Mehr Kick in die spanische Politik

  • 30.09.2012, 02:47

Sonia Reyes Sáez ist ehemalige Olympionikin im Taekwondo

Sonia Reyes Sáez ist ehemalige Olympionikin im Taekwondo

Den Olymp ihrer Karriere erreichte Sonia Reyes Sáez bereits in Athen bei den Olympischen Spielen von 2004. „Eine Olympiateilnahme ist nun mal der Traum jedes Sportlers“, erinnert sich Reyes, die seit ihrem zweiten Lebensjahr im zentralspanischen Guadalajara (Kastilien–La Mancha) lebt: „Noch dazu im Taekwondo, einem Sport, von dem ich lange nicht geglaubt habe, dass er je olympisch werden wird.“ Eine offizielle Disziplin ist der koreanische Kampfsport Taekwondo erst seit den Spielen in Sydney 2000 – Tae steht für die Handtechnik, Kwon für die Fußtechnik, und Do für den „Weg“ oder die „Kunst“. In Athen wurde Reyes als Favoritin gehandelt, errang aber nur den undankbaren vierten Platz – im Kampf um Bronze knapp geschlagen von der Mexikanerin Iridia Salazar Blanco.

„Auf dem Niveau der Weltspitze kennt man seine Gegnerinnen gut, und ist auch von der Kraft her annähernd gleich stark. Um zu gewinnen, muss man psychisch überlegen sein“, weiß Reyes. 2008 war sie in Peking ein weiteres Mal bei den Sommerspielen, diesmal allerdings als Ersatz für das spanische Team. Wenig später beendete sie ihre aktive Karriere, um eine Familie zu gründen. „Spitzensport und eine Schwangerschaft, das geht nicht gleichzeitig“, sagt Reyes, heute Mutter der fünf Jahre alten Elena. „Das aktive SportlerInnenleben ist kurz“, so Reyes. Deshalb setzte sie ihre Karriere kurzerhand als Sportreporterin für einen Lokalsender sowie innerhalb der Sportpolitik fort. Zudem trainiert sie heute Kinder und Jugendliche im Taekwondo. In den Kampfsport steckt sie  nach wie vor „ihre ganze Leidenschaft“.

Als Sportsprecherin der sozialistischen Partei von Kastilien-La Mancha, eine der am stärksten verschuldeten Regionen Spaniens, kennt Reyes auch die Kehrseite der Medaille. „Es ist katastrophal. So machen sie den Sport kaputt“, kritisiert sie die aktuelle Sparpolitik, die der Konservative Mariano Rajoy aus Madrid diktiert, und die auch ihr Ressort massiv betrifft. Nicht nur Karrieren von SpitzensportlerInnen seien gefährdet, klagt sie: „Viele sind durch die Kürzungen der SportlerInnen-Stipendien um bis zu 40 Prozent dazu gezwungen, aufzugeben.“ Sie müssten Arbeit suchen, was im Spanien der Krise keine leichte Angelegenheit ist.

Auch als Abgeordnete im Regionalparlament seien die Taekwondo-Grundsätze, wie Ye-Ui, Höflichkeit, Yom-Chi, die Integrität, und vor allem In-Nae, die Geduld gefordert, so Reyes. „Meine mentale Stärke hilft mir in der Politik, wo eine dicke Haut gefragt ist“, erklärt sie, die selbst erfahren musste, dass die  Grabenkämpfe der politischen Lager vor kaum einer Grenze halt machen. So wurde das öffentliche Schwimmbad in Reyes Heimatstadt Guadalajara, das seit ihrer Olympia-Teilnahme ihren Namen getragen hatte, kurzerhand wieder umgetauft, nachdem die konservative Volkspartei das Bürgermeisteramt errang.

Webtipp: www.soniareyessaez.com

Über Stolpersteine hinweg

Conchi Bellorín Naranjo ist Judoka und Spaniens Medaillenhoffnung für London 2012

Für die Sommerspiele in London zählt sie zu den wenigen, aber umso größeren Medaillenhoffnungen im spanischen Olympia-Team: Conchi Bellorín Naranjo, geboren 1980 in Badajóz in der Extremadura, der ärmsten und kargsten aller spanischen Provinzen im Südwesten der Iberischen Halbinsel.

„Die Qualifikation für Olympia war sehr hart“, erzählt die Judoka: „Nicht nur, dass wir 40 Wettbewerbe in meiner Gewichtsklasse (Anm. bis 57 Kilogramm) bestreiten. Ich hatte auch eine sehr starke direkte Rivalin um die Teilnahme.“ Bellorín gelang mit ihrer Qualifikation dennoch der Generationenwechsel im spanischen Judo-Team. Denn sie setzte sich gegen die aus Alicante stammende Isabel Fernández (*1972) durch, die keine geringere ist als die Olympiasiegerin von 2000 (Sydney) und Bronzemedaillengewinnerin von 1996 (Atlanta).

„Jetzt, wo ich mich qualifiziert habe, will ich das bestmögliche Ergebnis schaffen“, sagt Bellorín. Trotzdem gibt sie sich Bellorín bescheiden: „Ein Olympisches Diplom macht sich auch gut an der Wohnzimmerwand.“ Gegen einige Weltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen habe sie schon gewonnen.

Bellorín entstammt, wie sie sagt, „einer sehr sportaffinen Familie“. Mit zwölf Jahren entdeckte sie Judo für sich. Am meisten haben sie dessen Werte begeistert: „Ich habe dadurch gelernt, für die Möglichkeiten, die uns unser Leben bietet, zu kämpfen.“ Judo habe ihr auch das Selbstvertrauen gegeben, in einer Gesellschaft zu bestehen, in der Frauen in den langen Jahren der Franco-Diktatur (1939-1975) als Menschen zweiter Klasse betrachtet wurden.

Bellorín hegt große Sympathien für die spanische Jugend- und Protestbewegung des 15.Mai, die indignados (dt. Empörten): „Seither hat sich Vieles in Spanien verändert. Es wird nichts mehr so sein, wie es früher war.“ Bellorín beklagt an der Situation der spanischen Jugend nicht nur die Perspektivenlosigkeit: „Dass viele junge Menschen einzig und alleine im Nachtleben, bei Botellónes (Anm. kollektives Betrinken im Öffentlichen Raum), in Bars und Clubs ihren Ausgleich suchen, und nicht im Sport, macht es nicht besser.“

Was Bellorín nach ihrer aktiven Judoka-Karriere machen will, weiß sie nicht: „Um ehrlich zu sein, habe ich noch nicht daran gedacht.“ Sich für den Sport als Beruf zu entscheiden, sei eine sehr schwere Entscheidung gewesen. Seinerzeit musste sie ihr Arbeitsrecht-Studium abbrechen. Erst ein SportlerInnen-Stipendium und ein erster Sponsor gaben ihr schlussendlich eine gewisse finanzielle Sicherheit. „Ich musste neben dem Training und den Wettbewerben ab sechs Uhr morgens in einem Sportbedarfsgeschäft Preisetiketten kleben und noch in der Nacht kellnern.“ Denn leben konnte sie vom Judo nicht.

Wenn Bellorín nicht mit ihrem Hund „Itchy“ – benannt nach dem sadistischen blauen Zeichentrickmäuschen aus Die Simpsons – ausgedehnte Spaziergänge macht, trainiert sie hart, „zwischen drei und sechs Stunden jeden Tag“. Doch ihr Trainingsplan änderte sich im Schlusssprint auf Olympia deutlich: „Neben dem Krafttraining verwöhne ich mich jetzt. Ich gehe in den Spa und nehme Thermalbäder. Und ich absolviere mehr psychologische Trainingseinheiten.“ Auf London freut sie sich übrigens auch, weil sie dort ihre österreichische Freundin und Medaillenkonkurrentin Sabrina Filzmoser wieder treffen wird: „Sie ist einfach großartig, menschlich wie sportlich.“

Tipp: Die olympischen Judo-Kämpfe in der Gewichtsklasse (bis 57 Kilo) finden ab dem 30. Juli statt.

AutorInnen: Jan Marot