„Watson, was haben Sie angerichtet?“

  • 04.02.2015, 17:13

Der beste Medizinstudent der Welt ist ein Computer. Und bald dein Arzt.

Der beste Medizinstudent der Welt ist ein Computer. Und bald dein Arzt.

2030. Hinter mir schließt die Haustüre mit einem Klicken. Ich steige in mein Auto, das automatisch die Türen öffnet und teile dem System die Adresse des Krankenhauses, in dem ich arbeite, mit. „Möchten Sie etwas trinken?“, werde ich gefragt. Ich bitte um einen Cappuccino. Die Stimme im Auto teilt mir mit, was auf der Welt passierte, während ich schlief. „Wir haben das Ziel erreicht“, sagt die Computerstimme wenig später. Aus dem Brillenfach entnehme ich meine Gesundheitsbrille, die mich rund um die Uhr über Blutzucker, Blutdruck, Puls und jegliche Nährstoffe meiner Nahrungsaufnahme am Laufenden hält.

Bei der ersten OP an diesem Tag assistieren mir Watson Alpha und Watson Beta. Währenddessen grüble ich über das gestrige Versagen Watson Deltas. Durch einen Verbindungsfehler zu seiner Energiequelle hatte er bei einer Operation an der Lunge einfach nicht mehr reagiert. Der Neustart dauerte ein paar Minuten und führte beinahe zu einem Organversagen des Patienten. Früher war man misstrauischer, heutzutage ist das Vertrauen in die Technik zu groß. Gehörten derartige Gedanken nicht auch der Vergangenheit an? Die Technologie war doch viel weiter als man dachte. Und zuverlässiger als der Mensch. Die meisten wissen nicht was die Wurzel aus sieben ist, der Computer berechnet es in Millisekunden. Wenn Watson also sagte, dass zu 90 Prozent keine Chemotherapie notwendig sei, so war das auf jeden Fall zuverlässiger als eine menschenmögliche Analyse.

2015. „Welche Behandlung eignet sich am besten bei Brustkrebs Stufe Drei bei Frau Kirschbaum?“, fragt die behandelnde Ärztin im Memorial Sloan Kettering Cancer Center. Diese Frage stellt sie nicht etwa eifrigen MedizinstudentInnen. Nein, die Klinikerin spricht mit einem Computer namens „Watson“. Man stelle sich vor, man fragt sein Smartphone nach der besten Behandlung von seinem Fußpilz, anstatt mit der Apothekerin zu sprechen. In diesem Beispiel geht es aber nicht um ein wenig Juckreiz zwischen den Zehen, sondern um eine tödliche Krankheit. Genauer gesagt um eine der häufigsten Todesursachen bei Frauen. Wer ist dieser Watson, dem wir so viel zumuten? Vorgestellt wurde das Computerprogramm 2011 von IBM in der Quizsendung Jeopardy. Dabei spielte es gegen die zwei Rekordgewinner der Show. Watson ging als weit überlegener Gewinner aus dem Duell. Nach Jeopardy „ging“ Watson zur besten Medizinuni der Welt. Nicht physisch – man ließ das Programm Medizinbücher, neueste Erkenntnisse aus der Forschung und Patientenakten „lesen“ sowie abspeichern.

Watsons Größe ist über die Jahre von dem Raum eines Schlafzimmers zur Größe einer Pizzaschachtel geschrumpft, das System kann aber auch über die Cloud abgerufen werden. Manche nennen ihn den besten Studenten der Welt: Er merke sich alles, beschwere sich nie, sei niemals verkatert oder müde, nie krank, habe keine Beziehungsprobleme und sei nicht voreingenommen. Im Moment macht Watson sich im Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York auch schon gut als Assistenzarzt für Onkologie und diagnostiziert laut Forbes zu 90 Prozent richtig. Menschen dagegen liegen nur bei einer Rate von 50 Prozent. Wird der Supercomputer bald der beste Diagnostiker der Welt sein?

Dafür spricht, dass sich kein Mensch der Welt das Wissen, das täglich produziert wird, aneignen kann. MedizinerInnen sind meist Gebiete spezialisiert und können nicht sämtliche Informationen und Studien im Kopf haben. Neben den fehlenden Beziehungsproblemen hat Watson auch sonst keine Bedürfnisse: Er muss nicht aufs Klo, keine Rauchpause einlegen und es ist ihm auch egal, welches Geschlecht oder welche Hautfarbe seine Patient_innen haben. Ein weiterer Vorteil der Computerdiagnose sind (nach den hohen Einstiegskosten allerdings) die niedrigen Zusatzkosten inklusive weniger Fehldiagnosen – sprich Entlastung für PatientIn und System. Und dann ist da natürlich noch der (vielleicht) nahende Tag, an dem man Watson über sein Handy fragen kann, wie man in einer Unfallsituation, oder einem Notfall in der Pampa zu handeln hat. Virenscanner. Wie funktioniert diese virtuelle Diagnose eigentlich? Die behandelnde Ärztin gibt Symptome in das Programm ein. Watson kombiniert die ihm verfügbaren Daten wie elektronische Krankenakten (im österreichischen Fall die umstrittene ELGA) und Daten zu Allergien, Unverträglichkeiten und Langzeitmedikation der Patientin sowie, falls gegeben, Genanalyse und Krankheitsgeschichte der Familie. Dann berechnet Watson zu wie viel Prozent er welche Behandlung empfiehlt. Meist liegt er dabei richtig, das heißt, meist springen die PatientInnen auf die von ihm vorgeschlagene Behandlung an. Watson 2.0 soll auch (Röntgen-)Bilder wahrnehmen und lesen können. Klingt schon ein wenig nach Science Fiction, oder?

Im Hinterkopf sollte man jedoch auch die Risiken behalten. Fehler und Vorurteile, die Menschen in Studien einbauen, werden von Watson automatisch übernommen und so kann es zu einer gefährlichen Verbreitung dieser kommen. Barbara Prainsack vom Kings College London erinnert außerdem daran, dass die EntwicklerInnen und UnterstützerInnen von Watson stets betonen, dass diese Software die Arbeit menschlicher ÄrztInnen nicht ersetzen, sondern ergänzen soll. Die Entscheidungshoheit in der Klinik müsse beim Menschen bleiben. Ihre Bedenken: „So gut gemeint solche Versicherungen auch sein mögen, sie übersehen die Tatsache, dass Dr. Watson und andere algorithmische Entscheidungshilfen neue Autoritäten schaffen, die niemandem rechenschaftspflichtig sind, und die als geistiges Eigentum der Firma, die sie produzieren, häufig intransparent sind. Zudem ist es naiv, anzunehmen, dass die Empfehlungen algortihmischer Entscheidungshilfen von KlinikerInnen einfach ignoriert werden können. Es wird viele Situationen geben, in denen ÄrztInnen lieber auf Nummer sicher gehen und entgegen dem eigenen Urteil der Empfehlung der Maschine folgen, um sich nicht angreifbar zu machen.“

 

Clara Heinrich studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

AutorInnen: Clara Heinrich