Tag der (Mehr-)Arbeit

  • 29.04.2015, 20:51

Am Ersten Mai feiern einige den Kampf der Arbeiter*innen um den Achtstundentag. Andere behaupten, fünf Stunden in der Woche (!) wären genug, um Bedürfnisse zu befriedigen und unseren Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Einziges Hindernis: der freie Markt.

Am Ersten Mai feiern einige den Kampf der Arbeiter*innen um den Achtstundentag. Andere behaupten, fünf Stunden in der Woche (!) wären genug, um Bedürfnisse zu befriedigen und unseren Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Einziges Hindernis: der freie Markt.

Als die Schweizer Nationalbank im Jänner die Wechselkursbindung des Franken an den Euro aufhob, ging ein Aufschrei durch die eidgenössische Industrie: Wer würde im Euroraum nun ihre verteuerten Waren kaufen? „Gegensteuern“ war das Zauberwort, der Staat müsse schleunigst etwas gegen den hohen Frankenkurs und seine Auswirkungen tun. Aber die Mühlen der Bürokratie mahlen bekanntlich langsam und noch dazu ging es hier um höchst strittige Fragen der hohen Finanzpolitik. Was blieb den Unternehmen also übrig, um den drohenden Konkurs zu verhindern? Entlassungen, Gehaltskürzungen und Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich.

ZU WENIG ARBEIT. Die Unternehmen, die in den Folgemonaten die Wochenarbeitszeit auf bis zu 45 Stunden erhöhten waren freilich keineswegs alle von der Pleite bedroht, wohl aber von einigen Prozent Gewinneinbußen. Nie darum verlegen, ihre Interessen gegenüber den Gewerkschaften und Betriebsräten durchzusetzen, widmeten sie sich also dem, was Karl Marx den „Kampf um den Normalarbeitstag“ nannte: Die Länge des Arbeitstags wechsle „mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit“ und müsse sowohl gesellschaftlich als auch individuell ständig neu verhandelt werden. Zwar sieht das Gesetz grundsätzlich acht Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche vor, letztlich wird die Normalarbeitszeit jedoch in Kollektivverträgen geregelt und kann je nach „Betriebserfordernissen“ sehr viel höher liegen.

Unter Mehrarbeit verstand Marx nicht zwingend Überstunden, sondern jede Arbeit, die über die notwendige Arbeitszeit hinausgeht, um die Kosten eines Arbeitsplatzes zu decken. Eingestellt und behalten wird nur, wer Mehrwert produziert und davon kann es nie genug geben. Deshalb wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts staatliche Einschränkungen durchgesetzt, um Unternehmen daran zu hindern, ihre Angestellten bis zur völligen Erschöpfung schuften zu lassen.

In den USA fand die Auseinandersetzung um die Grenzen des Arbeitstags Anfang Mai 1886 ihren traurigen Höhepunkt, als ein Massenstreik in Chicago eskalierte. Dutzende Arbeiter*innen wurden im Zuge der Demonstrationen erschossen oder anschließend zum Tode verurteilt. In Gedenken an den „Haymarket Riot“ wurde der 1. Mai am Gründungskongress der Zweiten Internationale zum „Kampftag der Arbeiter*innenklasse“ erklärt und schließlich in weiten Teilen der Welt als „Tag der Arbeit“ gesetzlich verankert.

Der Streit um die maximale Arbeitszeit dauert bis heute an, in den österreichischen Medien tritt er unter den Stichwörtern Flexibilisierung, Sonntagsöffnung, Pensionsantrittsalter und Lehrer*innendienstrecht zutage. Wenig konkret wird das etwa von der Industriellenvereinigung so formuliert: Tatsächlich brauche es „mehr Bewegungsfreiheit für heimische Unternehmen und ein modernes Arbeitsrecht, welches Spielraum sowohl für die Arbeitgeber- als auch für die Arbeitnehmerseite” ermöglichen soll.

ZU VIEL ARBEIT. Auf der anderen Seite fordern Arbeiterkammer und linke Gewerkschaften eine Verkürzung der Arbeitszeit, bei vollem Lohnausgleich, versteht sich. Proponent*innen eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) argumentieren, dass es uns vom Zwang zur Erwerbsarbeit befreien und die Unternehmen zwingen würde, sich mehr um die Lohnabhängigen zu bemühen. Dabei beziehen sie sich etwa auf den Ökonomen Jeremy Rifkin, der 1995 in seinem gleichnamigen Werk „Das Ende der Arbeit“ prophezeite. Durch Produktivitätssteigerung und Automatisierung würde uns bald die Arbeit ausgehen, nicht nur im industriellen Sektor. Deshalb sollen wir uns vom Streben nach Vollbeschäftigung lösen. Kritiker*innen wenden ein, dass Rifkin hier einem technikdeterministischen Trugschluss unterliegt; die Automatisierung sei kein neues Phänomen und führe letztlich nur dazu, dass mehr Arbeit in kürzerer Zeit erledigt werden muss.

In anarchistischen Kreisen ist die Vorstellung beliebt, mittels basisdemokratischer Umgestaltung der Produktionsweise die Wochenarbeitszeit auf fünf Stunden zu reduzieren. Die Berechnung dieses Werts stammt von Darwin Dante, einem Elektrotechniker und Informatiker aus Frankfurt, und lässt sich hier zusammengefasst nachvollziehen.

Foto: Carla Heher

Der Soziologe Jörg Flecker argumentiert pragmatischer und plädiert für die Einführung einer 30-Stunden-Woche. Er sehe hier ein doppeltes Kausalverhältnis: „Einerseits kann man sagen, damit werde die Arbeit teurer und es sei schlecht für die Wettbewerbsfähigkeit, andererseits treibt eine Arbeitszeitverkürzung auch die Produktivität voran und die Firmen überlegen sich, was sie mit dieser kostbaren Zeit der Beschäftigten machen.“ Zur Frage der Umsetzbarkeit gibt er sich vorsichtig optimistisch, es komme „immer auf die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse an, wem es letztlich gelingt, die eigenen Interessen durchzusetzen.“ Die Gewerkschaften müssten die Beschäftigen mobilisieren und ein Modell finden, das mehr Arbeitsplätze garantiert und eine Arbeitsintensivierung verhindert.

Auch Martin Mair vom Verein „Aktive Arbeitslose Österreich“ sieht in einer Arbeitszeitverkürzung und der Einführung des BGE eine Möglichkeit, den Menschen mehr Zeit zu geben, um sich etwa verstärkt der politischen Bewusstseinsbildung zu widmen. Der Widerspruch zwischen Überarbeitung einerseits und Arbeitslosigkeit andererseits würde damit jedoch nicht aufgelöst werden: „Wir sagen klar, dass es innerhalb des Kapitalismus keine echte Lösung geben kann. Dabei ist der Kampf um die Rechte der Erwerbsarbeitslosen zentral, er ist letzten Endes ein Kampf um die Rechte aller unter dem jetzigen System leidenden Menschen mit und ohne Erwerbsarbeit. Ilija Trojanow bringt es in seinem Buch ‚Der überflüssige Mensch’ auf den Punkt: Es geht ums Ganze. Außer uns selbst haben wir ja nicht mehr viel zu verlieren.“

 

David Ring studiert Soziologie an der Universität Wien.

AutorInnen: David Ring