Plattenkiste: „Russisch Roulette“

  • 11.12.2014, 10:45

Plattenrezension / Zweimal hingehört

 

Plattenrezension / Zweimal hingehört

Katja: Es ist kaum drei Monate her, da habe ich noch zwei freche Jugendliche vor meiner Tür verscheucht, weil sie extrem sexistischen Hip Hop laut auf ihrem Handy gespielt haben. Heute schreibe ich über Haftbefehls neues Album „Russisch Roulette“ – wo mach’ ich da den Unterschied? Tatsächlich eine sehr schwierige Frage. Haftbefehl ist ein typisch deutscher Gangsterrapper mit allem, was inhaltlich und stilistisch dazugehört: Er fickt links und rechts alles, was er nicht mag inklusive deiner Mutter, hat selbstverständlich eine kriminelle Vergangenheit, über die er gern erzählt, und fährt einen fetten Mercedes. Trotzdem können sich in diesem Jahr die Feuilletonist*innen auf ihn einigen. Weil er so real ist? Weil er so gleichfalls intensiv vom Selbstmord seines Vaters und dem letzten Koksdeal rappt? Ich kann es nicht beantworten. „Russisch Roulette“ ist ein handwerklich präzises Album. Soviel weiß ich.

Joël: Ich weiß ja immer noch nicht, wer denn jetzt dieser Babo ist. Das neue Album des „Wort des Jahres“-Bekanntmachers Haftbefehl scheint zumindest auf Twitter einige Anhänger*innen zu haben. Hören die das alle „ironisch“ oder ist die Musik tatsächlich so gut, dass man – falls das möglich sein sollte – über den sexistischen Sprachgebrauch hinwegsehen kann? Manche Tracks („Saudi Arabi Money Rich“) klingen dann doch eher wie kreativ produzierter Kirmestechno, über den Hafti halt seine „Ich ficke x“-Fantasien sprechsingt. Beim Titel „Ich rolle mit meinem besten“ hatte ich Hoffnungen auf einen schönen Drogentrack, leider handelt es sich um eine Musik gewordene Folge von „Top Gear“. Immerhin: Wenn wir nicht so genau hinhören, lässt sich „Lass die Affen aus’m Zoo“ als gewalttätige Animal-Liberation-Hymne („Lass die Pittis aus’m Käfig / Lass die Affen aus’m Zoo“) verstehen. Zur Veranschaulichung des Realness-Diskurses im Hip Hop (siehe Seite 28) taugt das Album allemal, kaufen würde ich es aber nicht unbedingt.

Katja Krüger studiert Gender Studies und Politikwissenschaften an der Uni Wien, Joël Adami studiert Umwelt- und Bio-Ressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

AutorInnen: Katja Krüger, Joël Adami