„Es ist ein bisschen ein Theater“

  • 23.03.2015, 21:21

In der griechischen Hochschulpolitik haben schon viele spätere ParlamentarierInnen ihre Krallen geschärft. Die Studierendenvertretung hat dabei bemerkenswerte Mitsprachemöglichkeiten bei zentralen universitären Themen.

In der griechischen Hochschulpolitik haben schon viele spätere ParlamentarierInnen ihre Krallen geschärft. Die Studierendenvertretung hat dabei bemerkenswerte Mitsprachemöglichkeiten bei zentralen universitären Themen.

Beim Betreten einer griechischen Universität springt sofort die ausgeprägte Politisierung ins Auge: Man findet sich in einem bunten Gewirr aus politischen Plakaten, Transparenten und Graffitis wieder. Im Frühling ist dieses Szenario sogar noch ein wenig auffallender, denn zu dieser Zeit findet der Wahlkampf für die jährlichen Studierendenvertretungswahlen statt. Von fast allen im Parlament vertretenen Fraktionen gibt es Studierendenorganisationen, hinzu kommen unzählige Splitter- und Kleingruppen. An jedem Institut wählen die Studis ihre eigene Interessensvertretung, welche wiederum Teil einer gesamtgriechischen Studierendenunion ist, wobei die Mitgliedschaft in dieser im Gegensatz zu Österreich freiwillig ist.

AUSZÄHLUNG IM AUDIMAX. Im Kampf um die Stimmen kommen verschiedene Strategien zum Einsatz. Giorgos Kokkinis, früher in einer Syriza-nahen Liste an der Universität von Thessaloniki engagiert, erzählt: „Es gibt an jeder Uni permanente Beratungsstände der Fraktionen, dort erledigt man für die Erstsemestrigen den ganzen Papierkram. Nebenbei lädt man die Leute zum nächsten Plenum ein und versucht sie für die politische Sache zu gewinnen.“ Außerdem werden Lernhilfen, Konzerte und Partys organisiert oder man greift zu weniger subtilen Methoden wie Megafon und Wahlplakat.

Ist die Wahl geschlagen, findet die Stimmenauszählung öffentlich im größten Raum der Universität statt. „Dort herrscht eine ganz eigene Stimmung. Die AnhängerInnen der verschiedenen Parteien versuchen sich gegenseitig mit Parolen zu übertönen, manchmal kommt es zu Handgreiflichkeiten. Einmal haben AnarchistInnen den Raum gestürmt und die Wahlurnen gestohlen. Wenn du mich fragst: Das Ganze ist ein bisschen ein Theater“, sagt Kokkinis. Im Unterschied dazu erinnert der Wahlausgang dann meist doch an die österreichische Hochschulpolitik: Die meisten Stimmen erhält in der Regel die konservative Studierendenpartei DAP, was – so munkelt man – den Stimmen der eher unpolitischen Studierenden und dem intensiven Organisieren von Partys zu verdanken ist. Ihr gegenüber stehen mindestens fünf linke Organisationen, die zusammen die DAP überflügeln: von kommunistisch über trotzkistisch bis zu sozialdemokratisch.

(c) Dieter Diskovic

STARKES MITSPRACHERECHT. Die Studierendenvertretung besteht aus zwei Gremien: Auf der einen Seite die Generalversammlung, an der jedes Mitglied der Studierendenunion teilnehmen kann und die der Entscheidungsfindung dienen soll. Sie ist durch Plena und Abstimmungen gekennzeichnet und wird von der jährlichen Wahl kaum beeinflusst. Hier werden Diskussionen, aber auch Proteste und Sit-Ins organisiert. Besetzungen sieht Kokkinis nicht nur positiv: „Sie werden meiner Meinung nach zu häufig eingesetzt, auch bei nebensächlichen Themen. Dadurch werden sie von einigen nicht mehr ernst genommen.“

Die Entscheidungen der Generalversammlung sollen vom gewählten und formelleren Verwaltungsrat umgesetzt werden. Seit einer sozialdemokratischen Reform im Jahr 1981 hat der Rat eine beeindruckende Fülle an Befugnissen und kann beinahe auf gleichberechtigter Basis mit der Fakultät mitbestimmen. Die Mitglieder des Rates können RektorInnen und DekanInnen wählen und an allen administrativen Konferenzen ihrer Universität teilnehmen. Obwohl schon öfter versucht wurde, den Einfluss des Verwaltungsrates zu begrenzen, ist sein universitäres Mitspracherecht im internationalen Vergleich nach wie vor herausragend. Dieses hohe Ausmaß an Mitbestimmungsmöglichkeiten führt dazu, dass die Politik der Studierendenvertretungen für die Parlamentsparteien von höherem strategischen Interesse ist: Wer es schafft, Abstimmungsergebnisse zu beeinflussen, kann loyale KandidatInnen in hohe Positionen hieven.

Kokkinis ist sich dieser Problematik bewusst, trotzdem zieht er eine positive Bilanz: „Die griechische Studierendenpolitik ist aktiv, lebendig und kritisch. Man setzt sich mit wichtigen gesellschaftlichen Themen auseinander und hinterfragt den Status quo. Ohne die Studierenden hätte es keinen so breiten Widerstand gegen die EU-Memoranden gegeben. Die griechische Jugend ist vielleicht eine der politisch engagiertesten in Europa.“

Wer sich in der turbulenten Uni-Politik bewährt, schafft es später nicht selten in das griechische Parlament. Ein aktuelles Beispiel ist der frischgewählte Ministerpräsident Alexis Tsipras. Er hat sein politisches Geschick zuerst in der SchülerInnenpolitik und später am Athener Polytechnikum trainiert.

HISTORISCHE RELEVANZ. Wie kommt die griechische Hochschulpolitik zu diesem überdurchschnittlich großen Einfluss? Für eine mögliche Antwort müssen wir in die Zeit zwischen 1967 und 1974 zurückblicken, als Griechenland von einer Militärdiktatur beherrscht wurde. Nach dem wiederholten Verbot der jährlichen Hochschulwahlen gab es Widerstand an den Universitäten, auf den die Junta mit dem Polizeiknüppel reagierte. Die Studierendenproteste eskalierten und gipfelten schließlich in der Besetzung des Polytechnikums. Das Ziel des Aufstandes waren nun nicht mehr bloß freie Hochschulwahlen: Über einen PiratInnensender wurde zum Sturz des Militärregimes aufgerufen. In der Nacht auf den 17. November 1973 stürmte das Militär mit Panzern die Universität und schlug die Revolte blutig nieder. Bis heute gedenkt man der Opfer dieses Ereignisses mit einem jährlichen Marsch. Für die Junta sollte sich die Niederschlagung der Besetzung bald als Pyrrhussieg entpuppen: Die internationale Unterstützung begann zu schwinden, nur wenige Monate später war das Regime Geschichte. Auf diese Weise haben die verbotenen Hochschulwahlen und die darauf folgenden Studierendenproteste den Übergang von der Diktatur zur Demokratie vielleicht nicht verursacht, bestimmt aber beschleunigt.

 

Dieter Diskovic studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.

 

 

AutorInnen: Dieter Diskovic