„Manipulative Tendenzen aufdecken“

  • 28.09.2012, 11:10

Wieso man sich nicht immer nur in der Freizeit politisch betätigen sollte und weshalb auch gescheiterte Volksbegehren erfolgreich sein können. progress im Gespräch über direkte Demokratie mit der Politikwissenschafterin Birgit Sauer.

Wieso man sich nicht immer nur in der Freizeit politisch betätigen sollte und weshalb auch gescheiterte Volksbegehren erfolgreich sein können. progress im Gespräch über direkte Demokratie mit der Politikwissenschafterin Birgit Sauer.

progress: Woher kommt die plötzliche Popularität der direkten Demokratie in Österreich?

Birgit Sauer: Ursache dafür ist die Unzufriedenheit mit den demokratischen Verhältnissen. In der Politikwissenschaft heißt das Postdemokratie: Unzufriedenheit bezüglich der Partizipation, aber auch hinsichtlich der Leistungen demokratischer Systeme. Und: Demokratien sind auf unterschiedlichen Ebenen damit konfrontiert, dass – wenn niemand mehr wählt – den politischen RepräsentantInnen eigentlich die Legitimation fehlt. Die Idee von direkter Demokratie ist im Kern: Wenn sich BürgerInnen mehr beteiligen, sind die politischen Entscheidungen vielleicht besser.

Trotzdem hat man den Eindruck, das Thema direkte Demokratie bleibt meist doch nur Nebendarstellerin.

Das stimmt. Direkte Demokratie ist eher Schlagwort als Diskussionsgegenstand. Hier müssten populistische   und manipulative Tendenzen aufgedeckt werden. Außerdem wird die Vorstellung, die soziale Bewegungen von direkter Demokratie haben, dassman so Demokratie offener machen und beleben kann, in der aktuellen österreichischen Debatte nicht diskutiert.

Dabei sind es ja gerade die sozialen Bewegungen, die sich für ein bestimmtes Thema einsetzen.

Ja. Darum geht es eben auch bei direkter Demokratie von unten. So, wie sie jetzt institutionalisiert ist, ist sie meist direkte Demokratie von oben. Dies ist jedoch eigentlich ein Element in der Logik des parlamentarischenSystems. Wenn hingegen eine Initiative von unten mit einem bestimmten Thema entsteht, geht es oft darum, eine bessere Entscheidung zu treffen, die schlicht
von mehr Menschen getragen wird. Wenn eine politische Partei ein Referendum oder eine Volksabstimmung initiiert, dann hat das aber den Charakter einer Meinungsumfrage. Oder Referenden werden als Legitimationsinstrument eingesetzt, weil die Entscheidung des parlamentarisch repräsentativen Systems unpopulär ist oder keine Mehrheit findet. Betrachtet man die Geschichte der Volksbefragungen in Österreich, wird offensichtlich, dass sie lange Zeit ausschließlich durch Parteien oder durch ParlamentsvertreterInnen initiiert wurden. Das war also kein Instrument der direkten Demokratie in dem Sinne, dass die BürgerInnen direkter beteiligtgewesen wären, sondern es war ein weiteres Instrument der Parteien.

Kann direkte Demokratie mithelfen, dem Gefühl, es werde „über den Kopf der BürgerInnen entschieden“, entgegenzuwirken?

Politik basiert auf Information. Insofern bin ich auch auf EU-Ebene eher skeptisch bezüglich Referenden. Soll man jetzt entscheiden, ob Griechenland aus der Eurozone austritt? Das halte ich für absurd, weil die Stimmung z.B. in Deutschland aufgeheizt ist. Und das liegt an manipulativer Informationsvermittlung.

Was bräuchte es stattdessen?

Viel weitergehende Reformen als ein Referendum oder ein BürgerInnenbegehren. Meines Erachtens müssten Verfahren direkter Demokratie in ganz andere Formen der Informationsvermittlung und des politischen Handelns eingebettet werden. In der Schweiz sind die Leute trotz der Tradition der direkten Demokratie verdrossen. Die Abstimmungsbeteiligung bei Referenden ist sehr niedrig. Den Leuten ist es zu viel. Demokratie müsste dort stattfinden, wo die Menschen sind. Warum sollte man sich nur in der Freizeit politisch betätigen und nicht am Arbeitsplatz oder in der Schule?

Es wird oft vor der Manipulierbarkeit von Volksabstimmungen gewarnt, also dass sich diejenigen, die am meisten Geld haben, durchsetzen. Das gilt jedoch in einem gewissen Maße auch für Parlamentswahlen. Ist die Gefahr der Manipulationen wirklich höher bei Volksabstimmungen?

Es braucht Öffentlichkeit und Einfluss, wenn man ein Referendum initiiert. Da haben soziale Bewegungen weniger Ressourcen als andere Gruppierungen. Die Gefahr, dass ein Thema in manipulativer Weise gerahmt wird, existiert beim Wahlkampf allerdings genauso. Jedoch: Wenn man eineN Repräsentanten/in wählt, ist dies keine ganz spezifische Entscheidung für oder gegen ein Thema. Es gibt eine Verzögerung, einen politischen Prozess, eine politische Diskussion. Deshalb sind Informationen beim Referendum viel wichtiger und der manipulative Gehalt ist deshalb größer. Oft wird gesagt: Wenn möglichst viele ihre Gedanken, ihre Ideen, ihre Interessen in eine politische Debatte einbringen können, gäbe es rationalere Entscheidungen. Die öffentliche Sphäre ist jedoch nicht herrschaftsfrei. Macht orientiert sich ganz stark an den Ressourcen, die die einzelnen Akteure zur Verfügung haben. Gegenbeispiele wie die ACTA-Proteste gibt es aber auch.

Kann direkte Demokratie über den akuten Tellerrand hinaussehen, und auch mit langfristigen Problemlösungenkonfrontiert werden?

Zum einen können die BürgerInnen nicht ständig und über alles abstimmen. Zum anderen ist es aber sinnvoll, über besonders kontroverse Themen abzustimmen, dies erfordert aber, dass die Bevölkerung informiert ist. Ich würde das Konzept „direkte Demokratie“ nicht mehr so eng sehen wollen, dass es nur Abstimmungen umfasst. Stattdessen glaube ich, macht es nur Sinn, wenn man es in einen größeren Reformprozess von Demokratie einbindet, wie ich es vorher erwähnt habe. Man müsste aber auch mitdenken, dass sich im direktdemokratischen Verfahren eben nur diejenigen beteiligen können, die wahlberechtigt sind. Entsprechend ist zu überdenken, wie man mit MigrantInnen umgeht; sowohl jenen aus der EU wie auch jenen aus sogenannten Drittstaaten. Letztere sind demokratiepolitisch völlig abgehängt. Daher wäre es sinnvoll, demokratische Verfahren zu entwickeln, in  denen auch ihre Stimmen Gehör finden, damit ihre Interessen in die politische Debatte einfließen können.

Würde sich das auch positiv auf das politische Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern auswirken?

Der Wunsch der neuen Frauenbewegungen war es seit den 1970er Jahren, die Demokratie zu reformieren; also die politischen Systeme frauenfreundlicher zu machen. Die erste forderte mehr Frauen in politischen Entscheidungsgremien. Die zweite wollte mit dem politischen System im engeren Sinne gar nichts zu tun haben, sondern autonom bleiben, Frauenprojekte umsetzen und dadurch die politische Kultur verändern. Politische RepräsentantInnen sollten von außen beeinflusset werden. Deshalb bestand bei einigen Frauengruppierungen in den 70ern, 80ern und eigentlich bis in die 90er-Jahre hinein die Überlegung, dass man mit mehr direkter Demokratie zumindest die Interessen von Frauen im politischen System besser vertreten könnte.

Zeigte sich das auch beim Frauenvolksbegehren? Es wurde von einer unabhängigen Initiative 1997 gestartet und beinhaltete beispielsweise die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit und einem Mindesteinkommen von 15.000 Schilling.

Das Frauenvolksbegehren war ein interessanter Fall. Es hat die Verfassung zwar nicht unmittelbar geändert, aber die Diskussion war wertvoll und führte im Endeffekt doch zu den verfassungsrechtlichen Zielen. Und auch hinsichtlich der Anwendung des Instruments des Volksbegehrens auf EU-Ebene gab es einen Gleichstellungsfortschritt. Trotzdem frage ich mich, warum alleine Abstimmungen
bessere Gleichstellungspolitik bedeuten sollten? Insbesondere, da es kein unbedingtes Interesse der ÖsterreicherInnen an Gleichstellungspolitik gibt. Entsprechend glaube ich, dass dies so einfach nicht ginge. Bei Themen wie Familienpolitik, Karenz und Arbeitszeit – die im Kern Gleichstellungsfragen sind – wäre es wichtig, Öffentlichkeit herzustellen. Das Private politisch machen. Dies ist gerade in einer Konsensdemokratie, wie es in Österreich der Fall ist, wo sehr viel hinter verschlossenen Türen ausverhandelt wird, ein wichtiges Argument.

Und wo liegt bei der direkten Demokratie die Verantwortung, wenn etwasschief geht? Könnten PolitikerInnen dann sagen: Ihr habt es ja so gewollt?

Das ist wirklich ein Problem. Aber auch bei repräsentativen Verfahren können BürgerInnen die PolitikerInnen nur dadurch verantwortlich machen, indem sie sie bei den nächsten Wahlen abwählen. Das ist ohne Zweifel wichtig, aber vergleichsweise wenig. Wie man an Korruptionsfällen sieht, stellt das in repräsentativen Systemen ebenfalls ein Problem dar. Entsprechend halte ich die Ablehnung von direkter Demokratie aufgrund des Argumentes der mangelnden Verantwortung für überzogen.

Könnte man in einem direktdemokratischen System also noch im gleichen Sinne von politischer Verantwortung sprechen?

Es bräuchte eine politische Debatte, was es heißt, Verantwortung für eine Entscheidung zu übernehmen. Also mit den Fragen: Was heißt es, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen? Bin ich meiner Partei oder bin ich einer größeren Gruppe, die ich sozusagen als Auftraggeber für ein Gemeinwohl sehe, gegenüber verantwortlich? Und was würde es eigentlich heißen, von Gemeinwohl im Zusammenhang mit der ökonomischen Entwicklung zu sprechen? Da scheint sofort eine ganz andere Form von Verantwortlichkeit auf.

Zur Person: Birgit Sauer ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschung widmet sich insbesondere Fragen der Geschlechterverhältnisse sowie auch politikwissenschaftlichen Staats- und Institutionentheorien.

AutorInnen: Philipp Poyntner, Anna Burmeister