HIV/AIDS eine chronische Erkrankung?

  • 29.09.2012, 00:21

Der medizinische Fortschritt, der im Bereich HIV/AIDS in den letzten Jahrzehnten erzielt wurde ist beispiellos, ohne Frage. Es sterben – zumindest in den Industrieländern, wo Menschen Zugang zu diesem Fortschritt haben – nicht mehr so viele an AIDS. Die Lebenserwartung ist gestiegen. Möglicherweise liegt sie sogar ebenso hoch wie jene von Menschen ohne HIV-Infektion.

Der medizinische Fortschritt, der im Bereich HIV/AIDS in den letzten Jahrzehnten erzielt wurde ist beispiellos, ohne Frage. Es sterben – zumindest in den Industrieländern, wo Menschen Zugang zu diesem Fortschritt haben – nicht mehr so viele an AIDS. Die Lebenserwartung ist gestiegen. Möglicherweise liegt sie sogar ebenso hoch wie jene von Menschen ohne HIV-Infektion. Den meisten geht es mit ihrer HIV-Infektion deutlich besser. Weniger Medikamente, seltener zu schlucken, weniger zusätzliche Krankheiten. Die Lebensqualität ist gestiegen.

AIDS ist tödlich – aber nicht mehr so. Eine HIV-Infektion ist nicht heilbar – aber behandelbar. HIV ist ansteckend – immer noch!

Dennoch ist die Aussage, eine HIV-Infektion sei eine chronische Erkrankung, vergleichbar mit Diabetes, zynisch. HIV-Positive werden medikamentös behandelt, ebenso wie DiabetikerInnen. Das erhöht die Lebensqualität und steigert die Lebenserwartung. Doch ein Unterschied bleibt: HIV ist ansteckend - immer noch! Menschen, die mit HIV/AIDS leben, werden diskriminiert, stigmatisiert, ausgegrenzt, verlieren Arbeit, Freunde und den Mut. Soziales AIDS heißt das Schlagwort.
Jede/r aufgeklärte Erwachsene weiß heute über die Übertragungswege von HIV Bescheid und dass es möglich ist, sich davor zu schützen. Und dennoch: Das gleiche Geschirr benützen, auf dieselbe Toilette gehen, gleichzeitig in der Sauna sitzen... Trotz Aufklärungsarbeit von mehr als 20 Jahren bleiben die Mythen bestehen. Bei einer Umfrage im Jahr 2006 war sich jede/r fünfte Erwachsene in Wien nicht sicher, ob man sich beim Küssen mit HIV infizieren kann oder nicht.
Kein Wunder, dass viele der Betroffenen mit niemandem über ihre HIV-Infektion sprechen und vollkommen zurückgezogen leben. Kein Wunder, dass die Lebenssituation vieler HIV-infizierter Menschen immer schlechter wird, sie unter psychischen Problemen wie Depressionen und Ähnlichem leiden. Von zehn Betroffenen, die von den SozialarbeiterInnen der Aids Hilfe Wien betreut werden, leben neun unter der Armutsgrenze. Das durchschnittliche Einkommen dieser Menschen beträgt EUR 570 pro Monat. Aussicht, wieder ins Arbeitsleben einzusteigen und so ihre finanzielle Situation zu verbessern, haben sie so gut wie keine. Denn: Das gleiche Geschirr benützen, auf dieselbe Toilette gehen...

Dr.in Sigrid Ofner, Aids-Hilfe Wien

AutorInnen: Sigrid Ofner