Alternative Beziehungsformen

  • 10.03.2016, 18:18
Poly, offene Beziehung, Freundschaft Plus, usw. – die Liste möglicher Beziehungskonstellationen ist lang. progress hat Statements von Menschen, die nicht in der bekannten romantischen Zweierbeziehung (RZB) leben, gesammelt. Was ist toll, was nervt sie und wie lieben sie?

Poly, offene Beziehung, Freundschaft Plus, usw. – die Liste möglicher Beziehungskonstellationen ist lang. progress hat Statements von Menschen, die nicht in der bekannten romantischen Zweierbeziehung (RZB) leben, gesammelt. Was ist toll, was nervt sie und wie lieben sie?

Freundschaften plus.
Wenn meine Beziehungsform ein Label hätte, dann wohl „solo poly“. Aber eigentlich sag ich lieber: Es gibt in meinem Leben mehrere Personen, die ich gern habe bzw. liebe, und mit denen ich gelegentlich Sex habe. Bis vor zwei Jahren nannte ich es: Single mit mehreren Freundschaften Plus. Dann wies mich eine dieser Freundschaften darauf hin, dass da sehr viel Romantik zwischen uns ist, und wir eh quasi „zusammen“ sind. Seither nenne ich es Polyamorie. Die Beziehungen sind alle verschiedenartig, aber gleich wertig. Ich lebe alleine, bin gern selbstständig und unabhängig, – aber eben trotzdem verliebt und für die Menschen da, die mir wichtig sind und mit denen ich einen Teil meines Lebens verbringen möchte.
Sasha

Beziehungsformen sind politisch.
Ich habe zwei Partner, also zwei einzelne gleich wichtige und fast gleich lange Beziehungen. Alle haben dieser Konstellation zugestimmt und sind damit glücklich. Jede_r kann zusätzlich treffen und lieben, wen er_sie will. Davon erzählen wir uns dann möglichst gegenseitig. Ich hätte aber auch Verständnis dafür, wenn jemand mal etwas lieber für sich behält, solange es nicht in ein geheimes Doppelleben ausartet. Von life advice über Polyamorie halte ich ungefähr so viel wie von allen anderen Beziehungsratschlägen in Medien: Ich mag sowas nicht. Wenn ich in meinen Beziehungen Fragen, Ängste oder Probleme habe, wende ich mich lieber an den betreffenden Partner, liebe Freund_innen – oder mich selbst. Für mich ist meine Beziehungsform kein Lifestyle und schon gar keine sexuelle Orientierung; politisch ist sie schon – wie jede andere Form von Lebensgemeinschaft auch.
Lara

Ehemänner tendenziell sicher.
Ich habe zwei Freunde. Der Plural wirkt missverständlich, was soll ich sagen, Partner? Beziehungen? Ich kann nichts daran ändern, dass die deutsche Sprache da so ungenau ist. Hauptsache, ich weiß, was Sache ist, und mehr geht ja auch nicht alle was an. Wobei – dass ich niemanden hintergehe, das möchte ich schon festhalten. Nein, wir haben nichts zu dritt, und nein, ich bin nicht ständig auf der Suche nach Frischfleisch, und ja, dein Ehemann ist vor mir tendenziell sicher. Konflikte lösen wir stets partnerschaftlich – die beiden sind gewerkschaftlich organisiert. Leider musste ich in der letzten Verhandlung über Sockenlagerung Zugeständnisse machen.
Paulina

Kapitalverhältnis & Poly-Beziehung.
Schwierig wird es für mich dann, wenn unsere poly-Beziehung auf den Alltag im Kapitalismus trifft. Dass wir eine Fernbeziehung führen, hilft da wahrlich nicht. Wenn wir uns tagelang nicht mal bei Skype sehen können, weil Lohnarbeit, Studium, Aktivismus, Reproduktionsarbeit und self care jede freie Sekunde verschlingen, dann ist es schwer, wenn meine Partnerin die paar freigeschaufelten Momente auch noch zwischen ihre_r/m Freund_in und mir aufteilen muss. Jene Person, die auch noch näher wohnt, sie häufiger trifft, wenn mir nur Skype und längere Treffen in wesentlich selteneren Intervallen bleiben … Da entstehen bei mir plötzlich Eifersucht und Verlustgefühle, wo sonst kaum welche sind. Chris

Sexistische Zuschreibungen.
An die Rechtfertigungen dafür, mehrere individuelle Beziehungen zu führen, habe ich mich mit der Zeit gewöhnt. Was mich aber immer total nervt ist, dass vor allem weiblich gelesenen Personen wie mir dann oft unterstellt wird, mit jedem ins Bett zu gehen. Das ist einfach nur sexistischer Bullshit. Ebenso wie die Behauptung, ich würde schon eine RZB anfangen, wenn ich nur auf „den Richtigen“ träfe, obwohl er*sie weiß, dass ich keine Beziehungen mehr mit cis-hetero-Männern führe. Trotzdem liebe ich diese Beziehungsform, weil sie sehr auf gegenseitiger Wertschätzung, Offenheit und Konsens basiert und die unterschiedlichen Bedürfnisse mehr wahrgenommen und respektiert werden als in meinen RZB.
Liz

Doch nicht gekuschelt.
Seit sechs Jahren bin ich mit einer Person zusammen. Seit 2012 leben wir poly. Es fing alles damit an, dass ich mit einer Freundin von mir kuscheln wollte. Ich sprach es mit meine_r/m Partner_in an, mit de_r/m ich zu der Zeit monogam lebte. Wir einigten uns dann erstmal darauf, dass Kuscheln mit anderen Menschen und eventuell auch mehr okay wäre. Es kommt mir seltsam vor, dass es erst vier Jahre sind, in denen ich polyamorös lebe; so viele spannende, schwierige, gute, nervenaufreibende und identitätsstiftende Erfahrungen habe ich seitdem gesammelt. Übrigens habe ich mit der Freundin, wegen der ich die poly-Geschichte ansprach, doch nie gekuschelt: Ich war zu schüchtern, diesen Wunsch zu formulieren.
Mara

Commitment und Bedürfniserfüllung.
Ich lebe Beziehung nicht in Relation zu anderen Beziehungen. Für mich spielt keine Rolle, was andere von einem gemeinsamen Partner bekommen, so lange meine Bedürfnisse erfüllt werden. Ich muss nicht mehr haben, um meinen Status zu validieren. Ich will nicht weniger haben, um anderer Leute Status zu validieren. Leider hinterfragen die wenigsten Regeln, die nur dazu dienen, Hierarchien zu etablieren. „Love is abundant“ ist Unsinn, wenn man Menschen in Konkurrenz um Zeit und Ressourcen setzt. Bei mir müssen Dinge keinen Namen haben, so lange das nicht bedeutet, Minimalstandards zu untergraben und Vorhersehbarkeit und Commitment zu verweigern.
@sanczny

Offener Umgang mit Eifersucht.
Ich lebe polyamor. Das hat sich für mich zufällig ergeben. Eigentlich wollte ich mich nicht verlieben, sondern einfach eine Weile solo das Leben genießen und plötzlich gab es drei Menschen, die mir unheimlich wichtig wurden. Statt mich zu einer Entscheidung für eine Person zu zwingen, probierten wir Polyamorie aus und stellten fest, dass es für uns gut funktionierte. Mittlerweile gibt es fünf Menschen, die ich als meine Herzmenschen bezeichne. Ich schätze sehr, dass diese Personen alle verschieden sind und mit mir auf völlig unterschiedliche Art harmonieren. Natürlich gibt es auch manchmal Eifersucht, aber ein offener Umgang damit und mit anderen Problemen hilft sehr.
Alina Saalfeld/@andere_grufty

Bürgerliche Konsumhaltung.
Einer der für mich spannendsten deutschsprachigen Texte zum Thema „poly“ stammt von Bäumchen. Xier* schreibt im Artikel „Kein Sex (II): Class/Sex/ Race: Liebe und begehre mich (trotzdem)“ über die Verwobenheit verschiedener Machtachsen, Unterdrückungsformen und poly. Also warum poly eben nicht für alle gleich ist, und warum „immer die falschen Leute poly sind“: „Ich rede von Menschen, die andere Menschen verschleißen, weil sie keine Rücksicht nehmen. Ich glaube, dass poly deshalb eine Konsumhaltung geworden ist, weil es mehrheitlich von der weißen Mittelschicht ausgeübt wird, die vor allem eines kann: konsumieren. Und daran orientiert sich leider auch viel RZB-Kritik. Sie ist so bürgerliche Mittelschicht und weiß, dass ich jedes Mal wieder LOLe. Poly und Class sind so ein riesiges Thema und ich seh’ es nirgendwo richtig angepackt. Race ebenfalls nichts. Wer ‚lebt‘ sich bei poly aus und wer nicht? Wer muss cool bleiben und soll ‚chillen‘?“
Ariel

Offen miteinander.
Wir sind, wie in vielen anderen Beziehungen auch, meist glücklich. Wir reden viel und kuscheln noch mehr – das gibt Sicherheit und tut mir gut. Ich bin KK seit sechs Jahren kinky nahe, wir wohnen weit von einander und sehen uns zwei- bis dreimal im Jahr. Mit F teile ich seit 18 Monaten meine Gedanken, seit über einem Jahr das Bett. Und dann war ich mit J befreundet, bis wir festgestellt haben, dass wir uns auch sexy finden und da jetzt noch mehr ist. Und mit mir bin ich schon sehr lange nahe, und Verwöhnen, Sex und schöne Dinge mit mir mache ich regelmäßig. Ich genieße generell nette Menschen in meinem Umfeld. Und ich genieße alles, so wie es ist. Schön, dass wir offen miteinander sein können, das tut so gut.
Liebhardt

Gegen Vergleiche.
Ich lebe seit drei Jahren in zwei Beziehungen und alles klappt gut. Mehr will ich dazu gar nicht sagen, denn ich denke, es ist genau das Vergleichen und Analysieren von Beziehungen und Beziehungsmodellen, das es vielen Menschen immer schwerer macht, einfach ihre Beziehung(en) so zu gestalten, wie es sich für sie richtig anfühlt. Alle paar Monate lese ich in Tageszeitungen oder Blogs selbstzufriedene Artikel über nicht-monogame Beziehungen, manche kritisch, manche befürwortend – ich brauche das nicht. Ich schöpfe auch keine Identität aus meiner Beziehungsform. Ab und zu lese ich so einen Artikel gerne mit Donald-Duck-Stimme jemandem zum Einschlafen vor. Dieser Beitrag hier klingt am besten mit der Stimme von Towely aus „Southpark“.
Sonja

Intime Fragen.
Ich bin eine Frau mit zwei Boyfriends und aufgrund dieser Konstellation werden mir immer wieder Fragen gestellt. Häufig: „Wissen die voneinander?“ Natürlich wissen sie voneinander, so gut bin ich auch nicht im Geheimnisse-Bewahren. Ja, sie mögen sich. Ja, wir machen Dinge zu dritt. „Habt ihr dann zu dritt Sex?“ Was für dämliche und völlig respektlos intime Fragen man gestellt bekommt! Was dämlich und respektlos ist? Alles was ihr „ganz normale“ heteronormative romantische Zweierbeziehungen nicht fragen würdet!
Stoli Sparkles

AutorInnen: Progress-Redaktion