Der tendenzielle Fall der Profitrate

  • 10.03.2016, 13:59
Der Kapitalismus ist schon ein verrücktes Produktionsverhältnis. Die Arbeit ist hier die Quelle des Reichtums. Gleichzeitig strebt er durch fortschreitende und durch die Konkurrenz notwendige Entwicklung der Maschinen und der Wissenschaft dahin, die Arbeit immer überflüssiger zu machen.

Der Kapitalismus ist schon ein verrücktes Produktionsverhältnis. Die Arbeit ist hier die Quelle des Reichtums. Gleichzeitig strebt er durch fortschreitende und durch die Konkurrenz notwendige Entwicklung der Maschinen und der Wissenschaft dahin, die Arbeit immer überflüssiger zu machen.

Der Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Verfasstheit des Produktionsverhältnisses kann am Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate veranschaulicht werden. Die meisten Leser_innen dieser Zeilen haben womöglich die drei Bände des Kapitals von Karl Marx nicht gelesen. Umso größer ist deswegen die Herausforderung für den Autor dieses Gesetz zu erklären. Deshalb sei eine kleine Geschichte über den Kapitalismus vorangestellt, die anhand eines Kapitalisten mit ungewöhnlich langer Lebensdauer erzählt wird. Das Licht der Welt erblickte er im 17. Jahrhundert.

Wie alles begann. Da ist er nun, Adam, unser Kapitalist mit seiner kleinen Textil-Manufaktur. Doch noch kann es nicht losgehen. Es fehlen noch die Arbeitskräfte, die er beschäftigen kann. Aber Adam hat Glück, in England wurden gerade die Kleinbäuer_innen von ihrem Land vertrieben, sie mussten Schafen für die Wollproduktion weichen. Was sind schon ein paar 100.000 tote und vertriebene Landbewohner_innen im Vergleich zu den Exportgewinnen durch Garn und Kleidung. Unseren Adam geht das nichts an, er freut sich über diese doppelt freien Arbeiter_innen, die in dieser ursprünglichen Akkumulation freigesetzt wurden und gezwungen sind, in die Städte zu fliehen. Unser Kapitalist erwartet sie schon mit offenen Armen. Ganz selbstlos ist dies natürlich nicht. Er schielt dabei auf den Mehrwehrt, den ihm die Arbeiter_innen produzieren. Als guter Bürger ist er von der Gerechtigkeit getrieben und zahlt seinen Beschäftigten den Wert ihrer Arbeitskraft. Denn wert ist sie so viel, wie aufgewandt werden muss, um den/die Arbeiter_in und seine/ihre Arbeitskraft zu erhalten (Lebensmittel, Wohnung, Familie usw.). Doch schon wieder hat Adam Glück, die Arbeitskraft kann nämlich mehr Wert produzieren, als sie für die eigene Reproduktion benötigt. Einen Teil des Tages arbeitet der/die Arbeiter_in für sich und den Rest des Tages schafft sie Adams Mehrwert. Das Seelenheil des guten Bürgers ist gerettet. Der gerechte Lohn garantiert die Ausbeutung und alle erhalten, was ihnen zusteht.

Adam ist aber nicht der einzige Kapitalist, der seine Kleidung an die Käufer_innen bringen will. Die Konkurrenz ist unerbittlich: Jeder versucht, seine Waren so billig wie möglich zu produzieren und zu verkaufen. Doch wie kommt der Wert der einzelnen Ware zustande? Im Fall eines Pullovers übertragen der Rohstoff und der Verschleiß der Maschine Wert auf die Ware. Dies schafft aber keinen zusätzlichen Wert. Zusätzlichen Wert erhält der Pullover erst durch die in sie/ihn eingegangene menschliche Arbeitskraft. Wertbildend ist dabei aber nur die Arbeitszeit, die gesellschaftlich notwendig ist, um einen bestimmten Gebrauchswert zu produzieren. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Adam hat sich vor ein paar Jahren einige technische Geräte angeschafft. Mit deren Hilfe produziert er 100 Pullover am Tag, die er auch zu ihrem Wert verkaufen kann. Nicht so viel Glück hat Paul mit seinen veralteten Produktionsmethoden, er produziert nur 60 Stück, kann das Einzelstück aber nur zum gleichen Wert verkaufen wie Adam und wird sich deshalb bald aus der Kapitalistenklasse verabschieden müssen. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Einzig die fortwährende Steigerung und Verbesserung der Produktionsmethoden garantieren dem Kapitalisten seine Stellung.

Doch wie finanziert er sich den Ankauf neuer Maschinen? Durch den von den Arbeiter_innen produzierten Mehrwert. Adam hat schon einiges versucht, um die Mehrwertrate zu erhöhen. Zuerst hatte er die Arbeiter_ innen 18 Stunden arbeiten lassen. In drei Stunden hatten sie den Wert produziert, den Adam für sie bezahlt hatte und in den restlichen 15 Stunden wurde Adams Mehrwert produziert. Den Arbeiter_innen war das endgültig zu viel und was außer ihren Ketten hatten sie denn zu verlieren? Es kam zu Streiks, Klassenkämpfen und ein Hauch von proletarischer Revolution hing in der Luft. Um die Lage zu entschärfen, verabschiedete das britische Parlament ein Gesetz zur Beschränkung des Arbeitstages. Doch Adam fand auch hier eine Lösung, er intensivierte einfach die Arbeit und erhöhte dadurch die Mehrwertrate. Der Weg zur Krise. Wir nähern uns jener Zeit, in der Karl Marx seine drei Bände des Kapitals verfasste. Was in dieser Geschichte von Adam bisher noch ausgespart blieb, soll nun mit Marx und seinem Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate erklärt werden. Vorneweg: Der Fall der Profitrate ist eine Tendenz, die durch viele Faktoren verlangsamt und sogar umgedreht werden kann. Das Gesetz soll nicht so verstanden werden, dass der Kapitalismus notwendigerweise zusammenbrechen müsste. Denn leider findet das Kapital immer einen Weg, um weiter zu existieren und zwar auf Kosten der Menschen.

Doch nun zum Gesetz. Die beschriebene Produktivkraftsteigerung führt dazu, dass immer weniger Arbeit immer mehr Maschinerie, Roh- und Hilfsstoffe anwenden kann. Ansich eine tolle Sache, denn die frei gewordene Zeit könnte unter vernünftigen Verhältnissen in Freizeit verwandelt werden, doch im Rahmen des Kapitalismus wird dies zu einem fundamentalen Problem, welches sich zur Krise steigert. Doch warum? Das variable Kapital (Arbeitskraft) nimmt in Relation zum eingesetzten konstanten Kapital (Maschinen und Roh-Hilfsstoffe) relativ ab. Vereinfacht ausgedrückt: Die Kosten für Maschinen und Rohstoffe erhöhen sich. Selbst wenn aufgrund dieser fortwährenden Konzentration des Kapitals mehr Arbeiter_innen im einzelnen Betrieb beschäftigt werden, sinkt deren Anteil relativ zu den Maschinen. Die Profitrate berechnet sich durch den Bruch zwischen produziertem Mehrwert (m) und insgesamt vorgeschossenem Kapital (c + v). Denn nur mithilfe des Mehrwerts kann in neue Produktionsmethoden und Maschinen investiert werden und dies ist notwendig, um als Kapitalist in der Konkurrenz zu bestehen. Weil der Anteil der Maschinen schneller steigt, als der der lebendigen Arbeit, wird im Verhältnis zum vorgeschossenen Kapital relativ (nicht absolut) weniger Mehrwert produziert und die Profitrate sinkt. Deshalb kann die Mehrwertmasse (Profitmasse) steigen, aber die Profitrate sinken. Dies ist keine Ausnahme, sondern der Regelfall. Die in der einzelnen Ware vergegenständlichte Arbeit sinkt, es werden aber mehr Waren produziert. Der Mehrwert ist produziert. So weit so gut.

Doch nun muss er auch noch auf dem Markt realisiert werden. Kurz, die Waren müssen an die Konsument_innen gebracht werden. Von diesem Verkauf hängt die Zukunft des einzelnen Kapitals ab. Werden sie nicht verkauft, kann nicht weiter produziert werden. Die Masse der Waren steigt ins Unendliche und was abzusehen ist, passiert: Zu viele Waren finden keine Käufer_innen mehr. Der produzierte Mehrwert wird nicht mehr realisiert. Die Konsumtionsfähigkeit bewegt sich nur auf einem durch den Kapitalismus gesetzten Minimum. Man nennt dies eine Überakkumulationskrise. Doch mit der zunehmenden Konzentration des Kapitals und der Entwicklung hin zu den Trusts und Monopolen will und kann das Kapital sich diese Krisen nicht mehr leisten. Der Staat tritt als großer Regulator auf den Plan, er überwindet die Krise nicht, sondern nimmt sie in staatliche Regie. Dies geschah in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, womit die liberale Phase des Kapitalismus beendet wurde. So begann die Ära des Spätkapitalismus, in der wir heute leben.

Michael Fischer studiert Deutsch und Geschichte auf Lehramt an der Universität Wien.

AutorInnen: Michael Fischer