Teilst du schon oder besitzt du noch?

  • 23.03.2015, 20:46

Alternative Konsumformen wie das Teilen und Mieten von Gütern liegen im Trend. Rettet die „Shareconomy“ die Welt oder spült sie doch wieder Millionen in die Kassen von MonopolistInnen?

Alternative Konsumformen wie das Teilen und Mieten von Gütern liegen im Trend. Rettet die „Shareconomy“ die Welt oder spült sie doch wieder Millionen in die Kassen von MonopolistInnen? 

Annika ist Mitte 20, Akademikerin und lebt im urbanen Raum. Reisen organisiert sie über Onlineplattformen und Networking betreibt sie auf Facebook und LinkedIn. Mobilität und Nachhaltigkeit sind ihr ein Anliegen, gegenüber Materialismus und Konsumwahn ist sie kritisch eingestellt. Annika gibt es nicht wirklich. Aber sie ist – wenn es nach KonsumforscherInnen geht – die Idealkonsumentin der „Shareconomy“. Kurt Matzler, Professor an der Universität Innsbruck, beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Shareconomy und bestätigt: „Der typische Konsument der Shareconomy ist nicht der sparsame, langweilige und wirtschaftlich unattraktive Kunde. Er ist jung, gebildet, postmodern und liebt einen abwechslungsreichen Lebensstil.“ Annikas Lebensstil steht stellvertretend für all jene, die kein Auto besitzen, aber dennoch manchmal damit übers Wochenende aufs Land fahren wollen; für jene, die sich kein teures Hotelzimmer leisten, sondern in einer privaten Unterkunft ein Land kennenlernen möchten; und für jene, die Werkzeuge lieber leihen statt sie teuer zu kaufen.

GRENZENLOSES TEILEN. „Ungefähr 80 Prozent aller Gegenstände, die wir besitzen, werden im Schnitt nur einmal im Monat verwendet“, so Matzler. Mit dem Gedanken, dass diese doch verliehen werden können, liebäugeln immer mehr Menschen. Eine Studie Matzlers zeigt, dass in Österreich in erster Linie Bücher, Filme und Sportartikel ver- und geliehen werden. „Auf der Hitliste sind weiters Utensilien für Partys und Feste, Werkzeuge und Gartengeräte“, ergänzt Matzler.

Die Wirtschaft des Teilens ist kein neues Phänomen, sondern hat sich lediglich durch die Digitalisierung verändert: Früher hat man sich von NachbarInnen den Rasenmäher oder die Milch geliehen. Die steigende Anonymität in Großstädten trägt ihren Teil dazu bei, dass diese Praxis heute zunehmend über den digitalen Weg abgewickelt wird. Der Begriff „Share Economy“ geht auf den Ökonomen Martin Weitzmann zurück; im deutschsprachigen Raum wird auch häufig von der „Wirtschaft des Teilens“ oder dem „KoKonsum“ – dem kollaborativen Konsum – gesprochen. Weitzmanns ursprünglicher Gedanke war es, dass sich der Wohlstand einer Gesellschaft erhöht, wenn alle MarktteilnehmerInnen mehr teilen. Dadurch soll eine neue Ära eingeläutet und das Zeitalter des Kapitalismus beendet werden. Ob Wohnungen, Transportmittel, Werkzeuge, Mode, Musik und Videos oder Lebensmittel – für alles gibt es eine eigene Onlineplattform, also eine App oder Website. Überall tauchen gerade Shareconomy-Startups auf. „Im Moment erleben wir einen großen Boom. Zahllose neue Plattformen entstehen, viele verschwinden nach kurzer Zeit aber wieder. Wahrscheinlich werden wir bald eine Phase der Ernüchterung sehen, in der es zu einer Konsolidierung kommt. Danach setzt sich dann der Trend auf solideren Beinen stehend fort“, ist Matzler überzeugt.

Auf dem Wohnungsmarkt ist Airbnb die mit Abstand populärste Onlineplattform. Das Unternehmen konnte bereits 17 Millionen Gäste in 190 Ländern und über 600.000 Unterkünfte vermitteln. Egal ob man eine Couch für eine Nacht oder ein Apartment für mehrere Wochen sucht – die Bandbreite des Angebots ist enorm. Oft sind zwar dem finanziellen Spielraum Grenzen gesetzt, der Fantasie dafür aber nicht. Wer bereit ist, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, kann auch auf einem Boot, in einer Villa oder einem Schloss residieren.

Was Airbnb für den Wohnungsmarkt ist, ist Uber am Transportmittelmarkt. Uber ist eine Onlineplattform, die Fahrgäste an private FahrerInnen mit Wagen über eine App vermittelt. Während der Fahrdienst im Jahr 2010 gerade einmal in drei Städten aktiv war, hat er sich mittlerweile in rund 170 Städten in 43 Ländern etabliert; seit dem Vorjahr gibt es ihn auch in Wien. Wer sich nicht chauffieren lassen möchte, hat eine weitere Möglichkeit: Carsharing. Das erfreut sich vor allem bei jungen GroßstädterInnen, die kein eigenes Auto besitzen, zunehmender Beliebtheit. Nach der Registrierung bei einem Angebot – etwa Car2Go oder Zipcar – haben KundInnen die Möglichkeit, via App oder auf einer Website ein Auto in ihrer Nähe zu suchen, es mittels KundInnenkarte zu öffnen, damit von A nach B zu fahren und es dann an einem beliebigen Parkplatz wieder abzustellen.

Es gibt kaum noch Güter, die weiter als ein paar Mausklicks entfernt sind. Wer bei IKEA erfolgreich eingekauft hat, kann über Apps wie (das mittlerweile stillgelegte) Why Own It oder usetwice.at herausfinden, wer in der Nähe beispielsweise über eine Bohrmaschine verfügt. Ähnlich funktioniert das System im Bereich der Mode. Auf der Onlineplattform kleiderkreisel.at kann Kleidung gekauft, verkauft und getauscht werden. Wer auf der Suche nach einem exklusiven Stück ist, kann sich auf pretalouer.de DesignerInnenkleidung leihen statt kaufen. Und wollte man früher einen ganz bestimmten Song hören oder Film sehen, musste man eine CD oder eine DVD besitzen. Heute kann auf Musikdienste wie Spotify, Napster oder Simfy oder Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime Instant Video oder Snap by Sky zurückgegriffen werden.

Illustration: Ulrike Krawagna

MEHR TEILEN, MEHR KONSUM. Bei diesen alternativen Konsumformen spielen praktische Aspekte wie Preis, Verfügbarkeit und Qualität eine große Rolle. Laut einer repräsentativen Umfrage der Leuphana Universität Lüneburg, ist Nachhaltigkeit für KonsumentInnen ein wichtiger Faktor. Die Verbindung von gemeinschaftlichem Konsum mit dem Umweltgedanken sind ein naheliegender, da durch Mitbenutzung der Besitz und somit auch die zusätzliche Produktion eines Gutes nicht mehr notwendig ist. Das Problem dabei ist: Insgesamt weniger konsumiert wird nur, wenn privater Konsum durch gemeinschaftliche Nutzung ersetzt wird. Was aber, wenn durch die Angebote der Shareconomy neue Konsumwünsche geschaffen werden? Dass dies der Fall ist, vermutet auch Brigitte Kratzwald, Sozialwissenschaftlerin und Vertreterin der Commons-Bewegung, die das Ziel verfolgt, vorhandene Ressourcen gemeinschaftlich zu nutzen: „Das Konsumdenken der Menschen entwickelt sich in der Shareconomy nur in eine andere Richtung. Sie erkennen, dass sie durch diese alternative Konsumform noch mehr haben können als bisher. Durch Carsharing können sie dann jede Woche mit einem anderen Auto fahren und auf der Kleiderbörse können sie sich jede Woche etwas Neues zum Anziehen ausleihen.“ Carsharing-Angebote werden in großen Städten auch oft anstelle von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxis benutzt. Als Alternative zum privaten Auto oder Taxi nützt Carsharing der Umwelt – wird jedoch die Bahn dadurch ersetzt, ist der Effekt auf die Umwelt negativ. Trotz dieser Vorbehalte scheinen hier die positiven Effekte auf die Umwelt jedoch zu überwiegen, wie eine Studie des Wuppertal Instituts bilanziert: Durch die oft sehr kleinen Mietwagen ist der Schadstoffausstoß niedriger als bei den meisten privaten Autos.

Dass Besitz und Eigentum zunehmend an Bedeutung verlieren werden, vermutete der Ökonom Jeremy Rifkin bereits um die Jahrtausendwende. Damals prognostizierte er, dass das Internet die Bedürfnisse einer Gesellschaft verändern werde. Der Wohlstand der Menschen werde nicht mehr ausschließlich über die Summe der Besitztümer gemessen. Er prophezeite, dass „die Ära des Eigentums zu Ende geht und das Zeitalter des Zugangs beginnt“. Besonders für junge Menschen ist es heute tatsächlich nicht mehr in dem Maße erstrebenswert, ein eigenes Auto oder Haus zu besitzen, wie das noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war. Sowohl die Babyboomer-Generation als auch die sogenannte Generation X sind Generationen, die auf Statussymbole – wie etwa Auto, Boot und Haus mit Garten – Wert legen. Für die Generation Y haben materielle Privilegien keinen so hohen Stellenwert mehr – stattdessen zählen Freiheit, Flexibilität und Freizeit zu ihren wichtigsten Werten, wie einige Studien, etwa von Deloitte oder TNS, zeigen. Das liegt vor allem daran, dass sich die Lebensrealitäten geändert haben. Heute leben Menschen nicht mehr von Geburt an am selben Ort und verbleiben bis zur Pension im selben Job. Wer häufig den Wohnort oder den Job wechselt, kann Besitz und Eigentum auch als Belastung empfinden. Auf die Annehmlichkeiten, die Besitz mit sich bringt, möchten viele Menschen dennoch nicht verzichten. Daher lautet ihr Credo: möglichst wenig Besitztümer anhäufen, die wir nicht ständig brauchen, und möglichst einfachen Zugriff auf Dinge, wenn wir sie brauchen.

Illustration: Ulrike Krawagna

RECHTLICHE GRAUZONEN. „Mein ist auch dein“ – so lautet die Kernbotschaft der Shareconomy. Das Prinzip wirkt auf den ersten Blick altruistisch, nachhaltig und sozial. BefürworterInnen sprechen von einem gemeinschaftsorientierten und ressourcenschonenden Lebensstil. Das scheint auch Matzlers Studie zu bestätigen: Er fand heraus, dass der Gemeinschaftsgedanke (75 Prozent), der Umweltgedanke (61 Prozent) und das Sparen (65 Prozent) zu den persönlichen Hauptmotiven für das Mieten, Leihen und Teilen zählen. KritikerInnen haben eine andere Sichtweise auf die Shareconomy: Die wenigsten AnhängerInnen seien daran interessiert, die Welt zu retten, und ein Ende der Konsumgesellschaft sei keineswegs in Sicht. „Ich sehe an der Shareconomy die Gefahr, dass noch mehr Dinge zur Ware und immer mehr Lebensbereiche über Geld geregelt werden. Früher habe ich ein freies Zimmer kostenlos aus Gastfreundschaft angeboten. Und heute vermiete ich es lieber auf Airbnb, um damit Geld zu verdienen“, so Brigitte Kratzwald. Vor allem aufgrund der Digitalisierung entwickeln sich zunehmend kommerzielle Formen des Teilens, die dem klassischen Kapitalismus Tür und Tor öffnen und in fast jeden Lebensbereich vordringen. Bei genauerem Hinsehen ist aus der Shareconomy ein Milliardengeschäft geworden: Mit einem geschätzten Wert von 10 Milliarden US-Dollar spielt Airbnb in der gleichen Liga wie große Hotel-Ketten.

Für die KonsumentInnen geht die billige und schnelle Verfügbarkeit von Konsumgütern außerdem oft mit dem Verlust von Sicherheiten einher. Traditionelle DienstleisterInnen haben Auflagen einzuhalten: Hotels müssen Notausgänge, Feuerlöscher und Stornomöglichkeiten haben, Taxiunternehmen müssen Technik- und Gesundheitsüberprüfungen über sich ergehen lassen. Diese Bedingungen fallen bei den Sharing-Angeboten größtenteils weg. Die Konsequenz sind weniger Kosten für die AnbieterInnen und geringere Sicherheitsstandards für die KonsumentInnen. Deshalb verfolgen KonsumentInnenschützerInnen wie Nina Tröger von der Arbeiterkammer Wien das Thema genau: „Prinzipiell gilt bei Angeboten von Privatpersonen zu Privatpersonen das Konsumentenschutzgesetz nicht – außer wenn ein Unternehmen zwischengeschalten ist, mit dem ein Vertrag eingegangen wird“, so Tröger. Auch wenn je nach Angebot unterschieden werden muss, gibt es bei Mitbenutzungen oft dieselben Probleme. „Wenn beispielsweise ein Schaden an dem geteilten Gut festgestellt wird – sei es Auto oder Zimmer –, kann es zu Streitigkeiten über Haftung und Schadenshöhe kommen.“ Diese Probleme dürften den meisten KonsumentInnen aber bewusst sein – in der Arbeiterkammer treffen diesbezüglich nur wenige Beschwerden ein.

Auch für AnbieterInnen gibt es zwei Seiten der Medaille. Wenn man sich einen Nebenverdienst erwirtschaften will, ist Uber mit flexiblen Arbeitszeiten und maximaler Selbstbestimmung eine gute Sache – denn FahrerInnen sind nicht angestellt, sondern selbständig. Bietet man seine Arbeitskraft auf einer dieser Plattformen an, bleibt man aber bei Leistungen wie Mindestlohn, Sozialversicherung oder Krankengeld auf der Strecke.

Illustration: Ulrike Krawagna

Während die Ambivalenz für die direkt involvierten Personen offensichtlich ist, ist dieses Geschäftsmodell für die Unternehmen zweifelsohne profitabel. Sie streichen alleine für die Vermittlung Provisionen und Gebühren ein, während die Risiken zum Großteil bei den AnbieterInnen und KonsumentInnen liegen. Auffällig ist, dass sich in den meisten erfolgreichen Sparten große AnbieterInnen einen großen Teil des Marktsegments sichern. Die werden dann zum Selbstläufer: Je mehr Menschen eine App oder Website nutzen, desto besser funktioniert das Angebot.

Diese boomenden Onlineplattformen sorgen aber auf Seiten der Konkurrenz und des Staates nicht gerade für Begeisterungsstürme. Vergangenes Jahr protestierten europäische TaxifahrerInnen gegen Uber, da sie ihren Berufsstand durch die unregulierten Angebote angegriffen sahen. Aber auch staatliche Institutionen reagierten zunächst mit einiger Härte. Das Finanzamt kann viel schwerer überwachen, ob Taxifahrten oder Wohnungen gewerbsmäßig vermittelt werden, da die neuen AnbieterInnen Privatpersonen sind. Einnahmen aus diesen Tätigkeiten müssten zwar versteuert werden, de facto stößt man hier aber an rechtliche Grauzonen und Grenzen der Kontrollierbarkeit. Steuereinbußen werden genauso befürchtet wie Schäden an etablierten Wirtschaftszweigen.

WHAT WOULD MARX DO? Die Zeitung Chronicle hat erhoben, dass in San Francisco zwei Drittel der Angebote auf Airbnb ganze Apartments oder Häuser sind. Das lässt erahnen, wie weit sich dieser Dienst mittlerweile von den Anfängen des Couchsurfens entfernt hat. Während bei Couchsurfing Gästezimmer kostenlos zur Verfügung gestellt wurden und die Interaktion und Vernetzung mit den GästInnen im Vordergrund stand, ist bei der Zimmervermietung der kommerzielle Trend mittlerweile ausschlaggebend – es geht ums Geldmachen durch optimale Nutzung von Wohnbereichen durch kurzfristige Vermietungen.

Der Anteil an langfristig vermieteten Wohnungen und Häusern ist mit drei Prozent zwar relativ gering, jedoch zeigt er ein Problem auf: Während in vielen Städten Mietpreisregulierungen gang und gäbe sind, um leistbares Wohnen sicherzustellen, können diese Regulierungsmaßnahmen durch langfristige Vermietungen über Internetportale wie Airbnb umgangen werden. Ob durch die zusätzliche Verknappung von Wohnraum durch kurzfristige Vermietungen die Mietpreise tatsächlich steigen, ist nicht geklärt – wissenschaftliche Studien dazu sind rar.

Jedenfalls steht die Shareconomy wohl nicht an der vordersten Front einer wirtschaftlichen Revolution. Obwohl viele Seiten von der aufkeimenden Wirtschaft des Teilens profitieren, ist sie tief eingebettet in eine kapitalistische Gesellschaft. Kommerzielle Platzhirsche schlagen Profit durch die Schaffung von neuen, unregulierten Märkten. Neue Bedürfnisse und Formen ihrer Befriedigung werden geschaffen und bringen eine Heerschar prekarisierter Arbeitskräfte mit sich.

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und PR an der FH JOANNEUM Graz. 
Philipp Poyntner studiert Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien.

 

AutorInnen: Sandra Schieder, Philipp Poyntner