Abenteuer Familie

  • 12.03.2016, 13:00
Die US-amerikanische Animatorin Patricia Beckmann Wells zeigte am diesjährigen tricky women-Festival ihren Kurzfilm „Family Tale“. Mit progress-Journalistin Marlene Brüggemann sprach sie über ihre Erfahrungen als Adoptivmutter, Shrek-Macherin und kreative Hundehüterin.

Die US-amerikanische Animatorin Patricia Beckmann Wells zeigte am diesjährigen tricky women-Festival ihren Kurzfilm „Family Tale“. Mit progress-Journalistin Marlene Brüggemann sprach sie über ihre Erfahrungen als Adoptivmutter, Shrek-Macherin und kreative Hundehüterin.

Sehnsucht, Verluste und Freude – in „Family Tale“ verarbeitet Patricia Beckmann Wells die Geschichte, wie sie zu ihrer jetzigen Familie kam. Aus einem Leben als sprunghafte Abenteurerin mit ihren beiden Hunden Thelma und Louise entwickelt sich der Wunsch Kinder zu bekommen. Was Patricia sich als natürliche Gegebenheit vorgestellt hat, entpuppt sich als ein schmerzvoller Weg geprägt von drei Fehlgeburten und missglückten Adoptionsversuchen. Zum Schluss gibt es aber den Anfang eines Happy End mit einem Sohn, dessen biologische Mutter und Geschwister zur erweiterten Familie werden.

progress: Bist du eine Familienperson?
Patricia Beckmann Wells:
Als ich jung war, dachte ich nie, dass ich eine bin. Aber jetzt schon. Als ich meinen Ehemann kennenlernte, hörte ich auf zu reisen und wollte nur noch mit ihm rumhängen. Davor lebte ich ein abenteuerliches Leben. Ich war so eine Person, die gerne alle ihre Sachen packte und dann einfach auf die andere Seite des Landes gezogen ist. Das ist mehr als einmal passiert. (Lacht)

In „Family Tale“ hast du dich als schemenhaftes Strichwesen dargestellt. Warum?
Als ich jünger war, fühlte ich mich eher wie ein Cartoon. Ich war sehr naiv, auch wenn ich bereit war überall hinzugehen und alles auszuprobieren. Auch die ältere Patricia ist in „Family Tale“ sehr skizzenhaft, das liegt aber daran, dass meine Arbeit mit dem Alter abstrakter wird.

Seit wann machst du Animationsfilme?
Ich schloss mein Animationsstudium 1996 ab. Seitdem arbeitete ich für Warner Bros an Filmen wie „Mars Attacks!“, „Eraser“ und einem Batmanfilm; für DreamsWorks Animation an „The Bee Movie“, „Shrek“, „Kung Fu Panda“ sowie für die Disney Animation Studios an dem 2D Film „The Princess and the Frog“ und Rapunzel und für Film Roman, das Studio das Die Simpsons macht. Eine Zeit lang war ich Freiberuflerin. Dann ging ich in den Bildungssektor, weil ich mehr Zeit für meine eigenen Filme haben wollte. Es ist wirklich hart in den Filmstudios, weil du dort ein Zahnrad in einer Maschine bist.

Was sind deine Erfahrungen mit den großen Animationsfilm-Studios?
Es hat etwas von einem Nomadenleben, weil du den Jobangeboten nachreist. Wenn du einmal in dem Studiosystem drinnen bist, , läufst du in dessen Rythmus mit. Das ist richtig cool. Irgendwann bemerkst du aber, dass deine Skillsets mehr und mehr verfeinert werden müssen. Es gibt so viele verschiedene Arten von Animator_innen, zum Beispiel für Visual Effects, Charaktere oder einfach nur Tentakeln oder Arme. Du kannst ein_e Animator_in sein, aber du wirst in eine sehr spezielle und enge Position gesteckt.

Für mich war das Problem: Ich wusste nicht mehr, was mein Stil ist. Ich arbeitete immer in dem Stil, der mir vom Filmkomitee aufgetragen wurde. Zusätzlich machte ich den Fehler, als Trainee zu arbeiten. Ich hätte gleich kreative Positionen belegen sollen, aber ich war nie wirklich dafür in Betracht gezogen worden, weil ich einen Hintergrund im Bildungswesen hatte. Das war eine persönliche Herausforderung, daraufhin kündigte ich meinen Job in den Filmstudios. Außerdem wurde ich nie als Künstlerin gesehen, obwohl ich von 2000 bis 2005 all diese Filmfestivals gewann. Ich fragte mich: Warum? Ich frage mich, ob das bei anderen Frauen auch so ist, dass sie nur in einer Schiene willkommen geheißen werden.

Wie ist es eigentlich für Frauen_ in der Animation?
Es gibt das Ziel, mehr Frauen in die kreativen Positionen zu bringen. In den USA machen sie an den Studios weniger als 20 Prozent aus. Es hält sie niemand auf, in der Animation anzufangen, aber sie tendieren dazu, entlang des Weges dahin zu verschwinden. Ich erarbeite gerade als Professorin am Irvine Valley College eine Studie, anhand der wir einhundert Frauen in der Animation über fünf Jahre begleiten werden, um herauszufinden, was mit ihnen passiert.

Du bist also jetzt in der Wissenschaft?
Nach meiner Kündigung machte ich mein Doktorat und konzentrierte mich auf meine eigenen Filme. Das war hart, weil ich alles aufgab. Menschen behandeln dich anders, wenn du nicht mehr in den großen Filmstudios arbeitest, sondern als Professorin.

Ist dein Leben jetzt weniger aufregend?
Anders aber auch aufregend, weil ich jetzt in Virtual und Augmented Reality arbeite und das explodiert zurzeit. Es heißt, VR würde eine Zwei-Milliarden-Industrie werden. Da kannst du noch experimentieren und deine eigenen Visionen realisieren.

Mit welchen Techniken hast du „Family Tale“ realisiert?
„Family Tale“ ist eine 2D-Animation und handgezeichnet. Dass ich alleine einen achteinhalbminütigen Film geschafft habe, liegt daran, dass alles sehr lose gezeichnet ist, weil es als Storyboard gedacht war. Ich mag Stop-Motion Filme, aber es hätte zehn Jahre gedauert, bis er fertig geworden wäre. „Family Tale“ war eine emotionale Arbeit und ich wollte sie einfach machen.
Zusätzlich trieb mich meine Hündin an. Sie war von einem Koyoten angegriffen worden und musste über die ganze Seite genäht werden. Um sie ruhig zu halten, saß ich zwei Monate lang neben ihr und zeichnete. Das hat mir geholfen, den Film fertig zu machen. Die Technik war „an-einen-Hund-gebunden“-Zeichnen. (Lacht)

„Family Tale“ ist ein schneller Film – eine ganze Familiengeschichte wird erzählt. Fehlt dir retrospektiv das Detail?
Was ich gern noch stärker reinbringenwürde, ist die Perspektive der Mutter. Sie hat so eine interessante Geschichte und eigene Angelegenheiten, mit denen sie umgehen muss. Sie zu behandeln, wäre eine eigene Geschichte.

Dein Film handelt auch von Fehlgeburten. Wieso ist es so schwierig, darüber zu sprechen?
Ich war bei einer meiner Fehlgeburten sehr wütend auf einen Arzt, der auch im Film vorkommt. Er hätte sich nach meiner Fehlgeburt 30 Sekunden nehmen und Mitgefühl auszudrücken können. Stattdessen sagte er zu mir: „Das passiert allen. Glauben Sie, Sie sind etwas Besonderes?“ Es schockierte mich, so etwas nach einem Verlust zu hören. Du brauchst nach einer Fehlgeburt eine Entlastung und die wurde mir nicht gegeben. Ich fühle sehr mit den Frauen, die mit niemandem darüber sprechen können. Was ich mit „Family Tale“ ansprechen will, ist, dass es wichtig ist, die mentale Gesundheit der Patientinnen, die eine oder mehrere Fehlgeburten erlebt haben, ernst zu nehmen. Es gibt oft den Moment des kollektiven Stolzes, wenn Frauen ihre Babys zum ersten Mal herumtragen. Das ist eine unfaire Verteilung von Aufmerksamkeit. Es gibt so viele Frauen, die ihre Kinder verloren haben und du hörst nie davon, außer du sprichst über deinen eigenen Verlust. Wieso ist das so? Ich möchte mit meinem Film zu mehr Kommunikation über Fehlgeburten anregen, weil es ein großes psychisches Gesundheitsproblem ist.

Neben Fehlgeburt ist das Thema Adoption zentral – eine Ermutigung zur Mutterschaft abseits der biologischen Mutter-Kind-Bindung?
Die ersten Tage, in denen mein Sohn bei uns war, fragte ich mich ständig: „Liebe ich dieses Kind?“ Aber jetzt liebe ich ihn sehr. Ich kann – er ist drei Jahre alt – seine biologischen Brüder und Schwestern in ihm sehen, aber auch mich und meinen Mann. Das versichert mir, dass er mich und meinen Mann in sich erkennen wird, wenn er später mal merkt, dass wir nicht seine biologischen Eltern sind. Außerdem wird er seine biologische Familie kennen, weil wir uns für eine offene Adoption entschieden haben. Er trifft seine biologische Mutter, seine Brüder und Schwestern zweimal im Jahr, sie spielen dann miteinander und geben sich Geburtstagsgeschenke. In einer offenen Adoption nimmst du dich nicht nur des Kindes an, das du adoptierst, sondern auch der biologischen Mutter und deren Familie. Ich wollte einen Sohn, jetzt habe ich acht Kinder! (Lacht) Jede_r ist anders, aber ich und mein Ehemann haben uns für das Konzept der offenen Adoption entschieden und für uns funktioniert es, weil die richtigen Leute involviert waren. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen das nicht funktioniert. Aber wenn es funktioniert, ist es eines der fantastischsten Abenteuer, die eins erleben kann.

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

AutorInnen: Marlene Brüggemann