Feminismus

Konserven-Protest

  • 21.06.2017, 17:54
Aufgeklärter Sexualunterricht an Schulen, das Recht auf Abtreibung, Frauenhäuser als Schutzeinrichtungen oder auch einfach die Forderung nach gleichen Möglichkeiten für alle Geschlechter – klingt eigentlich nicht schlecht.

Aufgeklärter Sexualunterricht an Schulen, das Recht auf Abtreibung, Frauenhäuser als Schutzeinrichtungen oder auch einfach die Forderung nach gleichen Möglichkeiten für alle Geschlechter – klingt eigentlich nicht schlecht. Manche Leute bringt das trotzdem auf die Palme. Dies zeigt sich zunehmend in Protesten gegen diese und andere Errungenschaften von Gleichstellungspolitik. Ob es erregte Eltern sind, die gegen Aufklärungsunterricht demonstrieren, oder Papst Benedikt XVI, der vor einer „Genderdiktatur“ warnt. In ganz Europa werden Protestformen stark, die sich gegen die Idee einer gleichberechtigten Gesellschaft wenden.

Mit den unterschiedlichen Auswüchsen dieses Phänomens setzen sich Sabine Hark, Paula-Irene Villa und 16 weitere Autor_innen im Sammelband „Anti-Genderismus“ auseinander. Das Buch vereint verschiedene sozial- und kulturwissenschaftliche Analysen und tastet sich so an die vielfältigen Dimensionen und Funktionen der Abwehrhaltung gegenüber Gleichstellung heran. Warum wird der Genderbegriff derart kontrovers diskutiert? Welche politischen Agenden stehen dahinter und welche argumentativen Strategien werden im Anti-Gender-Diskurs angewendet? Diesen Fragen wird in 14 Beiträgen nachgegangen. Die Auseinandersetzung reicht von der Rolle der evangelischen und katholischen Kirche über hatespeech im Internet hin zur argumentativen Instrumentalisierung des „Kindeswohls“. Gut hat mir gefallen, dass der Sammelband Anti- Genderismus als konservative Protestform analysiert, als Reaktion auf die Prekarisierung, der die Menschen mit dem neoliberalen Umbau der Gesellschaft zunehmend ausgesetzt sind. Er spannt damit einen Bogen zu weiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen und stellt klar, dass das Geschlechterverhältnis einen wesentlichen Teilbereich kritischer Gesellschaftsanalyse darstellt. Auch wird deutlich, wie angreifbar und wackelig politische Errungenschaften bleiben, obwohl sie scheinbar zum common sense geworden sind.

Ein Sammelband, der dir das Gefühl gibt, im Recht zu sein, und den aktuellen Diskurs um Gender in Perspektive rückt.

Sabine Hark/Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen.
Transkript 2015, 264 Seiten, 26,99 Euro.

Carina Brestian studiert Soziologie an der Universität Wien.

Einfach zu brauchbar

  • 12.05.2017, 21:36
Mediale Angriffe auf die Gender Studies.

Mediale Angriffe auf die Gender Studies.

Was die Gender Studies so machen, sei nicht nachvollziehbar für die Durchschnittsbevölkerung: eine beliebte Beschwerde in Mainstreammedien. Forschungsfragen und Ergebnisse seien unverständlich und das Konzept Gender widerstreite „der ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“, wie es der Leiter des Politteils der Frankfurt Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) Volker Zastrow stilbildend auf den Punkt brachte.

UNVERSTÄNDLICH. Was impliziert dieser Vorwurf genau? Kann von einer Wissenschaft verlangt werden, dass man ihre Tätigkeiten ohne jegliches Vorwissen verstehen und beurteilen kann? Gilt das auch für andere Wissenschaften, Baustatik zum Beispiel? Ich würde eher sagen, dass das unrealistisch ist. Wissenschaftliche Disziplinen haben notgedrungen ihre eigene Sprache, mit der Phänomene analytisch genauer gefasst werden als mit Alltagssprache. Es bleibt wünschenswert, ihre Ergebnisse in geeigneter Weise an Lai_innen zu kommunizieren. Doch gerade hier kann man den Gender Studies kaum ein Versäumnis unterstellen. Denn es gibt unzählige einführende Texte in Flyer-, Buch- und digitaler Form, die alltagsweltlich bestens verständlich sind. Hätte sich Volker Zastrow den einen oder anderen davon zu Gemüte geführt, könnte er kaum behaupten, das Konzept Gender würde in Widerspruch zur „ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“ stehen, denn diese Wahrnehmung und Empfindung ist zentraler Bestandteil dessen, was mit Gender gefasst werden soll. Und auch wenn es in den Gender Studies unterschiedliche Sichtweisen zum Verhältnis von Kultur und Natur gibt, ist mir noch nie die Behauptung untergekommen, diese „Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“, sich als Mann oder Frau zu fühlen, würde schlicht nicht existieren. Wobei man Zastrow ja fast dankbar sein muss, dass er hier von den „meisten“ und nicht von allen Menschen schreibt. Denn das trägt dem Umstand Rechnung, dass es sehr wohl Menschen gibt, die sich nicht in das Mann- Frau-Zweierschema einordnen lassen, oder deren „ursprünglichster Empfindung“ das zugewiesene Geschlecht nicht entspricht. Folgerichtig müsste das als abnormal abgestempelt werden – aber was wäre damit gewonnen? Das widerstrebt mir als Privatperson und auch als Wissenschaftlerin ist es illegitim, ein System für Analysen zu benutzen, das biologisch und in seinen sozialen Konsequenzen nicht treffsicher ist. Spannend ist hier eher, woher der Wunsch kommt, diese strikte Trennung zu erhalten. Ja, die Leute sollen sich fühlen, wie sie sich fühlen. Gerade bei „ursprünglichsten“ Gefühlen sollte die Gefahr, dass sie einem weggenommen werden, ja eigentlich absurd erscheinen. Woher rührt also die Angst, das Genderkonzept würde Menschen zu geschlechtslosen Wesen umerziehen? Und was ist das überhaupt für ein Argument? Ist wissenschaftliche Forschung nur dann wissenschaftlich, wenn sie mit der „Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“ übereinstimmt? Gilt das auch für Baustatik?

WIDERSTREITEND. Folgt man Zastrow weiter, widerstreitet Gender nicht nur „der ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“, sondern auch „den Religionen und naturwissenschaftlicher Forschung“. Auf den vermeintlichen Widerspruch zu naturwissenschaftlicher Forschung bin ich in der letzten progress-Ausgabe („Genderwahn an Hochschulen“) schon eingegangen und möchte hier nur einwerfen, dass die Gender Studies interdisziplinär sind und naturwissenschaftliche Forschung daher ein wesentlicher Bestandteil ist. Bleibt noch der Widerspruch zur Religion und da muss man Zastrow ehrlich zu Gute halten: Das stimmt! Das Konzept Gender widerspricht zumindest in weiten Teilen religiösen Vorstellungen von Mann und Frau. Das ist wahr und das Argument gefällt mir nicht nur so gut, weil es wahr ist, sondern auch weil Zastrow keinen Genierer hat, es im selben Satz mit naturwissenschaftlicher Forschung zu bringen. Die Frage, ob naturwissenschaftliche Forschung nicht auch den Religionen in dem einen oder anderen Punkt „widerstreitet“, könnte ich mir jetzt vielleicht sparen. Aber „widerstreitet“ Religion nicht häufig auch der „ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen“? Stichwort Sexualmoral.

Andere Leute hätten vielleicht Bedenken, diese drei Aspekte so nebeneinanderzustellen. Zastrow hingegen formt diesen Widerspruch um zu einer praktikablen Lösung für den Umgang mit Gender: Du kannst dir aussuchen, wem Gender widerspricht, ob deinem Bauchgefühl, deinem religiösen Glauben oder dem was du als „echte“ Wissenschaft gelten lässt.

NUTZLOS. Naheliegend ist dann auch der medial populäre Vorwurf, die Gender Studies würden keine nützlichen Ergebnisse liefern. Und damit sind wir paradoxerweise genau dort angelangt, wo wir in der letzten progress-Ausgabe stehengeblieben sind: bei dem Vorwurf, dass die Gender Studies zu nahe an politischen Interessen und Vorgängen angesiedelt, also gewissermaßen zu nützlich sind (wie es Villa und Hark in ihrem „Anti-Genderismus“-Buch beschreiben). An dieser Stelle stellt sich für mich schon die Frage, wie eine Wissenschaft, die gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen untersucht, ihre Nützlichkeit anders beweisen sollte, als gesellschaftlich relevantes Wissen über Ungleichheit zu erzeugen. Also wie könnte dieses Wissen nützlich sein, wenn es gleichzeitig keinen Einfluss haben darf? Nutzlos ist das erzeugte Wissen nicht, es ist nur wenig hilfreich für die Argumentation gegen gesellschaftliche und sexuelle Vielfalt. Und das scheint eher das Problem zu sein.

Carina Brestian studiert Soziologie an der Universität Wien.

Die Flucht in die Polyamorie

  • 12.05.2017, 12:54
Polyamorie präsentiert sich als Gegenentwurf zur romantischen Zweierbeziehung. Doch das Patriarchat wird dadurch alleine noch nicht angegriffen.

Polyamorie präsentiert sich als Gegenentwurf zur romantischen Zweierbeziehung. Doch das Patriarchat wird dadurch alleine noch nicht angegriffen.

Jede Person, die offen damit umgeht, mehrere Partnerschaften gleichzeitig zu haben, kennt das: „Das geht nie gut“, „Das funktioniert nicht“, „Eine*r kommt immer zu kurz“. Die essentialisierende Annahme, dass Monogamie normal sei und deswegen funktioniere, schwingt bei jeder dieser Aussagen mit. Wenn man dann allerdings antwortet, dass monogame Beziehungen oft nicht funktionieren und Untreue einer der häufigsten Trennungsgründe ist, wird meist darauf verwiesen, dass nicht die Monogamie schuld an der Trennung sei.

Ob in Filmen, im Fernsehen oder in Büchern: Die ideale romantische Liebe ist die treue Beziehung zwischen zwei meist heterosexuellen Menschen. Mit der zunehmenden Normalisierung von Homosexualität gibt es nun auch Erzählungen, in denen zwei Männer oder zwei Frauen ihr Glück in der romantischen Zweierbeziehung finden. Sind in einer Erzählung jedoch mehrere Personen miteinander verbandelt, muss das Beziehungsgeflecht am Ende in klare Bahnen gelenkt werden. Gerade im Young Adult Genre muss sich eine junge Frau oft zwischen zwei Männern entscheiden, siehe Twilight oder The Hunger Games. Es ist nicht einmal denkbar, dass am Ende alle drei miteinander glücklich werden könnten. Immer und immer wieder wird so Monogamie normalisiert und als die einzige Lebensform dargestellt, die dem „Wesen des Menschen“ entspricht. Die Argumentationsmuster verweisen oft auf die Evolutionsbiologie, die die Monogamie naturalisiert. So sei es zur Kinderaufzucht am besten und wird mit HöhlenmenschenVergleichen unterfüttert. Die gleiche Argumentationskette wird dann auch verwendet, um Homosexualität mal als Spielart der Natur, mal als Abartigkeit darzustellen.

AUSWEG POLYAMORIE. Polyamorie setzt sich aus dem griechischen „poly“ (mehrere) und dem lateinischen „amor“ (Liebe) zusammen und ist ein Obergriff für die Praxis, mit mehreren Menschen gleichzeitig Beziehungen zu führen. Dies geschieht mit vollem Wissen und Einverständnis aller Beteiligten. Polyamorie als Praxis stellt sich gegen das hegemoniale Bild der monogamen romantischen Zweierbeziehung (RZB) und trifft deshalb oftmals auf Verwunderung, Ablehnung und Diskriminierung.

Polyamorie Praktizierende grenzen sich zum Teil ganz bewusst von offenen Beziehungen ab, um das Image zu vermeiden, dass es sich bei Polyamorie um „anything goes“ handle. Vielmehr stellt man die Verbindlichkeit in den Vordergrund: „Mein Herz hat Platz für mehr als einen Partner. Ich suche keine Abenteuer, ich mag es langfristig. Ich betrüge nicht, ich handle einvernehmlich. Ich lüge nicht, ich mache es transparent. Ich bin kein Freiwild, ich trage Verantwortung. Ich liebe tiefer als nur zum Spaß. Ich bin Poly. Ich lebe die Liebe.“ So lautet das Motto einer der größten deutschsprachigen polyamourösen Gruppen auf Facebook. In diversen Facebook-Gruppen und Foren wird der Eindruck vermittelt, dass man sich der Ideologie der Monogamie nicht entgegenstellt, sondern sie als auserwählte Gruppe überwunden hat. Unterschwellig schwingt mit, man hätte eine neue Stufe des Bewusstseins erreicht, in der alle achtsam miteinander umgehen. So folgt jeder Vorstellung neuer Mitglieder ein ganzer Wust an Definitionen zwischen poly, bi, vegan und spirituell.

IDENTITÄT POLYAMORIE. Man liest in vielen Foren: „Gerade bin ich mono, fühle aber poly“ oder „Single und Poly“ und in der Reportage „Unter Anderen – Wahre Lieben“ spricht eine interviewte Person davon „polyamor geboren zu sein“. Als Person, die offen damit umgeht, mehr als eine Partnerschaft zu führen, lebt man ständig gegen die gesellschaftliche Erwartung an. Die Welt scheint nicht für einen gemacht zu sein; ständiger Erklärungs- und Rechtfertigungsdruck führen dazu, dass man es sich wohl lieber in Nischen der eigenen Szene gemütlich macht als Gegenwehr zu leisten. Anstatt Biologismen in die Wüste zu schicken, werden Artikel geteilt, die die angeblich non-monogame Natur des Menschen bezeugen. Man erklärt sich gerne bereit, Journalist*innen für Interviews und Reportagen zur Verfügung zu stehen, um zur Normalisierung beizutragen, präsentiert sich dann aber in Klischees. In der Reportage Unter Anderen – Wahre Lieben wird Attmann Wicka, prominenter Aktivist der Poly-Szene interviewt und dabei gefilmt, wie zwei seiner Freundinnen sich kennen lernen. In einer mit esoterischem Kitsch überladenen Wohnung bittet er dann beide, am Boden sitzend mit einer Klangschale zu spielen. Haremskonnotationen kommen auf und dies wird an keiner Stelle problematisiert.

Sexismus scheint grundsätzlich kaum ein Thema in Poly-Kreisen zu sein. Es sind meistens die Frauen in Partnerschaften, die mehr Beziehungs- und emotionale Arbeit leisten. In Poly-Beziehungen führt das zu Mehrfachbelastungen, die nicht diskutiert werden. Man will die Monogamie überwinden, aber am Patriarchat wird nicht gerüttelt.

KEINE GEGENWEHR. Polygame Menschen sind konfrontiert mit Ablehnung, Anfeindungen, Zwang zur Verheimlichung und struktureller Diskriminierung. Polygame Ehen sind verboten, womit die Gleichstellung zur hegemonialen Norm verwehrt wird. Polygam Lebende dürfen zusammen nicht gleichberechtigt die Sorge für Kinder übernehmen oder auch nur ein Konto eröffnen. Doch anstatt gegen den Primat der Monogamie anzukämpfen, sich gegen die strukturelle Diskriminierung zu wehren und für mehr Rechte zu kämpfen, flüchten sich viele polygame Menschen in die Nestwärme der eigenen Szene. So wird die Hegemonie der Monogamie sicher nicht gebrochen.

Anne Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Wie viel Pop verträgt Feminismus?

  • 11.05.2017, 20:30
„Feminismus ist in!“, schreien uns Werbekampagnen und Stars entgegen. Was passiert mit der Frauenbewegung, wenn Feminismus zu einem Konsumgut wird?

„Feminismus ist in!“, schreien uns Werbekampagnen und Stars entgegen. Was passiert mit der Frauenbewegung, wenn Feminismus zu einem Konsumgut wird?

Wenn sich Unternehmen feministische Ästhetik für Verkaufszwecke ausborgen, dann ist das durchaus irritierend. Vor allem, weil nicht immer klar ist, ob nun Umsatzsteigerung oder offene Unterstützung frauenpolitischer Agenden im Vordergrund stehen. Ebenso ist es mit Promis, für die Feminismus in ihrer Kommunikationsstrategie eine Rolle spielt. Im Oktober 2016 referierte Bitch- Media-Chefredakteurin Andi Zeisler im Rahmen des Business Riot zum Thema „Marketplace Feminism“. Dieser Feminismus kommt unpolitisch daher und will vor allem eines: Feminismus als Lifestyle mit entsprechend käuflich erwerbbarer Produktpalette feilbieten. Mit ihrem Buch „We Were Feminists Once“, das gerade auf Deutsch erschienen ist, hat sie den Kern der Debatte getroffen. Wenn sie die Umweltbewusstseins- Kampagnen der Hollywood-Stars der 90er und frühen 2000er mit der Vereinnahmung des feministischen Diskurses durch Prominente und Turnschuhhersteller vergleicht, dann wird klar, dass Feminismus derzeit schlichtweg im Trend liegt.

Andi Zeisler kommt zum Schluss, dass wir aufmerksam und behutsam mit Feminismus umgehen müssen, um hohle Marketingstrategien rund um Girlpower und Girlgang zu enttarnen: Ein Hashtag alleine ist kein politischer Akt. Damit hat sie recht: Wenn ein Label vordergründig politische Anliegen unterstützt und ich deshalb seine Produkte kaufe, unterstütze ich noch immer die Firma und nicht die politische Bewegung.

FEMINISMUS SCHLÄGT ZURÜCK. Wie geht man mit Initiativen um, die zwar breit mobilisieren können, aber bestehende bzw. feministische Diskurse vernachlässigen und Begrifflichkeiten einführen, die nichts mit kollektiven Unrechtserfahrungen zu tun haben? Leonie Karpfer, Redakteurin des feministischen Magazins an.schläge, betont die Ambivalenzen, die eine kritisch-feministische Aneignung popkultureller Strömungen in sich birgt: „Popfeminismus darf nicht inhaltslos bleiben, sondern muss klar gesellschaftliche Missstände anprangern. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf die kapitalistische und neoliberale Vereinnahmung von popfeministischen Strömungen aufmerksam zu machen.“

Was wäre nun, wenn der Feminismus quasi dem Kapitalismus eins auswischt, und sich Marktstrategien aneignet, um seine Agenden zu verbreiten? Das ist wissentlich oder unabsichtlich die Strategie vieler junger Initiativen, die vor allem die Funktionsmechanismen der sozialen Medien zu nutzen wissen. Kapitalismus und seine Kritik tanzen immer Tango und besonders ersterer eignet sich findig die Strategien seiner Gegner_innen an, wie Luc Boltanski und Ève Chiapello in ihrem Buch „Der neue Geist des Kapitalismus“ Anfang der 2000er Jahre herausstellten. Was aber, wenn sich nicht nur der Kapitalismus die Modi seiner Kritik aneignen kann, sondern auch umgekehrt die Kritik die kapitalistischen Kommunikationsstrategien?

Diese Vorgehensweise birgt einige Gefahren. Beispielsweise, in feministische Belanglosigkeit abzudriften.

MARKENBOTSCHAFTLER_INNEN. Besonders gefährlich ist Popfeminismus dann, wenn die Gesichter, über die er kommuniziert wird, einem dominanten Schema entsprechen, das sich grob als weiß, heterosexuell und privilegiert beschreiben lässt und in Modelmaßen daherkommt. Wenn (sozialisierte) Ästhetik über Inhalt steht, bzw. der Inhalt gar nicht mehr erkennbar ist vor lauter Glamour, dann wird kein Dienst an feministischen Bestrebungen geleistet. Zwar können solche Bilder durchaus als disruptiv gegenüber diskriminierenden und klischeehaften Bildern von Feminist_innen gewertet werden; da das Aufbrechen solcher Stereotype aber meist nicht das Ziel von Werbekampagnen ist, werden hier schlichtweg Bilder ausgetauscht. Die Feministin von damals ist von Kopf bis Fuß behaart und frisst im Kurzhaarschnitt die Männer um sich herum, die Feministin des 21. Jahrhunderts posiert auf Instagram mit Schmollmund im „The Future is Female“-Shirt.

Beide Stereotype sind gleichsam gefährlich, spaltend und werden der Diversität der Akteur_innen nicht gerecht. Wenn sich die Werbeindustrie am feministischen Diskurs bedienen will, dann wäre es wünschenswert, sie würde das in der Verantwortung machen, die so eine Aneignung mit sich bringt – oder sie lässt es bleiben. Umgekehrt steht es feministischen Initiativen frei, sich diese Öffentlichkeit kritisch anzueignen, lautstark Inhalte einzufordern, wo sie nicht vorhanden sind, und Werbegags zu enttarnen. Wer sich seitens der Werbeindustrie aufdrücken lässt, wie Feminismus auszusehen hat, hat womöglich nicht die nötigen Instrumente, sich gegen so eine Vereinnahmung zu wehren. In diesem Sinne braucht es Aufklärungsarbeit von inhaltsstarken Initiativen. Denn unterm Strich bleibt: Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sich die feministische Bewegung durch Marketingstrategien spalten lässt, denn gerade in Zeiten des Aufschwungs der konservativen, antifeministischen Rechten braucht es eine breite, gemeinsame Lobby, die kritischen Diskurs zwar nach innen betreibt, aber nach außen mit gemeinsamer Stimme spricht.

Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des Business Riot Festivals und ist in verschiedenen feministischen Initiativen aktiv. Sie hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert.

Politische Alltagsdiskussionen

  • 11.05.2017, 20:07
Wer Leute dazu animieren will, über den eigenen Tellerrand zu blicken, ist gut beraten, das selbst auch zu tun.

Wer Leute dazu animieren will, über den eigenen Tellerrand zu blicken, ist gut beraten, das selbst auch zu tun.

Ich weiß nicht, ob ihr das auch kennt, aber ich finde mich relativ häufig in politischen Diskussionen wieder, in denen sich alles in mir zusammenkrampft, wenn ich meinem Gegenüber so zuhöre. Und da ist es egal, ob es um Grenzzäune, Frauenquoten oder Mindestsicherung geht. Ärgerlich finde ich eigentlich immer dasselbe: Die verkürzte Art, wie über soziale Probleme nachgedacht wird, wo sie uns doch eigentlich alle betreffen und genug Anstoß zum kritischen Denken existiert.

Die akademische und politische Linke generiert seit jeher kritisches Wissen, um ungerechte Gesellschaftsverhältnisse zu bekämpfen, nicht zuletzt, indem sie Bewusstsein darüber schafft. Nun lässt sich natürlich einwenden, dass es seit jeher auch gesellschaftliche Kräfte gibt, die sich tatkräftig gegen eine entsprechende Modernisierung wehren. Verständlicherweise – von sozialer Ungleichheit profitieren ja auch die einen oder anderen. Aber diese Profiteur_innen sitzen mir in meinem Alltag eigentlich kaum gegenüber. Zumindest strukturiert sich die Argumentation meiner Gesprächspartner_innen meist nicht danach, ob sie profitieren oder nicht. Viel eher scheint es egal zu sein, wie relevant ein politisches Thema ist. Dass alle Menschen ein differenziertes Wissen dazu haben, ist ganz offensichtlich zu viel verlangt. Irgendwie eh klar. Alltagswissen entsteht eben unter bestimmten Voraussetzungen, die das zunächst kaum anders ermöglichen.

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WISSEN UND HANDELN. Eine der wohl bemerkenswertesten Einsichten aus der Wissenssoziologie ist, dass Wissen immer in Zusammenhang mit Handeln gefasst werden muss, das heißt, dass jedes Wissen auf den Handlungsrahmen bezogen ist, in dem es nützlich sein soll und in dem es bestehen muss. In der akademischen Auseinandersetzung mit Geschlecht können theoretische Überlegungen und empirische Befunde zu einer umfassenden Analyse des Geschlechterverhältnisses zusammengetragen werden, die Aufschluss über die hierarchische Positionierung von Männern und Frauen in der Gesellschaft gibt. Für den Alltag dieser Männer und Frauen ist es zunächst aber völlig ausreichend zu wissen, wie man sich dem eigenen Geschlecht entsprechend kleidet und verhält (und auch für die Genderforscherin ist diese Kompetenz abseits ihrer akademischen Metaposition unverzichtbar). Alltagswissen beschränkt sich also zunächst auf das, was im Handlungsrahmen des eigenen Alltags so auftaucht und relevant wird. Dazu gehören auch Inhalte des öffentlichen Diskurses über politische Themen, die mehr oder weniger bewusst aufgenommen werden.

Nun sind Inhalte des öffentlichen Diskurses, zum Beispiel die Berichterstattung in Mainstreammedien, nicht immer darauf ausgelegt, Sachverhalte adäquat darzustellen, egal wie wichtig das Thema sein mag. Nebst der Tatsache, dass Medien einem starken Verwertungszwang unterliegen und daher zunehmend auf Unterhaltung und Skandalisierung setzen, sind sie freilich auch Schauplätze politischer Kämpfe, in denen unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen, die Ausdruck politischer Kräfteverhältnisse sind. Und diese Stimmen tauchen auch in Alltagsdiskussionen wieder auf.

Das macht Alltagsdiskussionen zu Räumen der politischen Auseinandersetzung. Und zwar zu welchen, auf die wir direkten Einfluss haben. Wir sind also gut beraten, uns Kommunikationsstrategien zu überlegen, bei denen wir am Ende nicht selbst völlig verzweifeln. Weil nervenaufreibend ist das schon, immer wieder erklären zu müssen, dass an der Prekarisierung der Arbeitswelt nicht wirklich „die Ausländer“ schuld sind und die Feministinnen nicht an der „Verweichlichung des Mannes“.

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RAUM DER REFLEXION. Aber wie lässt sich eine Diskussion so gestalten, dass Reflexion möglich ist und sie nicht in Ärger und Frustration endet? Raphaela Weiss vom Verein „Sapere Aude“ zur Förderung politischer Bildung beschreibt für ihre Arbeit in Workshops, dass es zunächst wichtig sei, sich einer belehrenden Haltung à la „Ich sag euch jetzt wie’s funktioniert!“ zu entledigen. Ähnlich argumentiert der Geschlechterforscher Paul Scheibelhofer von der Uni Innsbruck, dass es in der Vermittlung von kritischem Wissen nicht darum gehen soll, Leute zu erleuchten. Anstatt also krampfhaft zu versuchen, das eigene Wissen in die Köpfe anderer zu füllen, ist es viel sinnvoller sich anzusehen, was sie selbst aus kritischen Überlegungen an Wissen generieren. Ein wichtiger Punkt dabei ist laut Scheibelhofer, einen Bezug zu eigenen Erfahrungen herstellen zu können. Gerade bei gesellschaftspolitischen Themen ist das oft gut möglich. So können ganz im Sinne guter alter Soziologie persönliche Probleme als soziale Themen erkannt werden. Dieser Zugang bietet auch die Chance, selbst etwas aus einem Gespräch mitzunehmen und Wissenskoalitionen zu bilden.

Ganz in diesem Sinne ist es weiters hilfreich, sich nicht über Aussagen zu empören, auch wenn das mitunter eine der schwersten Aufgaben in Diskussionen ist. Ein genialer Trick, um auch die eigenen Emotionen hier abzufangen, ist es, wie Weiss vorschlägt, Fragen zu stellen, wenn einem eine Aussage nicht einleuchtet: „Es bringt tausendmal mehr, Leute selbst auf Zusammenhänge bzw. auf die Komplexität mancher Dinge draufkommen zu lassen, als ihnen eine fremde Meinung aufzuzwingen.“ Fragenstellen zeigt Interesse an der Sichtweise der anderen, ist respektvoll, schafft Vertrauen und kann damit zu einer guten Gesprächsbasis beitragen, auf der es dann, wie Weiss argumentiert, viel leichter wird, Aussagen zu überdenken. Durch Fragenstellen lässt sich weiters, wie die Sozialwissenschaftlerin Katharina Debus betont, die „Beweislast“ umkehren, so dass nicht nur meine Perspektive „erklärungsbedürftig“ ist, sondern auch die andere. Fragen kommen weniger aufdringlich daher als Gegenreden und eignen sich dadurch gut als Input zum Weiterdenken. Durch Zuhören erfährt man aber auch selbst mehr, bekommt einen tieferen Einblick in Gedankengänge und Argumentationslinien des Gegenübers und kann damit Verständnis für dessen Positionierung erzeugen. Verständnis, das nicht nur das Gegenüber beruhigen kann, sondern auch einen selbst. Es ermöglicht, die eigene Einstellung gegenüber anderen zu verändern. Zu verstehen, warum sich eine Person so positioniert, wie sie es tut, kann es deutlich leichter machen, mit dieser Positionierung zurechtzukommen und bietet vielleicht sogar Anlass, sich mit eigenen Erwartungen auseinanderzusetzen, die an andere Personen gestellt werden. Und nicht zuletzt ist Verständnis aufzubringen ebenfalls ein wertvoller Beitrag auf der Beziehungsebene, weil es der anderen Person vermittelt, ernstgenommen zu werden. Die Beziehungsebene beschreibt Debus als ganz zentral für einen Raum der Reflexion, denn Vertrauen macht in der Vermittlung von Problematiken vieles leichter. Dazu, meint sie, ist es auch förderlich, Missverständnisse von vornherein aus dem Weg zu räumen. Böse Absichten, die einem unterstellt werden könnten, sind ja relativ schnell verneint: „Ich bin keine Männerhasserin, aber ich bin dafür, dass Frauen und Männer die gleichen Möglichkeiten im Leben haben. Und du?“ Denn das funktioniert auch in die andere Richtung. Auch einem selbst kann es ein beruhigendes Gefühl geben, zu wissen, dass das Gegenüber nicht prinzipiell ein sexistisches oder rassistisches Arschloch ist. Hier lässt sich an einen weiteren Punkt anknüpfen, auf den die Sozialwissenschaftlerin aufmerksam macht: Hinter einer diskriminierenden Aussage steht nicht unbedingt die Absicht, zu diskriminieren. Es ist daher sinnvoll, zwischen Absichten und Effekten zu unterscheiden.

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Letztendlich, so meint auch Debus, können wir nicht den Anspruch haben, von unserem Gegenüber ein sofortiges „Ach ja, stimmt!“ zu bekommen. Sie sieht Widerstand als zentralen Teil des Lern- und Reflexionsprozesses, in den wir viel emotionale Energie hineinstecken.

AUSZUCKEN? Welche Rolle Emotionen in Räumen der Reflexion spielen können, ist wohl relativ offen. Das Spektrum an Diskussionsgefühlen ist riesig: Aggression, Empathie, Angst, Dankbarkeit und so weiter. Auch die Arten der Gefühlsäußerungen sind vielfältig und wirken situationsabhängig unterschiedlich. Das macht viele Wege des Umgangs mit eigenen und fremden Emotionen in Diskussionen plausibel. So ist Weiss in Workshop-Situationen darum bemüht, Diskussionen um politische Themen auf einer sachlichen Ebene zu halten. Wobei sie meint, dass es auch hier manchmal legitim ist, Emotionen einzubringen, gerade bei sozialpolitischen Themen, wo ein emotionaler Bezug zum eigenen Leben besteht. Ihr geht es darum, Wege zu vermitteln, konstruktiv über Politik zu sprechen. Einen anderen Aspekt hat mir unlängst ein Fundraiser auf der Straße in Bezug auf seine Arbeit beschrieben. Beim Spendeneintreiben für Amnesty International ist es eine wesentliche Aufgabe, Bewusstsein über politische Missstände zu schaffen. Sympathie aufzubauen und eine emotionale Verbindung zu Problemen herzustellen ist dabei das Um und Auf. Und warum auch nicht? Emotionale Energie ist ein zentraler Antrieb, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Oder auch für etwas Anderes. Gerade für rechte Politiken werden Emotionen gekonnt instrumentalisiert. Nicht umsonst setzt der Rechtspopulismus darauf, Wut oder Ängste in den Menschen zu schüren. Und auch wenn rechte Erzählungen von sozialen Problemen und Lösungen die Realität nicht adäquat abbilden, sind die entstandenen Emotionen dennoch real und verlangen politisch danach, ernstgenommen zu werden. Insofern ist die klassische Forderung „Man muss die Leute halt auch verstehen“ nicht ganz abwegig. Das muss allerdings mit Bedacht erledigt werden und darf, wie Debus betont, nicht dazu führen, dass diskriminierende Diskurse Raum bekommen und legitimiert werden: „Vielmehr kann es hilfreich sein, einerseits diskriminierenden Aussagen klare Grenzen zu setzen und andererseits gemeinsame nicht-diskriminierende Anliegen zu finden, die ernst genommen werden, wie zum Beispiel die Sorge vor ökonomischer Prekarisierung, das Gefühl mangelnder Mitbestimmung oder der Wunsch nach Orientierung und Handlungsfähigkeit“. Es geht freilich nicht darum, in jeder Situation für jede Person Verständnis und Mitgefühl aufzubringen, oder immer ruhig zu bleiben. Sondern diese Möglichkeiten neben vielen anderen wahrzunehmen und zu nutzen.

PÄDAGOGISCHER AUFTRAG? Vermittlung von kritischem Wissen kann keineswegs nur auf individueller Ebene passieren. Freilich muss es immer darum gehen, Strukturen mitzudenken. Die individuelle Ebene ist aber nicht unwesentlich, weil sie unseren unmittelbaren Einflussbereich darstellt. Unsere Nerven sind es, die es uns danken, wenn politisch relevante Inhalte in geeigneter Weise diskutiert werden. Es geht nicht zuletzt auch darum, Wege zu finden, solche Diskussionen für sich selbst erträglich oder sogar fruchtbar zu machen.

Carina Brestian studiert Soziologie an der Universität Wien.

Feministische Gegenöffentlichkeit

  • 23.02.2017, 20:37
Ein Blick hinter die Kulissen der an.schläge

Ein Blick hinter die Kulissen der an.schläge

Seit über 30 Jahren schreiben die an.schläge über politische, gesellschaftliche und kulturelle Themen aus einer feministischen Perspektive. Wir haben die leitenden Redakteurinnen Lea Susemichel und Fiona Sara Schmidt interviewt.

progress: Warum ist euer Magazin ein alternatives Medium?
Lea Susemichel: Wir verstehen unser Magazin als feministische Gegenöffentlichkeit zum Male- und Mainstream, als wichtiges Korrektiv zu den etablierten Medien also. Dort geht es weder in den Redaktionen noch bei der Themensetzung geschlechtergerecht zu. Emanzipatorische Medienarbeit ist deshalb weiterhin unerlässlich und ich bin der festen Überzeugung, dass sie nicht wirkungslos bleibt. Feministische Medien können trotz kleiner Auflage und sehr überschaubarer Reichweite etwas bewirken. Sie setzen Themen, die über kurz oder lang von anderen Medien aufgegriffen werden, und sie verändern langfristig auch dort die Kriterien, was Nachrichtenwert hat, was als gewichtige und relevante Meldung gilt.

Wie finanziert ihr euch?
Susemichel:
Wir bekommen Förderungen von der Wiener Frauenabteilung und gegenwärtig auch vom Frauenministerium. Letztere werden aber jährlich neu vergeben und sind in der Vergangenheit – unter Schwarz-Blau – auch schon komplett ausgefallen. Ein sehr großer Teil unserer Einnahmen stammt aus Abos, auf die wir unbedingt angewiesen sind. Der Einzelverkauf des Magazins trägt hingegen kaum zum Budget bei. Die Inserate sind auch seit Jahren rückläufig, zumal wir viele AnzeigenkundInnen aus politischen Gründen von vorneherein ausschließen und umgekehrt auch nur für wenige attraktiv sind.

Was für Abhängigkeiten ergeben sich aus eurem Finanzierungsmodell?
Susemichel:
Wir lassen uns bei redaktionellen Entscheidungen grundsätzlich nicht von der Überlegung beeinflussen, wen welche Berichterstattung evtl. verärgern könnte. In unserer mehr als dreißigjährigen Geschichte haben wir zwar schon viele massive Anfeindungen und öffentliche Attacken von ÖVP und FPÖ erlebt, aber es wurde vonseiten der FördergeberInnen noch nie versucht, konkret Einfluss zu nehmen. Ich persönlich halte eine solide staatliche Medienförderung unter den gegenwärtig verfügbaren Optionen deshalb auch für einen Garanten größtmöglicher Unabhängigkeit, journalistischer Seriösität und Qualität. Es braucht unbedingt eine entsprechende Reform der Medienförderung, die eine Basisförderung auch für kritische kleine Medien vorsieht.

Erlebt ihr diese Abhängigkeiten als Widerspruch zu eurem Selbstbild?
Susemichel:
Das Ansuchen um Förderungen ist ein hoher administrativer Aufwand, der viele unserer ohnehin begrenzten Ressourcen frisst. Aber politisch und inhaltlich gibt es keinen Widerspruch zu unserem Selbstverständnis, weil wir ja nicht von politischen Parteien gefördert werden. Und wir hatten bislang tatsächlich das Privileg, auch nie durch „unmoralische Angebote“ von AnzeigenkundInnen in Versuchung geführt worden zu sein – wir sind schlicht nicht interessant genug für sie. Als größten Widerspruch erleben wir stattdessen, dass zuwir als linkes, feministisches Medium entschieden gegen die Prekarisierung von Arbeitsbedingungen eintreten, gleichzeitig aber selbst unter sehr prekären Bedingungen arbeiten. Wir wollen Frauen fair und angemessen für ihre Arbeit bezahlen, können als prekäres Projekt aber eben nur kleine Honorare für Artikel bieten.

Braucht es noch Printmagazine im 21. Jahrhundert?
Schmidt:
Magazine werden nach wie vor nachgefragt, junge Leser_innen wollen nicht ausschließlich online lesen. Neben Print sind für Magazine auch crossmediale Formate mit Bild/ Text/Video oder die grafische Aufbereitung von Daten interessant, mit der große Medien nun zaghaft experimentieren. Wir haben als feministisches Magazin eine Zielgruppe, die Frauen der Zweiten Frauenbewegung, die mit Print politisiert wurde, genauso ansprechen will wie feministische Digital Natives. Auch wenn einige feministische Zeitschriften in den letzten Jahren eingestellt wurden, ist das Interesse auf jeden Fall da und es entstehen im deutschsprachigen Raum neben Blogs auch ständig neue Zeitschriften und Zines.

Wie könnte die Zukunft alternativer Printmedien aussehen?
Schmidt:
Die Übergänge im Print- und Onlinejournalismus werden immer fließender. Ich denke, grafisch ansprechend und hochwertig aufbereitete Beiträge im gedruckten Heft werden sich neben aktuellen Nachrichten online, wo die Leser_innen mitdiskutieren können, etablieren. Bei den Finanzierungsmodellen sind da aber weiterhin kreative Lösungen gefragt, gerade für alternative Medien, bei denen meist die Infrastruktur und das technische Wissen den Ideen hinterherhinken.

Viele alternative Medien bauen zum Teil auf ehrenamtlicher Arbeit auf. Wie ist das bei euch?
Schmidt:
Unser Redaktionskollektiv ist ehrenamtlich neben der Lohnarbeit tätig, Sitzungen werden zum Beispiel nicht vergütet. Auch die Angestellten (wir teilen uns zu viert für die Redaktionsleitung und Verwaltung 1,5 Stellen) arbeiten über ihre bezahlten Stunden hinaus, wenn es notwendig ist. Meist unterstützt uns eine Praktikantin. Artikel und Fotos/Illustrationen werden bezahlt. Wir können als Non-profit-Medium leider keine marktüblichen Honorare bezahlen und schätzen es umso mehr, wenn freiberufliche Journalistinnen auch für uns tätig sind, weil sie unser Projekt unterstützen möchten. Positiv ist die relativ freie Zeiteinteilung der Redakteurinnen und dass man sich je nach Situation mehr oder weniger einbringen kann. Aufgaben wie das Layout machen inzwischen externe Mitarbeiterinnen, die das Projekt mit ihrem Know-how unterstützen.

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Das Interview führte Joël Adami, er studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Genderwahn an Hochschulen

  • 23.02.2017, 19:36
Die Besorgnis, Wissenschaft würde durch die Gender Studies für die Umsetzung einer politischen Ideologie missbraucht werden, ist ein präsentes Thema im medialen Diskurs. Aber was ist dran an den Vorwürfen der Unwissenschaftlichkeit und fehlenden Objektivität?

Die Besorgnis, Wissenschaft würde durch die Gender Studies für die Umsetzung einer politischen Ideologie missbraucht werden, ist ein präsentes Thema im medialen Diskurs. Aber was ist dran an den Vorwürfen der Unwissenschaftlichkeit und fehlenden Objektivität?

Bedenken bezüglich der Wissenschaftlichkeit der Gender Studies werden von unterschiedlichen Personengruppen geäußert. Von journalistischen GendergegnerInnen über AntifeministInnen hin zu christlichen FundamentalistInnen (Ja, auch die machen sich Sorgen um den Verfall der Wissenschaft). Eine kritische Reflexion von Forschung ist grundsätzlich durchaus wünschenswert, allerdings muss sie auf einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand fußen, um einen konstruktiven Beitrag zu leisten. In der Gendergegnerschaft ist dies nun nicht ganz der Fall; die Gender Studies werden ohne tiefergehende Kenntnis pauschal als „pseudowissenschaftlicher Hokuspokus“ abgelehnt. Das macht es nicht ganz einfach, sich mit Argumenten der GendergegnerInnen auseinanderzusetzen. Versuchen wir es trotzdem, indem wir uns einen Kernvorwurf genauer ansehen: jenen der fehlenden Objektivität der Gender Studies aufgrund ihres politischen Gehaltes.

FEMINISTISCHE INVASION? Es ist kein großes Geheimnis, dass die Gender Studies einer politischen Bewegung entstammen und dass Gender ein höchst politischer Begriff ist. Hinter ihm steht die analytische Beobachtung, dass Menschen nach ihrer Geburt aufgrund ihrer äußeren Geschlechtsmerkmale einer Kategorie (männlich oder weiblich) zugeordnet werden und diese Zuordnung ihren weiteren Lebenslauf bestimmt. Begonnen bei der Sozialisation von Jungen und Mädchen werden sehr unterschiedliche gesellschaftliche Vorstellungen und Anforderungen an Männer und Frauen herangetragen. Das Konzept Gender problematisiert das ungleiche Geschlechterverhältnis, das auf dieser Trennung fußt. Es geht also nicht darum, Menschen umzuerziehen und ihnen ein bestimmtes Verhalten aufzudrängen, sondern darum, den Rahmen für mögliches Verhalten zu erweitern. Männer sollen Gefühle zeigen dürfen und Frauen technische Berufe ergreifen können – wenn ihnen das entspricht – ohne dabei Schwierigkeiten zu bekommen. Es handelt sich also um eine Idee, die, wenn auch nicht unter dem Vorzeichen „Gender“, in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert und bejaht wird. Aus einer bestimmten Blickrichtung ist es damit durchaus plausibel, Gender als eine Bedrohung wahrzunehmen. Eine Bedrohung für sehr fundamentale gesellschaftliche Strukturen, die trotz des Fortschrittes der letzten 100 Jahre noch bestehen. So sind auch in der westlichen Gegenwartsgesellschaft Frauen diejenigen, die den Großteil von schlechtoder unbezahlter Versorgungsarbeit leisten, häufiger von Gewalt und Armut betroffen sind, weniger in Führungspositionen aufsteigen und Männer diejenigen, die misstrauisch beäugt werden, wenn sie mit Kindern arbeiten wollen. Dass das Infragestellen so fundamentaler gesellschaftlicher Prinzipien Anlass für emotionale Auseinandersetzungen gibt, ist wenig überraschend.

OBJEKTIV ODER DOCH POLEMISCH? Die Gender- KritikerInnen sprechen von einer „Genderisierung“ der Hochschulen, als ob es sich um eine staatlich verordnete „Invasion“ handle, die Unmengen an Steuergeldern verschlingen würde. Diese Behauptung hält einem Blick in die Realität jedoch nicht Stand. So sind beispielsweise an österreichischen Hochschulen 2.420 ProfessorInnen tätig, wobei sechs Professuren eine Volldenomination für Geschlechterforschung haben. Das Bild der Invasion ist, wenn auch wenig plausibel, dennoch wirkungsmächtig und nur ein Beispiel für den fast durchgängig polemischen Stil genderkritischer Beiträge, die den „Genderwahn“ als Gefahr für die Wissenschaft darstellen. Die Soziologinnen Sabine Hark und Paula-Irene Villa weisen darauf hin, dass dabei meist, ohne weitere Erörterung, von einem alltagsweltlichen Verständnis von Wissenschaft ausgegangen wird, das an positivistische Maßstäbe der Naturwissenschaften angelehnt ist. Dies ist aus mindestens zwei Gründen problematisch: Erstens delegitimiert ein derartiges Wissenschaftsverständnis jegliche Erkenntnismethoden der Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften. Zweitens ist ein alltagsweltliches Wissenschaftsverständnis bestenfalls für den Alltag geeignet, eine vermeintlich wissenschaftliche Kritik darauf zu stützen, ist aber alles andere als passend. Widersprüchlich ist weiters, dass der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, trotz des engen Wissenschaftsbegriffes, nur an die Gender Studies gerichtet wird (übrigens auch an ihre naturwissenschaftlichen Forschungsarbeiten). Es werden weder ganze wissenschaftliche Disziplinen noch sozialwissenschaftliche Forschungen von Gleichgesinnten angegriffen. All das spricht dafür, dass die Abwertung der Gender Studies nicht einer bloßen Besorgnis um Wissenschaftlichkeit geschuldet ist, sondern eher den Bedenken und Feindseligkeiten jener, die an den alten Strukturen hängen und eigene Privilegien gefährdet sehen. Es handelt sich um eine politische Motivation genau jener Art, wie sie den Gender Studies vorgeworfen wird und die wissenschaftlicher Objektivität vermeintlich im Weg steht.

POLITISCHE OBJEKTIVITÄT? In diesem Zusammenhang ist zu fragen, was wissenschaftliche Objektivität überhaupt sein kann. Das Bild eines isolierten Wissenschaftlers, der im Labor kulturunabhängige Ergebnisse produziert, ist in der Realität nicht haltbar. Jede forschende Person ist auch Teil der Gesellschaft, hat Vorstellungen und Wertehaltungen, die in den Forschungsprozess miteinfließen. Alleine die Wahl eines Forschungsgegenstandes ist schon von gesellschaftlichen Umständen geprägt. Denn was als erforschenswert angesehen wird, ist keine Frage, die objektiv beantwortet werden kann, sondern das Ergebnis von gesellschaftlichen Diskursen und Kräfteverhältnissen. Objektivität ist im Sinne einer völligen Unabhängigkeit von Gesellschaft undenkbar, egal in welcher wissenschaftlichen Disziplin. Dies bedeutet allerdings nicht, dass keine nachvollziehbare wissenschaftliche Erkenntnis möglich wäre, sondern nur, dass es einen bedachten Umgang mit der eigenen Rolle als forschende Person und dem Entstehungszusammenhang der Ergebnisse geben muss. Aus diesen Überlegungen heraus hat sich in den Sozialwissenschaften ein reger Diskurs darüber etabliert, wie solch ein Umgang Teil des Forschungsprozesses selbst werden kann. Gerade die Gender Studies haben hierzu einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Carina Brestian hat Soziologie und Gender Studies an der Universität Wien studiert.

Die Hacklerinnen_

  • 23.02.2017, 18:04
Philosophie als Mackerdisziplin? Mit einer untypischen Philosophiepraxis bieten Frauen_ falschen Genies, mühsamen Gesprächskulturen und sinnloser Ghettoisierung die Stirn.

Philosophie als Mackerdisziplin? Mit einer untypischen Philosophiepraxis bieten Frauen_ falschen Genies, mühsamen Gesprächskulturen und sinnloser Ghettoisierung die Stirn.

„Ich fand abstraktes Denken schon immer spannend“, so Karoline Paier. Die 24-Jährige begann nach der Schule Philosophie und Psychologie zu studieren. Damals war noch nicht klar, dass Philosophie ihr Schwerpunkt werden würde. Heute ist Paier Studienassistentin und Tutorin bei mehreren Professor_innen am Institut für Philosophie der Universität Wien und arbeitet in den Bereichen Logik, Wissenschafts- und analytische Philosophie. „Dass ich im akademischen Kontext eine Frau bin, fiel mir erst auf, als in meinen ersten Logik-Lehrveranstaltungen nur Texte von Männern gelesen wurden und ich und höchstens eine andere die einzigen Frauen im Raum waren“, schildert Paier. Persönlich und erkenntnistheoretisch problematisch findet sie die in der Philosophie verbreitete Gesprächskultur des Gegeneinanders und Namedroppings. „Für ein gutes Arbeiten sollten Gruppen Probleme gemeinsam angehen und Gespräche auch so gestalten. Wie ernst philosophische Fragen genommen und behandelt werden, hat viel mit der Kultur, mit der Philosophie praktiziert wird, zu tun“, so Paier. Dass sie trotzdem bei der Philosophie blieb, lag nicht nur an ihrer Faszination logische Schlüsse mit Gesellschaftskritik zu verbinden. „Ich begann früh am Institut zu arbeiten und war Teil des Wiener Forums für Analytische Philosophie, das ich jetzt leite. Dort konnte ich in einem sicheren Umfeld Argumente ausprobieren und Fragen stellen. Das gab mir ein Gefühl von Zugehörigkeit“, so Paier.

ERBE. Immer wieder besucht Paier Vorträge von Philosophinnen_, die im Rahmen der Reihen „Philosophinnen*geschichten“ an das Institut für Wissenschaft und Forschung und „Women in Philosophy“ an das Philosophie-Institut der Karl- Franzens-Universität in Graz eingeladen werden. Studierende mit international renommierten Philosophinnen_ zusammenzubringen, war ein Ausgangspunkt für Amelie Stuart und vier weitere Frauen_, „Women in Philosophy“ überhaupt zu gründen. „Die Vortragsreihe soll den weiblichen Nachwuchs ermutigen und den männlich geprägten Kanon um wichtige Beiträge erweitern“, so Amelie Stuart. Die Frauen_ hinter den Texten live zu erleben hat für die Veranstalterinnen_ drei positive Seiten: Philosophinnen_ können ihre hochwertige Forschung präsentieren, sich vernetzen und als Vorbilder wirken. Das Ziel von „Women in Philosophy“ ist, (junge) Frauen dazu zu motivieren, längerfristig in der Philosophie zu bleiben.

MUNDARBEIT. Anhand der statistischen Daten von unidata des BMWFW zeigt sich, dass am Weg vom Bachelor zum Doktorat immer mehr Frauen_ der Universität den Rücken kehren. Während im Wintersemester 2015 am Institut für Philosophie an der Universität Wien – mit 2.838 Studierenden Österreichs größtes – 43,3 Prozent Frauen_ im Bachelor studierten, waren es im Master 41 Prozent und im Doktorat 33,8 Prozent. Was die Institute in ganz Österreich angeht, wirkt die Verteilung jedoch halbwegs ausgeglichen. Im Wintersemester 2015 studierten an Österreichs öffentlichen Universitäten insgesamt 4.866 Personen im Bachelor, Master und Doktorat Philosophie, davon waren 2.222 Frauen_ (45,6 Prozent). Das Projekt „philosopHER“ der Studierendenvertretung Philosophie und des Referats für feministische Politik der ÖH Uni Graz fragte in einer eigenen Instituts-Umfrage nicht nur nach den Verteilungen, sondern auch nach der Wahrnehmung der Philosophie-Studierenden der Universität Graz. Der Aussage „Männliche Studierende sind in LVs zurückhaltender als weibliche“ stimmten 91 Prozent der Befragten „eher nicht“ oder „gar nicht“ zu. Weiters gaben 84 Prozent der Frauen_, die Philosophie studieren, an, sich „eher ungern“ bis „sehr ungern“ mündlich in Lehrveranstaltungen einzubringen.

SCHWEISS. Die Philosophin Elisabeth Nemeth war bis September Dekanin der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft an der Universität Wien und ist Vorstandsmitglied der anerkannten Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft. Sie findet die statistische Herangehensweise, um Missstände aufzuzeigen, gut, kritisiert aber die Fokussierung auf die Kategorien „Männer“ und „Frauen“. „Wenn man nur von Frauen und Männern redet, sieht man viel dazwischen nicht, damit meine ich keineswegs nur queere Personen, sondern die vielen Lebensentwürfe, die untypisch sind“, so Nemeth. Mit zwei Kindern konnte sie mit Glück und intensiver Arbeit eine philosophische Laufbahn machen – aber es war schwer. „Ich litt darunter, nichts gescheit machen zu können. Wenn ich keine Kinder bekommen hätte, hätte ich noch viel mehr erreicht. Aber ich weiß nicht, ob ich das überhaupt wollte. Eher nicht“, so Nemeth. Aufgrund der großen Unterstützung seitens des Instituts blieb sie im akademischen Bereich. Nemeth hält die Fokussierung auf Frauen_ längerfristig aber für strategisch wenig sinnvoll: „Frauen extra zu betreuen und herauszuheben, birgt die Gefahr der Ghettoisierung und Spezialbehandlung. In der Lehre geht es darum, möglichst klare Arbeitsund Lernbedingungen zu schaffen, damit Personen von ihrem individuellen Standpunkt aus arbeiten können“, betont Nemeth. Dass das nicht selbstverständlich ist, läge in der Vorstellung, Philosophie sei stark mit Genialität und Begabung verbunden. Das sei, laut Nemeth, auch der Grund dafür, warum viele Frauen_, die sich für Philosophie interessieren, trotzdem nicht glauben, ein Philosophiestudium sei etwas für sie. „Die Vorstellung des genialen und begabten Philosophen ist extrem ausschließend. Die einzige Möglichkeit dagegen, ist ein anderes Konzept von Philosophie zu praktizieren. Nämlich alle, Männer und Frauen, dazu zu bringen, Philosophie als Arbeit an Texten und Argumentationsstrukturen wahrzunehmen und nicht als geniales Gequatsche“, schließt Nemeth.

Marlene Brüggemann hat Philosophie an der Universität Wien studiert.

Feminismus, wir müssen reden

  • 19.11.2016, 21:51
Die politische Sichtbarkeit von trans Personen macht nicht nur Konservative nervös. Auch einige Feminist_innen fürchten um ihr Weltbild.

Die politische Sichtbarkeit von trans Personen macht nicht nur Konservative nervös. Auch einige Feminist_innen fürchten um ihr Weltbild.

Im angloamerikanischen Raum sind transfeindliche Feminist_innen schon länger unter dem Akronym TERFs bekannt. In Wien ist beispielsweise das autonome Frauenzentrum ein Residuum transausschließender Politik, die auf Ansichten der Frauenbewegung der 1970er und 80er Jahre gründet. Die Haltung des FZs zeigt sich in seiner Selbstbeschreibung, aber auch in dem jährlich erneuerten Credo, trans Personen (üblicherweise meinen sie trans Frauen) sollten nicht an der 8. März Demonstration oder feministischen Selbstverteidigunskursen (WENDO) teilnehmen. Transfeindlicher Feminismus ist nun auch mitten in der queer-feministischen Szene angekommen.

TERFs. TERF steht für Trans Exclusionary Radical Feminism/Feminist. Dabei handelt es sich nicht um eine stolze Selbstbezeichnung, sondern um den Versuch von außen, die Transfeindlichkeit mancher feministischer Bewegungen sichtbar zu machen. Für TERFs ist die Welt einfach: Die Menschheit teilt sich in Frauen und Männer, die in einem Unterdrückungsverhältnis zueinander stehen. Wer zu welcher Gruppe gehört, bestimmen die TERFs, pardon, die Biologie. In dieser Wahrnehmung existieren trans Personen, also Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, einfach nicht. Weil sie aber eben doch existieren, belegen TERFs sie mit Vorwürfen: So hätten trans Männer – aber auch nicht binäre Personen – Verrat am weiblichen Geschlecht begangen und sich mit dem Patriarchat gut gestellt. Trans Frauen hingegen können in dieser Denkweise nie wirkliche Frauen sein. Die Argumentation stützt sich im Wesentlichen auf zwei Punkte: Biologie und Sozialisation.


Biologie. Das Argument, Geschlecht sei biologisch bestimmt, ist nicht neu. Überraschend ist jedoch, aus welcher Ecke es neuerdings vorgetragen wird. Seit vier Jahren kommentiert der popkulturelle Blog Sugarbox das „queere Wien“. Im Sommer stellte sich eine Blogautorin die Frage „Was ist eigentlich Geschlecht?“ und löste mit ihrem Artikel eine heftige Diskussion um Feminismus und Transfeindlichkeit aus. Ihr Resümee: Die Begriffe „Mann“ und „Frau“ seien neutrale Körperbeschreibungen. Ein politischer Affront gegen trans Personen, denen durch die „objektive“ Beurteilung angeblicher biologischer Tatsachen ihr Recht auf Selbstbestimmung genommen wird.

„Your tells are so obvious, shoulders too broad for a girl“, singt Laura Jane Grace in ihrem Lied transgender dysphoria blues und beschreibt damit die schmerzhafte Erfahrung, in den Augen von anderen nicht als Frau erkannt zu werden. Viele trans Personen haben tagtäglich damit zu kämpfen, dass ihnen ihr Geschlecht abgesprochen wird. Es stimmt, dass wir gewohnt sind, in einfachen Dichotomien zu denken und wahrzunehmen. Aber diese Gewohnheit ist nicht objektiv richtig und schon gar nicht sollte es ein feministisches Ziel sein, sich ihrer Beibehaltung zu verschreiben.

Ist Geschlecht also ein Konzept der Natur zur Fortpflanzung? Ist nicht die Beschränkung von (cis) Frauen auf ihre Gebärfunktion auch für (cis) Feminist_innen riskant? Mit Recht wehren sie sich gegen die Reduktion des Körpers auf die Reproduktionsfähigkeit. Es gilt, sich von der Verfügungsgewalt durch Staat und Ehemann zu befreien und endlich durchzusetzen, dass eine Frau keine Gebärmutter ist. Es ist heuchlerisch, dann zum Zweck des Ausschlusses von trans Frauen die Gebärmutter als Kriterium wieder ins Spiel zu bringen. Ja, der Körper spielt eine Rolle. Und ja, es ist wichtig für trans Personen, Zugang zu medizinischen Leistungen zu haben, die sogenannte „geschlechtsangleichende Maßnahmen“ ermöglichen. Aber: Nicht alle trans Personen streben eine Hormontherapie oder OPs an und sie werden dadurch auch nicht erst männlich, weiblich oder nicht binär. Sie sind es schon davor und müssen sich in ihrer Entscheidung auch nicht von normativen Vorstellungen über das Aussehen von Männern und Frauen leiten lassen.

Auch der konservativen Medizin gelingt keine fein säuberliche Zuordnung von Körpern. Am stärksten von dieser Zwangseinteilung betroffen sind intergeschlechtliche Menschen. „Was wir heute unter weiblichen oder männlichen Körpern verstehen, ist gesellschaftliche Übereinkunft und Halbwissen, das wissenschaftlich längst überholt ist. Beispielsweise sind Chromosome, Hormonwerte oder Körperteile individuell extrem unterschiedlich und verlaufen nicht an der Grenzlinie ‚Frau‘/ ‚Mann‘“, sagt Njan Völker, Referentin_in im queer_referat der ÖH-Bundesvertretung.


 

Sozialisation. Sozialisation ist ein in der feministischen Theorie gebrauchtes Modell, das erklärt, wie Geschlechterrollen erlernt werden. Indem bei Mädchen andere Eigenschaften gezielt gefördert werden als bei Jungen, wird geschlechterkonformes Verhalten ausgebildet. TERFs nutzen dieses Konzept zum Ausschluss von trans Frauen, denen angeblich die weibliche Sozialisierung mit der in ihr angelegten Erniedrigung fehle.

Susanne Hochreiter vom Germanistikinstitut der Uni Wien hält von dem Konzept nicht viel: „Die Vorstellung von der gleichen Sozialisation ist ein dermaßen übler Blödsinn, dass man weinen könnte.“ Die gemeinsamen Erfahrungen, die angeblich alle Frauen teilen, spiegelt tatsächlich die Perspektive der weißen Mittelschichtsfrau zu einer bestimmten Zeit wieder. Denn es macht einen Unterschied, ob ein Mädchen am Bauernhof im ländlichen Österreich aufwächst oder in Wien als Tochter türkischer Gastarbeiter_innen. Nicht alle Frauen erleben die selbe Art von Diskriminierung – Stichwort Intersektionalität. Vielmehr werden Lebensrealitäten von verschiedenen Faktoren geprägt. Zu diesen Faktoren zählen beispielsweise Antisemitismus, Rassismus, Armut oder Behinderung. Es ist eine wesentliche politische Einsicht, dass Diskriminierungsstrukturen vielschichtig und nicht aus einem einzigen Prinzip heraus erklärbar sind.

Auch in der Diskussion auf Sugarbox wird trans Frauen unterstellt, sie seien nicht als Mädchen erzogen worden und daher nicht wirklich von Sexismus betroffen. Diese Unterscheidung funktioniert nicht. In vielen Fällen merken Kinder schon früh, dass sie sich nicht in das Geschlecht einleben können/wollen, in dem sie angesprochen werden. Weibliche/männliche Sozialisation ändert daran nichts: „Ich habe auch während meiner Jugendzeit schon offen trans gelebt“, sagt Njan. „Welche Sozialisation habe ich demnach genossen?“ Aktivistin Lena Pöchtrager fügt hinzu: „Die Frage ist: Welche Vorbilder hatte ich, mit wem habe ich mich identifiziert? Insofern war meine Sozialisation nicht männlich, sondern die eines trans Mädchens. Sozialisation ist keine Einbahnstraße.“

„Klassische“ Frauenfeindlichkeit erleben trans Frauen genau wie cis Frauen, sobald sie von anderen als Frauen gelesen werden: „Wenn ich auf der Straße gecatcalled werde, fragt doch niemand davor: ‚Hast du eine weibliche Sozialisation?‘ oder: ‚Hast du eine Gebärmutter?‘“, sagt Lena.
 

Was nun? Solidarität ist auch dann gefragt, wenn man nicht genau dasselbe erlebt hat. Indem TERFs kundtun: „Wir verstehen transgender nicht“, werden sie kein Problem lösen. „Außerdem muss man schon zur Kenntnis nehmen, dass Pionier_innen der lesbischen und feministischen Bewegung, wie Leslie Feinberg, zugleich trans Pionier_innen waren. Alles andere hieße, einen Teil der eigenen Geschichte negieren“, sagt Hochreiter. (Queer-)Feminist_innen müssen Transfeindlichkeit mit ihren tödlichen Auswirkungen endlich als Problem erkennen – auch als ihr eigenes. Queer ist eben keine Partyattitüde, sondern ständiger Widerstand gegen ein System, das Körper und Begehren gewaltvoll reguliert.

„Ich würde mich freuen über einen progressiven Pragmatismus“, sagt Hochreiter, Mitgründerin des Gender Initiativ Kollegs: „Vor allem angesichts der Renationalisierung, die gerade stattfindet. Wir werden wieder auf der Straße stehen und uns fürs Abtreibungsrecht einsetzen. Das wird ein Rückzugsgefecht.“

Angesichts der politischen Umstände ist es an der Zeit, aus der Eitelkeit herauszufinden, die Feminist_innen nur um die eigene Achse kreisen lässt. Das heißt auch, Verantwortung zu übernehmen, anstatt den eigenen Problemfokus auf Kosten anderer zu verteidigen. „My body my choice“ ist nach wie vor ein wichtiger feministischer Slogan, der eben nicht nur cis Frauen betrifft. Hochreiter sieht nicht notwendig einen Widerspruch zwischen den Positionen: „Ich kann auf eine Demo für gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit gehen und ich kann auf eine Demo gehen für freie Entscheidung von Personen, was ihre Möglichkeiten ihr Geschlecht zu definieren anlangt.“ Wenn es feministischen Bewegungen gelingt, verschiedene Lebensrealitäten und deren spezifische Bedürfnisse einzubinden, statt zu negieren, können wir auch wieder gemeinsam auf die Straße gehen. Because nobody wants to be walking the streets all alone.

Kaddy Kube studiert Geschichte an der Universität Wien.

Messerscharfe Nippel

  • 16.06.2016, 20:11
1978, Kunsthalle Düsseldorf: Eine hochschwangere Braut im weißen Kleid mit Schleier, Schnullermaske und Schnullerhaube sammelt Spenden für die Reliquie des Heiligen Erectus.

1978, Kunsthalle Düsseldorf: Eine hochschwangere Braut im weißen Kleid mit Schleier, Schnullermaske und Schnullerhaube sammelt Spenden für die Reliquie des Heiligen Erectus. Der Klingelbeutel hat die Form eines Riesenkondoms. Wird das Geld verweigert, ertönt Babygeschrei, das erst durch eine Spende wieder zum Verstummen gebracht werden kann. Auch in Wien lässt sich die gruselige Braut im selben Jahr blicken – hier allerdings im Rollstuhl, in der Galerie Modern Art. Die Düsseldorfer Aktion führte dazu, dass die Künstlerin, Renate Bertlmann, von den folgenden Stationen der Ausstellung in Eindhoven und Paris wieder ausgeladen wurde. Die Videodokumentation der Wiener Performance ist nun in der Vertikalen Galerie der Sammlung VERBUND zu sehen.

Anhand von zahlreichen Werken aus den 1970er- und ’80er Jahren wird Bertlmanns konsequent-ambivalente Auseinandersetzung mit Materialien, Formen und Themen hier wohltuend un-didaktisch präsentiert. In ihren Zeichnungen, Fotografien, Objekten und Installationen ragen Messerspitzen aus Nippeln, enden Fingerkuppen in Schnullern, hängen Latex-Nabelschnüre an einer Wäscheleine, und Kondome – inszeniert als Brüste – liebkosen einander. AMO ERGO SUM – Ich liebe, also bin ich – lautet Bertlmanns Motto seit den 1970er-Jahren, das nun auch Titel der Einzelschau der 1943 in Wien geborenen Künstlerin ist. Der Untertitel, „Ein subversives Politprogramm“, scheint sarkastisch auf ihren Austragungsort anzuspielen – ist doch die Firmenspitze des Stromunternehmens ausschließlich mit Männern besetzt. Dass sich ausgerechnet die Sammlung VERBUND der Aufarbeitung der „feministischen Avantgarde“ verschrieben hat, ist ebenso bemerkenswert wie ironisch. Und in diesem Fall äußerst treffend – teilt Renate Bertlmann doch ihr Gesamtwerk in die drei Bereiche Pornografie – Ironie – Utopie. Gleichzeitig verdeutlicht eben diese Diskrepanz, dass Bertlmanns Arbeiten drei Jahrzehnte nach Produktion immer noch aktuell sind. Nichtsdestotrotz weht durch die acht Stöcke der Vertikalen Galerie ein leichter Wind der Vergangenheit – ein Blick in das gegenwärtige Schaffen der Künstlerin wäre wünschenswert gewesen.

„Renate Bertlmann. AMO ERGO SUM. Ein subversives Politprogramm“
Kuratorin: Gabriele Schor
Vertikale Galerie in der VERBUND Zentrale, Wien
Bis 30. Juni 2016

Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.

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