Der Rand in der Mitte?

  • 30.03.2014, 17:25

„Und in der Mitte, da sind wir“ wurde auf der Diagonale 2014 präsentiert und ist eine entlarvende Dokumentation über die vermurkste österreichische Bewältigung des Nationalsozialismus. Drei Jugendliche aus Ebensee geben Einblick in ihre Gedankenwelt. Das Ganze ist authentisch. Fast schon zu sehr.

„Und in der Mitte, da sind wir“ wurde auf der Diagonale 2014 präsentiert und ist eine entlarvende Dokumentation über die vermurkste österreichische Bewältigung des Nationalsozialismus. Drei Jugendliche aus Ebensee geben Einblick in ihre Gedankenwelt. Das Ganze ist authentisch. Fast schon zu sehr.

Anmerkung: Ebensee im oberösterreichischen Salzkammergut hat eine fatale Vergangenheit. Die Nazis errichteten dort ein Konzentrationslager, 8.745 Menschen starben. Die Häftlinge mussten innerhalb kürzester Zeit und unter großer körperlicher Anstrengung den Stollen 250 Meter in den Berg hineintreiben. Hitler wollte geheim unter Tage V2-Raketen entwickeln.

„Voll fad“ war er, der Besuch im KZ, erzählen Jugendliche im Film. Die Eltern sehen das ähnlich: Sie haben noch nie eine Gedenkfeier besucht und sprechen von einer „Notwendigkeit des Vergessens“. In Ebensee scheint der Nationalsozialismus ein sensibles Thema zu sein. Vermutlich auch, weil es 2009 zu einem Vorfall kam: Elf Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren störten die KZ-Gedenkfeier mit Softguns und „Heil Hitler“-Rufen. Drei der Beteiligten wurden wegen Wiederbetätigung verurteilt. Aufgearbeitet wurde das in Ebensee aber nie.
Regisseur Sebastian Brameshuber aus dem Nachbarort Gmunden hat diesen Vorfall zum Anlass genommen, um drei junge Ebenseer beim Älterwerden zu begleiten. Es geht um die Suche nach der eigenen Identität, während die Geschichte des Heimatorts nicht ausgeklammert wird. Die Teenager werden aktiv mit der nationalsozialistischen Vergangenheit konfrontiert. Die Reaktionen sind entlarvend, fast ein wenig deprimierend, aber dafür umso authentischer. „Und in der Mitte, da sind wir“ ist ein authentisches Abbild von Zeitgeschichte. Das ist weder schön, noch romantisch. Das inszenierte Drama fehlt ebenso. Pure Realität, die eineN fesselt.

Regisseur Brameshuber diskutierte bei der Diagonale 2014 im KIZ Royal mit KinobesucherInnen über seinen Film. Foto: Rumpf

Neonazis oder Lausbuben?

Die Beurteilung der Wiederbetätigungsaktion fällt bunt aus. Einige EbenseerInnen sprechen von einem „Lausbubenstreich“ und an sich netten Burschen, die Opfer einer „politisch zu korrekten Gesellschaft“ wurden. Sie als „Neonazis“ abzutun, findet Brameshuber aber auch für zu kurz gegriffen. Der Begriff „Neonazis“ drängt die Akteure an den Rand der Gesellschaft, was vor allem der eigenen Beruhigung dient: „Ein paar Verrückte gibt’s halt immer.“ Da es aber so viele Jugendliche waren, die sich an der Aktion beteiligt haben, möchte Brameshuber nicht von Extremisten reden. Sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft und haben ein Problem mit der Vergangenheitsbewältigung.

Die Angst, Dinge beim Namen zu nennen

Das äußert sich vor allem bei den eingefangenen Wortmeldungen der Jugendlichen. Die jungen Ebenseer nehmen im Film kein Blatt vor den Mund: Locker und ohne Scham geben sie tiefe Einblicke in ihr Leben. Der Regisseur gibt sogar zu, dass er manchmal „die Protagonisten vor sich selbst schützen“ musste. Beim Thema Nationalsozialismus werden sie aber ruhig. „Was man in der Schule halt so hört“ – mehr kommt oft nicht. Die Dinge beim Namen zu nennen – Hitler, KZ, Nationalsozialismus – wagt niemand. Diese Begriffe werden durch „damals“, „der Stollen“ und „das“ ersetzt. Dies ist bedenklich, da es das Vergessen erleichtert. Selbst Brameshuber gibt zu, dass der Nationalsozialismus weder in der Familie noch in der Schule ein Thema war: „Eine sehr wortkarge Gegend ist das“. Vom KZ im 15 Kilometer entfernten Ebensee hat er zufällig in Amerika (!) erfahren, wohlgemerkt erst nach der Matura. Er kritisiert, dass manche Ebenseer Schulklassen zwar nach Mauthausen fahren, aber nicht ins KZ und dem zeitgeschichtlichen Museum vor Ort: „Man versucht die Außenlager zu vergessen“. Und de facto die eigene Geschichte.

Ebensee als Beispiel

Muss sich Ebensee mehr mit der Nazi-Vergangenheit befassen als andere Orte? – Nein, so etwas wie eine Bringschuld gibt es nicht. Auch Gmunden, auch Bad Ischl, auch ganz Österreich braucht Vergangenheitsbewältigung. Der Film zeigt aber schön auf, dass selbst ein Ort, der hautnah von NS-Geschichte betroffen ist, es nicht tut. Eine neue, wenn auch bedenkliche Erkenntnis.

Fazit

„Und in der Mitte, da sind wir“ liefert mit einfachen Bildern eine zeitgeschichtliche Abbildung einer Generation, die sich keine Gedanken über ihre Vergangenheit macht. Der Film ist jedenfalls ein Beweis, dass es Versäumnisse in der Vergangenheitsbewältigung gibt - nicht nur bei ein paar Verrückten am Rand der Gesellschaft, sondern auch in der Mitte. Der Rand in der Mitte?

Hier geht’s zur Filmbeschreibung auf der Diagonale-Homepage und hier gibt’s zusätzliches Info-Material auf der Website des Films.

Christoph Schattleitner studiert „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum in Graz.

AutorInnen: Christoph Schattleitner