Konstruierte Natur

  • 22.06.2016, 11:32
Die Stadt wird gerne als Gegensatz zur Natur gesehen. Dabei existieren innerhalb von Städten verschiedene Formen von Natur, die ebenso unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden.

Die Stadt wird gerne als Gegensatz zur Natur gesehen. Dabei existieren innerhalb von Städten verschiedene Formen von Natur, die ebenso unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. In ihrem Band „Ansichtssache Stadtnatur“ untersucht die Berliner Stadt- und Kulturgeografin Katharina Winter, welchen Einfluss verschiedene Ansichten, was Stadtnatur ist oder sein kann, auf den Umgang mit sogenannten Zwischennutzungen haben. Im Grunde gilt schon die natürliche Sukzession – also das ungehinderte Wachstum von Pflanzen, deren Zusammensetzung sich mit der Zeit von reinen Gräsern zu Sträuchern und schließlich zu Bäumen verändert – als Zwischennutzung. Viel spannender sind jedoch die menschlichen Zwischennutzungen wie Guerilla Gardening oder improvisierte Spielplätze.

Drei Fallstudien über solche Zwischennutzungen hat Winter durchgeführt. Zuerst stellt sie den „Garten der Posie“, einen interkulturellen Gemeinschaftsgarten im dicht besiedelten Neukölln-Rixdorf, vor und geht dabei besonders auf die Spannungen zwischen sogenannter „bedürftiger“ und „nützlicher“ Natur ein, die in jedem Garten entstehen und in einem Gemeinschaftsgarten besonders präsent sind. Die zweite Fallstudie behandelt die „Tentstation“, einen innerstädtischen Zeltplatz auf dem Gelände eines ehemaligen Freibades in Moabit. Hier untersucht Winter besonders die Fragen, was für ein Naturverständnis auf einem Zeltplatz vorherrscht und ob Nachhaltigkeit automatisch Schönheit bedeutet. Sie spricht dabei der Ästhetik der „gebrauchten Natur eines gebrauchten Ortes“ eine besondere Rolle zu. Drittes und letztes Fallbeispiel ist die Wagenburg „Lohmühle“, die auf einem ehemaligen Mauerstreifen entstand. Hier untersucht Winter besonders den Naturschutzgedanken der Bewohner_innen.

Sowohl die theoretischen Kapitel zur Konstruktion des Naturbegriffes als auch die Fallstudien sind für Interessierte eine Bereicherung. Lobenswert ist auch, wie kritisch der Nachhaltigkeitsbegriff in diesem Band betrachtet wird. Winter benutzt im Text zufällig die weibliche oder männliche Form, was zwar interessant ist, durch einen Gendergap oder -sternchen jedoch einfacher gelöst hätte werden können.

Katharina Winter: „Ansichtssache Stadtnatur. Zwischennutzungen und Naturverständnisse.“
transcript, 262 Seiten, 29,99 Euro, eBook 26,99 Euro.

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

AutorInnen: Joël Adami