Rückentattoos und Ratten im Kopf

  • 15.12.2014, 11:16

Comic-Rezension

„Meine Persönlichkeit hatte also eine Störung, die nicht einzigartig war.“ Ellen Forney ist manisch-depressiv. Eine Diagnose, die sie anscheinend vor eine Entscheidung stellt: geniale maniac Künstlerin oder medikamentös behandelte Normalokünstlerin? In ihrer Graphic Novel „Meine Tassen im Schrank“ beschreibt und bebildert Ellen Forney den Verlauf ihrer bipolaren Störung und ihren Umgang damit. Als ihre Therapeutin zu Beginn des Buches die Diagnose stellt, ist die Autorin mitten in einer manischen Phase. Für Forney ist klar: Sie will nicht, dass ihr Leben von ihrer Krankheit bestimmt wird – schließlich ließen Jackson Pollock, Virginia Woolf und Anne Sexton das auch nicht zu. „Das manische Ich heute sorgt für das depressive Ich später“ wird ihre Devise. Sie plant weiterhin pompöse Queerpartys, lässt sich den Rücken tätowieren und macht Fotoshoots mit Freundinnen für einen Pornocomic. Bis sie ihre Freundinnen mehr oder weniger in den Keller eines Bekannten entführt. Nach einer Verkleidungssession mit Hilfe des Drag-Queen-Fundus dieses Bekannten packt sie die Einsicht: Ihre Krankheit macht sich auch für andere bemerkbar.

Mit einem Kratzen im Hals und einem Druck in der Nasenhöhle kündigt sich die andere Seite der bipolaren Störung an. Angst und Gefühle wie das, dass der eigene Kopf „ein Käfig voller wütender Ratten“ sei, bringen Forney dazu, sich mit Lithium behandeln zu lassen. Es folgt eine depressive Phase und Forney ist am Boden oder besser gesagt im Bett. Die schwarz-weißen Zeichnungen der Graphic Novel werden schlichter, einfacher, weniger beeindruckend. Man sieht einen Hügel im Bett, eine Figur, die in eine Decke gewickelt einen neuen Raum betritt und auf dem Sofa erneut zu einem Hügel wird – es ist Ellen Forney. Mit Selbstporträts und Yoga, einem Wirr-Warr aus Medikamenten und Gesprächen mit ihrer Therapeutin findet Forney langsam einen Weg als Künstlerin mit bipolarer Störung leben zu können. Mit „Meine Tassen im Schrank“ schaffte sie ein Lebensprotokoll, das mit Witz und Pointiertheit den Ernst einer psychischen Erkrankung illustriert.

Ellen Forney: „Meine Tassen im Schrank“ Egmont Graphic Novel, 256 Seiten - 19,99 Euro

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Uni Wien.

AutorInnen: Marlene Brüggemann