Rechtsstaat Österreich – 404 NOT FOUND

  • 24.07.2014, 15:01

Der angebliche Rädelsführer der Proteste gegen den Akademikerball Josef S. (23) wurde am 22. Juli 2014 schuldig gesprochen. Am dritten Prozesstag wurde der Jenaer Student zu einer Haftstrafe von zwölf Monaten verurteilt, acht davon sind bedingt. Bezeichnend für diesen Fall war nicht nur die lange Untersuchungshaft, die vielen BeobachterInnen ungerechtfertigt erschien: Interessant sind auch die Parallelen zu einem früheren Justizfall.

Der angebliche Rädelsführer der Proteste gegen den Akademikerball Josef S. (23) wurde am 22. Juli 2014 schuldig gesprochen. Am dritten Prozesstag wurde der Jenaer Student zu einer Haftstrafe von zwölf Monaten verurteilt, acht davon sind bedingt. Bezeichnend für diesen Fall war nicht nur die lange Untersuchungshaft, die vielen BeobachterInnen ungerechtfertigt erschien: Interessant sind auch die Parallelen zu einem früheren Justizfall.

Als „Operation Spring“ ist eine großangelegte Operation der österreichischen Polizei in den Jahren 1999 und 2000 bekannt. Zahlreiche Menschen afrikanischer Herkunft wurden dabei festgenommen und rechtskräftig verurteilt. Einige der Festgenommenen wurden wegen illegalen Aufenthalts inhaftiert und in weiterer Folge aus Österreich abgeschoben. Dem landesweiten polizeilichen Zugriff auf Flüchtlingsheime und Wohnungen, der am 27. Mai 1999 erfolgte, ging nicht nur eine längere Überwachungsaktion voraus. Auch eine massive Welle der politischen Betätigung der afrikanischen Community gegen Rassismus, der seinen tragischen Höhepunkt in der Tötung Marcus Omufumas am 1. Mai 1999 durch österreichische Polizisten fand, hatte es gegeben. Der nigerianische Asylwerber hatte sich gegen seine Abschiebung mit Händen und Füßen gewehrt, woraufhin drei Polizisten seinen Brustkorb mit Klebebändern zuschnürten und ihm Nase und Mund verklebten. Marcus Omufuma erstickte qualvoll. Die drei Polizisten wurden wegen fahrlässiger Tötung zu acht Monaten bedingter Haft und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Sie wurden nie vom Dienst suspendiert.

Auch der Fall des Angeklagten Josef S. hat eine Vorgeschichte, die international Aufsehen erregte. Am 24. Jänner diesen Jahres fand der Wiener Akademikerball statt, der in den Jahren davor noch „Wiener Korporations-Ball“ hieß. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) lädt dabei als Organisatorin zu einem Treffen einflussreicher internationaler RechtsextremistInnen in die Hofburg ein. Gegen das jährlich stattfindende Event wurde 2014 erstmals auch international mobilisiert. Laut den VeranstalterInnen der Proteste nahmen bis zu 12.000 DemonstrantInnen an den Aktionen teil. Zahlreiche JournalistInnen kritisierten das Verhalten der Organisatoren des Balls sowie die Tatsache, dass dieser in den Räumlichkeiten der staatstragenden Hofburg stattfinden konnte.

Foto: Soligruppe Josef in Jena

Platzverbot und Lauschangriff

Sowohl im Zuge der Operation Spring als auch bei den Protesten gegen den Akademikerball wandte die Polizei neuartige Vorgangsweisen an. So kam 1999 erstmals der „große Lauschangriff“ zum Einsatz. Im Jänner 2014 war neu, dass ein umfangreiches Platzverbot über große Teile der Innenstadt verhängt wurde. Außerdem galt ein Vermummungsverbot für die inneren Bezirke. Paragraf Eins der Verordnung schrieb vor, dass sich keine Person an öffentlichen Orten aufhalten dürfe, die ihre Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände verhüllt oder verbirgt, um ihre Wiedererkennung zu verhindern. Weiters durften keine Gegenstände mitgeführt werden, „die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern“. Dies schien die polizeiliche Reaktion auf die Vorfälle im Jahr 2013 zu sein, als die FPÖ der Exekutive „Totalversagen“ bescheinigte.

Wer gegen das in Paragraf Eins angeordnete Verbot verstieß, beging eine Verwaltungsübertretung, welche mit einer Geldstrafe von bis zu 500 Euro oder einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Wochen bestraft werden kann, hieß es damals. Der Rechtswissenschaftler Bernd-Christian Funk verurteilte das Verbot und betitelte es als „Blankoschein“ für die Polizei. Mehrere österreichische Rundfunksender schlossen sich dieser Einschätzung an und forderten erfolglos die Aufhebung der Beschränkungen. Dennoch sperrte die Exekutive bereits vor dem Beginn der Demonstration die betroffenen Teile der Innenstadt mit mehr als 2.000 PolizistInnen ab. Als einige DemonstrantInnen die Polizeisperre überschritten, eskalierte die Situation. In Folge dessen kam zu mehreren Festnahmen.

Verfahrensmängel...

Das Justizverfahren, das im Zuge der „Operation Spring“ durchgeführt wurde, richtete sich in erster Linie gegen rund 100 AfrikanerInnen. Es entwickelte sich zu einem der größten und umstrittensten Justizverfahren der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Beinahe alle Angeklagten wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, unterschiedliche NGOs kritisierten die unübersehbaren Verfahrensmängel während des Prozesses sowie die von Polizei und Justiz angewandten Methoden. Michael Genner von Asyl in Not sprach von der „Verlogenheit des Rechtssystems“, während Heinz Patzelt von Amnesty International konstatierte, dass sein Vertrauen in den Rechtsstaat ernsthaft erschüttert worden sei. Die akustischen und optischen Aufzeichnungen, die während der Observationen durch Nachrichtendienste angefertigt wurden, waren größtenteils von ungewöhnlich schlechter Qualität und als Beweise im Grunde unbrauchbar. Die Zuordnung der Stimmen zu den Personen auf den Videoaufnahmen war nur spekulativ möglich.

Ebenso wurden einige vermummt vor Gericht erscheinende KronzeugInnen geladen, die einen Großteil der angeklagten AfrikanerInnen belasteten. Die Identität der ZeugInnen wurde gegenüber der Verteidigung nicht offen gelegt, zahlreiche Fragen der Verteidigung wurden – so das Gericht - zum Schutz der anonymen ZeugInnen vom Richter zurückgewiesen. So war es möglich, dass etwa Michel Kabongo (zum damaligen Zeitpunkt erst 20 Jahre alt) aufgrund einer anonymen und maskierten Zeugenaussage aus der Drogenszene erstinstanzlich wegen des Verkaufs von Rauschgift zu vier Jahren Haft verurteilt werden konnte.

Darüber hinaus offenbarten sich Mängel in der Übersetzung der Audioaufnahmen. Die Zuordnung der Stimmen nahm ein ebenfalls anonymer Dolmetscher vor, obwohl selbst ein Sachverständiger erklärt hatte, dass dies für ihn aufgrund der schlechten Qualität des Materials nicht möglich gewesen sei. Als die Verteidiger Fragen zur Qualifikation des Dolmetschers stellten, wurden auch diese vom Richter zurückgewiesen. Für internationale Kritik sorgte eine Passage in mehreren Urteilsbegründungen, die vom „Verkauf einer nicht mehr feststellbaren, jedenfalls aber großen Menge Heroin und Kokain, an unbekannt gebliebene Endabnehmer“ sprach. Der Dokumentarfilm  „Operation Spring“ von Angelika Schuster und Tristan Sindelgruber aus dem Jahr 2005 thematisiert diese Missstände und vermittelt einen Einblick in die befremdlichen Vorgänge im Zuge der Polizeiaktion.

...und Widersprüche

Auch das Verfahren gegen den deutschen Studenten Josef S. war durch Widersprüchlichkeiten geprägt und hatte den Anschein eines politisch motivierten Schauprozesses. Seit dem 24. Jänner 2014 saß der bis zu diesem Zeitpunkt unbescholtene Josef S. in Untersuchungshaft, da nach Ansicht der Polizei und später auch des Gerichts sowohl „Verdunkelungsgefahr“ als auch „Wiederbegehungsgefahr“ bestanden habe. Die Staatsanwaltschaft gab an, man befürchte, dass sich Josef S. an den Protesten gegen den Wiener Opernball beteiligen könnte. Diese finden jedoch schon seit mehreren Jahren nicht mehr statt. Josef S. galt als „Rädelsführer“ – so die Angaben der Wiener Polizei – da er einen schwarzen Pullover mit der Aufschrift „Boykott“ trug. Obwohl aktuelle wissenschaftliche Studien über Protestkulturen darauf hinweisen, dass es in den Reihen formierter autonomer DemonstrantInnen keine „Rädelsführerschaft“ gibt.

Zudem widerrief ein Belastungszeuge der Polizei im Zuge des Verfahrens seine Aussage vom ersten Prozesstag, als sich herausstellte, dass die Person, die auf einer Audiodatei zu hören war, nicht der Angeklagte sein konnte. Diese Tondatei war erst auf Initiative der Verteigerin von Josef S. genauer untersucht worden. Die Frage der Verteidigung, ob in diesem Fall das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eingehalten werde, konnte mit Blick auf einen Fall, in dem Mitglieder der neonazistischen Fangruppierung „Unsterblich“ direkt nach der Identitätsfeststellung entlassen wurden, auch nicht klar beantwortet werden.

Auch im Fall Josef S. trat ein anonymer Zeuge auf, der während der Demonstration als nicht uniformierter Zivilpolizist im Einsatz war. Dieser behauptete, dass Josef S. Steine und auch einen Mülleimer in Richtung der Polizisten geworfen habe. Als EntlastungszeugInnen der Verteidigung traten über 40 Angestellte der MA 48, JournalistInnen und Kameraleute auf, die Josef S. nicht einwandfrei oder gar nicht erkannt hatten. Ein STANDARD-Fotograf, der sich am Stephansplatz einige Meter entfernt vom Angeklagten aufgehalten haben soll, erkannte den Angeklagten auf keinen seiner 700 Fotos. Auch ein freier Fotograf, der ebenfalls in der Demonstrationsnacht fotografierte, sagte als Zeuge aus. Auf Filmmaterial ist er hinter Josef S. zu sehen, während der Angeklagte einen Mülleimer aufrichtete. Dass der Angeklagte den Mülleimer geworfen und somit den Tatbestand der absichtlichen schweren Körperverletzung erfüllt habe, konnte der Fotograf nicht bestätigen: „Mir ist nicht aufgefallen, dass von dort etwas geworfen wurde.“

Foto: Soligruppe Josef in Jena

Getroffen hat es Irgendeinen

Dass die „Operation Spring“ ein politisch motivierter Prozess war, um die afrikanische Community Österreichs repressiv zurückzudrängen, steht heute außer Frage. So wurde der aus Nigeria stammende Literat und politische Aktivist Obiora C-Ik Ofoedu im Zuge der Operation aufgrund von Informationen von der Polizei in den Medien als „Drogenboss“ gehandelt. Im Jahr 2000 wurde Ofoedu rechtskräftig wegen Geldwäsche verurteilt, weil er laut Gericht Geld an Landsleute überwiesen hätte, das aus Drogenhandel stammte. Für alle anderen ihm ursprünglich zur Last gelegten Verbrechen erhob die Staatsanwaltschaft keine Anklage. Den Vorwurf, Ofoedu sei der Kopf eines international agierenden Drogenrings, musste die Justiz fallen lassen. Emanuel Chukwujekwu wurde ebenfalls 1999 als „Drogenboss“ präsentiert. Im Zuge des Prozesses wurde er in zweiter Instanz freigesprochen. Der oberste Gerichtshof hob die Urteile jedoch wieder auf, worauf er schließlich im Dezember 2005 zu 4 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt wurde. Bis zu diesem Urteil saß er bereits fast 4 Jahre und 9 Monate in Untersuchungshaft. Für Chukwujekwu waren diese Vorgänge ein „Krieg gegen die Black Community in Wien“.

Der Staatsanwalt im Fall des Josef S. sprach in seinem Plädoyer von der Pflicht des Rechtsstaates sich vor „Terrorismus“ zu schützen. Clemens Lahner, einer der beiden AnwältInnen, die Josef vor Gericht verteidigt haben, stellte umfassend dar, dass der Mistkübel, den der Angeklagte geworfen haben soll, für diesen viel zu schwer gewesen sei. Außerdem liege diesbezüglich kein eindeutiges Beweismittel vor. Die Anklage stützte sich auf einen einzigen Belastungszeugen der Polizei, der als einziger angab, Josef S. zum Tatzeitpunkt am Tatort gesehen zu haben, während alle anderen als ZeugInnen geladene BeamtInnen der Anklageschrift widersprachen. Kristin Pietrczyk, die zweite Verteidigerin von Josef S., sprach in ihrem Schlussplädoyer davon, dass ein Schuldspruch ein „in Angst und Schrecken Versetzen von jedem, der auf so eine Demonstration gehen will“ sei.

Josef S. wurde am 22. Juli nach beinahe sechsmonatiger Untersuchungshaft wegen Landfriedensbruch in Rädelsführerschaft, versuchter schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung schuldig gesprochen. Die Frage der Verhältnismäßigkeit muss auch hier stutzig machen: Er wurde zu einer Haftstrafe von zwölf Monaten verurteilt, acht davon sind bedingt. Zu einer ähnlichen Haftstrafe wurde auch jener Mann verurteilt, der im Jänner letzten Jahres eine Kenianerin vor die U-Bahn-Gleise gestoßen hatte und – bevor er diese in Lebensgefahr brachte -  noch auf die U-Bahn-Signaltafel geblickt und seiner Freundin zugerufen hatte, dass in drei Minuten "alles vorbei“ sei. Der 51-jährige Elektriker wurde in erster Instanz zu einem Jahr bedingter Haftstrafe verurteilt, da eine Absichtlichkeit nicht nachweisbar war. Der Mann habe sich „in einer Stress-Situation“ befunden.

 

David Kirsch studiert Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft an der Universität Wien und schreibt auf exsuperabilis.blogspot.com

Gertrude Lover studiert Germanistik und Geschichte an der Universität Wien.

AutorInnen: David Kirsch, Gertrude Lover