Reise in unendliche Langeweilen

  • 18.06.2016, 15:26
T.I.M.E Stories verspricht schon im Vorfeld viel, hat tolle Illustrationen und ein schnittiges Imagevideo.

T.I.M.E Stories verspricht schon im Vorfeld viel, hat tolle Illustrationen und ein schnittiges Imagevideo. Der Karton ist weiß und wertig, clean designed wie ein neues Apple-Produkt. Ein Jackpot für Unboxing-Enthusiast_ innen und Leute, die sich gerne dekorative Dinge ins Regal stellen. Auch die Grundidee klingt ziemlich cool: Wir sind AlienAgent_ innen und können im Rahmen einer kooperativen Mission in verschiedene Wirtskörper und somit Rollen schlüpfen. Bei dem Szenario „Hinter der Maske“ in einem irgendwie historischen, ägyptischen Setting fühlt es sich zudem an, wie eine wilde Kolonialisierungsphantasie. Der Premiumpreis von rund 45 Euro für das Basis-Spiel mit einem einzigen Szenario und 25 Euro für jede neue Geschichte, bisher gibt es drei, ist stattlich. Da jedes Szenario nur einmal gespielt werden kann, sollte diese Zeitreise das Erlebnis unseres Lebens werden. Oder zumindest aufregender als das Schälchen mit Wasabinüssen auf dem Tisch.

Durch lange Rollenspiel-Sessions fühlte ich mich recht gut vorbereitet, als es hieß, das getestete Szenario könnte etwas länger dauern: Ich war gespannt auf den erzählerischen Part. Es sollte sich jedoch herausstellen, dass jede langatmige „DSA“ Regelwerksdiskussion ein Spaziergang gegen diese Zeitreise ist. Die Charaktere im Spiel bleiben flach und leblos: Möglichkeiten, sie selbst in-Game zu entwickeln oder wirklich einzubeziehen, gibt es keine. Nach einer oder wenigen Runden muss ein neuer Wirt besetzt werden, schnell fährt sich das Spielprinzip fest: Karten werden umgedreht und ausgelegt, die Mission beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass wir uns merken und darüber diskutieren, was auf diesen Karten stand. So entwickeln wir sukzessive das Szenario und decken eine Landkarte auf. Einmal lesen wir eine Beschriftung nicht richtig. Das kostet uns zwei Stunden und zahllose Wiederholungen. Wenn der Weg das Ziel sein soll, ist das Ziel also in der ewigen Wiederkunft des Gleichen zu suchen. Nach etwa sechs Stunden setzt dann auch eine Art Zeitreise-Flow ein. Alles wird irgendwie nebensächlich außer dem Drang, endlich die Lösung zu finden, um ins Bett gehen zu können. Vielleicht haben wir uns die „aufregenden Geschichten und Abenteuer in verschiedenen Welten“ einfach nicht genug vorgestellt. Zurück bleibt das Gefühl, ein ausgesaugter Wirtskorpus zu sein.

T.I.M.E Stories
http://www.spacecowboys.fr/time-stories
Von Manuel Rozoy, Illustrationen von Benjamin Carré, David Lecossu und Pascal Quidault.
Ab 12 Jahren.
Spieldauer: ca. 90 Minuten

Anne Pohl arbeitet für einen Abgeordneten in Berlin und hat das Spieleblog herzteile.org mitgegründet.

AutorInnen: Anne Pohl