Rezension

Comic-Krankenakte

  • 20.06.2017, 21:46
Ein Comic, der aus Österreich stammt, komplett ohne Sprechblasen auskommt und dazu noch in einem Hospiz fernab von muskelbepackten Superheld_innen spielt – es gibt einige Eigenschaften, die The Medical Records of Mr. Zachary Griffith aus der Masse von Comics und Graphic Novels hervorhebt.

Ein Comic, der aus Österreich stammt, komplett ohne Sprechblasen auskommt und dazu noch in einem Hospiz fernab von muskelbepackten Superheld_innen spielt – es gibt einige Eigenschaften, die The Medical Records of Mr. Zachary Griffith aus der Masse von Comics und Graphic Novels hervorhebt.

Der Titel verrät es schon: Die Geschichte entfaltet sich in der Krankenakte von Zachary Griffith, dessen Leidensweg durch das St. Matthews Nursing Home uns in umgekehrt chronologischer Reihenfolge präsentiert wird. Und so lesen wir uns durch die Notizen seiner Pfleger_innen, die anfangs das Bild eines schwerkranken, dementen Mannes ergeben. Je weiter wir vorblättern und je näher wir seiner Aufnahme im Hospiz kommen, desto schwammiger wird dieses Bild. Was hat es mit dem mysteriösen Stein auf sich, den Griffith bei seinem Tod in der Hand hielt? Warum findet sich in seinem Zimmer ein Urlaubsbild seiner Pfleger_innen? Warum hat er seinen Spinat nicht aufgegessen, obwohl er das Blattgemüse so mochte? Die drei Pfleger_innen, die sich hauptsächlich um den Protagonisten kümmern, widersprechen sich nicht nur ständig, sondern schwärzen sich auch gegenseitig bei der Leitung des Heimes an.

Die Dreiecksbeziehung zwischen ihnen macht die Sache nicht unkomplizierter. Was schlussendlich die Todesursache war, wird nicht explizit geklärt – in dieser Hinsicht funktioniert der Comic wie eine Detektivgeschichte, die zum Mitraten einlädt. Die englischen Texte von David „LuvDav“ Hofer-Zeni wirken stellenweise fast zu poetisch für die Krankenakte, treiben die Geschichte aber dennoch gut voran. Die Zeichnungen von Verena „Nudlmonster“ Loisel, hauptsächlich in Pastelltönen gehalten, sind wunderschön und voller süßer Details, die es zu entdecken gilt. Überhaupt sind es die Kleinigkeiten, die dieses Projekt so reizvoll machen: Von der liebevoll gestalteten Krankenakte über die Nebenfiguren, die das St. Matthews Nursing Home zum Leben erwecken, bis hin zum Bonus-Content am Ende des Bandes wirkt hier alles stimmig und gut durchdacht. Das offene Ende könnte auf manche Leser_innen allerdings frustrierend wirken.
 

David Hofer-Zeni und Verena Loisl
The Medical Records of Mr. Zachary Griffith
Selbstverlag, 18 Euro
Erhältlich z. B. bei Bunbury’s Comics

Joël Adami liest neben dem Studium manchmal gerne Comics.

The XX – „I See You“

  • 11.05.2017, 09:00
Katja und Marie Luise haben sich The XXs "I see you" angehört.

Katja: Bei der Vorabsingle „On Hold“ musste ich mich doch sehr wundern, in welche Richtung sich The XX bewegen. Der Song klang extrem aufgesetzt nach 80er-Jahre-Synthieschnulze, vor allem durch das Vocalsample von Hall & Oates von „I Can’t Go For That (No Can Do)“ im Refrain, das mich extrem nervte. Auch inhaltlich bot der Track keinerlei Reiz, ganz im Gegenteil (ein Lovesong, der davon handelt, dass man dachte, man hätte jemanden „on hold“ – cringeworthy!). Doch zum Glück war „On Hold“ wirklich ein totaler Ausreißer und der Rest des Albums überzeugt mühelos. Die Kernkompetenz von The XX liegt einerseits im melancholischen, perfekt arrangierten Zweigesang zwischen Romy und Oliver und andererseits in den langsamen, minimalistischen Schleppbeats von Jamie. Von beidem gibt es auf dem Album mehr als genug. Ganz besonders „Say Something Loving“ hat es mir angetan. Dieses sehnsüchtige Duett zwischen zwei Liebenden, die nostalgisch in die Vergangenheit schauen und einen Funken Liebe einfordern, ist herzzerreißend schön. Die entschleunigten Sounds von The XX kann ich mir täglich anhören und es wird nicht langweilig.

Marie Luise: Mir fällt es beim Hören schwer, festzumachen, was das Neue auf „I See You“ von The XX ist. Es hat sich etwas verändert, soviel ist klar. Die Stimmung bleibt, aber musikalisch scheint vieles reicher geworden zu sein. The XX sind immer schon durch Ruhe und sensible Gefühlstexte aufgefallen. Wörter, die in einer Rezension in Kombination mit The XX aufzählbar sind: Elektronik, Soundscapes, Beatarchitektur, Stimmungen, Musikräume, Flächen. Auf ihren vorherigen Alben haben sie ihre Arrangements so gewählt, dass die Lieder live auf Bass, Gitarre und programmierter Drummachine zu spielen waren. Dieses Mal hatte der Produzent der Band, Jamie XX, der 2015 sein erstes Soloalbum („In Colour“) herausgebracht hat, viel mehr Freiheiten, an den Beats, den hier und dort unauffällig eingespielten elektronischen Strings und den Bläsern zu feilen. In den Liedern ist ein größeres Spektrum an Varianten dazugekommen, produktionstechnisch, aber auch im Gesang. Sie sind so ernst dabei, über die großen Gefühle zu singen, wie es auch Teenager sind. So ernst, wie die großen Gefühle sich auch anfühlen, wenn man verliebt ist. The XX zu hören ist schön. Es geht einem ein bisschen das Herz auf und man kann dazu großartig schmusen. Tanzen vielleicht weniger.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien, nur dieses Semester nicht.Marie Luise Lehner studiert
Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

Felsen sind auch nur Menschen

  • 11.05.2017, 09:00
Wenn Ashley Williams über ihre Arbeit spricht, tut sie das leise. Fast so, als wäre es ihr unangenehm, hinter dem Rücken der Kunstwerke über diese zu urteilen.

Wenn Ashley Williams über ihre Arbeit spricht, tut sie das leise. Fast so, als wäre es ihr unangenehm, hinter dem Rücken der Kunstwerke über diese zu urteilen. „Ich liebe Felsen. Vielleicht sind sie für andere Menschen langweilig, aber nicht für mich“, sagt die 31jährige Künstlerin in ihrem Studio in Berlin. Auf der Wand hinter ihr: mehrere kleine Porträts von Felsen und Gesteinsvariationen. Vulkane, Monde, Murmeln und fantasievolle Galaxien mit korallfarbenen Krusten und Einbuchtungen.

Als die 1985 in Virginia geborene Künstlerin vor sechs Jahren nach Colorado zog, begann sie ihre Umgebung gründlich zu analysieren. Sie war es gewohnt, graue Felsen zu sehen – aber pinke? „Die Oberfläche der Felsen in Colorado hat der menschlichen Haut sehr geähnelt.“ Ashley beginnt ihre bislang umfassendste Reihe sentient („bewusst“). Stundenlang sitzt sie neben Felsen, macht Fotografien. 300 an der Zahl, bis sie die besten auswählt und in einen neuen Kontext setzt. „Manchmal hat der Fels eine neue Landschaft nötig, um darin zu leben.“ Sie porträtiert Felsen genauso ehrfürchtig wie die Maler der Renaissance einst Königsfamilien und bringt damit ihr stolzes Wesen zum Vorschein. Schwebend, kopfüber, aus der Vogelperspektive.

Im Januar zieht sie von den USA nach Deutschland, genauer nach Hohenstein in Bayern. Ashley kündigt ihren Lehrerinnen-Job, verkauft das Eigentum und beschließt, fortan in Künstlerresidenzen mit Gleichgesinnten zu leben. „Meine Bilder verkaufe ich von unterwegs, auch wenn ich mit kleineren Leinwänden auskommen muss“, sagt Ashley. Der Preis beginnt bei 900 Dollar, proportional zur Größe der Werke steigt er.

Gelernt hat sie an einer „liberalen“ Kunstschule, mit Zugang zu Fächern wie Psychologie. Draußen zu sein habe ihr für das kreative Fortkommen mehr gebracht als der Unterricht an der Universität. Malerin zu sein ist für Ashley der beste Job der Welt. „Ich habe eine Ausrede, um mich mit genau den Dingen zu beschäftigen, die mich interessieren. Ich habe eine Ausrede, um interessante Menschen zu treffen. Und obendrein kann ich auch noch tun, was ich liebe.“

Bianca Xenia Mayer hat Politikwissenschaft und Publizistik studiert und lebt als freie Autorin in Berlin.

Muslime als die neuen Juden

  • 11.05.2017, 09:00
Diesen März wurde der Dokumentarfilm Islamophobie österreichischer Prägung, der bereits im vergangenen Jahr Premiere feierte, im Wiener UCI-Kino gezeigt.

Diesen März wurde der Dokumentarfilm Islamophobie österreichischer Prägung, der bereits im vergangenen Jahr Premiere feierte, im Wiener UCI-Kino gezeigt. Der Andrang zur dritten Vorstellung war überraschend groß, der Saal an einem Montagabend fast ausverkauft. Der Film von Regisseur Sinan Ertugrul hat den Anspruch, Islamfeindlichkeit in Österreich zu problematisieren. Während auf der einen Seite rassistische Angriffe in den letzten Jahren nachweislich zunehmen, muss sich der Film auf der anderen Seite die Frage gefallen lassen, ob es ihm im Kern um den Schutz von Individuen, oder um den Schutz der Religion geht.

In mehreren ExpertInneninterviews wird betont, dass man Diskriminierung und Angriffe auf Einzelne thematisieren möchte. Verschiedene Beispiele von Diskriminierung werden den Plot hindurch auch immer wieder aufgegriffen. Allerdings präsentiert der Film durchgehend Personen, die dem politischen Islam das Wort reden. Einer der befragten Experten, Universitätsprofessor Rüdiger Lohlker, verkehrt Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung und versucht diese als Beweis anzuführen, weshalb die Aufklärung per se schlecht sei. Er übergeht dabei schamlos die Dialektik, die bereits im Titel des Buches betont wird.

Auch einige persönliche Beispiele von Islamophobie, die im Film angerissen werden, nehmen der zu Anfang naiv geäußerten Behauptung, es ginge um den Schutz von Individuen, die Glaubwürdigkeit. Es wird suggeriert, das Eintreten gegen sexuelle Gewalt an Frauen in islamischen Ländern sei „koloniales Denken“. Oder dass es bereits rassistisch sei, wenn die Sportlehrerin muslimische Schülerinnen auch an Ramadan auffordert, genügend Wasser zu trinken. Ein eindringliches Motiv, das zum Ende des Filmes mehrmals Erwähnung findet, ist der Vergleich von MuslimInnen und Juden/Jüdinnen in den 1930er Jahren. Dabei wird „Charlie Hebdo“, die französische Satirezeitschrift, die vor zwei Jahren Ziel eines islamistischen Terroranschlags wurde, indirekt zum neuen „Völkischen Beobachter“ erklärt, der es auf Muslime abgesehen habe. Mehrere der im Film interviewten ExpertInnen bezeichnen Religionskritik als eindeutig rassistisch und damit als illegitim. Das ist schade, denn es bekräftigt zum einen das Bild von Religion als quasi-natürlicher Zugehörigkeit, zum anderen stellt es säkulare und reformerische Kräfte ins Abseits.

Anna Grellmeer studiert im Master Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Von Zukunftsmusik, falscher Urlaubsidylle und Wiener Humor

  • 16.03.2017, 11:20
Wir haben uns das Festival „ Neues Wiener Volkstheater“ angesehen.

Wir haben uns das Festival „ Neues Wiener Volkstheater“ angesehen.

„Ich bin nicht harmlos. Einmal nicht!“ ruft der junge Mann in den kanariengelben Hosen und zieht eine Pistole aus seinem Mantel. Stille droht den Raum zu zerreißen. „Oida jez sei einmal leiwand“, kontert Melli und wie ein Echo folgen Lacher.

Wir befinden uns in einem der vier Theaterstücke, die im Rahmen des Festivals „Neues Wiener Volkstheater“ als szenische Lesungen inszeniert wurden. Das Festival fand von 9. bis 12. März 2017 als Kooperation des Volkstheaters und des Max Reinhardt-Seminars statt. KünstlerInnen aus beiden Institutionen gingen in enger Zusammenarbeit der Frage nach, wie zeitgemäßes Volkstheater aussehen kann.

papier.waren.pospischil“ von der burgenländischen Autorin Theodora Bauer fand sich unter den gelesenen Stücken. Das skurril- humorvolle Werk spielt mit Alter, Schein, Missverstehen und bringt mit viel Humor alternde Drogendealer und eine verwirrte und leidenschaftliche Jugend auf die Bühne. Inszeniert wurde es von Anna Marboe, die am Reinhardt Seminar studiert. SchauspielerInnen waren sowohl Studierende, als auch am Volkstheater Wirkende. In humorvoller und mitreißender Atmosphäre prallen Menschen und Welten aufeinander: Die Auszubildende Melli kommt hinter das Dunkle Geheimnis ihrer Chefin, die im Hinterzimmer der Papierhandlung heimlich mit Drogen dealt. Als die Frau Aussteigen will, kommt sie in Konflikt mit ihrem Kollegen. Zufällig platzt ein junger Mann, der einem Selbstmordversuch unternehmen will, in die Situation.

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Die fantasievolle und doch minimalistische Inszenierung des Stückes „Kalami Beach“ von Akin E. Şipal überzeugte mit schlichtem Bühnenbild, herausragenden schauspielerischen Leistungen und der außergewöhnlichen Regie Maria Sendlhofers. Die szenische Skizze des neuen Textes behandelt das Treffen einer Türkin und eines Deutschen auf Korfu. Nach ihrem Selbstmordversuch fischt er sie aus dem Meer, worauf die beiden eine halbherzige Affäre beginnen. Als die vermeintlich unfruchtbare Türkin schwanger wird, stellt sich die Frage nach einer gemeinsamen Zukunft, in der die Frage nach der eigenen Identität widerhallt.

Außerdem aufgeführt wurde „Zwillingssterne“ von Florence Read (Übersetzung von Michael Sommer). Das mehrfach ausgezeichnete Stück erzählt in verschiedenen kurzen Szenen von Begegnungen zweier Menschen.

In eine versunkene Stadt, in der die Menschen leben ohne zu leben, entführte das 1937 entstandene „Vineta“ von Jura Soyfer seine ZuschauerInnen. Durch die Erzählung des Matrosen Johnny lernt das Publikum diesen Ort ohne Zeit und Erinnerungen kennen.

Interessant war das Konzept der szenischen Lesung: Einerseits war das Ablesen der SchauspielerInnen für die ZuschauerInnen ungewohnt und teilweise irritierend, da es eine Art Distanz zwischen SchauspielerIn und Rolle herstellte. Dennoch hatte es einen Vorteil: Unwillkürlich kam man ins Grübeln, wie sich das Stück weiterentwickeln könnte. Insgesamt machte die Veranstaltung Lust auf Neues und Hoffnung auf eine rosige Zukunft des Wiener Theaters.

Weitere Infos unter auf der Webseite des Volkstheaters und des Max Reinhardt Seminars.


Clara Porak studiert Deutsch Philologie und Bildungswissenschaften an der Uni Wien.

Fallstudien zur Qualitätsfrage

  • 23.02.2017, 19:50
Ein Gespenst namens „Quality TV“ geht um in Fernsehwissenschaft und Feuilleton.

Ein Gespenst namens „Quality TV“ geht um in Fernsehwissenschaft und Feuilleton. Freudig aufgegriffen wurde dieser Begriff einst von TV-MarketingstrategInnen, um ihre seriellen Waren einem bildungsbürgerlichen Publikum schmackhaft zu machen. Der Plan ging auf und so stehen in den Bücherschränken der herrschenden Klasse neben repräsentativen Werken der Literatur nun immer öfter auch DVD-Boxen, die sämtliche Folgen von „The Wire“, „Mad Men“ oder „The Sopranos“ umfassen. Nach Theater und Kino, die beide lange Zeit als Medien des Pöbels galten, wurde nun auch das Fernsehen in den bürgerlichen Kulturkanon aufgenommen. Das gelang durch die formale Abgrenzung vom Trash- TV: Längere Erzählbögen, komplexere Handlung und ungewöhnliche Formen der Narration lassen unlogische Abläufe und reaktionäre Inhalte weniger schnell ins Auge springen.

Die Herausgeber von „Das andere Fernsehen?!“ lehnen den Begriff „Quality TV“ nicht ab, sondern stellen einmal mehr die Frage, was darunter zu fassen sei. Betrachtet man das Register behandelter Serien, finden sich neben den üblichen Verdächtigen wie „Six Feet Under“, „Breaking Bad“ und „Orange Is the New Black“ auch durchaus Überraschungen: Insbesondere britische Serien wie „Sherlock“ oder „Parade's End“ werden ausführlich behandelt. Nicht zuletzt der britischen Sitcom können einige AutorInnen viel abgewinnen. Aber eben primär den formal avancierten wie „The Office“, „The Thick of It“ oder „Extras“. Zwar scheint – gerade in der Auseinandersetzung mit Sitcoms – immer wieder durch, dass der Qualitätsbegriff eigentlich vollkommen unbrauchbar für einen Auseinandersetzung mit Fernsehen ist. Aber die Konsequenz daraus wird nicht gezogen, nämlich den Begriff „Quality TV“ als Affirmation jenes Sektors der Kulturindustrie, der bei Oberschichtsangehörigen gut ankommt, zu benennen und diesen als Analysekriterium für Fernsehen endlich zu verwerfen.

Dennoch bietet der Sammelband eine durchaus gelungene Darstellung dessen, was ist. Ideologiekritische Perspektiven und eine gesellschaftstheoretisch fundierte Analyse von Formsprachen kommen allerdings – wie so oft in der medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung – zu kurz. Für die LeserInnen sind zumindest ein paar Serienempfehlungen dabei und für die AutorInnen beginnt mit einer überteuerten Publikation in einem renommierten Verlag vielleicht eine wissenschaftliche Karriere.

Text: @fernseherkaputt
fernseherkaputt.blogspot.com

Jonas Nesselhauf/Markus Schleich [Hg.]: Das andere Fernsehen?! Eine Bestandsaufnahme des „Quality Television“, Bielefeld: transcript 2016, 298 Seiten, 39,99 Euro

Kapitalismuskritik to go

  • 23.02.2017, 19:20
Marx als Comic.

Eine kleine Käserei am Land, ein Familienbetrieb. Hier stellen Robin und sein Vater den Käse her, den sie später am städtischen Marktplatz verkaufen. Dort macht Robin eines Tages Bekanntschaft mit einem Investor, welcher ihm ein Angebot unterbreitet. An dieser Stelle entspinnt sich eine Geschichte, in welche die marxsche Analyse des Kapitalismus eingewoben ist. Robin nimmt einen Kredit auf, es werden Gebäude, Maschinen, Rohstoffe und andere Waren gekauft. Darunter befindet sich auch die im Kapitalismus entscheidende Ware: die Arbeitskraft.

Die zentralen Konzepte der marxschen Kritik, die im Laufe der Story vorkommen, werden in kleinen Hinweiskästchen in zwei oder drei Sätzen erklärt – angesichts des fast tausendseitigen Umfanges des ersten „Kapital“-Bandes eine unglaubliche Reduktion. Wie den marxistisch ungeschulten Leser_innen, so wird auch dem Nachwuchs-Kapitalisten Robin Stück für Stück klar, wie die „Maschine Kapitalismus“ funktioniert.Sein Investoren-„Freund“ Daniel erklärt ihm, wie man Arbeiter_innen ausbeutet, wie man Mehrwert generiert, was der Tausch- und der Gebrauchswert einer Ware sind, und dass er als Finanzier sein Geld zurückbekommen wird – unter allen Umständen. Langsam vermengt sich theoretischer Input mit der immer dramatischer werdenden Geschichte.

Mit jeder Anhebung des Arbeitstempos, mit jeder weiteren angeordneten Prügelorgie des Vorarbeiters sinkt Robins Hoffnung, das Geld jemals zurückbezahlen zu können. Vom Gedanken reich zu werden ganz zu schweigen. Karl Marx war nicht nur Philosoph, sondern auch Visionär. Die Arbeiter_innen würden sich über ihre gemeinsame ökonomische Lage klar und von einer „Klasse an sich“ zu einer „Klasse für sich“ werden, so seine These. Über diesen knapp 200-seitigen Comic kann man verschiedener Meinung sein. Manche mögen in ihm eine zu starke Vereinfachung und Popularisierung von Marx' Gedanken sehen. Andere könnten es begrüßen, dass der Comic die intellektuelle und theoretische Schwelle zur Kapitalismuskritik senkt, wodurch sich potentiell mehr Leute für dieses Thema begeistern könnten. „Capital in Manga“ ist jedenfalls eine gute Einstiegslektüre für alle, die an Robert Misiks „Marxismus für Eilige“ noch scheitern.

VarietyArtworks: Capital in Manga! Red Quill Books 2012, 191 Seiten, 24,50 Euro.

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien.

Bombe!

  • 23.02.2017, 19:17
Die Wizard-Jubiläumsedition schlägt ein!

Die Wizard-Jubiläumsedition schlägt ein! 1996 veröffentlichte der Spielehersteller AMIGO in Österreich die erste Edition des Stichspiels Wizard von Ken Fisher. Als Zauberlehrling muss eins taktisch klug 52 Karten der vier Völker, Menschen, Zwerge, Riesen und Elfen, sowie acht Sonderkarten, nämlich Zauber_innen und Närr_innen, gegeneinander ausspielen. Mit ästhetisch ansprechenden Karten, einfacher Spielpraxis und einer geschickten Kombination aus Strategie und Spannung überzeugte Wizard allein in Deutschland 1,7 Millionen Spieler_innen. Die queere Gestaltung der Charaktere und deren ausgeglichene weibliche_ und männliche_ Bezeichnungen sprachen bereits kurz nach Veröffentlichung ein breites Publikum an. Nach zwanzig Jahren leistet sich AMIGO nun eine limitierte Wizard-Jubiläumsedition, die dem Kartenspiel eine neue, trickreiche Facette verleiht. Grund dafür sind sechs zusätzliche Sonderkarten, die jeder längerfristigen strategischen Überlegung ein jähes Ende bereiten können. So kann ein Drache die bisher höchste Karte, den_die Zauber_in, übertrumpfen. Aber Vorsicht, im Deck versteckt sich eine Fee! Sie kann dem Zauberlehrling einen sicher geglaubten Drachenstich wieder entreißen. Wer die Oberhand im Spiel hat, kann sich schneller ändern als eins „Mein Stich!“ rufen kann. Das stellen neben Drache und Fee noch eine Bombe, eine Wolke, ein Werwolf und ein Jongleur sicher. Klar ist: Die Wizard-Jubiläumsedition bringt Verhältnisse durcheinander! Weiters entschuldigt die Jubiläumsedition ehemalige schlechte Entscheidungen. Was AMIGO an Krimskrams, wie Stichplättchen, neuen Farben und einen Schwarzen Magier, zu Wizard Extrem hinzufügte, streifte es für die Jubiläumsedition erfreulicherweise wieder ab. Erneut aufgenommen wurden hingegen die Berufsbezeichnungen der Karten – ein wehmütig vermisstes Feature, das in späteren Ausgaben von Wizard verloren ging. Jetzt spielen Zauberlehrlinge wieder nicht mehr nur mit Zahlen, sondern mit Schmied_innen, Dieb_innen und König_innen. Mit nur sechs Karten schafft es AMIGO, neue wie treue Wizard-Zauberlehrlinge wortwörtlich vom Hocker zu reißen!

Ken Fisher: Wizard Jubiläumsedition 2016 AMIGO; für drei bis sechs Spieler_innen; ab zehn Jahren; 9,99 Euro

Marlene Brüggemann hat Philosophie an der Universität Wien studiert.

Koloniale Kunstabenteuer

  • 23.02.2017, 19:05
Das Leopold Museum versucht sich an der „Entdeckung“ des exotisch Anderen durch die westliche Moderne.

Das Leopold Museum versucht sich an der „Entdeckung“ des exotisch Anderen durch die westliche Moderne.
Das Resultat: schwierig. Gleich im ersten Raum, ganz in der Mitte, stehen die Mirror Masks: kleine rohe Skulpturen, die anstatt eines Gesichts grobe Spiegelsplitter zeigen. Vielleicht erzählen sie von der Schwierigkeit der Wahrheitsfindung – der Schwierigkeit, den „Anderen“ tatsächlich zu begreifen. Eine kluge Intervention, gemacht vom algerischen Künstler Kader Attia, einem der bekanntesten, die mit postkolonialen Themen arbeiten. Kader Attia, so muss man sagen, ist allerdings nur das zeitgenössische Feigenblatt in der aktuellen Ausstellung. Es geht um ein Thema, das, weil es so kolonial durchtränkt ist, einen neuen, emanzipatorischen Bearbeitungsschwung und neue, erfrischend-andere Perspektiven dringend benötigt hätte. Die Entdeckung der afrikanischen und ozeanischen Artefakte durch die europäische Avantgarde veränderte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die westliche Kunst. Sie führte de facto zu ihrer Revolutionierung, indem sie dem Kubismus auf die Sprünge half und dem Expressionismus und dem Surrealismus neue, bisher nicht gekannte Formen brachte. Bisher war das Thema ein Ausstellungs-Desiderat in Österreich, dem sich das Leopold Museum jetzt widmet, weil der Museumsgründer Rudolf Leopold auch traditionelle Kunst aus Afrika und Asien sammelte. Zu sehen gibt es nun diese eigenen Bestände, die den Werken der westlichen Moderne gegenübergestellt werden. Das Problem: der Kolonialismus, der sich in seiner Blütezeit befand, durchtränkte damals die Kunstproduktion. Die Künstler nutzten beispielsweise koloniale Strukturen für ihre Südseeabenteuer oder rassistische Völkerkundemuseen als Kunstbeobachtungsorte. Eine entsprechende Kontextualisierung findet nur begrenzt statt. Vor allem aber werden keine Schwarzen Perspektiven, keine afrikanische Moderne, (fast) keine zeitgenössische außereuropäische Kunst gezeigt. Was folgt: Die ewig gleiche, öde Story der Stereotypen. Der Westen modern, das „Andere“ traditionell, hier Kultur und dort – natürlich – Natur.

Fremde Götter. Faszination Afrika und Ozeanien, 23.09.2016 – 09.01.2017, Leopold Museum, Wien.

Paula Pfoser hat Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste studiert.

Gesprochen, Gehört, Gezeichnet

  • 10.02.2017, 13:53
Es ist schon merkwürdig. Hier wird Literatur gesprochen, gezeichnet, gehört und angeschaut. Trotzdem bleibt nach dem Besuch der Ausstellung „Bleistift, Heft & Laptop“ vor allem eines: das starke Verlangen zu lesen, lesen, lesen.

Es ist schon merkwürdig. Hier wird Literatur gesprochen, gezeichnet, gehört und angeschaut. Trotzdem bleibt nach dem Besuch der Ausstellung „Bleistift, Heft & Laptop“ vor allem eines: das starke Verlangen zu lesen, lesen, lesen.

Die erste Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, das 2015 eröffnet wurde, versammelt „10 Positionen aktuellen Schreibens“ (österreichischer Schriftsteller_innen) in den dunklen Holzregalen des ehemaligen k.u.k. Finanzarchivs. Folgt man der von den Kurator_innen Angelika Reitzer und Wolfgang Straub vorgegebenen Nummerierung, beginnt der Ausstellungsrundgang mit Teresa Präauer und ihrer Frage „Was hat Schreiben mit Zeichnen zu tun?“. Weiße Papierobjekte in der Form überdimensionierten Schreibmaterials bilden die passende Kulisse zu ihrer gewitzt formulierten Antwort auf die Frage, die der Linzer Autorin wohl schon allzu oft gestellt wurde.

So divers die Beiträge der fünf Frauen und fünf Männer sind, es zieht sich ein mehr oder weniger starker Bezug zur bildenden Kunst durch – sei es in Form von Kooperationen oder inhärent in der eigenen künstlerischen Praxis. Brigitte Falkners Comics und Storyboards, Hanno Millesis Collagen aus Texten und Bildern alter National-Geographic-Magazine, oder die mit Schrift überzogenen (Kitsch-)Objekte von Theaterautorin Gerhild Steinbuch und Bühnenbildnerin Philine Rinnert befreien den Text von seiner klassischen Erscheinungsform in horizontalen Linien auf Papier. Nur die Ölbilder, die Katharina Weiß zu Clemens J. Setz’ sprachlichen Bildern gemalt hat, wirken allzu plakativ. Ihnen fehlt der Bruch – das Gesicht, „das wie ein Goldfischglas für den darin lebenden Schnurrbart wirkte“, ist auf dem Gemälde nichts anderes. Und bei manchen Beiträgen, etwa Thomas Stangls oder Anna Weidenholzers, wäre eine vorausgehende Lektüre der Romane interessant gewesen – aber dafür sind alle Besucher_innen wohl selbst verantwortlich. Dass beim Besuch das Verlangen nach schwarzem Text auf weißem Papier und den imaginären Welten, die darin lauern, aufkommt, ist doch eigentlich der größte Erfolg einer Ausstellung im Literaturmuseum. Und eben diesen Wunsch haben die Kurator_innen wohl antizipiert – in der mittig im Ausstellungsraum platzierten Autor_innenbibliothek können ihm die Unaufhaltbaren sofort nachgehen.

„Bleistift, Heft & Laptop. 10 Positionen aktuellen Schreibens“.
KuratorInnen: Angelika Reitzer und Wolfgang Straub.
Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.
Bis 12. Februar 2017

Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.

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