Auszeit von der Außenwelt

  • 20.03.2015, 18:20

In seinem Dokumentarfilm „Wie die anderen“ gibt Constantin Wulff Einblick in das Innenleben einer psychiatrischen Abteilung und das Seelenleben von jungen Menschen. Schauplatz: Tullner Landesklinikum. Abteilung: Kinder- und Jugendpsychiatrie.

In seinem Dokumentarfilm „Wie die anderen“ gibt Constantin Wulff Einblick in das Innenleben einer psychiatrischen Abteilung und das Seelenleben von jungen Menschen. Schauplatz: Tullner Landesklinikum. Abteilung: Kinder- und Jugendpsychiatrie. 

„Ich heiße Leonie. Alle fragen, warum ich so seltsam bin. Keiner weiß eine vernünftige Erklärung. Dabei wäre ich gerne genauso wie die anderen.“ Junge PatientInnen mit unterschiedlichen Hintergründen, Krisensituationen und Schicksalen eint ein Wunsch: Sie wären gerne wie die anderen. „Die anderen“, das sind Gleichaltrige und FreundInnen in einer Welt, die sich außerhalb der Abteilung für Kinder und Jugendpsychiatrie des Landesklinikums Tulln weiterdreht. Leonie erzählt das im Rahmen einer Therapiesitzung, die sich nicht als solche inszeniert. Liegt die Diagnose einmal vor, wird schnell klar: Ein Patentrezept zur Behandlung gibt es nicht. Durch spielerische Gesprächssituationen, geschickte Kreativitätstechniken und musikalische Klangexperimente will das ärztliche Personal mehr über das Seelenleben junger PatientInnen in Erfahrung bringen. Diese sind von problematischen Vorgeschichten und traumatischen Erlebnissen gezeichnet. Angstzustände, Bulimie, Medikamentensucht, Schizophrenie und Suizidgedanken begleiten ihren Alltag.

PERSONALMANGEL ALS HERAUSFORDERUNG. Das ärztliche Personal selbst findet sich oft an den persönlichen Grenzen. Im Fokus steht ein Arbeitsalltag zwischen hingebungsvoller Aufopferung und zeitlichem Druck, der von ÄrztInnenmangel geprägt ist. „Es ist nicht mehr fünf vor, sondern zehn nach Zwölf“, ist das Resümee einer arbeitsinternen Besprechung, in die das Publikum als stille BeobachterIn mitgenommen wird. Neben mangelnden Ressourcen und bürokratischen Hürden werden auch dienstliche Grenzen debattiert. Etwa, wie es gelingen kann, bei Verdacht auf (sexuellen) Missbrauch einzuschreiten. Oft sind dem ärztlichen Personal nämlich beim Bemerken von Verletzungen bei ihren PatientInnen die Hände gebunden. Eine problematische Schlüsselszene, deren Ergebnis letztendlich über die Zukunft von jungen Menschen entscheiden kann.

INNENANSICHT MIT AUSSENBLICK. „Wie die anderen“ spielt sich ausschließlich im Inneren des Tullner Landesklinikums ab – ohne dabei den Blick nach Außen zu verlieren. Die taktisch kluge Kameraführung macht es möglich, Blicke und Gesten in den Fokus zu rücken und Worte überflüssig zu machen. Beispielsweise wenn es darum geht, die Freude von PatientInnen über einen Fortschritt oder den Frust des ärztlichen Personals über Handlungsunfähigkeit einzufangen. Der Film führt das Publikum gänzlich ohne Kommentar, Musik und Wertungen durch die kühlen Gänge und Zimmer der Klinik. Das Tabuthema „Psychiatrie“ löst sich in zwischenmenschlichen Dialogen auf, die von sozialer Wärme und einem einfühlsamen Miteinander geprägt sind. Die letzten Szenen werfen nochmals besorgniserregende Fragen auf, deren Beantwortung dem Publikum überlassen wird.

„Wie die anderen“ 
Regie: Constantin Wulff
95 Minuten
ab 11. September 2015

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.

AutorInnen: Sandra Schieder