What is love?

  • 15.04.2014, 09:36

Ein Versuch gegen den normativen Strich zu lieben

Die Liebe ist ein seltsames Spiel beschloss Connie Francis schon 1960. 1993 fragte sich Haddaway What is love? und hatte keine Antwort parat. 2008 kommt Amanda Palmer der Liebe mit den Zeilen I google you whenever I'm alone and feeling blue näher. Die Liebe ist in der Populärkultur ein zentrales Thema. Aber auch in der Wissenschaft bleibt die Liebe schwammig und wird unterschiedlich theoretisiert: Niklas Luhmann verbindet die Liebe mit den romantischen Begriffen des symbolisch generierten Kommunikationsmediums und Eva Illouz braucht über 400 Seiten um sich der Frage Warum [moderne] Liebe weh tut soziologisch zu nähern. Kein Wunder, dass mensch sich bei all diesen  Vorschlägen und Thesen wie Liebe zu sein hat, wie und was sie ist, wie eine Beziehung funktioniert oder funktionieren sollte und welchen Stellenwert Sex, aber auch Freund_innenschaft dabei hat, verwirrt wird. Mir geht es zumindest so. Ich versuche mich trotz der Verwirrung abseits vorgegebener Normen mit den Themen Beziehung, Liebe und Sexualität auseinander zu setzen. Zumindest in meinem Kopf. Denn ja: als Anfängerin im Bereich „alternative Beziehungskonzepte“, wie ich all meine Gedanken zu diesem Thema[1] zusammenfasse, ist und bleibt die Liebe für mich höchst seltsam. Vor diesem Hintergrund kann der vorliegende Text auch als verschriftlichte Manifestation eines großen Fragezeichens betrachtet werden. Dabei halte ich es wie Haddaway und spare die Antworten eher aus.

 

 

Womit also beginnen? Kaum mit einer Definition von der Liebe. Ich glaube da eher an die Liebe, zwar als ein Gefühl, aber auch als ein Konstrukt – wie so vieles kontextabhängig, kulturell und historisch wandelbar oder wie es im Manifest der Anti-Liebe  heißt: „DIE Liebe gibt es nicht. […] In der Geschichte der Menschheit gab es verschiedene Vorstellungen und Konzepte von Liebe, die von einer rein funktionalen Zweckliebe über die platonische Liebe bis zur romantischen Liebe von heute reicht. Dazwischen gab es sicherlich auch viele verschiedene Ideen und Konzepte von Liebe, die völlig abweichend zu den vorherrschenden Vorstellungen waren. Von DER Liebe zu sprechen [...], ist deshalb absurd.“ Und nun? Was hat es mit diesem schönen und viel zu oft auch schmerzhaften Gefühl auf sich? Jenes Gefühl, das uns nächtelang wach hält und Amanda Palmer folgend wohl auch den ein oder anderen geliebten Namen googeln lässt? Ich schlage vor, Liebe einfach als ein vielschichtiges und komplexes Gefühl zu verstehen, das sich unterschiedlich ausdrücken kann, mit Körperlichkeit verbunden sein oder intellektuelle oder emotionale Zuneigungen beinhalten kann; aber auch ein Gefühl, das nicht von der Vereinnahmung einer kapitalistischen Marktlogik sowie von Normalisierungen gefeit ist. Ein Gefühl, welches auch in Machtstrukturen verwoben ist. Wieso wird in den zitierten Liedern, in zahlreichen Serien, im Hollywood-Kino aber auch in der boomenden Ratgeberindustrie von der romantischen Liebe ausgegangen, welche nur innerhalb einer (gesellschaftlich diktierten heteronormativen) Zweierbeziehung gelebt werden kann? Warum braucht es als Basis dafür die sogenannte Treue? Es scheint so, dass Liebe, wie eine Ware, nur in geringen Mengen verfügbar ist, dass sie begrenzt ist und erst durch Exklusivität wertvoll wird. Nur ich, und sonst keine_r darf die Sexualität des_der Partner_in besitzen. Dringt hier nicht der kapitalistische Gedanke des unbedingten Haben-Müssens bis in unsere Gefühlswelt und unsere erotischen Phantasien ein?

 

 

Wollen wir Eva Illouz Glauben schenken, müssen wir hier mit einem eindeutigen „Ja“ antworten. Ihr zufolge ist die sexuelle Attraktivität in Bezug auf Beziehungen und Begehren erst durch die Konsumkultur eine der zentralen Ebenen auf der Liebesangelegenheiten ausgetragen werden: „Die Konsumkultur machte das Begehren zum Zentrum der Subjektivität, während sich die Sexualität in eine Art allgemeine Metapher des Begehrens verwandelt.“ Was wäre also, wenn ich mich von der Utopie verabschiede, dass all meine Bedürfnisse von einer Person alleine abgedeckt werden können? Das Schlimmste, – so zumindest in meiner Vorstellung – das passieren könnte, wäre unterschiedlichste Arten intensiver Beziehungen zu gewinnen: Ich könnte mit einer Person einen tiefgehenden intellektuellen Austausch genießen, mit einer  anderen verschiedene sexuelle Phantasien leben, mich wieder anderen emotional hingeben – weil es mit je einem anderen Menschen auf einer anderen Ebene am Besten funktioniert und nur selten mit einer auf allen Ebenen. Also versuche ich mich von der RZB-Doktrin, von dem Gedanken des „Egal wie – Hauptsache ich besitze!“ zu lösen und ignoriere nicht, dass eine RZB vielleicht gar nicht mehr so klappt wie ich es mir einreden will; versuche damit Christiane Nösingers Dystopie zu entgehen, versuche mit meinem Partner oder meiner Partnerin nicht zu Menschen zu werden, „[...] die wie Steine nebeneinandersitzen, die in Pizzerien verzweifelt das Besteck streicheln, um sich nicht anschauen und miteinander sprechen zu müssen.“ Auch das Problem der Eifersucht könnte durch das Verabschieden von RZBs gelöst werden. Sind wir nicht mehr abhängig von den Gefühlen und der Bestätigung einer Person um unser Selbstwertgefühl durch den Blick des Einen oder der Einen zu erhöhen, ist vielleicht auch die Angst vor Veränderungen nicht mehr so groß, können neue soziale Erfahrungen des Gegenübers nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung gesehen werden.

 

 

Gut, wenn nicht so, wie dann? Schon wieder ein ganz großes Fragezeichen. Aber dennoch: Das Auseinandernehmen und Reflektieren von Beziehungsnormen ist ein hilfreicher Schritt für mich. Freund_innenschaften, Affären, Paarbeziehungen im Sinn der RZB, Verwandtschaftsbeziehungen sind normalisiert. Sie werden in einen prädiskursiven Bereich verlagert und scheinen daher von Natur aus klar abgesteckt. Es ist festgelegt, welche Zuneigung, welche Berührung, welche Worte in welchen Beziehungen als angebracht gelten. Mensch denke auch hier an die zahlreichen Ratgeber_innenbücher, die uns die Regeln der verschiedenen zwischenmenschlichen Beziehungen näher zu bringen versuchen. Ist es unmöglich sich diesen Regeln, den gesellschaftlichen Liebeskonventionen und -codes zu widersetzen und offen zu lassen, was verschiedenste Begegnungen für mich und mein jeweiliges Gegenüber beinhalten können, aber niemals müssen? Was ist wenn ich jemanden streichle ohne ihn oder sie zu küssen?  Wenn ich mit jemandem einfach nur Händchen halten will ohne dass ich und wir und unser Umfeld uns als Paar begreifen? Wenn ich mit jemandem ficke ohne kuscheln zu wollen? Es gäbe vielleicht keine normalisierte und dadurch auch hierarchisierte Abfolge von Berührungen und Zuneigungen mehr, keine Festlegung wo und vor allem wie wir beginnen müssen jemanden zu lieben und vielleicht könnte es auch nicht mehr wichtig sein, wie viele Menschen welchen Geschlechts wir lieben oder sexuell attraktiv finden.

 

Die Lösung all dieser Gedanken (und somit eine mögliche Antwort) könnte lauten: „Ja, wo ist'n das Problem? Kannste ja eh machen was du willst.“ Und sehen wir mal vom gesellschaftlichen Druck ab, könnte mensch ja tatsächlich einfach tun. Aber hej: nur weil ich versuche RZBs den Rücken zuzukehren, bedeutet dies nicht, dass meine verinnerlichten Vorstellungen von und Erwartungen an Beziehungen sich in Luft auflösen. Die Theorie ist klar und einleuchtend für mich, aber neige ich nicht trotzdem zu dem, was „alle“ haben (wollen)? Auch wenn ich noch so viele Bücher à la „The ethical slut“ lese, macht das zwar Spaß; die tatsächliche Umsetzung ist und bleibt trotzdem schwierig. Habe ich nicht trotzdem Lust, mich mal in die Arme einer anderen Person legen zu können, der ich vollkommen vertraue – egal auf welcher Ebene? In einem offenen Lernprozess, der andauert und meine eigentlich nur sehr gering vorhandene Geduld stark auf die Probe stellt, versuche ich der  Kommunikation einen großen Stellenwert einzuräumen; meine eigenen Bedürfnisse mit Freude, aber auch mit Schrecken zu entdecken, diese auch mitzuteilen; eingefahrene Verhaltensmuster heraus zu filtern und immer wieder neu zu hinterfragen; zu experimentieren; der Versuch für mich zu klären womit ich mich wohl fühle, welche Beziehungen mir auf welcher Ebene guttun, welche Menschen welche Bedürfnisse abdecken können. Erst dann ist es vielleicht möglich, gegen einen (hetero-)normativen Strich zu kuscheln, zu lieben, zu küssen, zu ficken, die Liebe als etwas Seltsames hinzunehmen und die Frage What is love? unbeantwortet zu lassen.

 

 

Valentine Auer studiert Theater-, Film- und Medientheorie und ist
Redakteurin der Zeitschrift Paradigmata.

Carlotta Weimar studiert Internationale Entwicklung und illustriert
nebenbei.

 

Links und Lesetipps:

alek und die katrina von fremdgenese: Die Romantische Zweierbeziehung. Beleuchtung einer trotzigen linken Praxis. http://www.copyriot.com/sinistra/magazine/sin05/rzb.html [20.03.2014]

Arsen 13: Manifest der Anti-Liebe. http://ainfos.de/sectionen/crimethinc/Anti-Liebe.html [24.08.2012]

Illouz, Eva (2012): Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Projektwerkstatt Reichskirchen Saasen: Beziehungsweise frei.  http://www.projektwerkstatt.de/gender/texte/a5_beziehung.html [20.03.2014]

Rösinger, Christiane (2012): Liebe wird oft überbewertet. Ein Sachbuch. Frankfurt a. Main: Fischer.

Tost, Gita: Nehmen wir einmal an... Probleme bürgerlicher Zweisamkeit und deren Überwindung. http://www.graswurzel.net/241/liebe.shtml [20.03.2014]

 

AutorInnen: Valentine Auer