Mindgames

  • 04.05.2013, 20:21

Magier, Illusionist, Mentalist, Hypnotiseur – Derren Brown ist der Scharlatan unter den Skeptikern und trifft damit einen Nerv der Gegenwart.

Magier, Illusionist, Mentalist, Hypnotiseur – Derren Brown ist der Scharlatan unter den Skeptikern und trifft damit einen Nerv der Gegenwart.

Angefangen hat der mittlerweile zum Star avancierte Brite Derren Brown im Fernsehen. Dort präsentierte er unter dem Titel „Mind Control“ Zaubertricks so, als würden sie auf der erstaunlichen Fähigkeit beruhen, Reaktionen von Menschen vorherzusehen oder aufgrund von Körpersprache und Suggestionen Informationen über sie zu erhalten. Dieses Grundprinzip hat Brown im Laufe seiner Karriere nicht wesentlich verändert. Laut eigener Aussage besteht sein „Entertainment“ aus einer Mischung unterschiedlicher Techniken. Er dementiert allerdings die umstrittene Behauptung, er würde mitunter Schauspielerinnen einsetzen, beziehungsweise die Teilnehmerinnen in seine Tricks einweihen.

Polarisierung. Durch seine Live-Shows und Fernsehsendungen spaltet er sein Publikum in Anhängerinnen und Feindinnen: in jene, die alles, was er macht, mit großer Energie verteidigen, jene, die ihn als Betrüger entlarven wollen und jene, die seine angeblichen Methoden zwar in Zweifel ziehen, ihn aber dennoch als Entertainer bewundern. Jedenfalls führen seine Produktionen zu heftigen Diskussionen, die sich um Fragen der Grenzen von Hypnose und Suggestion drehen. Kurzum: um den Realitätsgehalt der Shows des Tricksters.

Derren Brown selbst sieht sich als eine Art Skeptiker, entlarvt er doch regelmäßig Menschen mit angeblichen übersinnlichen Fähigkeiten, indem er mit seinen Tricks viel erstaunlichere Ergebnisse zustande bringt. Außerdem verkehrt er mit bekannten Skeptikern und Neoatheisten wie Richard Dawkins oder dem Schauspieler Stephen Fry. Allerdings unterscheidet ihn von anderen skeptischen Magiern, wie etwa Penn&Teller, dass er niemals preisgibt, wie genau er seine Stunts ausführt, sondern nur vage in Richtung Suggestion und Manipulation deutet. Er beschreibt dabei häufig Techniken, die zwar existieren, aber nicht zur Erklärung seiner Performances ausreichen.

Zahlreiche Artikel befassen sich mit Brown und seinen medialen Erzeugnissen. Allerdings wird die Frage kaum berührt, wie eigentlich ein Zauberer in der entzauberten Welt noch so erfolgreich sein kann. Die erstaunliche Vehemenz, mit der sich Menschen mit Browns Behauptungen identifizieren, oder diese ablehnen, ist erklärungsbedürftig. Sie ist umso interessanter, als sie einen zentralen gesellschaftlichen Widerspruch zwischen der Identifikation mit dem Bestehenden und der Sehnsucht nach einer besseren Welt berührt.

Etwas fehlt. Die meisten Menschen fühlen, dass mit der Welt ganz grundlegend etwas nicht stimmt. Sie sehen, dass Menschen verhungern, gefoltert werden und teils unter elendigen Bedingungen leben müssen. Sie bemerken, dass selbst jene, die es noch besser getroffen haben, kühl und gleichgültig oder verzweifelt und depressiv sind. All das nehmen sie war und es bildet den Grundwiderspruch des Bestehenden. Wie kann eine gesellschaftliche Ordnung gut und gerecht sein, in der dies alles zugleich möglich ist?

Gleichzeitig fühlen sie sich ohnmächtig und ausgeliefert angesichts der Starrheit der Verhältnisse. Und sie haben damit nicht ganz Unrecht, schließlich scheinen alle Versuche, an den herrschenden Bedingungen etwas zu ändern, hoffnungslos unterlegen und von inneren Widersprüchen geplagt. Anstatt nun dieses Dilemma ganz zu realisieren, wählen viele, zumindest um den Alltag zu ertragen, die Strategie, sich mit der Aggressorin zu identifizieren. Anstatt sich einzugestehen, dass es besser sein könnte und doch furchtbar ist, sagen sie, es müsse so sein, wie es ist und das sei im Grunde sogar gut.

Dieses Dilemma verkörpern die Werke Derren Browns. Könnten sie sprechen, würden sie uns sagen: „Ich bin was ich bin und bin doch mehr als ich bin.“ Sie erlauben es, sich gleichzeitig mit ihrer Realität zu identifizieren, wie auch mit der Möglichkeit von etwas scheinbar Unmöglichem. Wer Browns Shows als „echt“ verteidigt, identifiziert sich mit dem Bestehenden im Namen von etwas Darüberhinausgehenden. Genauso können die Skeptischen den Realitätsgehalt seiner Shows kleinmachen und sich dabei darauf berufen, dass nichts sein kann, was nicht ist. Auch wenn sie dabei Recht haben, sprechen sie im Namen des Bestehenden.

Zombies. In einem Fernsehfilm lässt Derren Brown uns glauben, er würde einem ausgewählten Probanden vorspielen, die Welt werde von Zombies überrannt. Es handelt sich dabei um eine Art Spielfilm, der keiner sein will. Ähnlich dem Reality-TV oder den Filmen, die auf „einer wahren Begebenheit“ beruhen, wollen diese Kunstwerke keine Kunstwerke sein. Es handelt sich um entkunstete Kunst, die sich für Phantasie schämt. Das Künstlerische wird geleugnet, während sich zum Entertainment bekannt wird. Die Realität wird angebetet und die Phantasie, die Möglichkeit des Anderen wird verleugnet, obgleich sie anwesend ist. Sie muss präsent sein, um verleugnet werden zu können.

So ist es auch kein Zufall, dass Skeptikerinnen an Esoterik und Religion nichts sehen können als deren Irrationalität. Sie selbst haben sich zu VerfechterInnen des Prinzips des Bestehenden und der Rationalität erklärt. Sie sind wohl die beispielhafteste Verkörperung der Identifikation mit dem Bestehenden und irgendwie passt Derren Brown zu ihnen und doch nicht. Er passt zu ihnen als Verfechter des Bestehenden, der jemandem die Apokalypse vorspielt, um ihm klarzumachen, dass er glücklich sein soll, mit dem, was er hat. Und er passt nicht zu ihnen als einer, der dazu die Möglichkeit des Untergangs inszeniert – als einer, der keine Gelegenheit auslässt, den Menschen den größten Wahnwitz als Wirklichkeit vorzustellen. Das macht ihn in gewisser Weise zugleich zu einem schlechteren und besseren Skeptiker als seine weniger verspielten Mitstreitenden: Es macht ihn zu einem Scharlatan unter den Skeptikern.

Sein Erfolg und der Siegeszug der Realität in Film und Fernsehen sind Ausdruck der wachsenden gesellschaftlichen Spannung zwischen Möglichem und Wirklichem. Das könnte einen hoffnungsvoll stimmen, würden sich die freigesetzten Energien nicht entweder darauf richten, allerorts Lügen zu entlarven, oder sie nur umso heftiger zu verteidigen. Wenig lässt darauf hoffen, dass der zugrundeliegende Widerspruch ins Bewusstsein dringen könnte. Und selbst, wenn er – wie es hin und wieder vorkommt – ganz manifest greifbar und bewusst wird, hebt sich doch nicht wie von selbst die Ohnmacht auf, die objektiv besteht. Denken ist allerorts von gesellschaftlichem Einfluss abgeschnitten. Die entzauberte Welt ist ganz und gar verzaubert.

Der Autor Simon Sailer studiert Philosophie in Wien.

Offizielle Website von Derren Brown.

AutorInnen: Simon Sailer