Ich publiziere, also bin ich

  • 26.03.2015, 08:36

Wer heutzutage etwas publizieren möchte, braucht nicht mehr unbedingt einen Verlag oder ein Label. Über die Möglichkeiten und Grenzen des Self-Publishing.

Wer heutzutage etwas publizieren möchte, braucht nicht mehr unbedingt einen Verlag oder ein Label. Über die Möglichkeiten und Grenzen des Self-Publishing.

Dank Internet können alle alles in Echtzeit publizieren, sei es ein Gedicht oder ein GIF, einen Comic oder ganze Serien. Die/Der KünstlerIn in uns ist für die Veröffentlichung ihrer Werke nicht mehr auf Communities angewiesen – er/sie kann sich ihre Plattform selber bauen. Die technischen Möglichkeiten, eigene Werke zu produzieren, sind heutzutage jedem und jeder zugänglich.

SCHLAFENDE MANUSKRIPTE. Seit der Erfindung der Druckerpresse durch Gutenberg um 1450 herum hat sich in der Vertriebslogistik des gedruckten Wortes so einiges getan. Die unzählige Male totgesagte Kulturtechnik des Lesens ist lebendiger denn je, ob auf Papier oder neuerdings auf dem E-Reader – womit jedoch nichts über die Qualität des Geschriebenen sowie der Rezeption gesagt ist. Technologie hat Einfluss auf die Lesegewohnheiten und diese ändern sich auch. AutorInnen stehen vor der Frage: Soll ich auf die herkömmlichen Vertriebskanäle der etablierten Verlage zurückgreifen oder die Sache selbst in die Hand nehmen und alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen, um mir in Eigenregie Gehör zu verschaffen? Oder kann ich vielleicht sogar beides haben?

Der Weg vom Erstlingswerk in der Schublade bis zur Veröffentlichung in einem renommierten Verlag ist meist lang und steinig. Die Dunkelziffer der unveröffentlichten Romane lässt sich kaum eruieren, sie muss jedenfalls horrend sein. Eine Anekdote, die über Glanz und Elend der AutorInnen in den Mühlen des Literaturbetriebs viel aussagt, betrifft Robert Schneiders Manuskript zum Roman „Schlafes Bruder“. Es wurde von 23 Verlagen abgelehnt, bis es beim Reclam-Verlag zum Welthit wurde. Im Anschluss soll der Autor einen Vorschuss in noch nie dagewesener Höhe vom Blessing-Verlag für seinen zweiten Roman „Die Luftgängerin“ erhalten haben. Allerdings wurde dieses Werk von der Literaturkritik einhellig verrissen.

Illustration: Anna Diem

PUBLIKATIONSKONTROLLE. Self-Publishing-Verlage wie etwa tredition, der seinen Sitz in Deutschland hat, sind mit dem Versprechen angetreten, künftigen AutorInnen solche Umwege und Achterbahnfahrten zu ersparen. Sönke Schulz, Geschäftsführer von tredition, beschreibt die Misere der deutschsprachigen Verlagslandschaft: „2013 ergab eine Umfrage von tredition unter deutschsprachigen Publikumsverlagen, dass diese zwischen 3.000 und 10.000 unverlangt eingereichte Manuskripte pro Jahr erhalten. In der Regel wird kein einziges davon veröffentlicht. Und nicht etwa, weil alle diese Manuskripte keine Veröffentlichung wert sind. Die Verlage schaffen es schlichtweg nicht, die Einreichungen allesamt zu sichten. Die Chancen, als neuer unbekannter Autor in das Programm eines traditionellen Verlags aufgenommen zu werden, sind also äußerst gering.“ Vor diesem Hintergrund ist es für AutorInnen verlockend, das eigene Buch sofort veröffentlichen zu können, dabei höhere Provisionen zu erzielen als bei traditionellen Verlagen, an der Umschlaggestaltung beteiligt zu sein und den Verkaufspreis des Buches selbst festlegen zu können. „Grundsätzlich kann heute jeder jederzeit ein Buch veröffentlichen“, stellt Schulz fest. Wodurch die Frage, warum jede und jeder jederzeit ein Buch veröffentlichen können sollte, natürlich noch lange nicht beantwortet ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bei tredition erschienene Bücher erhalten auch eine ISBN-Nummer, was ihre Auffindbarkeit gewährleistet. tredition betreibt auch aktiv Marketing: Für jedes Buch wird eine individuelle Pressemitteilung an Nachrichtenportale und Newsticker versendet, wird eine Suchmaschinenoptimierung vorgenommen, die Bücher werden auf der Frankfurter Buchmesse ausgestellt, und JournalistInnen erhalten kostenfreie Rezensionsexemplare.

AUF EIGENE FAUST. Wer seine oder ihre Texte, Fotos, Musik, Comics und anderes einfach unter die Leute bringen will, kann das heutzutage aber im Grunde genommen auch ohne einen Self-Publishing-Verlag tun. Schier unendlich sind die Möglichkeiten: ein Blog, eine eigene Homepage, Facebook, SoundCloud, WordPress – um nur die wichtigsten Plattformen zu nennen. Unabhängig und flexibel ist, wer auf diese Weise publiziert, aber zugleich stellt sich die Frage nach der finanziellen Vergütung sowie nach der Sichtbarkeit auf einem Markt, auf dem in erster Linie Anerkennung und „symbolisches Kapital“ akkumuliert und gehandelt werden.

„Bildet Banden“, rät Eva Schörkhuber, freie Autorin, Lehrende, Lektorin und Redakteurin, jungen Kunstschaffenden. Alternative Distributionswege, etwa gemeinsam betriebene Plattformen, können helfen, die Abhängigkeit von gewachsenen Institutionen und Mechanismen zu verringern und sich in der Verlagslandschaft mit mehr Selbstbewusstsein zu behaupten: „Bei der Zusammenarbeit mit Verlagen ist es, finde ich, wichtig, sich nicht als Bittsteller_in zu begreifen, der oder die unter allen Umständen dankbar sein muss, dass die eigenen Arbeiten publiziert werden.“
Illustration: Anna Diem

KORREKTORAT, LEKTORAT? Das Lektorat ist definitiv ein Aspekt, der Self-Publishing von herkömmlichen Publikationsmethoden unterscheidet. Bei tredition etwa gibt es zwar eine „Qualitätsprüfung“ und AutorInnen haben die Möglichkeit, auf ein „ExpertInnen-Netzwerk“ von LektorInnen, KorrektorInnen, IllustratorInnen und ÜbersetzerInnen zurückzugreifen. Aber schlussendlich liegt es in der Verantwortung der/s AutorIn, das Endprodukt in einer entsprechenden Form abzuliefern. Schulz dazu: „Autoren müssen sich bewusst sein, dass eine professionelle Umsetzung ihres Buchprojektes, also einwandfreie Rechtschreibung und Grammatik, professionelles Cover, aussagekräftiger Rückentext und so weiter die Grundvoraussetzung für jegliche Verkaufschance ist.“

Eva Schörkhuber, die den Prozess der Textproduktion aus verschiedenen Blickwinkeln kennt, ist überzeugt, dass es Texten – literarischen, journalistischen und wissenschaftlichen – gut tut, wenn sie von mehreren Menschen gelesen, diskutiert und begleitet werden. „Ein seriöses, ausführliches Lektorat macht genau das – den Text zu begleiten“, erklärt sie und fügt hinzu: „Lektorieren heißt eben nicht, bei einem fertigen Manuskript den Rotstift anzusetzen, zu streichen und zu korrigieren, sondern sich über den Text auszutauschen, Stärken und Schwächen zu besprechen, und das auf- und ausatmen zu lassen, was in den solitären Schreibstunden produziert wurde.“ Leider führe Zeitmangel dazu, dass auch in klassischen Verlagen inzwischen eher Korrektorate als Lektorate durchgeführt würden. Schörkhuber betont aber, dass ein Lektorat auch in selbstorganisierter Form, also in Lesekreisen oder Leseforen, stattfinden kann.

Wie sieht es mit dem Publikum aus? Kann sich einE Self-PublisherIn sein oder ihr eigenes Publikum „heranzüchten“? Nur bedingt. Schörkhuber warnt vor Allmachtphantasien selbstpublizierender AutorInnen: „Nur weil meine Texte jetzt online sind, heißt das noch lange nicht, dass sie gefunden, wahrgenommen und gelesen werden. Ich werde mich auch als Self-Publisher oder Self-Publisherin auf verschiedene Weisen vernetzen müssen, um sichtbar zu werden, zu sein, zu bleiben.“

Die junge, mehrfach ausgezeichnete Fotografin Mafalda Rakoš berichtet, dass selbst publiziertes Material eher ein spezialisiertes LiebhaberInnen-Publikum anspricht als die breite Masse: „Schon allein durch die Anzahl – meistens bewegt sich ein Fotobuch zwischen 50 und 900 Stück, wenn es selbst gemacht ist. Ein Verlag produziert sicher auflagenstärker.“

Die Comiczeichnerin und Self-Publisherin Anna Heger schätzt den unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum: „Ich habe das Gefühl, dass ich steuern kann, welches Publikum ich erreiche. Natürlich nicht zu 100 Prozent, aber mit Self-Publishing komme ich in Kontakt mit Leuten, die feministisch oder queer sind, oder was auch immer zu mir passt. Das ist ein Publikum, das ich ansonsten so gar nicht gezielt finden könnte.“

Die Kontrolle über den gesamten Prozess der Veröffentlichung zu haben, ist für Anna Heger eine gute Sache. Sie veröffentlicht ihre Comics auf einem Blog, druckt sie selbst aus und faltet sie per Hand zu kondomgroßen Heftchen: „Die Vorteile beim Selberpublizieren liegen darin, dass ich über jeden Schritt Kontrolle habe. Ich kann etwas ausprobieren und sehen, ob und wie es funktioniert. Im direkten Austausch mit Leser_innen merke ich, wie sie ticken und was sie an meinen Comics interessiert.“

KRAMPFIGE VERSCHRÄNKUNG. Mafalda Rakoš kennt auch die Schattenseiten dieser Gestaltungsfreiheit: „Du kannst alles selbst machen, schön und gut – trotzdem: Es ist deine Zeit, dein Geld, dein Risiko. Dass Fotograf_innen ihr Projekt quasi von Anfang bis Ende selbst betreuen und nicht am Ende ‚abgeben’, kann oft zu sehr krampfartigen Verschränkungen mit der Arbeit führen. Der Erfolg danach ist zwar umso toller, aber auch für emotionalen Abstand und Pausen bist du allein verantwortlich. Freund_innen und Eltern müssen herhalten. Das ist Schweiß und harte Arbeit.“

Auch Schörkhuber gibt zu bedenken, dass die Eigenverantwortlichkeit einen Haken haben kann: „Das Gefühl, alle Entscheidungen absolut eigenmächtig treffen zu müssen, kann auch eine Falle sein. Begreife ich mich als absolut ‚frei‘ in all meinen Publikationsentscheidungen, werde ich mich für alles verantwortlich fühlen und auch verantwortlich machen – sowohl für einen Erfolg als auch für ein Scheitern. Ich denke, dieses Pendeln zwischen Allmachtphantasien bei Erfolg und Selbstvorwürfen bei Niederlagen paralysiert.“

Oft muss es aber gar keine Entweder-oder-Entscheidung sein. Konventionelle Publikationswege und neue Möglichkeiten zur Verbreitung von Inhalten können sich auch ergänzen. Gemeinhin würde man annehmen, dass jene AutorInnen auf Self-Publishing zurückgreifen, die bei keinem Verlag unterkommen konnten. Zumindest eine berühmte Ausnahme gibt es aber: Elfriede Jelinek, die es sich seit dem Nobelpreis leisten kann, auf den von ihr als „extrem korrupt“ und „nepotistisch“ kritisierten deutschsprachigen Literaturbetrieb zu verzichten: „Wenn ich im Netz veröffentliche, dann gehört der Text mir, und er bleibt es auch. Gleichzeitig hat jeder darauf Zugriff, der will“, sagte Jelinek in einem Interview mit fiktion.cc.

Ein Problem wird jedoch auch durch noch so niederschwelliges Self-Publishing nicht zu lösen sein, nämlich die Frage, wer denn noch, wie Michael Endes kleine Momo „mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme“, zu lesen und zuzuhören vermag, wenn alle damit beschäftigt sind, selbst zu publizieren.

 

Mascha Dabić hat Translationswissenschaft (Englisch und Russisch) fertig und Politikwissenschaft fast fertig studiert und unterrichtet Russisch-Dolmetschen an den Universitäten Wien und Innsbruck.

 

AutorInnen: Mascha Dabić