Landschaft. Hier hatte ein großer Waldbrand vor einigen Jahren die Vegetation vollständig zerstört, langsam erholt sich die Natur wieder. Irgendwo im Nirgendwo tauchen plötzlich einige Wohnwägen und Container, ein paar Maschinen und bizarre Kuppeln aus Holz und Plastik auf. Zwei Hunde bewachen den Ort. Spithari ist noch Mitten im Aufbau, statt einer Ökoidylle findet man hier viel Halbfertiges und Improvisiertes, aber auch viel Raum für Experimente.

Spithari, wie sich das kleine Dorf nennt, liegt nordöstlich von Athen versteckt auf einem kleinen Berg. Photis, einer der Bewohner der ersten Stunde, holt mich auf seinem Motorrad ab und wir fahren auf einem steinigen Bergweg durch eine karge Landschaft. Hier hatte ein großer Waldbrand vor einigen Jahren die Vegetation vollständig zerstört, langsam erholt sich die Natur wieder. Irgendwo im Nirgendwo tauchen plötzlich einige Wohnwägen und Container, ein paar Maschinen und bizarre Kuppeln aus Holz und Plastik auf. Zwei Hunde bewachen den Ort. Spithari ist noch Mitten im Aufbau, statt einer Ökoidylle findet man hier viel Halbfertiges und Improvisiertes, aber auch viel Raum für Experimente.

Die Idee für das Ökodorf entstand während der Besetzung des Athener Syntagma-Platzes im Jahr 2011. Unzählige kleine Gruppen und politisch interessierte Menschen hatten damals vor dem griechischen Parlament eine Zeltstadt aufgebaut und ihren Unmut über Entdemokratisierung, Sparpolitik und die Zerstörung des ohnehin schwachen Sozialstaates kundgetan. Obwohl diese griechische Variante von Occupy bald polizeilich aufgelöst wurde, diente sie als Katalysator für unzählige alternative Projekte und Initiativen. Aus den massiven Auswirkungen der Krise und dem Misstrauen gegen den dysfunktionalen Staat entstand vielfach der Wunsch nach neuen Wegen. 

Die Gründer_innen von Spithari haben sich das Ziel gesetzt, sich ihre Nahrung, ihren Wohnraum und ihre Energieversorgung selbstständig zu erarbeiten. Der knatternde Benzinmotor von Photis’ Fahrzeug erinnert daran, wie viele Hürden einer vollständigen Autarkie im Weg stehen. In Spithari selbst hat man die Energieversorgung dank zweier Windturbinen und der Nutzung von Sonnenenergie bereits gut im Griff: „Wir haben jetzt endlich genug Energie und können uns auf die Nahrungsproduktion konzentrieren. Wir wollen schließlich wissen, was wir essen, und unabhängig von den Konzernen sein. Und wir wollen beweisen, dass ein nachhaltiges Leben möglich ist.“

Der erste Blick auf das entstehende Ökodorf.

Für Spithari hat der studierte Soziologe Photis sein ganzes Leben umgekrempelt. Statt sechs Wochentage arbeitet er nur noch ein bis zwei Tage in einem Lieferservice: „Ich habe fast keine Fixkosten mehr, bloß die Krankenversicherung und meine Zigaretten. Aber vielleicht bauen wir einmal unseren eigenen Tabak an.“ Lachend ergänzt er: „Oder ich höre zu rauchen auf.“

Die Bewohner_innen des Ökodorfes sind zwischen 35 und 49, Photis ist der Älteste. Alle von ihnen sind in der Stadt aufgewachsen, ihre Hintergründe sind unterschiedlich: „Wir haben einen Computertechniker, eine Englischlehrerin und zwei Schauspielerinnen unter uns. Diese Berufe geben ihnen die Möglichkeit, häufig hier zu sein. Ein Vollzeitjob mit fixen Arbeitszeiten verträgt sich nicht mit unseren Anforderungen. Aber das Ziel ist es natürlich, dass wir hier permanent leben und arbeiten können.“

Photis führt mich durch das kleine Dorf, erklärt mir die Strukturen. In einem Container wird gerade das Mittagessen zubereitet, ein Kühlschrank dient als Samenbank für die künftige Züchtung seltener Pflanzen. Die sogenannten „geodätischen Kuppeln“ aus Holz und Plastik werden zur Produktion von Biomasse und zum Anbau, aber auch als Wohnraum genutzt. Sie sind leicht und günstig herzustellen und benötigen keine Genehmigung der Regierung. „Wir experimentieren viel und einiges davon geht in die Hose. Wir teilen unsere Erfahrungen aber im Internet und so können Andere von unseren Erfolgen und Misserfolgen profitieren.“ Spithari ist Teil eines Netzwerkes ökologischer Projekte und nimmt selber öfters die Hilfe anderer Communitys in Anspruch: „Das eine Ökodorf hat sich auf den Anbau von Weizen spezialisiert, das andere kennt sich mit dem Bau von Windturbinen aus. Man besucht und hilft sich gegenseitig und veröffentlicht sein Wissen als Creative Commons. Es geht uns nicht um eine Abschottung von der Gesellschaft.“

Eine geodätische Kuppel.

Ein besonders wichtiger Punkt auf der Agenda der kleinen Gemeinschaft ist die Kommunikation: „Es ist relativ leicht, eine Windturbine zu bauen, aber verdammt schwer, mit einer Gruppe so zu kommunizieren, dass man gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten kann. Wir wollen hier auch die zwischenmenschlichen Beziehungen verbessern.“ Man beschäftigt sich mit dem Konzept der Gewaltfreien Kommunikation, Entscheidungen werden basisdemokratisch und nach dem Konsensprinzip getroffen. Von einer strikten Arbeitsaufteilung und starren Regeln hat man sich bald abgewandt: „Es funktioniert einfach nicht, denn das hier ist unser Leben, nicht einfach unser Job! Mit der Zeit ist jeder von uns draufgekommen, was er oder sie gerne tut. Ich liebe es, mit Steinen zu arbeiten und zu kochen. Für technische Dinge bin ich wiederum der Falsche.“ Durch diese Freiheit hat sich Photis’ Auffassung von Arbeit stark verändert: „Ich hatte früher viele Ideen, aber sie waren nur in meinem Kopf. Jetzt verbinden sich diese Ideen aus meinem Kopf mit der Arbeit meiner Hände, es gibt eine größere Verbindung zwischen meinem Verstand und meinem Herzen. Heutzutage haben viele Menschen keinen emotionalen Bezug mehr zur eigenen Arbeit. Dass ist ein Grund, warum so viele im Kapitalismus unglücklich sind.“

Prinzipiell ist die Ökocommunity offen für neue Bewohner_innen. Wer jedoch in Spithari leben will, muss zuerst ein paar Wochen im Dorf verbringen und ein selbstgewähltes Projekt, das der Gemeinschaft dient, fertigstellen. Anschließend wird gemeinsam entschieden, ob die  Person mit der Gruppe, ihrer Philosophie und Lebensweise harmoniert, „denn wie kannst du wissen, ob du für diese Art von Leben geeignet bist, wenn du es nie ausprobiert hast?“ Manche der Anwärter_innen gründeten in der Folge auch ihre eigenen Projekte und werden von Spithari so gut wie möglich dabei unterstützt.

Beeinflusst von anarchistischem Gedankengut versucht Spithari, eine Alternative zum Kapitalismus aufzubauen. Als typischer Revolutionär sieht sich Photis nicht: „Wir haben kein Interesse daran, die Gesellschaft zu zerstören oder Häuser anzuzünden. Wir versuchen ein effizientes, nachhaltiges Gesellschaftsmodell zu entwickeln. Wir versuchen nicht, die Gesellschaft durch Proteste zu verändern, denn die wahre Revolution findet in unseren Köpfen statt. Wenn ich mich selbst verändere, kann ich dich ändern. Und du kannst wiederum wen anderen verändern.“ Photis bemerkt eine langsam wachsende Akzeptanz für Projekte wie Spithari: „Vor einigen Jahren hätte man mich für vollkommen verrückt gehalten, heute denken die meisten wenigstens darüber nach. Dass liegt einerseits an der Krise, andererseits glaube ich an ein langsames globales Umdenken.“

Eine Werkstätte.

Spithari ist ein Teil dieses Prozesses und dabei kein abgeschottetes und nostalgisches „Zurück zur Natur“-Projekt. Man verwendet und erfindet neue Techniken in Wohnbau, Nahrungsmittelproduktion und Kommunikation. Obwohl den Bewohner_innen klar ist, dass ihr Lebensstil kein Modell für Alle ist, verbreiten sie ihre Ideen auf Festivals, Konferenzen und Internetplattformen. Der Weg zur vollständigen Autarkie ist dabei noch ein weiter. Trotz aller Widersprüche ist Spithari ein Ort der Freiheit und des Experimentierens, der eine post-kapitalistische Welt vorwegnimmt. Auch für Menschen, für die ein Leben in einer Ökokommune unvorstellbar ist, ist eine nähere Betrachtung lohnenswert, denn was hier in einer ganz speziellen Situation getestet wird, könnte bald von allgemeinem Interesse sein.

Dieter Diskovic studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und engagiert sich bei der Screaming Birds Aktionsgruppe.

AutorInnen: Dieter Diskovic