„Wir landeten im Gefängnis“

  • 18.09.2012, 20:54

Der Barkeeper des legendären Stonewall Inn in New York, Tree, ist stolz auf seinen Job. progress-Redakteurin Flora Eder erzählt der Zeitzeuge über die Riots, die im Jahr 1969 den Startschuss der modernen Schwulen- und Lesbenbewegung abgaben, Polizeirepression und Obamas Vorstoß in puncto gleichgeschlechtlicher Ehe.

Der Barkeeper des legendären Stonewall Inn in New York, Tree, ist stolz auf seinen Job. progress-Redakteurin Flora Eder erzählt der Zeitzeuge über die Riots, die im Jahr 1969 den Startschuss der modernen Schwulen- und Lesbenbewegung abgaben, Polizeirepression und Obamas Vorstoß in puncto gleichgeschlechtlicher Ehe.

Die Sonne ist an diesem Tag besonders stark. Tree besteht aber darauf, sich direkt unter sie und vor das Stonewall Inn zu setzen. „Die nächsten Tage soll es regnen“, sagt er. Für den mittlerweile 73jährigen Zeitzeugen der Stonewall Riots ist es nicht das erste Interview. Seine Biographie wurde auf CNN ausgestrahlt, und wenn der US-Präsident ankündigt, für gleichgeschlechtliche Ehe einzutreten, dann bitten US-Medien auch Tree um seine Einschätzungen und Kommentare. Das Gespräch muss immer wieder unterbrochen werden, weil Tree Leute begrüßt, die vorbeikommen. Auch ein alter Highschool-Freund, der ihn noch mit „Hi, Freddy!“ begrüßt. „Sonst nennen mich aber alle Tree“, sagt er.

progress: Was ist in der Nacht der Stonewall Riots geschehen, in der Nacht des 27. Juni 1969?

Tree: Aus persönlicher Sicht schien es vorerst eine Nacht wie jede andere: Wir sind in dem Lokal Mamas Chicken Rib, nicht weit weg von hier, als Gruppe abgehangen, und haben im Stonewall Inn vorbeigeschaut, um noch etwas zu trinken und zu tanzen. Betrunken waren wir in dieser Nacht übrigens nicht – die Getränke waren nämlich stark mit Wasser verdünnt. Das heutige Stonewall Inn  umfasst nur die damalige Tanzfläche – es war damals ungefähr doppelt so groß, und der Eingang und die Bar waren dort, wo sich heute der Maniküre-Salon befindet. Wir tanzten und als die Polizei das Stonewall Inn betrat, konnten wir also durch die andere Tür schnell flüchten.

Als die Polizei ins Stonewall Inn kam – was geschah da genau?

Die Polizei nahm etliche Menschen fest – darunter Drag Queens und Lesben in Männerkleidung. Geschlechtsuntypische Kleidung zu tragen, war damals sogar ein Grund, ins Gefängnis zu wandern. Wenn du als Mann Frauenkleidung trugst, musstest du mindestens drei „männliche Erkennungsstücke“ mit dir mittragen, sonst wurdest du verhaftet. Und vice versa war es für die Lesben. Die Polizei nahm auch den Kellner und die Inhaber fest. Als wir auf die Straße kamen, hat uns hier bereits eine kleine Menschenmenge von 30 Personen erwartet.

Um zu demonstrieren?

Ja, genau. Schnell wurden es 70, dann 150, dann 200, dann 700 Menschen. Zu guter Letzt haben sich über 1000 Menschen auf diesem Platz eingefunden. Die Türen der Bar wurden von außen verschlossen, Steine wurden geworfen. Einige schüttelten so lange an einem Parkzähler, bis sie ihn aus dem Gehsteig herausreißen konnten und nutzten ihn ebenfalls als Verschluss für die Türe. Aber die Polizei hätte sich ohnehin nicht mehr getraut, herauszukommen. Sie schrien um Hilfe, aber niemand im Grätzl unterstützte sie. Als dann Müll  angezündet wurde, gingen die Riots los – und ich lief davon. So ging es Vielen. Viele hatten Angst, dass ihre Eltern in den Medien davon lesen würden, dass sie schwul oder lesbisch seien, und versteckten sich.

Wie ging es mit den Demonstrationen weiter?

Wir gingen zurück in unser Lokal um die Ecke und schworen einander, nicht zu sagen, dass wir beim Stonewall Inn gewesen waren. Glücklicherweise kam die Polizei nie ins Mamas Chicken Rib. Aber am darauffolgenden Tag war es schon in allen Zeitungen. Und aus dem sehr bekannten Frauengefängnis, das sich gleich hier in der Nähe befand – hier war zum Beispiel Angela Davis gefangen – hörten wir von den Lesben immer wieder laute Rufe, die forderten, zurückzuschlagen und sich das nicht länger von der Polizei gefallen zu lassen. Permanent wurden uns von der Polizei Gesetzesüberschreitungen unterstellt, die wir niemals begangen hatten. Nur weil wir in einer Schwulenbar waren, landeten wir häufig im Gefängnis, so lange, bis jene RichterInnen, die darauf bestanden, ausreichend Schmiergeld erhielten, um uns wieder freizulassen.

Die Stonewall Riots waren der Startschuss für die moderne Schwulen- und Lesbenbewegung. Warum waren diese Proteste so erfolgreich?

Ich weiß nicht, warum ausgerechnet sie so erfolgreich waren. Ich kann mich erinnern, dass es mich verwunderte, wie schnell es ging, dass hier überall Regenbogenfahnen hingen und Proteste organisiert wurden. Bei einem der großen Protestmärsche gingen ich und meine Clique mit, aber nur auf der Seite. Ich bin so groß und hatte immer besondere Angst, sofort im Fernsehen erkannt  zu werden. Wir wurden von den PassantInnen als Queers, Fags, Lesben und so weiter beschimpft, und glaubten auch, dass es mit diesen Demos dann wieder vorbei sein würde. Wir konnten ja nicht ahnen, dass es bis zu unserem Lebensende nicht mehr aufhören würde.

Wer waren die Menschen, die damals auf die Straße gingen?

Hauptsächlich waren es Männer, einige waren auch Heteros. Sie engagierten sich aber meist nur, um für andere Belange zu agitieren. Und wie bei jeder Demo waren auch bei uns welche, die sich nur mit der Polizei anlegen  wollten. Trotzdem waren es meist sehr ruhige Demos, an denen etliche Hippies und nette Menschen teilnahmen. Überwiegend waren die TeilnehmerInnen aber Menschen, die keine Familie in New York hatten oder die bereits geoutet waren. Auch ich habe meiner Mutter lange Zeit nicht gesagt, dass ich schwul bin: Sie wusste zwar, dass ich immer wieder in dieses Viertel kam, jedoch nicht, welche Bars ich hier besuchte. Als sie es eines Tages herausgefunden hatte, sagte sie nur: „Oh.“ Das war das Ende des Gesprächs.

Immerhin besser, als wenn sie sich empört hätte?

Nun ja. Mütter sind Mütter.

Gingen auch viele Lesben bei den Demos mit?

Natürlich. Außerdem haben wir uns immer gegenseitig als TanzpartnerInnen gebraucht, um nicht als homosexuell aufzufallen. Jedoch gab es auch jene Lesbenbars, in denen Männer nicht erlaubt waren. Mir hat besonders jene Lesbenbar gefallen, deren Besitzerin für gemischtes Publikum eintrat und sagte, dass Lesben und Schwule gemeinsam kämpfen sollten.

Was veränderte sich durch die Stonewall Riots unmittelbar?

Davor war alles top secret: Man musste an der Bartür klopfen, bevor man sich hineinschleichen konnte – und wenn du nicht wusstest, wo eine Bar war, hast du auch keine gefunden. Das hatte seinen Zweck, auch meine FreundInnen in Brooklyn hätten mich verprügelt, hätten sie gewusst, dass ich schwul bin.

Sind Sie stolz, damals dabei gewesen zu sein?

Natürlich bin ich stolz darauf. Aber immer, wenn sich wer bei mir bedanken möchte, weiß ich nicht, wie ich darauf reagieren soll. Wir konnten ja gar nicht ahnen, welche Dimensionen das annehmen würde. Heute gibt es auf der ganzen Welt Regenbogenfahnen – und sogar Lokale, die nach dem Stonewall Inn benannt werden. Erst kürzlich hat eines in Deutschland aufgemacht. Das Interesse an den Protesten und daran, was damals passiert ist, ist ungebrochen.

Auch von Seiten jüngerer Leute?

Viele von ihnen wissen gar nicht, was damals passiert ist. Deswegen gehe ich auch in die Schulen und unterrichte dort. Ich finde, das ist das Beste, das man gegen Homophobie machen kann. Mir ist auch wichtig, zu vermitteln, dass sie ihr Leben genießen sollen – und verhüten!

In den USA ist ja die Debatte über gleichgeschlechtliche Ehen voll im Gang. Wird Barack Obama damit Erfolg haben?

Ich denke, New York wird geschlossen hinter Obama stehen. Was mich jedoch schockiert, sind erste Umfragen, die zeigen, dass ein großer Teil der AfroamerikanerInnen und der spanischsprachigen Community gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ist. Aber ich denke trotzdem, dass Obama auch die nächsten vier Jahre US-Präsident bleiben wird – und ich bin ihm sehr dankbar.

Wird sich das Leben von LGBTQ-Personen dadurch wirklich so sehr ändern?

Nein – aber es wird Schritt für Schritt besser. Ein Kampf nach dem anderen, little by little.

AutorInnen: Flora Eder