Nachhilfe in: Geschlechtergerechte Erziehung

  • 20.09.2012, 01:32

Im September 2011 bekannte sich die Bundesregierung zu einer nachhaltigen umsetzung von Gender Mainstreaming. Wie wird dieses Bekenntnis umgesetzt und welchen Spielraum gibt es wirklich für geschlechtergerechte Erziehung?

Im September 2011 bekannte sich die Bundesregierung zu einer nachhaltigen umsetzung von Gender Mainstreaming. Wie wird dieses Bekenntnis umgesetzt und welchen Spielraum gibt es wirklich für geschlechtergerechte Erziehung?

Gleichberechtigung in Kinderschuhen. Wer im Kindergarten die kleinen Geschwister oder eigenen Kinder abholt, denjenigen oder diejenige mag die ausgeprägte Präsenz von Fantasiespielen überraschen. Das Mädchen ist Prinzessin, wird von ihrem Spielkameraden, einem Ritter, errettet. Gleich daneben üben sich Mädchen in klassischen Haushaltsaufgaben im „Vater-Mutter-Kind“-Versuch. Kindern beim Spielen zuzusehen, hat eine eigene Faszination, vielleicht weil sie sich ungetrübt mit der Welt beschäftigen, wie es kein Erwachsener kann. Wer jedoch aufmerksam ist, wird feststellen, dass Kinder dabei als unbarmherzige Spiegel gesellschaftliche Strukturen unverzerrt wiedergeben. Kinder nehmen schon im jüngsten Alter gesellschaftspolitische Zustände in ihrer Umwelt, sei durch Familie, FreundInnen oder Medien, auf. Gerade deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Gleichberechtigung eine wichtige.

Karl-Martin Wolffhardt-Cermak ist Kindergärtner in der WUK-Kindergruppe ‚Kinderinsel’. Er ist überzeugt davon, Kinder von Anfang an in ihrer Geschlechtsentwicklung zu begleiten und sich gemeinsam mit den Kindern damit auseinanderzusetzen. „Geschlechtsspezifische Sozialisation ist in unserer Arbeit sehr wesentlich. Geschlechteridentität wird, wie häufig belegt, nicht biologisch, sondern kulturell erworben. Dabei kommt uns als Institution eine besondere Aufgabe zu.“ In der „Kinderinsel“ wird auf einen reflektierten Umgang mit Koedukation geachtet. „Wir beobachten genau, wie welche Räume von den Kindern genutzt werden und setzen da auch immer wieder bewusst Buben-, Mädchenzeiten ein, um Raum für unterschiedliches Nutzungsverhalten zu geben. Möglichst vielfältige Gelegenheiten zu Körper und Sinneswahrnehmungen sind wichtige Voraussetzung für einen entspannten Umgang mit „mir und anderen“, erklärt Wolffhardt-Cermak im Gespräch. Neben einem bewussten Sprachgebrauch im Alltag und pädagogischem Material ist die Vorbildwirkung eine wichtige. Ein gemischtgeschlechtliches PädagogInnenteam, welches in der Erziehung nicht den „klassischen“ Rollenmustern nacheifert, sieht auch der Kindergärtner als erhebliche Förderung geschlechtergerechter Erziehung.

Einmal Genderbrille, bitte. Das Ziel war, sich in Schulen fächerübergreifend verstärkt mit der Frage der Gleichstellung der Geschlechter zu befassen. Das wurde 1994 mit dem Unterrichtsprinzip „Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern“ in den Lehrplänen verankert. Trotz klischeehafter Geschlechterdarstellungen und insbesondere der Unterrepräsentation von Frauen in vielen Schulbüchern existiert durchaus eine breite Auswahl an geschlechtersensibler Literatur und Medienmaterialien. Die Vermittlung von geschlechtergerechten Inhalten wird dennoch im Schulalltag weitgehend links liegen gelassen. Die Ergebnisse einer 2007 durchgeführten Studie des BMUKK zu „Gender und Schule“, an der 34 Prozent aller Schulen teilnahmen, erhärtet den Verdacht weitgehend fehlender Umsetzung im Unterricht. So gaben 54 Prozent der LehrerInnen an, „kaum“ oder „nie“ Geschlechterthemen im Unterricht zu behandeln. Vereinzelt werden von Schulen und Kindergärten, oft auch aufgrund von Elterninitiativen, Fortbildungen und Projekte mit ExpertInnen durchgeführt. Doch das fehlende didaktische und pädagogische Wissen der Lehrpersonen ist bezeichnend. Renate Tanzberger, Teammitglied des Vereins EfEU zur Erarbeitung feministischer Erziehungs- und Unterrichtsmodelle, sieht ein großes Problem in der Freiwilligkeit, sich als PädagogIn mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Es ist nötig, dass Lehramtsstudierende in ihrer Ausbildung und LehrerInnen im Rahmen von Fortbildungen verpflichtet werden, sich mit der Gender- und Diversitätsthematik auseinanderzusetzen und erfahren, wie Pädagogik im Unterricht umgesetzt werden kann.“

Wir brauchen mehr. Angebote wie der GirlsDay und der BoysDay sowie Frauen in die Technik (FiT) werden von Schulen häufig genutzt und können als erfolgreiche Konzepte betrachtet werden. Im Schulalltag fehlt es aber oft an den nötigen Rahmenbedingungen. Oft fehlen die Ressourcen für langjährige Gendermainstreamingprozesse, sei es in Form eines/einer Genderbeauftragten oder von Gruppenprojekten. Das Konzept einer Ganztagsschule würde durch die Möglichkeit einer flexibleren Gestaltung des Unterrichts einer geschlechtergerechten Erziehung entgegenkommen. Nicht nur fächerübergreifendes Lernen, auch geschlechtersensible Freizeitgestaltung wären leichter möglich. Die jetzige Schulsituation, die hohe Anzahl der SchülerInnen pro Klasse, zu kleine und/oder zu wenig Räumlichkeiten und der starre Umgang mit Zeit machen es den PädagogInnen unmöglich, den Anforderungen einer praxisorientierten gender- wie auch diversitysensiblen Bildung nachzukommen.

Emanzipierte Erziehung. Offenere Rahmenbedingungen bieten mehr Raum, um auf einzelne Kinder einzugehen, um pauschalen Geschlechterzuschreibungen von Seiten Erwachsener entgegenzuwirken und Kindern zu ermöglichen, ihr Geschlecht eigenständig auszuprobieren. Für Tanzberger ist es in Bezug auf die zukünftige Entwicklung einer geschlechtergerechten Pädagogik besonders wichtig, „Geschlechtsrollen und sonstige Zuschreibungen aufzulösen. Zum anderen ist es aber nach wie vor wichtig, Machtverhältnisse zu benennen. Für die Schule kann das heißen, Geschlecht zu dramatisieren, wenn es nötig ist und zu entdramatisieren, wenn es möglich ist.“ Dass im Bildungssystem endlich Platz für eine unbedeckte Evaluierung und den für eine emanzipierte Erziehung notwendigen Ausbau des Bildungssystems gemacht wird, ist aufgrund hartnäckiger ÖVP-Bildungsblockaden fraglich. Die Aufwertung des noch immer frauendominierten Bereichs der Sozial- und Pädagogikarbeit wäre nur eine Maßnahme, um den rostzerfressenen Bildungskahn vor dem Sinken zu bewahren.

Die Autorin studiert Philosophie in Wien.

AutorInnen: Marlene Brüggemann